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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.08.2025

Intensives Arbeitsbuch

Trauma ENDLICH überwinden
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Die Psychologin und Traumatherapeutin Dr. Aylin Thiel hat in ihrer Praxis oft Umgang mit Menschen, die in ihrem frühkindlichen Leben wiederholt seelische Verletzungen, Zurückweisungen oder Manipulationen ...

Die Psychologin und Traumatherapeutin Dr. Aylin Thiel hat in ihrer Praxis oft Umgang mit Menschen, die in ihrem frühkindlichen Leben wiederholt seelische Verletzungen, Zurückweisungen oder Manipulationen durch nahestehende Personen erleben mussten. Diese Verletzungen können gravierende Folgen für das spätere Beziehungsleben der Betroffenen haben. Dr. Thiel nennt diese seelische Störung ein Entwicklungstrauma und erklärt zu Beginn des Buches, worin es sich von der Posttraumatischen Belastungsstörung unterscheidet.

Mit ihrem Buch „Trauma endlich überwinden“ richtet sie sich ausdrücklich an Menschen, die unter einem Entwicklungstrauma leiden, denn diese erhalten oft weder eine eindeutige Diagnose, noch eine ausreichend sensible Behandlung. Auf rund 450 Seiten stellt Dr. Thiel die seelischen und körperlichen Folgen dieser Störung dar. Sie tut dies in gut verständlicher Sprache und mit anschaulichen Beispielen aus ihrer Praxis. Anhand zahlreicher Reflexionsfragen kann der Leser selbst einschätzen, wie stark belastet er ist.

Das Kernstück des Buches sind die Übungen; mit ihnen sollen das Mitgefühl mit sich selbst und die kognitive, emotionale sowie körperbezogene Regulation des übererregten Nervensystems gestärkt werden.

Die Autorin nimmt in ihrem Buch trotz des schwierigen Themas eine mutmachende und empathische Haltung ein. Es liest sich nicht mal eben schnell, man muss es Stück für Stück konzentriert durcharbeiten. Dann ist es sicher ein hilfreicher Begleiter zu einer Therapie. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass die Arbeit mit dem Buch allein ausreicht, um ein Trauma zu überwinden.

Veröffentlicht am 13.07.2025

Stimmungsvoller Roman vor exotischer Kulisse

Das Haus der Türen
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Tan Twan Emgs Roman „Das Haus der Türen“ spielt auf drei verschiedenen zeitlichen Ebenen. In der Rahmenhandlung lebt Lesley Hamlyn 1947 verwitwet im Südafrika. Dort erhält sie per Post ein Paket, ...

Tan Twan Emgs Roman „Das Haus der Türen“ spielt auf drei verschiedenen zeitlichen Ebenen. In der Rahmenhandlung lebt Lesley Hamlyn 1947 verwitwet im Südafrika. Dort erhält sie per Post ein Paket, das sie gedanklich zurück ins Jahr 1921 versetzt.

Damals lebte sie mit ihrem Mann Robert auf Penay in Malaysia. Als dessen alter Freund, der britische Schriftsteller William Somerset Maugham zusammen mit seinem Sekretär Gerald Haxton für eine Weile zu Besuch bei dem Ehepaar weilt, entwickelt sich zwischen Lesley und Willie, wie er genannt wird, ein Vertrauensverhältnis. Sie erzählt ihm pikante Geheimnisse aus ihrem Leben, obwohl sie weiß, dass er daraus eine Geschichte konstruieren und veröffentlichen könnte.

Hier beginnt die dritte Zeitebene. 1910 hatte Lesley den chinesischen Revolutionär Sun Yat-sen unterstützt und war aus ihrer unglücklichen Ehe zeitweise ausgebrochen. Zur gleichen Zeit wurde ihre Freundin Ethel Proudlook wegen Mordes angeklagt, weil sie einen Mann erschossen hatte, der sie ihrer Aussage nach vergewaltigen wollte.

Willie wiederum entflieht mit seinen ausgedehnten Reisen seiner ihn einengenden Ehe mit Syrie. Gerald ist in Wirklichkeit sein Geliebter. Zudem erfährt er, dass er sich verspekuliert und sein gesamtes Vermögen verloren hat.

Die Geschichte wird anfangs in einem angenehm ruhigen Ton erzählt. Der Autor verwendet viel Zeit dafür, die tropische Umgebung und die besondere Stimmung auf der Insel zu beschreiben. Dies gelingt ihm wundervoll. Mit Fortschreiten der Handlung wird der Schreibstil schneller und aktiver. Damit wird die Geschichte zwar vorangetrieben, sie verliert jedoch einiges von der anfänglichen besonderen Atmosphäre.

Die Protagonisten werden treffend charakterisiert und wirken lebendig. Einige von ihnen haben tatsächlich gelebt und es war spannend, herauszufinden, wer was wirklich erlebt hat.

Ich finde, die Idee, eine fiktionale Geschichte mit wahren historischen Ereignissen zu verbinden, wurde in diesem Buch originell und überzeugend umgesetzt.

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Veröffentlicht am 13.07.2025

Kraftvolle Sprache

Beeren pflücken
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Eine indigene Familie aus Nova Scotia kommt im Juli 1962 wie jedes Jahr in Maine an, um den Sommer über Blaubeeren zu pflücken. Doch dieses Mal verschwindet die vierjährige Ruthie spurlos und ...

Eine indigene Familie aus Nova Scotia kommt im Juli 1962 wie jedes Jahr in Maine an, um den Sommer über Blaubeeren zu pflücken. Doch dieses Mal verschwindet die vierjährige Ruthie spurlos und wird nicht wiedergefunden. Ihr sechsjähriger Bruder Joe, der auf sie aufpassen sollte, wird für den Rest seines Lebens nicht mit seinen Schuldgefühlen fertig. Als Erwachsener trinkt er und zerstört seine Beziehungen.

