Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.12.2017

"Eines mußte man London lassen: Es gab ziemlich viel davon."

Kapital
0

Dieser opulente, vielschichtige Roman handelt vom Leben in London in den Jahren 2007 und 2008, wobei sich London hier auf die Pepys Road konzentriert, eine Straße, in der sich ein buntes, die untere bis ...

Dieser opulente, vielschichtige Roman handelt vom Leben in London in den Jahren 2007 und 2008, wobei sich London hier auf die Pepys Road konzentriert, eine Straße, in der sich ein buntes, die untere bis obere Mittelschicht repräsentierendes Sammelsurium an Bewohnern und einem Kreis von weiteren Menschen, die in unterschiedlichster Form mit ihnen zu tun haben, tummelt.

Ein wenig gemahnt dieser Roman in seinem Ansatz an den Film "Short Cuts" von Robert Altman, der allerdings in L.A. spielt. Wie dort werden fragmentarische Sequenzen aus dem Leben einiger Menschen aufgeführt und wie im Film steht hier die Stadt im Hintergrund und bildet die Kulisse zur Handlung, vielmehr zu den vielschichtigen Parallelhandlungen des Romans.

Die Rentnerin Petunia, der pakistanische Lebensmittelhändler Ahmed, der Finanzhändler Roger, das hoffnungsvolle senegalesische Fußballtalent Freddy - sie alle leben im Kreise ihrer Familien in der Pepys Road, haben Träume und hegen Hoffnungen und Wünsche... und werden von unheimlichen, regelmäßig eintreffenden Karten mit der Botschaft "Wir wollen das, was Ihr habt" belästigt, denen bald ähnlich störende Aktionen folgen, um die sich das lokale Polizeipräsidium mehr oder weniger motiviert kümmert.

Doch das Leben in der Pepys Road zieht weitere Kreise: nicht nur um diese Sendungen rankt sich die Handlung: Nein, weitere Figuren, die in Zusammenhang mit dieser Straße stehen, beispielsweise der polnische Handwerker Zbigniew, das ungarische Kindermädchen Matya, Freddys Vertrauter Mickey, um nur einige zu nennen... sie alle haben ihren Auftritt, ihren Anteil an der Geschichte.

Ein tolles, pralles und monumentales Buch, das trotz der vielen darin vorkommenden Figuren nie verwirrend ist und nicht eine Länge aufzuweisen hat. Obwohl viel Alltägliches beschrieben wird, ist die hier erzählte Story voll von überraschenden Entwicklungen - es fällt wirklich schwer, die Lektüre zwischendurch zu unterbrechen.

Der Leser spürt, dass jede einzelne Seite wichtig und bereichernd ist - denn, um es mit Zbigniew, dem polnischen Handwerker zu sagen: "Eines mußte man London lassen: Es gab ziemlich viel davon"(S.541) - und zwar jede Menge pralles Leben, mit dem der Rezipient des Romans konfrontiert, durch das er mit allen Sinnen angeregt und mit Hilfe dessen er amüsiert wird. In diesem Sinne lege ich "Kapital" jedem ans Herz, der gerne einen sowohl anspruchsvollen als auch unterhaltsamen Roman, der gut geschrieben und ebenso gut übersetzt ist, zu genießen vermag.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Echte Fründe ston zesamme,....

Sterbenswort
0



so heißt es in meiner Heimatstadt Köln: wahre Freunde halten zusammen, stehn füreinander. Das haben auch die WG-Kollegen, die Studenten Kathrin, Heinrich, Erik und Amélie sowie der ständige Besucher ...



so heißt es in meiner Heimatstadt Köln: wahre Freunde halten zusammen, stehn füreinander. Das haben auch die WG-Kollegen, die Studenten Kathrin, Heinrich, Erik und Amélie sowie der ständige Besucher und gemeinsame Freund Thomas so gehandhabt - bis zu einem fürchterlichen Tag, dem Todestag von Erik, nach dem nichts mehr so wie vorher war.

Langsam, peu a peu wird die Geschichte beleuchtet und erschließt sich uns, des geneigten Lesern dieses packenden Krimis, ganz allmählich, zeitlich gesehen sowohl vor- als auch rückwärts - ein meisterhaftes Konstrukt des Autors..

Doch zunächst zur gegenwärtigen Situation: Kathrin ist nun Ärztin und Mutter einer kleinen Tochter - alleinerziehend zwar, sieht sie sich trotzdem auf der Sonnenseite des Lebens und ist mit ihrem Dasein ausgesprochen zufrieden. Auch der Jurist Heinrich hat es gut getroffen, indem er sich quasi ins gemachte Nest gesetzt und die bestens laufende Kanzlei seines Vaters übernommen hat, eine blutjunge Ehefrau und ein Haufen Geld "an den Füßen" runden sein Leben ab. Amélie und Thomas dagegen haben es bei weitem nicht so gut getroffen, doch das erfahren die ehemaligen Freunde erst, als Erik, der doch seit mehr als zehn Jahren tot ist, sich wieder zurückmeldet. Kann das sein? Vor allem Kathrin und Heinrich empfangen Signale der unterschiedlichsten Art, die ganz klar als Bedrohung zu verstehen sind und sich immer mehr verdichten, doch auch die beiden anderen geraten mehr und mehr ins Kreuzfeuer von Erik oder jemandem, der sich für ihn ausgibt. Stehen die Freunde immer noch zusammen, vereinen sie sich in dieser Notlage?

