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Veröffentlicht am 28.08.2025

Ein Meer voller Narben – ein bewegender Roman

Am Meer ist es schön
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MEINE MEINUNG
Mit ihrem neuen Roman „Am Meer ist es schön“ widmet sich Barbara Leciejewski einem bislang verdrängten und wenig beachteten Kapitel der deutschen Nachkriegszeit und rückt das Schicksal der ...

MEINE MEINUNG
Mit ihrem neuen Roman „Am Meer ist es schön“ widmet sich Barbara Leciejewski einem bislang verdrängten und wenig beachteten Kapitel der deutschen Nachkriegszeit und rückt das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder eindrucksvoll in den Mittelpunkt. Unter dem harmlos anmutenden Deckmantel einer „Gesundungskur“ mussten zahllose Kinder seelische und körperliche Misshandlungen erdulden.
Mit feinem Gespür für Sprache und Psychologie gelingt der Autorin eine authentische und berührende Aufarbeitung dieses erschütternden Themas und setzt ein kraftvolles Zeichen gegen das Vergessen.
Die Handlung ist geschickt auf zwei miteinander verwobenen Zeitebenen angelegt und pendelt zwischen der Kindheit und der Gegenwart der Protagonistin Susanne. Im Rückblick begegnen wir der achtjährigen Susanne, die im Sommer 1969 von ihren Eltern zur vermeintlichen Erholung ins Kinderkurheim „Haus Morgentau“ an die Nordsee geschickt wird.
Aus der kindlichen Perspektive schildert die Autorin eindringlich das vermeintliche Ferienidyll und lässt uns hautnah miterleben, wie der Aufenthalt am Meer in einen realen Albtraum umschlägt. Sie macht den Alltag der Kinder im Heim unter den strengen, oft willkürlichen Regeln ebenso erfahrbar wie die beständige Bedrohung durch Einschüchterungen und harte Strafen durch die autoritären Erzieherinnen. Die unerträgliche Atmosphäre der Angst und Ohnmacht wird dabei ebenso fassbar wie das Gefühl des Ausgeliefertseins unter der rigiden „schwarzen Pädagogik“ der sogenannten „Tanten“.
Mit ihrem lebendigen, einfühlsamen Schreibstil entwirft sie ein vielschichtiges, erschütterndes Porträt alltäglicher Demütigungen und Grausamkeiten, und macht eindrücklich sichtbar, wie systematische Misshandlungen tiefe Spuren auf der kindlichen Seele hinterlassen.
Ihr gelingt es hervorragend, das Gefühl der Hilflosigkeit und das Leiden unter der allgegenwärtigen Angst so authentisch und ergreifend darzustellen, dass man sich dem Sog der Geschichte kaum entziehen kann. Äußerst anschaulich zeigt Leciejewski in vielen kleinen Alltagsszenen, wie Freundschaft, Solidarität und Mitgefühl zwischen den Kindern wachsen und zum wertvollen Schutzraum werden. Inmitten der traumatischen Erlebnisse gelingt es den jungen Protagonisten, sich gegenseitig Hoffnung und Halt zu schenken und auf diese Weise den beklemmenden Alltag zu überstehen, ja sogar zarten Widerstand gegen die Willkür der Erwachsenen zu formen. Mit schonungsloser Offenheit zeigt Leciejewski das kollektive Versagen von damaligen Institutionen aber auch Erwachsenen auf, die mit ihrem Schweigen die Kinder in ihrem Schmerz und ihren lebenslangen Traumata alleingelassen haben.
Gekonnt hat Leciejewski Susannes berührende Lebensgeschichte so angelegt, dass sie in kreisförmigen Bewegungen immer wieder zu den prägenden Wendepunkten und Verletzungen ihrer Kindheit zurückkehrt. So entsteht ein vielschichtiges Bild, in dem Vergangenheit und Gegenwart geschickt miteinander verwoben sind und für viel Spannung und emotionale Intensität sorgen.
Im Erzählstrang des Jahres 2018 begegnen wir Susanne am Sterbebett ihrer Mutter im Pflegeheim. Viele Jahrzehnte nach den Ereignissen ihrer Kindheit ringt sie gemeinsam mit ihrer eigenen Tochter darum, sich dem alten Trauma zu stellen und Antworten zu finden. Leciejewski versteht es hervorragend, einen Bogen zur Gegenwart zu spannen und faszinierende Parallelen im Umgang mit Abhängigkeit, Kontrolle und dem Verlust von Würde am Beispiel der heutigen Pflegeheime zu beleuchten. Eindrucksvoll gelingt es ihr, eine Auseinandersetzung darüber anzuregen, wie vergangene Verletzungen bis ins Jetzt hineinwirken und weitere Generationen berühren.
FAZIT
Ein bewegender Roman über das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder, der mit viel Empathie und schonungsloser Offenheit ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte ans Licht bringt. Ein wichtiger literarischer Beitrag – eindringlich, vielschichtig und zutiefst berührend!

