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Veröffentlicht am 21.04.2025

Eine poröse Kette von Frauen

Die Summe unserer Teile
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Die Familiengeschichte dreier Frauen erstreckt sich über einen Zeitraum von achtzig Jahren. Im Zweiten Weltkrieg flieht die Großmutter aus Polen in den Libanon, wo sie eine der ersten Chemikerinnen wird; ...

Die Familiengeschichte dreier Frauen erstreckt sich über einen Zeitraum von achtzig Jahren. Im Zweiten Weltkrieg flieht die Großmutter aus Polen in den Libanon, wo sie eine der ersten Chemikerinnen wird; die Mutter gibt den Libanon für ein Leben als Medizinerin in Deutschland auf und die Tochter, die Informatik studiert, will zurück nach Polen, um ihre Geschichte zu verstehen. Durch die Wissenschaft sind alle drei verbunden, ansonsten besteht keine richtige Beziehung mehr. Studentin Lucy spricht seit Jahren nicht mit ihrer Mutter, erhält aber plötzlich den verhassten Flügel, auf dem sie als Kind spielen lernen musste. Er erinnert sie an ihre allzu behütete Kindheit, die hohen Ansprüche ihrer Mutter und die fehlende Nähe. Als Lucy den polnischen Geburtsnamen ihrer Großmutter entdeckt, macht sie sich auf die Reise nach Polen, wo sie die losen Fäden ihrer Familie zusammenführen will.
Das Cover mit dem Ausschnitt einer abgebildeten Person könnte vieles verkörpern. Am ehesten noch den „Teil“, aus dessen Summe wir laut Titel bestehen. Und dieses Thema zieht sich durch den gesamten Roman. Die Geschichte spielt auf drei Zeitebenen, häppchenweise erfährt das Publikum „Teile“ aus dem Leben der drei Frauen. Erst nach und nach kann man sich ein Bild über die Charaktere machen. Allerdings kein vollständiges, denn nicht alles wird ausgesprochen. Und an der Aussprache mangelt es auch in den Beziehungen der drei Frauen zueinander. Man würde sich wünschen, dass sie an vielen Stellen einfach aufeinander zugehen, miteinander kommunizieren und sich gegenseitig verstehen. Aber das passiert nicht – jedenfalls nicht so, wie es sein könnte.
Der Schreibstil ist stilistisch an das wissenschaftliche Fachgebiet der Frauen angelehnt; allerdings nur ganz zu Beginn des Buchs, dort allerdings geballt. Sprachlich enthält dieser Roman aber auch viele schöne Bilder; Zitate, in denen viel Wahrheit steckt und die man sich gerne notiert, möchte ich als Stärke dieses Romans bezeichnen. Aber auch sie bleiben leider immer nur in den Gedanken der Frauen. Richtige Sympathie konnte ich zu keiner der Protagonistinnen aufbauen. Zu fremd waren sie mir in ihren Entscheidungen und überhaupt als Personen. Zu sehr in sich gekehrt und auch zu sehr auf sich selbst bezogen. Den wenigsten Bezug konnte ich zur jungen Lucy herstellen. Sie kam mir weniger wie eine junge Frau als eher wie ein trotziges Kleinkind vor. Allerdings – jede der Frauen hatte ihre Gründe, sich so zu benehmen, wie sie es eben tat. Die Väter in dieser Familie verhalten sich passiv, eigentlich vollkommen unbeteiligt. Sie bekommen neben den starken Frauen auch gar keinen Raum.
Der Roman wirkt noch länger nach; es ist schwer ihn zu beurteilen, weil viele „Teile“ einfach gar nicht greifbar gemacht werden. Gerade von diesem Nicht-Gesagten, von diesen Missverständnissen und eigentlich auch der Oberflächlichkeit, mit der die drei Charaktere beschrieben werden, lebt diese Geschichte. Und auch das Ende bleibt offen.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.04.2025

Von Kirchenmäusen und anderen Geheimnissen

Der Tote in der Crown Row
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Der Temple-Bezirk in London bildet das Zentrum der englischen Rechtswelt. Alte Gebäude, verwinkelte Straßen und auch ein Ort mit großen Traditionen. 1901 bleibt das Thema Mord allerdings nicht auf die ...