Siegfried Langers Schreibstil ist reduziert und zurickhalten und dadurch umso sprachgewaltiger. Bis ins Mark trifft er den Leser mit jedem Schritt, den er sowohl vor- als auch zurückgeht, mit jedem neuen Detail, das sich uns erschließt. Ein eher unblutiger Berliner Krimi bzw. Thriller - aus meiner Sicht beinhaltet das Werk Elemente beider Genres und kann - ja, sollte - von Freunden des klassischen Whodunnit genauso wie von Thrillerfans genossen werden. Obwohl der Handlungsaufbau eher subtil ist, ist das Buch von einer Spannung durchzogen, die sich sukzessive steigert und verdichtet. Ich finde, dieses Buch sollte Krimi- und Thrillerfreunden, die des Deutschen nicht mächtig sind, nicht vorenthalten werden - es schreit geradezu nach Übersetzungen in die wichtigsten Sprachen Europas! Ich kann nur Daumen drücken und hoffen, dass meinen Freunde und Thriller-Liebhabern in Skandinavien, im angelsächsischen Raum und in Osteuropa dieses Werk nicht vorenthalten bleibt - gerade den Skandinaviern, die ja mit einer nicht unwesentlichen Menge an ausgezeichneter Kriminalliteratur aufwarten können, würde ich das "Sterbenswort" gerne als ein Juwel aus deutscher Feder präsentieren!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Aufeinander zugehen

Der Tanz unseres Lebens
0

Das fällt manchen schwerer, anderen leichter. Der Tänzerin Florence
fällt es sehr, sehr schwer - meistens jedenfalls. Und das aus gutem
Grund.

Doch nachdem sie nach einer nächtlichen Tanzeinlage auf
dem ...

Das fällt manchen schwerer, anderen leichter. Der Tänzerin Florence
fällt es sehr, sehr schwer - meistens jedenfalls. Und das aus gutem
Grund.

Doch nachdem sie nach einer nächtlichen Tanzeinlage auf
dem Eis und dem darauf folgenden Einbruch vom Arzt Martin gerettet
wurde, landet sie bei Claire und ihrer Tochter Zoe - einem Kind mit
Down-Syndrom. Und dort kann sie sich öffnen und gar in die Familie
einfügen. Schnell wird sie zur Betreuerin Zoes und nicht nur das - sie
wird sozusagen zu ihrer und Claires Lebens-Gefährtin.

Durch
Zufall ist sie in dem kleinen Ort in der Romandie geblieben und bleibt
dort hängen, was vor allem mit Claire und Zoe und bald auch mit Lysann,
Zoes älterer Schwester, die schwer erkrankt aus ihrem Sportinternat nach
Hause zurückkehrt, zusammenhängt, aber längst nicht nur.

Denn
Florence hat selbst ihr Päckchen zu tragen und dieses wörtlich zu
nehmende Päckchen trägt sie am liebsten unter Freunden, zu denen sich
gern auch Martin zählen würde, doch so leicht macht es Florence ihm
nicht, kann sie es ihm nicht machen.

Wie sie dennoch das Dorf
erobert - umgekehrt ist dies längst geschehen - beschreibt Noa C. Walker
in einer eindringlichen Schilderung, die man aufgrund ihrer teils
wundersamen Fügungen stellenweise als märchenhaft bezeichnen könnte,
würde nicht so viel Pragmatisches und Handfestes drin vorkommen. Um sich
endgültig einleben zu können, muss Florence allerdings jemandem
verzeihen, jemandem, der weit weg ist...

Ein schönes und kluges
Buch, bei dem es wie immer bei Noa C. Walker um Menschlichkeit in ihren
unterschiedlichen Facetten geht, vor allem ums Verzeihen, aber auch um
das Wertschätzen dessen, was man hat. Ein warmherziges, stimmiges Buch
mit kraftvollen Elementen und wunderschönen Zitaten, die die Autorin dem
Mädchen Zoe in den Mund legt.

Wer eine stimmungsvolle Lektüre
für den Advent sucht, der hat sie hiermit gefunden. Ich jedenfalls
empfehle sie aus ganzem Herzen!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Eine Seefahrt, die ist lustig?

Woman in Cabin 10
0

Diese jedenfalls nicht, auch wenn man dabei definitiv viel erleben kann. Aber nicht unbedingt Lustiges, sondern Mondänes, Luxuriöses, aber auch Geheimnisvolles, ja gar Bedrohliches.

Journalistin ...

