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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.04.2025

Authentisch und einfühlsam

Zehn Bilder einer Liebe
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Hannes Köhler hat mit “Zehn Bilder einer Liebe” einen Liebesroman geschrieben für alle, die keine Liebesromane lesen. Er behandelt eine alltägliche, unaufgeregte Partnerschaft, räumt mit dem kitschigen ...

Hannes Köhler hat mit “Zehn Bilder einer Liebe” einen Liebesroman geschrieben für alle, die keine Liebesromane lesen. Er behandelt eine alltägliche, unaufgeregte Partnerschaft, räumt mit dem kitschigen Klischee der großen überbordenden Liebe auf.
Anhand von zehn nicht chronologisch sortierten Ereignissen lernen wir das Paar Luisa und David kennen und begleiten sie über elf Jahre hinweg. Es geht um das Zusammenkommen, vor allem aber um das Zusammenbleiben. Das Buch zeigt die schönen, magischen Momente einer Beziehung auf, aber auch die, in denen sie auf die Probe gestellt wird. Letzteres geschieht vor allem durch den Kinderwunsch der beiden, der sie durch die Strapazen einer Fertilitätsbehandlung und einer Fehlgeburt führt. Köhler schreibt hier sehr einfühlsam und sensibel.
Jede Episode der Beziehung wird sowohl aus Luisas als auch aus Davids Perspektive geschildert, sodass man sie mit unterschiedlichen Schwerpunkten wahrnehmen kann. Die Blickwinkel sind beide sehr glaubwürdig und nachempfindbar.
Ein weiteres Thema sind Luisas Tochter und die Patchwork-Situation. Köhler beschäftigt sich mit der Frage, ob es möglich ist, uneingeschränkte Vatergefühle für sein nicht leibliches Kind zu empfinden oder ob diese schwächer sind und wie sie sich entwickeln oder verändern können. Außerdem zeigt er, dass es heute viele Alternativen zum klassischen Familienbild gibt.

“Zehn Bilder einer Liebe” ist ein sehr ehrliches und doch gefühlvolles Porträt eines Paares. Köhler beweist darin eine exzellente Beobachtungsgabe und bringt Konflikte sowie Emotionen gut auf den Punkt. Er zeigt, dass Liebe keine großen Gesten braucht, sondern der Alltag gemeinsam gelingen muss. ⭐️4/5⭐️

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.04.2025

Zwischen Fortschritt und Aberglaube

Als wir an Wunder glaubten
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Helga Bürster fängt in “Als wir an Wunder glaubten” eine sehr besondere Zeit ein: Eine Zeit zwischen Aberglaube und Fortschritt. Der Krieg ist vorbei, doch der Sorgenberg der Überlebenden wächst stetig ...

Helga Bürster fängt in “Als wir an Wunder glaubten” eine sehr besondere Zeit ein: Eine Zeit zwischen Aberglaube und Fortschritt. Der Krieg ist vorbei, doch der Sorgenberg der Überlebenden wächst stetig weiter. Geld und Nahrung sind knapp, viele Soldaten tot, verwundet oder noch vermisst. Es geht ins niedersächsische Unnenmoor, hier glaubt man noch an Geister und Hexen. Die niedergeschlagene und zugleich magische Stimmung ist dabei beinahe spürbar, die Probleme der Dorfbewohnerinnen greifbar.
Im Zentrum der Geschichte stehen Anni und Edith, zwei Frauen, die schon jahrelang ihre Höfe und Kinder selbst versorgen und auf ihre Männer warten. Doch als Annis Mann schwer verwundet nach Hause kommt, fangen die Probleme erst so richtig an. Man leidet mit Anni mit, fühlt ihre Verzweiflung. Die jahrelange Hoffnung wird just in dem Moment zerstört, als sie sieht, in welchem Zustand ihr Josef ist. Statt Besserung bringt er ihr nur noch mehr Arbeit. So ist es nur menschlich, dass sie nach einem oder einer Schuldigen sucht.
Der Zweifel, der anfangs nur in Anni keimt, wächst schon bald über sie hinaus und befällt auch die Nachbar
innen. Edith wird der Hexerei bezichtigt, die Autorin zeigt dabei wunderbar auf, wie die Dorfbewohner*innen sich gegenseitig hochschaukeln, wie rasant sich eine Hexenjagd entwickeln kann - bis sie mit zwei Toten endet.
Die Geschichte erzählt von Mut, Freundschaft und Liebe. Aber auch von Ängsten, Verbitterung und Eifersucht. Sie ist ruhig erzählt und doch spannend, rau und zugleich feinfühlig und hat eine Atmosphäre, die einen beim Lesen komplett einnimmt. Historische Fakten sind gut recherchiert, das Buch lässt einen die Nachkriegszeit auf dem Land geradezu erleben und braucht dafür nur wenige Seiten. ⭐️4/5⭐️

  • Einzelne Kategorien
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Veröffentlicht am 04.04.2025

Eine Hymne an die Bäume

Die Wurzeln des Lebens
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“Auf ihren Fahrten erzählt er ihr von all den geheimnisvollen Wundern, die das Grün wirken kann. Menschen haben keineswegs überall das Kommando. Andere Geschöpfe - größer, langsamer, älter, langlebiger ...

