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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.03.2025

Landkarte eines Lebens

Das rote Adressbuch
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Die Schwedin Doris ist 96 Jahre alt und gestürzt. Im Krankenhaus ist ihr einziger Kontakt ihre Großnichte in San Francisco, mit der sie sich über Skype austauscht. Gleichzeitig schreibt Doris ihr Leben ...

Die Schwedin Doris ist 96 Jahre alt und gestürzt. Im Krankenhaus ist ihr einziger Kontakt ihre Großnichte in San Francisco, mit der sie sich über Skype austauscht. Gleichzeitig schreibt Doris ihr Leben auf. Dabei hangelt sie sich an ihrem roten Adressbuch entlang und erzählt von den Menschen, die sich hinter den Namen verbergen. Neben den vielen ausgestrichenen Namen steht das Wort "tot". Doris ist die letzte, die noch lebt. Ein Gedanke, der ihr nicht besonders behagt.

Über das Leben von Doris habe ich sehr gerne gelesen, die mit 13 von zu Hause fortgeschickt wird, um arbeiten zu gehen und dann über Umwege in Paris zum Modell wird. Als der Krieg ausbricht, geht ihre Reise weiter.

Der Roman läßt sich wunderbar leicht lesen und auch wenn es gelegentlich etwas kitschig oder rührselig wird, hat er mir gut gefallen. Eine Reise durch das letzte Jahrhundert und zahlreiche Länder.

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Veröffentlicht am 22.02.2025

Das Schweigen der Schwarzen Löcher

Portrait meiner Mutter mit Geistern
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Vier Frauengenerationen (am Ende kommt sogar noch eine weitere dazu), die wir durch das letzte Jahrhundert bis in die Gegenwart begleiten. Schicksalhaftes wird von einer Generation in die nächsten getragen, ...

Vier Frauengenerationen (am Ende kommt sogar noch eine weitere dazu), die wir durch das letzte Jahrhundert bis in die Gegenwart begleiten. Schicksalhaftes wird von einer Generation in die nächsten getragen, ohne die Fähigkeit, Worte dafür zu finden. Das (Ver-)Schweigen zieht sich als Motiv durch den ganzen Roman.

Raisa hat abenteuerliche Reisejahre hinter sich, als sich ihre Mutter Martha entschließt, in ihren kleinen Heimatort in Norddeutschland zurückzukehren, damit Raisa dort zur Schule gehen kann, Ende der 1980er Jahre. Aber Martha ist nicht glücklich. Sie ist ängstlich, verschlossen und ausweichend, wenn Raisa sie befragt. Sie hat eine Vergangenheit, die sie vergessen möchte.

Mit Martha und Raisa beginnt der Roman, um dann in zahlreichen Rückblenden, die nicht chronologisch angelegt sind, die Lebensgeschichten der Vorfahren hinzuzufügen. Die Frauen und ihre Schicksale stehen im Zentrum. Nur langsam erschließen sich die Zusammenhänge, vieles bleibt bis zum Schluss im Dunkeln oder wird nur angedeutet. Das wiederholt auftretende Motiv der Schwarzen Löcher greift hier besonders gut: Sie schlucken alles Licht und lassen nichts, was einmal in sie hineingefallen ist, wieder heraus. Es bleibt verschlossen, eingeschlossen, so wie die Traumata.

Das Buch ist ohne Frage eine Herausforderung, formal und inhaltlich. Ohne den beigefügten Stammbaum ist es gelegentlich schwer, den Überblick zu behalten. Wer hat nochmal was mit wem und wann erlebt? Es wiederholen sich Dinge, manchmal verschwimmen Teile, die man falsch zugeordnet hatte. Briefe werden geschrieben, Teile davon wieder durchgestrichen. Zettel werden in einer Steinmauer versteckt, die der Versuch sind, der Sprachlosigkeit zu entkommen. Die Autorin läßt bewusst einiges in der Schwebe. Das ist sehr kunstvoll gemacht, ebenso wie die verschiedenen Stimmen, die sie für die unterschiedlichen Figuren findet.