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  • Handlung
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Veröffentlicht am 11.08.2025

Ein bewegendes, sehr poetisches Porträt der Unsichtbaren

Der Kaiser der Freude
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MEINE MEINUNG
Mit „Der Kaiser der Freude“ legt Ocean Vuong nach seinem gefeierten Debüt einen weiteren außergewöhnlichen Roman vor, der die Schattenseiten des amerikanischen Traums eindrucksvoll beleuchtet ...

MEINE MEINUNG
Mit „Der Kaiser der Freude“ legt Ocean Vuong nach seinem gefeierten Debüt einen weiteren außergewöhnlichen Roman vor, der die Schattenseiten des amerikanischen Traums eindrucksvoll beleuchtet und all jenen eine Stimme gibt, die am Rand der gnadenlosen Konsumgesellschaft ums Überleben ringen.
Mit viel Feingefühl thematisiert Vuong zudem Themen wie Migration, Rassismus, Identität, Außenseitertum, soziale Marginalisierung sowie die Last von Trauma und Erinnerungen.

Angesiedelt ist die in vier Abschnitte gegliederte Handlung in der trostlosen fiktiven Kleinstadt East Gladness in Connecticut, die stellvertretend für das postindustrielle, abgehängte Amerika steht.
Im Mittelpunkt steht Hai, der neunzehnjährige Sohn einer vietnamesischen Einwanderin, der an der eigenen Ausweglosigkeit und Einsamkeit zu zerbrechen droht und kurz vor einem Suizid steht. Während er auf einer Brücke steht, hält ihn Grazina, einer älteren, an Demenz erkrankten Frau mit litauischen Wurzeln, von seinem Vorhaben ab. Aus dieser zufälligen Begegnung entwickelt sich eine fragile, aber tief berührende Beziehung, die für beide zu einem Wendepunkt wird. Hai findet als Grazinas Pfleger nicht nur Unterkunft und eine Aufgabe bei ihr, sondern auch eine neue Form von Zuneigung, Halt und Zugehörigkeit.