Diese jedenfalls nicht, auch wenn man dabei definitiv viel erleben kann. Aber nicht unbedingt Lustiges, sondern Mondänes, Luxuriöses, aber auch Geheimnisvolles, ja gar Bedrohliches.

Journalistin Lo hat das ganz große Los gezogen und darf ihre Chefin während der Elternzeit bei einer Tour auf einem Luxusschiff vertreten - sie arbeitet nämlich bei einem High-Class-Reisemagazin. Böse Zungen könnten sagen, sie bekommen kostenlose Reisen dafür, dass sie sie den Reichen schmackhaft machen, jedenfalls nicht zu knapp! Aber in den Genuss kommt eben immer nur Los Chefin - bis jetzt!

Diesmal ist das Ziel besonders verlockend: eine Kreuzfahrt entlang der norwegischen Küste. Aber Lo kann sie fast nicht antreten, weil bei ihr zu Hause eingebrochen wird. Und dann hört sie von der Kabine nebenan verdächtige Geräusche, von denen allerdings kein anderer etwas wissen will. Kommen sie etwa von der Frau, die ihr ihr Mascara geliehen hat? Keiner will diese gesehen haben!

Ich habe diesen Thriller, der über Strecken eine gewaltige Nähe zum klassischen Whodunnit aufweist, überaus gerne gelesen, kann Autorin Ruth Ware, deren zweites Werk dies nach dem Bestseller "Im dunklen, dunklen Wald" bereits ist, doch wunderbar packend und fesselnd erzählen, wobei sie stets eindringlich bleibt, Reißerisches eher vermeidet. Die Charaktere könnten - wären sie nicht ganz so modern gestaltet - auch bei Agatha Christie vorkommen, sie sind wunderbar plastisch gestaltet und schreien geradezu nach einer Verfilmung.

Auch wenn die Handlung keineswegs leise und umständlich daherkommt - nein, Ruth Ware leistet sich durchaus ein paar verwegene, ja abwegige Loups, um am Schluss dann doch alles wieder zusammenzubringen. Nun ja, fast alles. Über ein paar Kleinigkeiten sehe ich, die ich Lektüre sehr genossen habe, gnädig hinweg und empfehle dieses Buch allen Krimiliebhabern, bei denen es auch mal etwas atemberaubender zugehen darf und die das Überschreiten der Grenze zum Thriller nicht scheuen!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Nach langen Jahren

Karolinas Töchter
0

nämlich über 70 - sucht Lena, selbst in gesegnetem Alter, in Chicago die Töchter ihrer Freundin, die sie im zweiten Weltkrieg aus den Augen verloren hat und zwar in Ostpolen, dem Land ihrer Herkunft. ...

nämlich über 70 - sucht Lena, selbst in gesegnetem Alter, in Chicago die Töchter ihrer Freundin, die sie im zweiten Weltkrieg aus den Augen verloren hat und zwar in Ostpolen, dem Land ihrer Herkunft. Ihre amerikanische Anwältin und deren Mann, ein erfolgreicher Detektiv, der die Suche aufnehmen soll, haben so ihre Zweifel, aber Lena lässt nicht locker, obwohl sich ihr eigener Sohn gegen sie stellt.

Diese Geschichte ging mir durch bis ins Mark und hat mich an für mich maßgebliche, die Augen öffnende und damit bahnbrechende mediale Konfrontationen mit der Verfolgung der Juden wie den Vierteiler "Holocaust", der Ende der 1970er Jahre im deutschen Fernsehen lief oder Spielbergs großartigen Film "Schindlers Liste" aus den 1990ern erinnert - eine ähnlich epochale Wirkung hat diesen eindringliche, dabei trotz aller Emotionalität immer auch pragmatisch bleibende Buch auf mich. Ich möchte es allen jungen Leuten (das sind für mich alle unter 40) zeigen, sie mit der Nase drauf stoßen und sagen: "lest"! Und dann überlegt Euch, ob Ihr zusehen wollt, wie in Europa friedlichen, hilfesuchenden Menschen die Tür vor der Nase zugeknallt wird. So wie in Ostpolen der 1930er und 40er Jahre ist es noch nicht, aber es bewegt sich in die Richtung und das gilt es zu vermeiden. Dieses Buch vermittelt so viel mehr als historische Wahrheiten, es zeigt Menschlichkeit, Mitgefühl, aber auch Mut und Stärke, die aus der Verzweiflung geboren wurde.

Ein Buch über die Kraft der Frauen - eines, das ich sowohl schockierend als auch ermutigend fand. Geschockt haben mich - obwohl mir als Historikerin hinlänglich bekannt - die individuellen Erlebnisse, die Dramen, die sich unter dem nationalsozialistischen Regime, aber auch in dessen Nachfolge ereigneten. Mut machten mir die Frauen, die trotz Schwäche und Verzweiflung nie aufgaben, auch wenn die Lage noch so hoffnungslos schien.

Ein Buch, das sich schnell wegliest, das man aber dennoch nicht vergisst. Ich jedenfalls werde die Geschichte für immer in meiner Erinnerung und in meinem Herzen behalten!