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Veröffentlicht am 05.07.2025

Wer macht die Spielregeln?

Gesellschaftsspiel
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In ihrem Debütroman beschreibt die Autorin einfühlsam die Gedanken und Gefühle der beiden Schwestern Isabelle und Annika, als ihre Mutter einen schweren Schlaganfall erleidet und stirbt. Dazu gesellt sich ...

In ihrem Debütroman beschreibt die Autorin einfühlsam die Gedanken und Gefühle der beiden Schwestern Isabelle und Annika, als ihre Mutter einen schweren Schlaganfall erleidet und stirbt. Dazu gesellt sich ihre Tante Dagmar, die zu ihrer Schwester kein enges Verhältnis mehr hatte. Aber auch Annika und Isabelle haben sich sehr entfremdet, durch Vorfälle in ihrer gemeinsamen Vergangenheit, aber auch durch die räumliche Entfernung, denn Annika lebt in Amerika. Die Beziehung zur Mutter ist auch zwiegespalten.

In dieses Trauer-Stimmungs-Gewirr platzt die Nachricht eines Tech-Milliardärs, der in Weimar, ihrer Heimatstadt, in der Isabelle und Dagmar immer noch leben, eine „neue“ Gemeinschaft schaffen will: Demokratie soll neu gedacht und dann gelebt werden.

Diese Idee mischt die ganze Stadt auf und auch die drei Trauernden, die sich erst mühsam mit dem Geschehenen und ihrem Verhältnis zueinander auseinandersetzen müssen. Erschwerend kommt für Isabelle ihre Stellung als Politiklehrerin und für Dagmar ihre als Dozentin an der Uni hinzu, denn so können sie sich dem ganzen Rummel in Social Media und im realen Leben unmöglich entziehen.

Diese Flut an Gefühlen und Gedanken beschreibt die Autorin sehr eindrücklich, einfühlsam und nachvollziehbar, indem sie als auktorialer Erzähler die Perspektiven in den Kapiteln zwischen Isabelle, Annika und Dagmar wechselt. Unterbrochen wird das Ganze durch eingeschobene, fiktive Interviews, Chats, u. v. m. zu dem Geschehen um die „neue Demokratie in Weimar“, an denen sich auch die drei Protagonistinnen beteiligen.

Das fordert den Lesenden eine Menge geistiger Beweglichkeit ab, die sich aber sehr lohnt, um beiden Gedankensträngen, dem der Trauer in einer Familie und dem Gedankenexperiment einer neuen Gesellschaftsform zu folgen und zu beidem eigene Gedanken und Stellungnahmen zu entwickeln.

Der Titel „Gesellschaftsspiel“ passt hierbei sowohl zur „neuen Demokratie“ als auch zu dem Geschehen der Trauer in einer Familie, denn welche Regeln gibt es denn für das eine und das andere?

Ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen wollen, und für alle, die anspruchsvolle Literatur mögen.

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Veröffentlicht am 11.06.2025

Faszination Tag und Nacht

Tag und Nacht
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Dieses Bilderbuch ist ein Sachbuch, das jedoch auf jeder Doppelseite mit einem poetischen Text eingeleitet wird („die samtige Nacht“ oder „wischt die letzten Fleckchen Nacht beiseite“). Dieser Text ist ...

Dieses Bilderbuch ist ein Sachbuch, das jedoch auf jeder Doppelseite mit einem poetischen Text eingeleitet wird („die samtige Nacht“ oder „wischt die letzten Fleckchen Nacht beiseite“). Dieser Text ist stets in einer anderen Schrift, größer und geschwungen geschrieben als die kurzen Informationstexte zu den Bildern. So kann man das Buch auch nur mit diesen Texten (vor-)lesen, ohne auf die Sachinformationen einzugehen oder nur auf die, die einen interessieren.

In den erklärenden Sachtexten sind einige Begriffe in Großbuchstaben und fettgedruckt aufgeschrieben. Diese werden hinten auf der letzten Doppelseite in einem Glossar erklärt. Die vorletzte Doppelseite nennt sich „Eine Anleitung für Tag und Nacht“ und erklärt diesen Wechsel noch einmal ausführlich.