Die zahlreichen Figuren, unterschiedlichen Zeitebenen und -spünge, das nicht Auserzählte verhindern aber auch ein geschmeidiges Lesen. Ein eigenständiger und eigenwilliger Roman mit Ecken und Kanten, für den man sich Zeit nehmen muss.

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Veröffentlicht am 30.12.2024

Die Unsichtbare

Lempi, das heißt Liebe
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Lempi, Kaufmannstochter aus der Stadt, heiratet kurzentschlossen den jungen Bauern Viljami und geht mit ihm auf seinen Hof in Lappland. Bald muss Viljami in den Krieg ziehen und seine Frau bleibt allein ...

Lempi, Kaufmannstochter aus der Stadt, heiratet kurzentschlossen den jungen Bauern Viljami und geht mit ihm auf seinen Hof in Lappland. Bald muss Viljami in den Krieg ziehen und seine Frau bleibt allein mit der Magd auf dem Hof zurück. Als er heimkehrt, ist seine große Liebe Lempi verschwunden.

Die Figur der Lempi bleibt undeutlich, wie auf dem Cover. Wir lernen sie nur durch die Augen anderer kennen. Im ersten Dritten verzehrt sich Viljami auf dem Weg nach Hause nach ihr und kann nicht fassen, dass sie ihn verlassen haben soll. Der zweite Abschnitt wird aus der Sicht der Magd Elli erzählt, die letzte Sicht auf Lempi gewährt uns ihre Zwillingsschwester Sisko.

Der Debütroman der ebenfalls aus dem nördlichsten Teil Finnlands stammenden Autorin Rytisalo besticht durch die drei unterschiedlichen Sprachstile, die sie ihren drei Erzählerinnen gibt. Ich muss gestehen, dass mich der erste Abschnitt ziemlich ermüdet hat. Erst mit der Erzählung der Magd nimmt der Roman Schwung auf und auch Spannung. Es lohnt sich also dranzubleiben.

Neben der Sprache und der ungewöhnlichen Erzählweise barg das Buch auch inhaltlich Neues für mich. Hintergrund der Handlung ist der zweite Weltkrieg, der Winterkrieg zwischen Russland und Finnland 1939/40 und die Waffenbruderschaft der Finnen und Deutschen gegen die Russen im Anschluss. Nach einem Waffenstillstandsvertrag mit Russland im September 1944, mussten alle deutsche Soldaten innerhalb von 14 Tagen Finnland verlassen. Plötzlich wurden aus Waffenbrüdern Feinde und viele finnische Frauen, die sich mit den Deutschen eingelassen hatten, wurden noch jahrzehntelang diskriminiert. Ebenso erging es ihren Kindern. Dieses dunkle Kapitel wird im Roman an verschiedenen Stellen thematisiert.

Der Roman läßt viel Spielraum für eigene Interpretationen was die Figuren und ihr Handeln anbelangt. Es wird nicht alles erklärt, vieles nur angedeutet. Letztlich muss sich jede
r selbst sein Bild von Lempi machen, den eigenen Blick scharf stellen, um in den Erzählungen der anderen Personen "seine" oder "ihre" Lempi zu entdecken.

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Veröffentlicht am 10.11.2024

Háldin und der Rentierhirte

Als wir im Schnee Blumen pflückten
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Zu Beginn des Romans tauchen viele Figuren auf, die sich erstmal an die richtige Stelle setzen müssen. Dafür habe ich ein paar Kapitel und Notizen gebraucht. Dann aber entwickelt der ungewöhnliche Roman ...

Zu Beginn des Romans tauchen viele Figuren auf, die sich erstmal an die richtige Stelle setzen müssen. Dafür habe ich ein paar Kapitel und Notizen gebraucht. Dann aber entwickelt der ungewöhnliche Roman einen Sog und ich habe ihn sehr gerne gelesen.