Vuong gelingt es, mit großer poetischer Kraft und Genauigkeit die trostlose Atmosphäre von East Gladness einzufangen - eine kontrastvolle Welt, in der Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Drogenkrise und Armut allgegenwärtig sind. Äußerst beeindruckend ist Vuongs bildgewaltiger Schreibstil; voller Metaphern und sinnlich-intensiver Beschreibungen taucht er das Alltägliche in eine schmerzlich-melancholische Schönheit. Zudem versteht es hervorragend, uns die widersprüchliche Gefühlswelt seiner Figuren sehr plastisch nahe zu bringen.
Seine fragmentarische, von Rückblicken und inneren Monologen durchzogene Erzählweise ist von faszinierender Leichtigkeit, verlangt aber eine erhöhte Aufmerksamkeit.
Ein besonderes Highlight sind die vielschichtigen, liebevoll gezeichneten Charaktere, die in all ihrer Fragalität und ihren Eigenheiten sehr lebensnah eingefangen sind. Sie stellen keine klassischen Helden dar, sondern verletzliche, gebrochene und vereinsamte Figuren, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, aber trotz aller Widrigkeiten auch in ihrer kleinen Zweckgemeinschaft Nähe, Freundschaft und Solidarität finden können.
Mit Hai hat der Autor einen beeindruckenden Protagonisten geschaffen, der mit seiner Identität, Herkunft und Erwartungen im Lebensalltag zu kämpfen hat. Mit großer Empathie und psychologischer Tiefe zeichnet er seine Unsicherheit, Sehnsucht nach Zugehörigkeit und seinen Kampf gegen seine Drogensucht und inneren Dämonen.
Auch Grazina ist eine sehr beeindruckende Hauptfigur. Eindrucksvoll führt Vuong uns vor Augen, dass ihre Demenz nicht nur individuelles Vergessen, sondern auch eine kollektive Komponente des Erinnerns an andere Zeiten und Traumata umfasst und manchmal einen befreienden Schutz bietet. Gekonnt verdeutlicht er, dass das kollektive Verdrängen von Geschichte, Leid und Verantwortung sinnbildlich für ein grundlegendes gesellschaftliches Klima steht. Einfühlsam und glaubwürdig schildert Vuong die zarte, freundschaftliche Beziehung zwischen Hai und Grazina, die neben den alltäglichen Problemen und Missverständnissen auch berührende Momente von menschlicher Nähe und gegenseitigem Verständnis aufweist.
Auch die Nebenfiguren wie Hais Cousin Sony und seine Arbeitskollegen im Diner sind vielschichtig und glaubwürdig ausgearbeitet. Sie stehen exemplarisch für die „Unsichtbaren und gesellschaftlich Abgehängten“ der amerikanischen Gesellschaft - Menschen, die von Armut, Sucht, Krankheit und Ausgrenzung gezeichnet sind, aber dennoch in der Gemeinschaft auch die faszinierende Kraft von menschlicher Verbundenheit erleben und die beflügelnde Hoffnung auf eine zweite Chance im Leben finden können.
Mit schonungsloser Klarheit kritisiert Vuong in seinem anspruchsvollen und sehr facettenreichen Roman die zerstörerischen Folgen des Spätkapitalismus, der Prekarisierung von Arbeit und der gnadenlosen Ausgrenzung der Schwächsten. Gleichzeitig gelingt es ihm, inmitten der Hoffnungslosigkeit Momente von Zärtlichkeit, Freundschaft und Solidarität zu zeigen, die dem gelungenen Roman eine besondere emotionale Kraft verleihen

FAZIT
Ein herausfordernder und berührender Roman über die Kraft von Gemeinschaft und über die Möglichkeit von Schönheit und Würde in einer oft grausamen Welt.
Ein ebenso schmerzliches wie hoffnungsvolles Porträt der Ausgegrenzten und Unsichtbaren in der amerikanischen Gesellschaft, das noch lange nachhallt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.07.2025

Fesselnder Auftakt

Mika Mysteries 1: Der Ruf des Nachtraben
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MEINE MEINUNG
Mit „Der Ruf des Nachtraben“ ist Johan Rundberg ein faszinierender Auftakt seiner historischen Jugendkrimi-Reihe „Mika Mysteries“ gelungen. Im Mittelpunkt steht die zwölfjährige Mika, die ...