Das Buch beschreibt Tiere fast aller Kontinente, die meisten Seiten sind aber der Natur Nordamerikas gewidmet. Die vorvorletzte Doppelseite ist jedoch so angelegt, dass sie fast überall in einer Stadt angesiedelt sein könnte. Stets geht es um den Wechsel von Tag und Nacht und Tiere, die diesen Wechsel erleben oder tags oder nachts unterwegs sind.

Die doppelseitig angelegten, farbenfrohen Bilder, die den Text stets einschließen und farbig untermalen, enthalten viele Details, die die Lesenden entdecken können. Die erwähnten Tiere sind immer deutlich zu sehen, teilweise auch großformatig, und möglichst naturgetreu gezeichnet.
Ein besonderes Bonbon dieses Buches über Tiere bei Tag und Nacht ist, dass einige Seiten, die das Leben nachts darstellen, im Dunkeln leuchten.

So kann man dieses schöne Bilderbuch auf verschiedene Arten genießen!

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Veröffentlicht am 17.05.2025

Eine spannende Geschichte

Annika und der Stern von Kazan
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Annika, die als Findelkind wohl behütet bei einer Köchin in einem großen Haushalt in Wien um 1900 aufwächst, träumt davon, dass ihre echte Mutter plötzlich vor ihr steht und sie in ihre Arme nimmt. Doch ...

Annika, die als Findelkind wohl behütet bei einer Köchin in einem großen Haushalt in Wien um 1900 aufwächst, träumt davon, dass ihre echte Mutter plötzlich vor ihr steht und sie in ihre Arme nimmt. Doch als das endlich geschieht, bemerkt sie, dass sie sich nie Gedanken darüber gemacht hat, was dann geschehen wird.

Dieses Buch hat alles, was ein guter Abenteuerroman benötigt: Spannung durch wechselnde Schauplätze, unerwartete Wendungen, verschiedene, anschaulich beschriebene Gesellschaftsschichten und gut gezeichnete Charaktere, Gefühl durch eben diese unterschiedlichen Charaktere, einen „Schatz“ mit einer mysteriösen Geschichte aus der Vergangenheit, der gefunden, geborgen und verteidigt werden muss, Freundschaft, Zusammenhalt und sogar noch Tiere, die eine wichtige Rolle spielen.

Dabei wird die Geschichte zum großen Teil aus Annikas Perspektive, aber von einem auktorialen Erzähler erzählt, teilweise aber auch aus der Sicht anderer Protagonisten. So kann der Erzähler auch andere Fakten, Ereignisse und Sichtweisen einbringen. Die Zeit verläuft linear manchmal mit kurzen Rückblenden. Alle Figuren in diesem Roman entwickeln sich auf ihre Art weiter, wachsen teilweise sogar über sich hinaus, und nehmen neue Perspektiven ein oder tun etwas, was sie noch nie getan haben. Jeder Lesenden findet hier eine Person, mit der er sich identifizieren, aber auch eine, von der er sich distanzieren kann.

Man fliegt beim Lesen nur so durch dieses Buch, hält teilweise den Atem an und will immer wissen, wie es weitergeht, bis das Gute siegt – wie eben bei einem guten Abenteuerroman!

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Veröffentlicht am 29.11.2024

Die wunderbare Bergwelt in dunklen Zeiten

Über allen Bergen
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In ihrem Roman schreibt die Autorin über einen jüdischen Jungen, der im Januar 1943 aus Paris in die französischen Alpen in ein abgelegenes Bergdorf geschickt wird, um vor den Deutschen in Sicherheit gebracht ...

In ihrem Roman schreibt die Autorin über einen jüdischen Jungen, der im Januar 1943 aus Paris in die französischen Alpen in ein abgelegenes Bergdorf geschickt wird, um vor den Deutschen in Sicherheit gebracht zu werden, offiziell und unter falschem Namen wegen seines Asthmas.

Vadim oder Vincent, wie er jetzt heißt, erlebt seine Fahrt im Zug weg von seiner Mutter mit der ihn begleitenden Nonne und den darauffolgenden Aufstieg in die Berge wie im Traum. Alles hier ist weiß. Meterhoch stehen die Schneewände an den freigeräumten Wegen und Straßen. Und plötzlich kann er auch wieder atmen: Die kalte Luft kleidet seine Bronchen aus und lässt ihn uneingeschränkt atmen.

