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Veröffentlicht am 29.09.2025

Édouard Louis erhält eine eigene Schublade in meinem Bücherschrank

Der Absturz
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Ohne zu übertreiben würde ich Édouard Louis eine eigene kleine Schublade in meinem Regal der favorisierten Bücher 2025 widmen, denn bei "Der Absturz" hatte ich nicht nur das Gefühl, dass ich auch nach ...

Ohne zu übertreiben würde ich Édouard Louis eine eigene kleine Schublade in meinem Regal der favorisierten Bücher 2025 widmen, denn bei "Der Absturz" hatte ich nicht nur das Gefühl, dass ich auch nach langem Nachdenken kein ähnliches Buch benennen konnte, es war auch handwerklich überzeugend. Das, was seine Bücher so besonders machen ist die Tatsache, dass er einen autobiographischen Roman schreibt, man aber das Gefühl hat, dass er selbst noch mitten in der Handlung steckt. Ich kenne natürlich autobiographische Romane, aber keines dieser Bücher würde ich mit "Der Absturz" vergleichen. Schon der erste Satz hatte mich in der Leseprobe so angefixt, dass ich das Buch unbedingt lesen wollte, da er mich kalt erwischt hatte: "Als ich vom Tod meines Bruders erfuhr, empfand ich nichts; weder Traurigkeit noch Verzweiflung noch Erleichterung noch Freude."
Im weiteren Verlauf reist der Protagonist nach Hause in die Kleinstadt und muss und versucht, seinen Platz in der Familie einzunehmen. Er, der Autor, der nach Paris gegangen ist, um zu schreiben! Jetzt werden Erwartungen an ihn herangetragen, an ihn, der ja das große Geld zu machen scheint. Warum? Weil es von ihm erwartet wird?
Es steht längst fest - all die anderen Bücher dieses Autors gehören in mein Regal.

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Veröffentlicht am 11.09.2025

Ein mutiges Debut - Musikfans werden es lieben

Deep Cuts
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"Deep cuts" ist ein Debutroman, der sich so ganz anders liest - er wirkt reif, erfahren und nicht vergleichbar mit irgendeinem anderen Roman, den ich bisher gelesen habe, maximal "Daisy Jones and the Six" ...

"Deep cuts" ist ein Debutroman, der sich so ganz anders liest - er wirkt reif, erfahren und nicht vergleichbar mit irgendeinem anderen Roman, den ich bisher gelesen habe, maximal "Daisy Jones and the Six" von Taylor Jenkins Read fällt mir ein, aber im Grunde ist es auch nur die Musik als Thema als Gemeinsamkeit. Allein für das Gefühl, dass hier etwas ganz Neues versucht wurde, bin ich Holly Brickley mehr als dankbar. Unabhängig davon kann ich die unterschiedlich ausgefallenen Rezensionen dennoch verstehen, denn tatsächlich hat "Deep Cuts" eindeutig ein Zielpublikum. Schon das Cover weist mit jedem Wort auf Musik hin, das Buch selbst geht weiter über Musikliebe, einem Paar, dass sich zu einem bestimmten Song kennengelernt hat und diesen Song zum Hochzeitssong macht etc. hinaus - dieser Roman ist überhaupt nicht damit vergleichbar!
Die Protagonistin Percy trifft zu Beginn der 2000er Jahre Joe in einer Bar und schnell wird klar, dass in ihren Adern nicht nur Blut, sondern vor allem Musik fließt, während Joe auch tatsächlich Musiker ist, ist Percy nur Musikliebhaberin und liebt es darüber hinaus auch, sich mit anderen über Musik zu unterhalten. Doch bei Percy bleibt es nicht dabei, ein bloßes Statement zu einem Stück zu geben - mag sie es, oder nicht - sondern nimmt die Musik auseinander und stoßt damit vielen in ihrem Umkreis auf Unverständnis. Doch Joe teilt dieselbe Leidenschaft und die beiden spüren instinktiv eine Verbindung zueinander. Joe ist am Anfang seiner Musikerkariere und bittet Percy kurzerhand, ihm beim Texten zu helfen. Doch damit fängt alles nur an.

Was mir jedoch am Buch neben der musikalischen Note am besten gefallen hat, ist die Entwicklung, die Percy während der Handlung nimmt. Fragen wie, "Wer bin ich in dieser Welt?", "Wo will ich hin?", "Wer will ich sein?", schwingen in jedem Satz mit.

Kurz - ich habe das Buch geliebt.

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Veröffentlicht am 04.05.2025

Unerwartet emotional

Beeren pflücken
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"Beeren pflücken" war für mich in mehrfacher Hinsicht etwas ganz Besonderes - es war das erste Buch, das ich von Amanda Peters gelesen habe, das erste Buch, das sich mit dem Raub an einem Kind beschäftigt, ...