MEINE MEINUNG
Mit „Der Ruf des Nachtraben“ ist Johan Rundberg ein faszinierender Auftakt seiner historischen Jugendkrimi-Reihe „Mika Mysteries“ gelungen. Im Mittelpunkt steht die zwölfjährige Mika, die unter entbehrungsreichen Zuständen in einem Stockholmer Waisenhaus lebt und nebenbei als Schankmädchen arbeiten muss.
Die stimmige Mischung aus spannendem Kriminalfall, beklemmender Milieubeschreibung und feinsinniger Sozialkritik entfaltet von Beginn an eine große Sogwirkung.
Rundbergs bildhafter Erzählstil, der auch auf eine jüngere Leserschaft ab 10 Jahren zugeschnitten ist, lässt uns unmittelbar in das historische Stockholm mitten im bitterkalten Winter des Jahres 1880 eintauchen. Der Autor zeichnet ein eindrucksvolles Bild jener düsteren Zeit, in der bittere Armut, soziale Not und täglicher Überlebenskampf allgegenwärtig sind. Es gelingt ihm hervorragend, die recht bedrückende Atmosphäre des späten 19. Jahrhunderts lebendig werden zu lassen, so dass man die Härten und Ungerechtigkeiten des Alltags gut nachempfinden kann.
Als eines Nachts ein Findelkind von einem mysteriösen Unbekannten im Waisenhaus abgegeben wird, wird die clevere, aufgeweckte Mika befragt. Der ermittelnde Kommissar Valdemar Hoff erkennt Mikas scharfen Verstand und außergewöhnliche Beobachtungsgabe und bindet sie in die Ermittlungen zu einem äußerst rätselhaften Mordfall ein, bei dem ein bereits totgeglaubter Serienmörder – der berüchtigte Nachtrabe - erneut sein Unwesen in der Stadt zu treiben scheint. So begibt sich das äußerst ungleiche Ermittlerduo auf eine gefahrvolle und abenteuerliche Spurensuche, bei der nicht nur die Lösung des Falls, sondern auch die gesellschaftlichen Zwänge jener Zeit eine bedeutsame Rolle spielen.
Mit der sympathischen Mika hat Rundberg eine Hauptfigur geschaffen, die sowohl lebensnah als auch vielschichtig ist. Ihre Gefühle, Sorgen und Nöte sind auch für Kinder nachvollziehbar, so dass man sich gut in sie hinein versetzen und mit ihr mitfiebern kann. Aufopferungsvoll kümmert sich Mika um die jüngeren Waisenkinder und bemüht sich, ihnen trotz aller Widrigkeiten Trost zu spenden. Mit Scharfsinn, Witz und Mut stellt sie sich den gesellschaftlichen Zwängen ihrer Zeit entgegen. Doch hinter Mikas Stärke verbergen sich auch nachdenkliche, verletzliche Momente, in denen ihre Zweifel und Einsamkeit spürbar werden, , was ihre Figur besonders einnehmend und glaubwürdig macht.
Auch die Nebenfiguren sind entsprechend ihrer Rollen facettenreich ausgearbeitet. Allen voran der anfangs sehr spröde, vermeintlich hartherzige Kommissar Hoff, der Mika erst abschätzig als „Lumpenfräulein“ tituliert, im Laufe der Ermittlungen aber mehr und mehr Respekt und Wertschätzung für ihre Fähigkeiten entwickelt.
Die realistischen, teils schonungslosen Beschreibungen des historischen Alltags und der dunklen Seiten Stockholms dürften allerdings eher eine erwachsene Leserschaft ansprechen und könnten für Jüngere stellenweise durchaus Angsteinflößend sein. Dennoch wird die düstere, oft bedrückende Stimmung durch humorvolle, scharfzüngige Dialoge zwischen Mika und Kommissar Hoff immer wieder angenehm aufgelockert.
Es entfaltet sich eine clever angelegte, fesselnde Geschichte, die mit überraschenden Wendungen für viel Abwechslung sorgt, und bei der die Spannung bis zur überraschenden Auflösung konstant auf hohem Niveau bleibt.
Viel Neugier wecken zudem die interessant angelegten Nebenstränge, allen voran das Rätsel um Mikas Herkunft, das Lust auf weitere Bände macht.
ZUM HÖRBUCH
Die Film- und Theaterschauspielerin Julia Nachtmann überzeugt mit einer lebendigen und absolut mitreißenden Interpretation der Geschichte. Mit ihrer ruhigen, warmherzigen und nuancenreichen Stimme fängt sie sie dichte Atmosphäre hervorragend ein, sodass auch jüngere Zuhörer mit ausreichend Konzentration den Geschehnissen gut folgen können. Vielschichtig und mit großer Sensibilität transportiert sie dabei die mitunter bedrückende Atmosphäre. Gekonnt erweckt sie das historische Stockholm eindringlich und packend zum Leben.
Durch ihre variantenreiche Stimmgestaltung verleiht Nachtmann den verschiedenen Figuren durch nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch individuelle Charakterzüge und eine klare Unterscheidbarkeit. Besonders die sympathische Mika wirkt in ihrer gesamten emotionalen Bandbreite lebendig und authentisch. Nachtmann gibt ihr eine eigene, passende Stimme, wodurch Zuhörer ganz unmittelbar an Mikas Sicht auf die Welt teilhaben und eine enge Bindung zu ihr aufbauen können.
Auch Nebenfiguren werden mit ihren jeweiligen Eigenheiten stimmlich gut unterscheidbar interpretiert, was die Handlung besonders lebendig und nachvollziehbar macht.
Insgesamt bietet dieses ungekürzte Hörbuch eine äußerst gelungene Umsetzung des Auftaktbands!