Zur gleichen Zeit wächst in Maine ein Mädchen namens Norma allein in einer gut situierten Familie auf. Ihr Vater ist Richter, er begegnet ihr freundlich aber distanziert. Ihre Mutter überwacht jeden ihrer Schritte und behütet sie wie ein Kleinod, emotional ist sie jedoch ebenfalls nicht erreichbar. Norma träumt oft von einer anderen Welt, in der sie sich wie zuhause fühlt. Auch fallen ihr Ungereimtheiten in ihrer Vergangenheit auf, doch ihre Fragen werden von den Eltern abgewiegelt.

Amanda Peters hat eine melancholische Geschichte über Verlust, Traumata, Schuldgefühle, Identität und soziale Diskriminierung geschrieben. Die Leser folgen den Lebenswegen der Protagonisten Joe und Norma über fünfzig Jahre. Besonders gut hat mir die kraftvolle Sprache der Autorin gefallen. Anschaulich und empathisch schildert sie das Schicksal der beiden Hauptfiguren. Nicht ganz überzeugt hat mich das Verhalten Normas. Sie findet soviele Hinweise, die berechtigte Zweifel an ihrer Herkunft wecken und lässt sich trotzdem immer wieder einreden, dass sie fantasiert. Insgesamt ist es dennoch ein gelungenes Werk, das ich gern gelesen habe.


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Veröffentlicht am 04.05.2025

Süffige Tragikomödie

Wut und Liebe
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Martin Suter beweist in seinem Buch „Wut und Liebe“ einmal mehr, wie gut er es versteht, tragische und komödiantische Elemente in einer Geschichte zu verbinden.

Noah, ein unentdeckter Künstler ...

Martin Suter beweist in seinem Buch „Wut und Liebe“ einmal mehr, wie gut er es versteht, tragische und komödiantische Elemente in einer Geschichte zu verbinden.

Noah, ein unentdeckter Künstler Anfang 30, lebt mit und von seiner großen Liebe Camilla. Bis diese ihn nicht länger durchfüttern will und ihn verlässt. Als er seinen Kummer in einer Kneipe ertränkt, begegnet er Betty, einer wohlhabenden herzkranken älteren Dame, die vor ihrem Ableben noch eine offene Rechnung begleichen möchte. Sie bietet Noah sehr viel Geld an, damit er den Mann beseitigt, der ihren Gatten auf dem Gewissen hat. Noah wittert eine Chance, Camilla zurück zu gewinnen. Doch ist er bereit, dafür zu töten?

Die Geschichte beginnt recht ruhig, und ich hatte wie immer meine Freude an Martin Suters eleganten Formulierungen, seinen treffenden Charakterisierungen und den realistischen Dialogen. Dann nimmt das Geschehen Fahrt auf, und mit einem Mal ist gar nicht mehr klar, wer hier wen hintergeht. Gegen Ende kam ich mir fast vor wie in einem Karussell wegen der immer neuen Drehungen und Wendungen. Der geschickt angelegte Handlungsverlauf sorgt für Überraschungen und hält die Spannung bis zum Schluss aufrecht.

Fazit: Ein sehr gelungener, unterhaltsamer Roman. Für meinen Geschmack wird darin jedoch zu oft zuviel Alkohol getrunken.

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Veröffentlicht am 04.05.2025

Eindringliche Lebensgeschichte

Schwebende Lasten
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Hanna Krause wird kurz vor dem ersten Weltkrieg in Magdeburg geboren und ist mit vier Jahren eine Waise. Sie wächst bei Ihrer hartherzigen Halbschwester Rose auf, und lernt bei ihr das Blumenbinden, ...

Hanna Krause wird kurz vor dem ersten Weltkrieg in Magdeburg geboren und ist mit vier Jahren eine Waise. Sie wächst bei Ihrer hartherzigen Halbschwester Rose auf, und lernt bei ihr das Blumenbinden, das zu ihrer großen Leidenschaft werden soll.

Hanna heiratet früh, bekommt sechs Kinder und muss die Familie allein ernähren, weil ihr arbeitsloser Mann trinkt. Nur ein paar Jahre kann sie ihren eigenen Blumenladen halten, dann zerstört der 2. Weltkrieg ihre Lebensgrundlage, sie verliert im Bombenhagel zwei ihrer Kinder und ihr gesamtes Hab und Gut. Nach Kriegsende lässt Hanna sich zur Kranführerin ausbilden und legt auf einem Grünstreifen des Fabrikgeländes heimlich ein Blumenbeet an.

Hannas Leben ist geprägt von Armut, harter Arbeit, Gewalt, Verlusten, Angst, Schmerzen, doch sie jammert nicht und gibt nicht auf. Und immer wieder sind es Blumen, die ihr Kraft und Freude schenken.

Wie sie sich und ihre Familie durchbringt, das schildert Annett Gröscher in präziser, sachlicher Sprache. Die Nüchternheit des Schreibstils steht dabei nicht im Gegensatz zu den teils dramatischen Ereignissen. Interessanterweise verstärkt er sogar den Eindruck noch. Mir hat es beim Lesen ein paar Mal die Kehle zugeschnürt, so nah war ich gedanklich in den geschilderten Szenen.

Annett Gröscher holt mit diesem Buch Millionen Frauen, deren Leben so oder so ähnlich verlaufen ist, aus dem Schatten und gibt ihnen eine Stimme. Ich empfehle es gern weiter.




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