Das romantische Cover wird gleich zu Beginn gebrochen, denn die schon recht betagte Máriddja ist an Krebs erkrankt. Ihr Mann Biera vermutet bei ihr beginnende Demenz, weil sie nichts erzählen will. Gleichzeitig lernen wir das junge Ärztepaar Kaj und Mimmi kennen, die ebenfalls in den Norden Schwedens ziehen. Kaj hat gerade seine Mutter verloren und fühlt sich an seinem neuen Wohnort von dem aufdringlichen Nachbarskind belästigt. Máriddja hat alle Hände voll zu tun, die Behörden von ihrem kleinen Haus fernzuhalten, denn tatsächlich ist es Biera, der an Demenz erkrankt ist und der immer mehr in der Vergangenheit lebt und um seine kleine Schwester und deren Sohn trauert.

Das hört sich alles nicht so spannend an und war zu Beginn auch etwas verwirrend. Bald rückt aber alles an seinen Platz und einiges wird schnell klar, anderes erst später. Das putzige Verhalten von Máriddja zum Beispiel erschließt sich erst später.

Der Roman besticht durch die Darstellung der Folgen der Zwangsumsiedlungen der Samen aus dem Norden in den Süden des Landes. Das hat sicherlich zum Erfolg des Buches in Schweden beigetragen. Der Text ist voll mit Begriffen, Traditionen und Mythen der Samen. Ein kleiner Anhang wäre da nicht schlecht gewesen, denn zu Beginn dachte ich bei einigen Wörtern, es wären Eigennamen, dabei waren es die Ausdrücke für Verwandtschaftsbeziehungen. Daneben hat der Text viele humorvolle Stellen, wobei es manchmal schon haarscharf an der Grenze zum Albernen war. So vertraut sich Máriddja recht bald der "Dame" von der Telefonvermittlung an und bespricht mit ihr alle Kümmernisse, ihr Name ist Siri und diese antwortet manchmal doch etwas "hölzern".

Insgesamt eine nette Geschichte, die durch den Bezug zum Schicksal der Samen, auch die Autorin ist übrigens eine Sami, interessant ist.

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Veröffentlicht am 29.10.2024

Trollalarm!

Die Nachricht
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Ruth ist eine gestandene Frau. Seit einigen Jahren Witwe, mit zwei fast erwachsenen Söhnen und einer Stieftochter mit Baby. Gerade hat sie sich wieder eingerichtet in ihrem Leben, hat jemanden neues kennengelernt, ...

Ruth ist eine gestandene Frau. Seit einigen Jahren Witwe, mit zwei fast erwachsenen Söhnen und einer Stieftochter mit Baby. Gerade hat sie sich wieder eingerichtet in ihrem Leben, hat jemanden neues kennengelernt, da beginnen die bösartigen Nachrichten in ihr Leben zu brechen. Es geht um ihren verstorbenen Mann, der sie ja sowieso verlassen wollte, um sie, um ihren neuen Freund. Die Hassnachrichten vergiften langsam ihr Leben und treiben Keile zwischen Ruth und ihre Freunde, denn auch diese erhalten anonyme Texte.

Die Geschichte entwickelt einen Sog. Zunächst scheinen die Nachrichten und das Leben von Ruth parallel zu verlaufen. Einerseits das Leben auf dem Land, in dem Holzhaus, das ihr verstorbener Mann selbst gebaut, mit Freunden und der Familie und einem neuen Liebesglück. Dann die bösartigen Nachrichten, die an ihr kratzen, sie verunsichern, denen sie machtlos gegenübersteht. Dann verquicken sich die beiden Bereiche immer mehr und die Botschaften beeinflussen Ruths gesamtes Leben.

Doris Knecht schreibt darüber, dass Opfern immer noch oft zumindest eine Mitschuld gegeben wird. Dass wohl schon irgendwas dran sein wird an solchen Beschimpfungen, dass provoziert worden sein muss, was auf einen zurückfällt, dass das ja alles gar nicht so schlimm sei. Es ist spannend zu lesen, wie sich die Situation zuspitzt und man fühlt sich selbst ganz hilflos dabei. Mir hat das Buch gut gefallen und gleichzeitig auch Angst gemacht, weil es zeigt, wie schnell man zum Opfer werden kann.

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