FAZIT
Ein anspruchsvoller und außergewöhnlich atmosphärischer Jugendkrimi vor historischem Hintergrund, der mit einer liebenswerten, starken Protagonistin und vielschichtigem Kriminalfall überzeugt!
Ein rundum gelungener Auftakt, der jugendliche wie auch erwachsene Fans von historischen Krimis begeistern wird!

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.07.2025

Eine fesselnde Rückkehr ins Wien der Jahrhundertwende

Der Totengräber und die Pratermorde (Die Totengräber-Serie 4)
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MEINE MEINUNG
Mit „Der Totengräber und die Pratermorde“ - dem bereits vierten Band seiner erfolgreichen historischen Krimireihe rund um den jungen, charismatischen Inspektor Leo von Herzfeldt, die ambitionierte ...

MEINE MEINUNG
Mit „Der Totengräber und die Pratermorde“ - dem bereits vierten Band seiner erfolgreichen historischen Krimireihe rund um den jungen, charismatischen Inspektor Leo von Herzfeldt, die ambitionierte Journalistin und Fotografin Julia Wolf sowie den eigenwilligen Totengräber Augustin Rothmayer – legt Oliver Pötzsch eine mitreißende Fortsetzung vor und entführt uns erneut ins quirlige Wien der Jahrhundertwende.
Vorkenntnisse aus den vorherigen Bänden sind für das Verständnis der Handlung nicht zwingend erforderlich. Dennoch empfehle ich allen Liebhabern historischer Krimis, auch die früheren Geschichten dieser absolut lesenswerten Reihe kennenzulernen.
Auch im aktuellen Band beweist Pötzsch sein außergewöhnliches Talent als Erzähler und hat einen spannenden, höchst komplexen Kriminalfall entworfen, der mich auf ganzer Linie überzeugen konnte.
Der neue, knifflige Fall spielt im Jahr 1896 und lässt uns in die faszinierende Welt des Wiener Praters eintauchen - mit seinen Artisten, Schaustellern, aber auch den dunklen Seiten der Vergnügungen.
Der auf mehreren Handlungssträngen angelegte Krimi beginnt mit einem spektakulären Auftakt. Während der Premierenvorstellung des berühmten Zauberers Charles Banton und seinem neuesten Zaubertricks „Die zersägte Jungfrau“ kommt es vor den Augen des Publikums zu einer tragischen und schockierenden Katastrophe - die junge Assistentin kommt dabei tatsächlich auf der Bühne ums Leben. Die für die Lokalpresse schreibende Reporterin Julia ist vor Ort und beginnt sogleich mit eigenen Nachforschungen.
Die offiziellen Ermittlungen zu dem rätselhaften Todesfall übernimmt wieder Inspektor Leopold von Herzfeldt. Doch schon bald verdichten sich zudem Hinweise auf das spurlose Verschwinden von jungen Frauen rund um den Prater. Nur gut, dass Leo bei seinen schwierigen Ermittlungen auf die Unterstützung seines hochgeschätzten Weggefährten Augustin Rothmayer und dessen speziellem Fachwissen zählen kann.
Pötzsch überzeugt mit einem temporeichen, lebendigen und mit feinem Humor gewürzter Schreibstil. Die detailreich beschriebenen Schauplätze und sorgfältig recherchierten historischen Hintergründe, die geschickt in die Handlung eingeflochten werden, lassen das historische Wien gekonnt lebendig werden und vermitteln ein besonderes, nostalgisches Flair.
Neben dem authentischen Zeitkolorit und der stimmungsvoll eingefangenen Atmosphäre lebt der Roman vor allem von seinen vielschichtigen und liebevoll gestalteten Figuren. Besonders das unkonventionelle Ermittlerteam aus dem engagierten Inspektor, der cleveren Julia Wolf und dem skurrilen Totengräber Rothmayer ist einem inzwischen ans Herz gewachsen und sorgt für allerlei Abwechslung und Charme. Neben den facettenreichen Ermittlungen sind natürlich auch das Privatleben der Hauptfiguren und ihre persönlichen Entwicklungen wichtiger Bestandteil der Geschichte. Rothmayers Wiener Charme, aber auch seine Hilflosigkeit angesichts seiner pubertierenden Ziehtochter Anna bringen immer wieder humorvolle und unterhaltsame Momente in die fesselnde Handlung. Schön ist es auch, die Weiterentwicklung der Beziehung zwischen Leo und Julia mitzuerleben.
Die zahlreichen Nebenfiguren sind abwechslungsreich und originell gestaltet und bereichern die Geschichte zusätzlich.
Die Handlung ist durchweg spannend und voller unerwarteter Wendungen, sodass man beim Miträtseln und Mitfiebern mit den vielschichtigen Charakteren voll auf seine Kosten kommt. Das packende Finale hält einige Überraschungen bereit, und die Aufklärung der Fälle sowie die Motive werden schlüssig und nachvollziehbar präsentiert.
Ich freue mich schon sehr auf weitere Bände dieser farbenfrohen und unterhaltsamen historischen Krimireihe und hoffe, den liebgewonnenen Charakteren bald wieder zu begegnen.
FAZIT
Eine unterhaltsame und rundum gelungene Fortsetzung der historischen Krimireihe – atmosphärisch und mitreißend erzählt mit authentischem Zeitkolorit, lebendigen Figuren und einer packenden Krimihandlung!
Ein Muss für Fans historischer Krimis!

