Der Weg in Depression und Burnout und erschütternde Einblicke in das Gesundheitssystem
Emotional FemaleWenn Frauen für sich eintreten, werden sie emotional genannt, wenn Männer dies tun, gelten sie als durchsetzungsstark. Mit diesem Dilemma ist auch Yumiko Kadota auf ihrem Weg als Ärztin konfrontiert. Doch ...
Wenn Frauen für sich eintreten, werden sie emotional genannt, wenn Männer dies tun, gelten sie als durchsetzungsstark. Mit diesem Dilemma ist auch Yumiko Kadota auf ihrem Weg als Ärztin konfrontiert. Doch dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Emotionalität und mit ihr Empathie machen Yumiko zu einer besseren Ärztin und doch wird ihr dies in einem kompetitiven System als Schwäche ausgelegt. Dies sagt letztlich mehr über das System aus, als über Kadota, denn was bedeutet es, auch für Patientinnen, wenn Ärztinnen wie Yumiko Kadota in diesem nicht gesund bestehen können? In Emotional Female gibt die Autorin tiefe Einblicke in das australische Gesundheitssystem und lässt an ihren Erfahrungen als Ärztin und ihren Weg in eine schwere Depression sowie Burnout darin teilhaben.
Über ihre Schulzeit in Singapur, London und Sidney, das Medizinstudium in Australien und ihre Ausbildung zur Assistenzärztin fühlen wir Yumikos Traum Chirurgin zu werden zum Leben erwecken und verfolgen ihren oft steinigen, beschwerlichen Weg dahin. Die Hürden stellen dabei nicht nur ein durch und durch kompetitives und von Diskriminierung wie Ausbeutung durchdrungenes Ausbildungs- und Gesundheitssystem dar. Schon früh wird deutlich, dass auch Yumikos Persönlichkeitsstruktur, der Drang immer die Beste sein zu wollen, immer gemocht zu werden und zu gefallen, ebenso ein kulturell geprägter Leistungsethos aus ihrer japanischen Sozialisation, eine destruktive Allianz mit dieser Berufswahl einzugehen scheinen.
Als sehr positiv empfinde ich, dass die Autorin mit ihren Zeilen realistische Einblicke in das australische Gesundheitssystem und die Lebensrealität junger Ärztinnen darin vermittelt: Sexismus, Misogynie, Rassismus, Ausbeutung und Leistungsdruck sind die Variablen, die den Alltag Yumikos bestimmen. Parallelen zu europäischen und dem deutschen Gesundheitssystem sind hier sicher nicht zufällig, verschiedene Situationen habe ich zumindest schon sehr ähnlich in Krankenhäusern beobachten können. Ob hier immer alle geschilderten Patientinnenkontakte, Erkrankungen und Konflikte mit Kollegen im Detail notwendig für die Gesamterzählung sind, bleibt dahin gestellt. Für mich hatten die Schilderungen durchaus ein paar Längen.
Eine Perspektive, die die Autorin nicht dezidiert einnimmt und nur am Rande immer wieder aufscheint, aber auf die das von ihr beschriebene System, aus Macht, Konkurrenz und Diskriminierung auch Auswirkungen hat, ist die Versorgung der Patienten. Wenn die eigene Karriere und männliche Machtdemonstrationen den Alltag bestimmen und eben nicht das Wohl der behandelnden Patientinnen im Mittelpunkt steht, leiden nicht nur Jungärztinnen wie Yumiko, sondern insbesondere auch die Patientinnen.
Sehr schwer auszuhalten war für mich jedoch ab einem bestimmten Punkt die mangelnde Reflexion der Autorin, inwiefern ihre eigene Persönlichkeitsstruktur die beschriebene Entwicklung begünstigt hat - ihr Drang immer alles richtig zu machen, immer und überall die Beste zu sein und die repetitive, inflationäre Erwähnung dieses Musters über rund 400 Seiten wirkten zunehmend redundant auf mich, zumal es keine echte Entwicklung auf dieser Ebene gibt. Im Gegenteil beginnt man schon sehr früh in ihrer Laufbahn und den Schilderungen zu ahnen, dass das nicht gut gehen kann und auf eine Katastrophe zuläuft. Und so lesen sich die über 400 Seiten auch fast wie eine Chronologie dieser Katastrophe. Dabei verharrt die Autorin über weite Teile ihrer Ausführungen auf einer Stufe der Empörung, echte Lösungsorientierung und Selbstermächtigung, um aus den destruktiven Mustern auszubrechen, finden sich erst am Ende im Nachhinein und die Katastrophe wird so umso unausweichlicher. Damit im Zusammenhang fällt auch das völlige Fehlen von Solidarisierung und dem Bewusstsein für politische Handlungsmacht, um Veränderungen anzustoßen, in den Ausführungen auf. Die Autorin geht an die Öffentlichkeit, erst als sie nichts mehr zu verlieren hat.
Emotional Female wird so weniger eine wohl formulierte Systemkritik, als eine persönliche Chronik zur Aufarbeitung und Abrechnung Yumikos mit dem australischen Gesundheitssystem vor dem Hintergrund der Unfassbarkeit, wie es so weit kommen und ausgerechnet ihr dies passieren konnte. So wichtig auch Erfahrungsberichte sind, hätte ich mir gerade vor dem Hintergrund der im Rückblick verfassten Zeilen eine analytischere Betrachtung und Einordnung ihrer Erlebnisse in einen größeren gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Kontext gewünscht. Auch den Untertitel finde ich nicht ganz glücklich gewählt, denn die Autorin hat letztlich eine schwere Depression entwickelt. Der Begriff Burnout mag zwar catchy sein, sollte jedoch nicht über die schwere psychische Erkrankung über die Kadota berichtet hinwegtäuschen.
Eine allgemeine Empfehlung für das Buch auszusprechen fällt mir schwer. Ich bin der Autorin dankbar, dass sie über ihre Erfahrung berichtet hat, denn ihr Buch zeigt deutlich massive Missstände in westlichen Gesundheitssystemen auf und kann so vielleicht Veränderung anregen. Gleichzeitig sollte sich jede Leserin zuvor bewusst sein, dass gut 75% des Buchs die Chronologie einer Katastrophe sind und im Detail Yumikos Weg in die Depression beschreiben. Echte Handlungsmacht und Selbstermächtigung kommen aus meiner Sicht zu kurz, sodass man diese Schilderungen und ihre Dramatik und Destruktivität tatsächlich auch aushalten können muss. Analytische und in das Gesamtsystem einordnende Daten und Fakten fehlen vollständig, sodass Emotional Female primär eine Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung der Autorin ist. Vor diesem Hintergrund empfehle ich Emotional Female gern allen Interessierten, die sich dessen bewusst sind und der Lektüre gewachsen fühlen.