"Beeren pflücken" war für mich in mehrfacher Hinsicht etwas ganz Besonderes - es war das erste Buch, das ich von Amanda Peters gelesen habe, das erste Buch, das sich mit dem Raub an einem Kind beschäftigt, das der kanadischen indigenen Bevölkerung angehört und tatsächlich musste ich feststellen, dass ich so gut wie keine Bücher von kanadischen Autorinnen und Autoren generell kenne - und das Cover in Verbindung mit dem Titel hatten schnell meine Aufmerksamkeit erregt.
Es ist aus der Sicht verschiedener Charaktere geschrieben, in erster Linie jedoch erzählt Norma, die als Ruthie bei ihrer Familie aufwächst. Sie ist zum Beeren pflücken in Maine und von einem Moment zum nächsten löst sie sich in Luft auf. Das Ehepaar, bei dem Norma aufwächst, liebt sie offensichtlich, auch wenn ich stellenweise meine Zähne in die Tischkante hätte schlagen können, gerade wenn es um die "Mutter" geht.
Ihre leibliche Familie hat nicht aufgehört, an sie zu denken, hat sie nicht als tot erklären lassen und so erleben wir, wie sie, vor allem Normas leiblicher Bruder Joe, mit ihrem Verlust umgeht.
Es fällt mir sehr schwer, den Inhalt so in Worte zu fassen, ohne zu spoilern und ohne es zu kühl wirken zu lassen - für mich war das Buch wirklich etwas ganz Besonderes und besonders die letzten fünfzig Seiten haben mir einiges abverlangt, denn trotz der Thematik hätte ich nicht erwartet, dass mich das Buch emotional so fordert.
Amanda Peters hat eine herrlich leichte und flüssige Art, die Geschichte und vor allem die Charaktere zum Leben zu erwecken. Gerade Norma/Ruthie hat mir wahnsinnig gut gefallen. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Klischees ihre Charaktere übermannen, ganz im Gegenteil habe ich immer wirkliche und authentische Menschen vor mir gesehen.

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Veröffentlicht am 13.04.2025

Ungewöhnliche Perspektive

Cinema Love
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"Cinema Love" ist der Debutroman des Autors Jiaming Tang. Da die deutsche Ausgabe de Klett-Cotta-Verlags ungefähr 300 Seiten umfasst, hatte ich das Buch nach kurzer Zeit ausgelesen und grübele jetzt seit ...

"Cinema Love" ist der Debutroman des Autors Jiaming Tang. Da die deutsche Ausgabe de Klett-Cotta-Verlags ungefähr 300 Seiten umfasst, hatte ich das Buch nach kurzer Zeit ausgelesen und grübele jetzt seit Stunden, wie ich das, was ich beim Lesen empfunden habe, am besten in Worte hülle.
Die Grundgeschichte ist schnell erzählt - und so beginnt auch die Handlung im Buch. Wir befinden uns in der Provinz Fuzhou/China und erleben, wie sich Männer in einem auf Kriegsfilme ausgelegten alten Kino mit anderen Männern treffen können, einer Umgebung, die sich zumindest im Ansatz nach einem safe space anfühlt. Old Second und Shun-Er lernen sich hier kennen und stellen schnell fest, dass mehr als der Wunsch nach körperlicher Nähe sie verbindet.

"Das Kino ist ein Ort, an dem eine bestimmte Art von Realität aussetzt" (S. 29)

Seltsamerweise trifft der Klappentext auf dem Einband exakt das, was das Buch im Inhalt ausmacht, dennoch hatte ich vor allem beim Lesen des zweiten und dritten Viertels oft das Gefühl, dass der Fokus des Buches allzu sehr auf die Ehefrauen der Männer und nicht auf die Männer selbst liegt. Jetzt nach Auslesen des Buches muss ich diesen Kritikpunkt revidieren, mich beim Autor und dem Buch entschuldigen, denn im Grunde genommen macht der Autor einfach alles genau richtig. Er zeigt uns nicht nur die Hürden der Männer, sondern eben auch die der Ehefrauen, sich mit Themen auseinandersetzen, die einzig und allein nur deshalb aufkommen, da die Gesellschaft eine bestimmte Vorstellung hat, was einen Mann oder eine Frau / einen Ehemann oder eine Ehefrau ausmacht.
Der Wunsch, sich in Gesellschaft zu begeben, sich auszutauschen, öffentlich zu einander zu finden, mit Angst, Scham, sozialen Druck, einer komplett anderen Welt (China - Amerika) und dem damit verbundenen Kulturschock, der Erinnerung an vergangene Zeiten, der Desillusionierung der Gegenwart, einer Erwartungshaltung, die irgendwann schlicht nicht mehr vorhanden ist, da einzig das Überleben wichtig wird - all diese Themen umfasst das Buch.
Und gerade in vielen Aussagen der Ehefrauen über ihre homosexuellen Männer lernen wir das Verhältnis der Ehepartner besser kennen und sehen, dass Freundschaft, tiefe Verbundenheit und auch ein tieferes Verständnis vom eigenen Sein durch dieses Verhältnis möglich ist. Yan Hua lebt in der Erinnerung an Shun-Er, hat Träume. Sie sagt:
"Meine Theorie ist, dass meine Träume gar keine Träume sind. Sondern ein Fenster in die Vergangenheit. Nicht meine Vergangenheit, die meines Mannes."
Die Stärke des Buches und damit die des Autors Jiaming Tang liegt vor allem im letzten Viertel des Buches und macht es für mich dadurch zu einem Highlight des Jahres. Ich habe hier Fragen nach der Wirklichkeit und der Idee, dass es mehrere Versionen von Wirklichkeit gibt, Sehnsucht, dem unbändigen Wunsch, sich auszutauschen über ein Thema, von dem man genau weiß, dass allein es auszusprechen, die Beziehung zwischen zwei Menschen ändern wird - all dies ist komprimiert auf 300 Seiten und ich muss sagen, dass es ein Meisterwerk geworden ist.