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Veröffentlicht am 10.05.2025

Eine musikalische Liebesgeschichte, die das Herz berührt

Für Polina
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MEINE MEINUNG
Takis Würgers neuester Roman "Für Polina" ist eine berührende und sehr stimmungsvolle Liebesgeschichte, die uns mit ihrer beinahe märchenhaft anmutenden Atmosphäre auf Anhieb in ihren Bann ...

MEINE MEINUNG
Takis Würgers neuester Roman "Für Polina" ist eine berührende und sehr stimmungsvolle Liebesgeschichte, die uns mit ihrer beinahe märchenhaft anmutenden Atmosphäre auf Anhieb in ihren Bann zu ziehen versteht.
Dieser bewegende Roman erzählt nicht nur eine zarte und tiefgründige Geschichte über Liebe, tragische Verluste, die ungebrochene Hoffnung, die uns auch durch schwere Zeiten trägt, und die heilende Kraft der Musik. Dennoch versteht es Takis Würger, seine Geschichte der großen Gefühle auf eine höchst erfrischende und originelle Art zu erzählen. Ihm ist eine beeindruckende poetische Erzählung über das Leben selbst gelungen, die trotz all ihrer Dramatik durch ihre leisen Töne und die Authentizität ihrer Figuren geradezu spürbar wird und zu überzeugen weiß.
Er hat ein wundervolles literarisches Werk geschaffen, das sich wie eine Melodie in Herz und Verstand einnistet und und nicht mehr loslässt.
Im Mittelpunkt stehen Hannes und Polina, die am selben Tag geboren wurden und deren Leben durch die besondere Freundschaft ihrer Mütter von Geburt an miteinander verbunden sind. Gekonnt lässt uns Würger in eine faszinierende, nostalgisch angehauchte Welt eintauchen, die ein wenig entrückt zu sein scheint.
Die Geschichte beginnt mit der ungewöhnlichen Kindheit von Hannes, der sorglos in einer Villa im Moor aufwächst. Schon früh zeigt sich bei dem eher zurückhaltenden und in sich gekehrten Jungen eine außergewöhnliche musikalische Begabung. Mit 14 Jahren komponiert er als Ausdruck seiner stillen Liebe für Polina eine Sonate, in der er nicht nur seine Gefühle für sie musikalisch zum Ausdruck bringt, sondern ihr ganzes Wesen einfängt. Als Hannes’ Mutter bei einem tragischen Unfall stirbt, wird Hannes nicht nur aus seiner vertrauten Welt im Moor gerissen, sondern verliert auch den Kontakt zu Polina. Der schicksalhafte Verlust wirft Hannes völlig aus der Bahn und lähmt ihn emotional und musikalisch. Erst Jahre später tritt Hannes seine Reise an, zurück zu sich selbst, zur Musik und begibt sich auf die bewegende Suche nach seiner geliebten Polina.