Der Temple-Bezirk in London bildet das Zentrum der englischen Rechtswelt. Alte Gebäude, verwinkelte Straßen und auch ein Ort mit großen Traditionen. 1901 bleibt das Thema Mord allerdings nicht auf die Fallbücher beschränkt, sondern wird zur Realität im Temple, denn der oberste Richter fällt direkt im Temple-Bezirk einem Verbrechen zum Opfer. Anwalt Gabriel Ward stolpert geradezu über die Leiche und soll den Fall aufklären, da die Polizei im Temple-Bezirk keine Befugnisse hat. Wie es seine Art ist, geht Gabriel mit Logik an die an ihn gestellte Aufgabe heran. Bald erkennt er, dass es hier um ganz eigene Gesetzmäßigkeiten geht, und dass die eigene kleine Welt mitten in London mehr Geheimnisse hat, als der Anwalt vermutet hätte ...
Das Cover ist schlicht gehalten, düster; die Leiche ist bereits hier zu erkennen. Ein Grundriss des Temple-Bezirks am Beginn des Buchs hilft bei der Orientierung. Die Kapitel sind kurz gehalten, der Schreibstil fällt durch lange, oft verschachtelte Sätze auf. Die Autorin, selbst Anwältin im Temple-Bezirk, weiß genau, worüber sie schreibt, sei es auf die Gegebenheiten des Bezirks bezogen oder auf die Gesetzeslage. Das Publikum erhält so auch einen guten Einblick in die dortigen Hierarchien.
Die Geschichte spielt in einer Zeit, als die Kriminalistik noch eher in ihren Kinderschuhen steckte. So wird eben auf gute altmodische Weise ermittelt. Gut, das Amateurdetektiv Anwalt Gabriel und der ihm zugeteilte Polizist Constable Wright auf dem neuesten Stand sind, was die letzten kriminaltechnischen Erkenntnisse betrifft.
Die Charaktere sind sehr lebensnah beschrieben. Der Tod des obersten Richters weckt bei so einigen mutmaßlichen Nachfolgern Begehrlichkeiten, die sie zu Verdächtigen machen; aber auch unter den Bediensteten gibt es einige Personen, die ein Motiv für den Mord hätten. Die Verhaltensweisen sind manchmal nicht ganz nachvollziehbar und an etlichen Stellen waren mir die Wiederholungen zu zahlreich, denn Gabriel überdenkt selbst, oder gibt m Gespräch mit Constable Wright die bisher gesammelten Aussagen wieder. Insgesamt ist hier eine unterhaltsame Lektüre mit britischem Humor gelungen, der es nicht an Spannung fehlt.

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Veröffentlicht am 16.03.2025

Die Apokalypse in uns

Überleben ist alles
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Haley ist 15, als sie und ihr jüngerer Bruder Ben von ihrem genialen, aber psychisch schwierigen Vater entführt wird. Er bringt sie in die schottischen Bergen, wo er die Familie auf einen Lockdown vorbereiten ...

Haley ist 15, als sie und ihr jüngerer Bruder Ben von ihrem genialen, aber psychisch schwierigen Vater entführt wird. Er bringt sie in die schottischen Bergen, wo er die Familie auf einen Lockdown vorbereiten will. Denn seiner Meinung nach bedroht eine neue Pandemie die Welt, schlimmer als Covid, denn die Einwohnerzahl der Erde soll dadurch drastisch verringert werden. Im völlig isolierten Prepper-Compound soll die Familie weitestgehend von Chaos, Bürgerkrieg, Atavismus und Armageddon verschont bleiben.
Abgeschnitten von der Zivilisation, ohne Kommunikationsmittel und Informationen von außen, macht sich Haley ihre Gedanken über die gesamte Situation; und darüber, ob es die vom Vater vermutete Bedrohung überhaupt gibt – oder sie einfach der Fantasie seines von verschwörungsbesessenen Gehirns entsprungen ist.
Das Cover ist in auffälligem Rot gehalten, mit dem Titel in großen weißen Buchstaben und schwarzen Umrissen von Personen, Tieren und Bäumen. Unter der Umschlagklappe gibt es vorne einen Ausschnitt aus Haleys Survivalguide und am Ende des Buchs eine Checkliste zum Überleben in der Wildnis. Kurze Kapitel mit aussagekräftigen Titeln geben einen Überblick über die Situation im Camp, zeigen Überlebenspläne und Strategien auf, wie man der Pandemie entgegentreten kann. Diese Strategien stammen teils von Haley, sind aber teilweise auch von ihrem Vater übernommen. Die fünfzehnjährige Haley Cooper Crowe ist die Ich-Erzählerin des Buchs. Der Schreibstil ist ihrer Sprache angepasst und daher sehr locker gehalten. Haley spricht das Publikum direkt an, spricht über die Situation im Prepper-Compound, ihre Gedanken über die Lage insgesamt und auch über Ihre erste Liebe.
Das Buch kann als Jugendbuch gelesen werden, spricht aber genauso Erwachsene an. So fiktiv die Prepper-Gemeinde sein mag, die Charaktere sind alle lebensnah und detailliert gezeichnet. Der Roman ist unterhaltsam geschrieben, regt aber auch zum Nachdenken an. Immer wieder gab und gibt es Weltuntergangsszenarien und vorhergesagte Weltuntergänge, die letztendlich nicht stattgefunden haben. Die Prepper um Haleys Vater erschaffen sich ihre eigene Welt, mit eigenen Plänen und Gesetzmäßigkeiten. Alles schwebt jedoch noch in der Theorie. Die Frage bleibt, sollte die vorhergesagte Pandemie tatsächlich Realität werden, könnten dann alle Pläne umgesetzt werden oder wird schließlich alles über den Haufen geworfen und gerät aus dem Ruder?