“Auf ihren Fahrten erzählt er ihr von all den geheimnisvollen Wundern, die das Grün wirken kann. Menschen haben keineswegs überall das Kommando. Andere Geschöpfe - größer, langsamer, älter, langlebiger - geben den Ton an, machen das Wetter, nähren uns alle, ja, schaffen die Luft, die wir atmen.”

Richard Powers hat mit “Die Wurzeln des Lebens” eine Hymne an die Bäume geschrieben. Es ist ein gewaltiges Buch - nicht nur, was die Seitenzahl betrifft, sondern auch inhaltlich.
Die Grundlage der Handlung, die Wurzeln, bilden neun verschiedene Personen, die alle auf unterschiedlichste Weise mit einem Baum verbunden sind, der ihr Leben geprägt hat. Sie alle werden sich später radikalisieren, um sich gegen die Menschheit und für die Bäume einzusetzen.
Den ersten Teil, in dem man all diese Charaktere kennenlernt, fand ich unfassbar gut. Powers haucht ihnen allen Leben ein, so individuell und greifbar, dass sie einem wie reale Menschen vorkommen. Auch ihre späteren Beweggründe, ihr Weg hin zum Aktivismus, sind gut verständlich und nachvollziehbar dargestellt.
Wie man es schon aus anderen Romanen des Autors kennt, glänzt er auch hier wieder mit enormem Fachwissen und hat mich mit der umfassenden Recherchearbeit, die er geleistet haben muss, mehr als beeindruckt.
Ich gebe zu, das Lesen des Buches ist teilweise sehr unbequem. Man kann zwar die Gründe der Aktivistinnen verstehen, aber denkt dennoch insgeheim: Wir Menschen brauchen doch das Holz. Aber ist die Wahrheit nicht genauso unbequem? Ist der einzige Ausweg für die Natur nicht genau wie im Buch das Ende der Menschheit?
Dennoch hat mir die Darstellung der Gegenseite ein wenig gefehlt. Ein bisschen fühlte es sich an, als seien all diejenigen, die sich nicht aktiv für den Erhalt von Bäumen einsetzen, direkt böse Kapitalisten.

“Die Wurzeln des Lebens” ist also ein Buch, das auf literarisch hochwertige Weise aufzeigt, wie wichtig Bäume sind - die Lebewesen, die wir gerne mal übersehen und als selbstverständlich hinnehmen. Es ist zugleich politisch, philosophisch und etwas pathetisch. Trotz einiger Längen überzeugt es mit wahnsinnig vielen Informationen und authentischen Charakteren. Das Ende macht Angst und schöpft gleichzeitig Hoffnung. Man fühlt sich klein und unbedeutend, aber verglichen mit der Geschichte unserer Welt sind wir das ja auch. Trotz aller Unbequemlichkeiten habe ich es gern gelesen und es hat definitiv dazu angeregt, die Natur noch mehr wertzuschätzen und mit anderen Augen zu sehen. ⭐️4/5⭐️

Übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié

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Veröffentlicht am 02.04.2025

Zum Lachen und Weinen

Meine bessere Schwester
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“Meine bessere Schwester” ist ein raffiniertes Porträt einer britischen Familie, die auf den ersten Blick ganz normal, auf den zweiten hochgradig dysfunktional ist.
Rebecca Wait hat einen locker-leichten ...

“Meine bessere Schwester” ist ein raffiniertes Porträt einer britischen Familie, die auf den ersten Blick ganz normal, auf den zweiten hochgradig dysfunktional ist.
Rebecca Wait hat einen locker-leichten Erzählstil, sodass man nur so durch die Seiten fliegt und ein gelegentliches Schmunzeln nicht unterdrücken kann.
Während die Sprache zum Lachen anregt, bricht einem der Inhalt das Herz. Wait schreibt aus verschiedenen Perspektiven und wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sodass man ein intensives Bild von jedem Familienmitglied bekommt, welches zeigt, dass jeder sein eigenes Päckchen zu tragen hat.
Nicht nur die Zwillingsschwestern buhlen um die Aufmerksamkeit der toxischen Mutter, auch sie selbst stand als Kind im Schatten ihrer an Schizophrenie erkrankten Schwester und spürt die Folgen bis heute. Die verschiedenen Blickwinkel werden so einfühlsam und treffend gezeigt, dass das Lesen an manchen Stellen wehtut.
Während man in einem Kapitel sicher ist, den oder die Schuldigen für ein Problem gefunden zu haben, wird die Erkenntnis im nächsten Kapitel wieder zunichtegemacht und man fragt sich: Gibt es überhaupt einen Schuldigen?
Inwieweit sind psychische Krankheiten und Verhaltensweisen vererbbar? Sind sie ein Produkt der Gene oder der Umwelt? Und welche Rolle spielt die Erwartungshaltung der Eltern bei der eigenen Entwicklung?