Die Stärke des Romans liegt in seinen wundervollen, faszinierenden Figuren. Würger zeichnet seine Charaktere mit ihren interessanten Ecken und Kanten äußerst tiefgründig und vielschichtig. Sie wirken so authentisch und lebendig, dass man sie förmlich vor sich sehen und beinahe hören und fühlen kann.
Mit seiner stillen, nachdenklichen Art und seiner außergewöhnlichen Inselbegabung ist Hannes ein faszinierender Protagonist, der tief empfindet, aber seine Gefühle selten zeigen, sondern nur in Musik ausdrücken kannn. Hingegen ist die extrovertierte, etwas rätselhafte Polina mit ihrem quirligen, energiegeladenen Auftreten und ihrer ungestillten Neugier auf die weite Welt das genaue Gegenteil von Hannes, was die enge Verbindung zwischen den so unterschiedlichen Charakteren so außergewöhnlich macht.
Ob nun der eigensinnige, aber herzensgute alte Hildebrand, der Hannes in seiner Jugend Halt gibt, sein großherziger Arbeitskollege Bosch mit türkischen Wurzeln oder seine etwas exzentrische, liebevolle Mutter – sie alle sind bemerkenswerte, nahbare Nebenfiguren, die in Hannes' Leben eine wichtige Rolle spielen, und mit ihren Eigenheiten und ihrer Menschlichkeit nachhaltig beeindrucken. Jeder dieser facettenreichen Figutren hat sein eigenes Päckchen zu tragen, macht Fehler und wächst an seinem tragischen Schicksal. Äußerst fesselnd und berührend ist es, sie alle auf ihrer emotionalen Reise zu begleiten.
Mit seinem prägnanten und ausdrucksstarken Schreibstil gelingt es Würger hervorragend, stets den richtigen Ton zu treffen und die vielfältigen Emotionen und Sehnsüchte seiner Figuren mit beeindruckender Intensität und großem Feingefühl einzufangen. Er versteht es hervorragend, Stimmungen wie ein Komponist mit all ihren Zwischentönen einzufangen – mal eindringlich, melancholisch leise und mal humorvoll leicht – und so Hannes' Leben und die Welt der klassischen Musik lebendig werden lassen.
Sehr beeindruckend ist es, wie unglaublich einfühlsam es Würger gelingt, Musik in Worte zu kleiden, so dass man auch ohne besonderes musikalisches Vorwissen die Melodien zwischen den Zeilen erklingen hört.
Im Roman spielt die Musik eine bedeutsame Rolle, die nicht nur das herausragende Talent von Hannes ausmacht. Sie ist vielmehr auch ein zentrales Symbol, das die Charaktere über Zeit und Raum hinweg zu verbinden versteht, ohne Worte auskommt und ihnen als ein universelles Kommunikationsmittel eine Sprache für Unsagbares gibt.

FAZIT
Eine bewegende und ungewöhnliche Lebensgeschichte, die mit viel Feingefühl erzählt wird und dabei auch noch einen faszinierenden musikalischen Zauber entfaltet.
Ein wundervoller Roman zum Genießen und Nachklingenlassen!

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