Ich vermute, dass die Geschichte die Geister spalten wird - aber für mich ist es genau das, ein Meisterwerk.

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Veröffentlicht am 12.02.2025

Ein Jahreshighlight - Rufi Thorpe hat alles richtig gemacht

Only Margo
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Das Buch hat für mich alles, was ein gutes Buch haben muss - von der guten Covergestaltung, dem Titel, dem Klappentext hin zum guten Schriftbild, einem sehr guten Plot, der auch noch flüssig und ansprechend ...

Das Buch hat für mich alles, was ein gutes Buch haben muss - von der guten Covergestaltung, dem Titel, dem Klappentext hin zum guten Schriftbild, einem sehr guten Plot, der auch noch flüssig und ansprechend erzählt wird und einem guten Ende.
Die Geschichte ist fast zu einfach in wenigen Worten wiedergegeben: Margo ist 19, als sie während einer Affäre mit ihrem Professor von diesem schwanger wird. Marc, ihr Professor, macht ihr unmissverständlich klar, dass er sie nicht in der Rolle der Mutter sieht - genauso wenig, wie ihre Mutter das tut, im Grunde wie es keiner in ihrem Umfeld tut. Doch mehr einer Eingebung folgend kann Margo es nicht über sich bringen und bringt ihren Sohn (Bodhi) zur Welt.
Schnell merkt sie nach dessen Geburt, was bedeutet, allein erziehende Mutter in einer Welt zu sein, in der ganz klar festgelegt zu sein scheint, wie und wann eine Frau Mutter werden darf und was dabei gesellschaftlich akzeptiert wird und was nicht.

Im Krankenhaus stellt sie bei der Geburt fest, dass die Schwester bei ihr nach einem Ring sucht. "Jedenfalls bekam ich plötzlich Angst, weil ich dieses Etikett nicht hatte, an dem man erkennen konnte, dass mich jemand liebte, dass ich wertvoll war und dass es jemanden gab, der wütend werden und das Krankenhaus verklagen würde, falls ich nicht lebend dort herauskam."(s. 127)

Margo stößt auf mehr Widerstand als sie denkt und ihre Grenzen werden ihr schnell klar.

Rufi Thorpe nimmt spielerisch so viele Vorurteile und Klischees in ihrem Buch auf, ohne dass es mir beim Lesen wirklich aufgefallen ist. Erst jetzt beim Schreiben der Rezension merke ich, was mich alles bewegt hat, dieses Buch zu einem Jahreshighlight zu küren.
Wann bin ich ein guter Mensch? Wann ist die Grenze zwischen künstlerischer Erotik und Sexarbeit überschritten? Was ist Kunst? Wann wird aus dem biologischen Erzeuger eines Babys sein Vater?

Aber nicht nur die flüssige Erzählweise hat mich sehr beeindruckt, auch das Wechsel der Perspektiven gelingt Rufi Thorpe ebenso spielerisch und dabei wechselt sie diese Perspektiven nicht nur unkommentiert, es gibt eine Stelle (S. 217), an der sie diesen Perspektivwechsel sogar anspricht. Hier sagt sie "Nun kommt einer der Abschnitte, die ich in der dritten Person erzählen muss." und erzielt damit bei mir als Leserin eine so große Spannung und Anteilnahme, dass es mir noch immer den Atem verschlägt - was für eine gute Schriftstellerin, was für ein unglaubliches Erzähltalent ist hier nur am Werk!

Ich werde dieses Buch definitiv nicht so schnell vergessen und die Autorin ebensowenig.

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