Nachdem ich das Buch während der ersten beiden Drittel kaum aus der Hand legen konnte, fiel die Spannungskurve zum Schluss etwas ab. Dennoch habe ich die Entwicklung der Figuren gerne beobachtet und mochte auch das fast zu harmonische Happy End.

Insgesamt ist “Meine bessere Schwester” ein Roman, dessen tiefgehende, ernste Themen locker und ungezwungen komisch erzählt werden. Er beschäftigt sich mit einem komplexen Familienkonstrukt, bei dem jede Figur empathisch beleuchtet wird und Raum für eine große Bandbreite an Gefühlen geschaffen wird. ⭐️4/5⭐️

PS: Einen kleinen gedanklichen Punktabzug gibt's für den ungünstig gewählten deutschen Titel. Im Original lautet er “I'm sorry you feel that way” und trifft damit so gut den Kern der Geschichte.

*Übersetzt von Anna-Christin Kramer

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Veröffentlicht am 20.02.2025

Moralische Dilemmata

Dunkle Momente
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Eva Herbergen ist Strafverteidigerin.
Sie weiß, dass es kein Gut und Böse gibt, dass oft eine falsche Entscheidung reicht, um Täterin zu werden.
Und dann gibt es da diesen einen Fall, der ihre Arbeit in ...

Eva Herbergen ist Strafverteidigerin.
Sie weiß, dass es kein Gut und Böse gibt, dass oft eine falsche Entscheidung reicht, um Täterin zu werden.
Und dann gibt es da diesen einen Fall, der ihre Arbeit in den folgenden Jahren beeinflussen wird, diesen einen Fall, den sie einfach nicht vergessen kann.

In “Dunkle Momente” lässt Elisa Hoven ihre Protagonistin Eva Herbergen, Strafverteidigerin, Revue passieren. Sie erzählt von neun außergewöhnlichen Fällen, die ihr nicht aus dem Kopf gehen, insbesondere der neunte, der ihr ganzes weiteres Berufsleben beeinflusst hat.
Interessant ist dabei, dass die Autorin selbst Richterin und Professorin für Strafrecht ist und die Geschichten angelehnt an reale Fälle sind. Dabei vermittelt sie ihr Fachwissen so vereinfacht, dass jeder Laie die juristischen Sachverhalte gut verstehen kann.
Die Beschreibungen der Taten sind oft grausam und explizit, die Darstellungen der Täter
innen dafür umso einfühlsamer. Hoven stellt anhand ihrer Beispiele heraus, dass es kein Gut und Böse gibt, kein Schwarz und Weiß und dass Recht nicht immer Gerechtigkeit bedeuten muss. Eine Entscheidung kann oft genügen, um aus einem “guten” Menschen einen “bösen” zu machen, ein kurzer Moment, um Opfer oder Täter*in zu werden.
Dabei werden wir oft von unerwarteten Wendungen überrascht, vom unkonventionellen Vorgehen der Protagonistin oder moralischen Dilemmata trotz rechtskräftiger Verurteilung.
Inhaltlich erinnert der Roman also an von Schirachs Stories, mit dem Unterschied, dass das Privatleben der Strafverteidigerin eine etwas größere Rolle einnimmt, man mehr darüber erfährt, was besagte Fälle in ihr auslösen.

Sprachlich hat mich “Dunkle Momente” dafür leider nicht überzeugt. Es ist zwar flüssig erzählt, manchmal aber einsilbig und lieblos formuliert. Einige Sätze sind holprig, wenig aussagekräftig und nicht pointiert. Die Andeutungen auf den zuletzt erzählten, alles verändernden Fall, sind so plump, dass sie mich regelrecht genervt haben.

Nichtsdestotrotz hat jede der neun Geschichten absolute Sogwirkung, jede berührt einen beim Lesen mehr oder weniger und jede regt zum Nachdenken an. Das Buch zeigt, dass man niemanden vorschnell verurteilen sollte und gibt interessante sowie authentische Einblicke in Gerichtsprozesse. ⭐️4/5⭐️


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