Von dem ersten Berg, den er bei klarem Wetter vor sich sieht, ist er überwältigt. Die ganze Landschaft bezaubert ihn. Alles erlebt er zum ersten Mal. Dieses Erleben beschreibt die Autorin so zartfühlend und eindringlich, dass sich die Lesenden ebenso in diesem eingeschneiten Bergdorf wiederfinden und es sich vor Augen malen können.

Der Winter dauert hier in den französischen Alpen nahe der Schweiz besonders lange und so kann Vincent voll in ihn und sein neues Leben ohne Eltern, aber mit Menschen, die ihn akzeptieren, mögen und versorgen, eintauchen und lernen, es zu lieben.

Der Frühling bringt neue Herausforderungen, Ansichten der Bergwelt und Bekanntschaften mit sich, ebenso der Sommer. Stets ist alles neu für Vincent und er erlebt viele erste Male und die Lesenden mit ihm. Auch seine einsetzende Pubertät und das erste Verliebtsein beschreibt die Autorin sehr feinfühlig.

Doch am Ende muss Vadim sehr schnell erwachsen werden.

Ein sehr feinfühlig geschriebenes auf Tatsachen beruhendes Buch, dass die Dunkelheit dieser Zeit nicht ausblendet, aber zeigt, wie Menschen Licht und Wärme hineingebracht haben, um ihr zu widerstehen und anderen zu helfen, und das alles aus der Sicht eines Heranwachsenden in seiner kleinen Welt. Ein Buch für schöne Lesestunden!

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Veröffentlicht am 10.11.2024

Muss das so sein?

The Freedom Clause
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Muss in einer mehrjährigen Ehe der Alltag die Lust am Sex auffressen? Ist das immer so? Und wenn ja, warum? Was kann man dagegen tun?
Daphne und Dominic erleben genau diese Flaute im Bett, nachdem sie ...

Muss in einer mehrjährigen Ehe der Alltag die Lust am Sex auffressen? Ist das immer so? Und wenn ja, warum? Was kann man dagegen tun?
Daphne und Dominic erleben genau diese Flaute im Bett, nachdem sie jung geheiratet haben und nun schon ein paar Jahre zusammenleben. Vor allem Dominic leidet darunter und schlägt seiner Frau darum vor, für eine Nacht im Jahr die Ehe zu öffnen, also einen Freifahrtschein für beide einmal im Jahr.
Daphne findet diesen Vorschlag ganz furchtbar und zweifelt an seiner Liebe und ihrer Ehe. Aber als sie bemerkt, wieviel ihm daran liegt, geht sie auf den Vorschlag unter einigen Voraussetzungen ein: nur einmal im Jahr über fünf Jahre hinweg, nie mit der gleichen Person (also keine Affären), keine Verwandten oder Bekannten, Stillschweigen gegenüber dem anderen und Freunden und Bekannten.
Was sich für Dominic ganz toll anhört, ist für Daphne eine furchtbare Vorstellung, doch so langsam beginnt sie ihre Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren, was vorher nicht der Fall war. Doch hält eine Ehe das aus?
Dieses Buch ist die Geschichte einer durch Erziehung recht angepassten jungen Frau, die durch einen seltsamen Vertrag mit ihrem Mann gezwungen wird, über sich und ihr Leben neu nachzudenken. Dadurch wird sie über die Zeit hinweg selbstbewusster. Sie beginnt sich über ihre Wünsche und Vorstellungen (nicht nur beim Sex) bewusst zu werden und krempelt ihr Leben um.
Die Autorin schafft es mit ihrem Schreibstil und den Wendungen ihrer Geschichte die Lesenden den ganzen Roman über in Spannung zu halten, denn man weiß nie genau, was geschehen wird, auch wenn man denkt, es zu wissen oder zu ahnen. Auch wer sich so eine Vereinbarung für sich selber überhaupt nicht vorstellen kann (genauso wie Daphne …), kann viel über sich selbst erfahren. Daphnes und Dominics Erleben werden gleichermaßen ausführlich geschildert, wobei für mich die Sympathien meistens klar bei Daphne liegen.
Die Idee für diesen Roman schildert die Autorin in ihrem Nachwort, was ich sehr gut und aufschlussreich finde.
Ein rundherum lesenswerter Roman, gerade auch mit der Frage: Welches Bild haben wir Frauen von uns selbst?

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