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Veröffentlicht am 16.03.2025

Die erste Generation baut das Haus …

Die Fletchers von Long Island
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Der wohlhabende Carl Fletcher wird 1980 vor seinem Haus in Long Island gekidnappt und nach Zahlung des Lösegelds wieder freigelassen. Doch selbst vierzig Jahre später bleiben die Spuren dieser Entführung ...

Der wohlhabende Carl Fletcher wird 1980 vor seinem Haus in Long Island gekidnappt und nach Zahlung des Lösegelds wieder freigelassen. Doch selbst vierzig Jahre später bleiben die Spuren dieser Entführung noch in der ganzen Familie spürbar. Wie sich dieser dramatische Einschnitt bei jedem einzelnen der Fletchers auswirkt, beschreibt die Autorin auf humorvolle und doch teils beunruhigende Weise.
Das Cover erinnert mit seinen bunten Lettern an die 1980er Jahre, führt also gleich in die Zeit der Entführung; die Zeichnung des Hauses, aus welchem Flammen schlagen, verweist auf Unheil. Das Familienepos ist nach einer Einleitung in drei große Abschnitte unterteilt, diese wiederum in längere Kapitel. Schritt für Schritt und Familienmitglied für Familienmitglied wird die Geschichte um die reiche jüdische Fabrikantenfamilie aufgerollt. Die Sätze sind lang und verschachtelt, haben aber eine gewisse Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Die Schreibart ist so intensiv wie die Geschichte selbst.
Die Autorin lässt die jüdisch-amerikanische Familiengeschichte während einiger Jahrzehnte spielen. Dabei beobachtet sie die Charaktere und deren Leben sehr genau. Ein Personenverzeichnis gibt es nicht, dies ist aber auch gar nicht notwendig, da man alle Familienmitglieder sehr genau kennenlernt.
Der Vater des Entführten ist quasi mit leeren Händen in New York angekommen um den jüdisch-amerikanischen Traum zu verwirklichen, seine Nachkommen konnten bereits im Wohlstand aufwachsen, hatten alle Möglichkeiten, gehen aber auf ganz unterschiedliche Weise mit diesem Erbe um. Dazu kommen die Auswirkungen der Entführung, deren Trauma an die Kinder vererbt wurde. Sie alle leben regelrecht im Schatten dieser Entführung, ohne sich dessen aber bewusst zu werden.
Der Roman bietet zudem einen guten Einblick in das Leben einer jüdischen Familie, in deren Gebräuche, ihren Glauben und Aberglauben; außerdem erfährt man auch die Meinung von Außenstehenden, wie Nachbarn, über die Situation der reichen Fletchers.
Der Roman startet mit einer tatsächlich geschehenen Entführung, ist aber dennoch eine fiktive Geschichte. Eine Geschichte, die akribisch erzählt ist, die trotz der hohen Seitenanzahl nie langatmig wirkt; teils schockiert, immer fesselt und an sehr vielen Stellen auf humorvolle Weise verfasst ist.

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Veröffentlicht am 24.11.2024

Eine Pinnwand voller Leben

Das Buch der neuen Anfänge
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Nach der Trennung von Ihrem langjährigen Freund flüchtet Jo nach London und übernimmt dort den Schreibwarenladen ihres pflegebedürftigen Onkels Wilbur. Eigentlich wollte sie weiter Datenbanken bearbeiten, ...

Nach der Trennung von Ihrem langjährigen Freund flüchtet Jo nach London und übernimmt dort den Schreibwarenladen ihres pflegebedürftigen Onkels Wilbur. Eigentlich wollte sie weiter Datenbanken bearbeiten, heiraten und eine Familie gründen, nun verkauft sie ein beinahe antiquiertes Sortiment aus Füllern, Tinte und Briefbögen. Die unterschiedlichen Menschen, die den Laden betreten werden für Jo mit der Zeit zu Freunden, von denen jeder seine Geschichte zu erzählen hat.
Das Cover ist farbenfroh, mit den Efeuranken recht verträumt, und macht durch den geöffneten Reisekoffer mit verschiedenen Utensilien sehr neugierig auf die Lebenswege der Protagonisten. Mit dem verwendeten Sprachstil knüpft die Autorin an ihren Debütroman „Das Glück der Geschichtensammlerin“ an. Angenehm zu lesen, kommt man rasch im Text voran und erfährt Seite für Seite mehr aus dem Leben der Protagonistin und ihrem neuen Freundeskreis. Man versteht Jos Trennungsschmerz und wünscht ihr ein neues glückliches Leben; ihre ständig wiederkehrenden Gedanken an ihren langjährigen Lebensgefährten waren mir an manchen Stellen doch zu viel. Es kommt zu Wiederholungen, die nichts zur Handlung beitragen und der Geschichte dadurch nicht guttun. An das erste Buch der Autorin kommt diese neue Geschichte daher nicht ganz heran.
Dennoch ist es ein herzergreifender Roman, der Themen wie unerfüllte Lebensträume, alte und neue Freundschaften und die unterschiedlichen Formen von Trennung auf recht unterhaltsame Art verarbeitet. Gerade in der Herbst- und Winterzeit verleiht dieser Roman den Lesenden ein warmes Gefühl von Geborgenheit und Hoffnung.

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