Kalenderblätter zwischen Kriegsende und Neubeginn
1945 - Schwerer Start in eine neue ZeitHerbert Lackners „1945 – Schwerer Start in eine neue Zeit“ ist ein tiefgehendes und sehr bewegendes Buch, das sich dem schicksalhaften Übergang Österreichs in eine neue Epoche widmet. Anlässlich des 80. ...
Herbert Lackners „1945 – Schwerer Start in eine neue Zeit“ ist ein tiefgehendes und sehr bewegendes Buch, das sich dem schicksalhaften Übergang Österreichs in eine neue Epoche widmet. Anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung des Landes von der nationalsozialistischen Herrschaft gelingt es Lackner, die großen historischen Umwälzungen dieser Zeit mit dem Blick fürs Wesentliche zu erzählen und dabei die Sichtweise der "Menschen wie du und ich" einzunehmen. Mit seiner sehr guten Recherche und den persönlichen Einlicken in die eigenen Familiengeschichte erhalten die Leser:innen einen sehr intimen Einblich in das Leben zischen Kriegsende und Neubeginn. Es sind Herausforderungen und Hoffnungen, die den österreichischen Alltag des Jahres 1945 prägten, die Lackner wie in einer Art Abreißkalender aufbreitet und zugänglich macht.
Ein zentrales Element des Buches sind die Briefe und Tagebucheinträge von Lackners Eltern Anni, einer jungen Verkäuferin, und Hans, einem Luftwaffenhelfer, die gleich zu Beginn des Buches vorgestellt werden. Durch ihre Erlebnisse wird die düstere Realität der letzten Tage des Krieges und die anschließenden Mühen des Neubeginns sehr lebendig. Anni und Hans, die als Teenager in diese ungewisse Zeit geworfen werden, stehen stellvertretend für viele, die zwischen den Trümmern einer zerbombten Vergangenheit und der Hoffnung auf ein besseres Morgen gefangen sind. Lackner verknüpft die persönlichen Geschichten geschickt mit der historischen Entwicklung und zeigt, wie viele Österreicher:innen auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Trauma des Krieges umgingen.
Besonders eindrucksvoll ist Lackners Erzählweise, die es schafft, die Tiefe menschlicher Empfindungen einzufangen. Er beleuchtet nicht nur die Belastungen und Ängste, sondern auch die kleinen Triumphe des Alltags. Der Autor bietet oft bedrückende Einblicke, denn auch in den ersten Monaten nach Kriegsende ist der braune Sumpf noch allgegenwärtig, zieht seine Stricke und macht sich unbeheilligt aus dem Staub.
Ein weiterer bedeutender Aspekt des Buches sind die weniger bekannten historischen Narrative, die Lackner ans Licht bringt. Die Enthüllung, dass die berühmte Weihnachtsrede von Leopold Figl, dem ersten Kanzler der Zweiten Republik, nicht im Jahr 1945 gehalten wurde, sondern erst Jahre später eine mythische Bedeutung erlangte, zeigt eindrucksvoll, wie Geschichte auch positiv manipuliert und konstruiert werden kann. Auch die Schicksale um Bruno Kreisky und die Verstrickungen eines ehemaligen Mitinsassen, der mehrfach versagte und dennoch in die Geschichtsbücher eingeht, werden von Lackner aufbereitet und zugänglich gemacht.
Lackners Werk ist brillante Chronik, aufrüttelnde Lektüre und zugleich eine Mahnung, dass sich das Gestern nicht wiederholen darf. Sehr lesenswert und mehr als "nur" ein Buch.