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Darren

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Veröffentlicht am 22.06.2022

Würdet ihr auf einer Insel leben wollen, auf der Straftäter jedweder Schwere frei herumlaufen dürfen?

Raum 211
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Ehrlich gesagt, würde ich mich bei dem Gedanken, einem Triebtäter oder Gewaltverbrecher ohne Hemmungen begegnen zu können, nicht wohl fühlen. Doch bevor ich mich gedanklich dieser Vorstellung hingeben ...

Ehrlich gesagt, würde ich mich bei dem Gedanken, einem Triebtäter oder Gewaltverbrecher ohne Hemmungen begegnen zu können, nicht wohl fühlen. Doch bevor ich mich gedanklich dieser Vorstellung hingeben darf, lädt uns das Buch erst einmal zu einem Speeddate mit zig Personen ein. Der Leser erfährt minimal kurze Einblicke in das Leben der unterschiedlichsten Menschen, einem alten Kriegsveteranen, der es sich mit einem eigenen Pub an der Ostsee gemütlich gemacht hat, einem Pädophilen, der in einer Panikattacke sein 13-jähriges Lustobjekt unter die Erde brachte, einem jungen Sozialarbeiter, der seinen Platz in der (Arbeits-)Welt noch finden muss, eine junge Dame, die ihren untreuen Freund um seine Männlichkeit bringt, diverse Politiker und Forscher, die hinter der Pharmaindustrie stehen usw. usf. Nach so vielen Protagonisten innerhalb sehr kurzer Kapiteln war ich erst mal etwas platt und wären die Lebenseindrücke oder -ausschnitte nicht so interessant gewesen, wäre hier vermutlich der Punkt gekommen, an dem ich das Buch aus der Hand gelegt hätte, denn Reizüberflutung ohne Handlung gibt es bereits im Fernseher genug.
Doch zum Glück blieb ich am Ball, denn die Personen eint alle eine spannende, faszinierende und zugleich erschreckende Geschichte:
Sie sind Beteiligte in einem grausamen Spiel, ob als Marionette, Akteur, Financier oder Überlebenskämpfer - sie sind die scheinbare Weiterführung des Libet-Experiments, einem Versuch, der Mitte der achtziger beweisen sollte, dass Menschen ihre Handlungen nicht kontrollieren können, da das Gehirn bereits vor der bewussten Entscheidung einen Nervenimpuls zur Ausführung der Tat sendet.
Doch dass es hier nicht um die Begnadigung von vermeintlichen Tätern geht, wird spätestens dann klar, als der Leser erkennt, wer die Strippenzieher des Projekt sind und was die eigentlichen Ziele.
Besonders gut hat mir an dem Buch die Einarbeitung der philosophischen Anreize gefallen. Sie geben Stoff über die Frage des Buches auch mal aus einem anderen Blickwinkel heraus nachzudenken und zeigt teilweise Wege auf, welche Beweggründe Menschen haben können und die Vorgaben der Gesetze zu überschreiten. Nur das Ende der Haupthandlung – mal wieder eine eingeflochtene Liebesgeschichte, die zur Befreiung eines der Gefangenen führt, war mir ein zu dauergenutztes, ausgelutschtes Element.

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Veröffentlicht am 04.08.2021

Ehrenmorde in London

Love like Blood
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Zwei muslimische Jugendliche, befreundet, der eine schwul, die andere mehr den europäischen Werten zugewandt, versuchen ihrem strengen Elternhaus zu entfliehen und werden ermordet. Eine Polizistin, deren ...

Zwei muslimische Jugendliche, befreundet, der eine schwul, die andere mehr den europäischen Werten zugewandt, versuchen ihrem strengen Elternhaus zu entfliehen und werden ermordet. Eine Polizistin, deren Freundin auf brutale Art und Weise umgebracht wurde, und die eigentlich selbst Opfer des Anschlags werden sollte.
Das sind die beiden Haupthandlungsstränge, die sich jedoch sehr schnell verknüpfen, denn die Polizistin Nicola Tanner möchte endlich dem Mörderduo, dass sich auf die Beseitigung muslimischer Jugendlicher, die die Ehre der Familie beschmutzen, spezialisiert haben, auf die Schliche kommen und damit auch indirekt Rache am Mord ihrer großen Liebe üben. Hierbei erhält sie Unterstützung von Detective Tom Thorne, der den Fall bearbeitet, da Tanner selbst wegen Befangenheit und dem schweren Schicksalsschlag beurlaubt ist.
Thorne ist der typische Brite: ruhig und eigenwillig geht er seinen Weg, über Gesetze sieht er hierbei gerne mal hinweg und ist durch die geerdete Art der Gegenpol zur emotionalen Tanner, die gerne mal mit dem Kopf durch die Wand rennt.
Die Handlung wird aus verschiedenen Blickwinkeln via auktoriale Erzähler beschrieben. Hierbei wechselt die Sicht je Kapitel zwischen Nicola Tanner, Tom Thorne, dem Täterduo, aber auch den Opfern. Durch die verschiedenen Perspektiven und Eindrücke der Personen baut sich mehr und mehr Spannung auf und die Charaktere verlieren ihre anfängliche Blässe.
Insgesamt sind drei Aspekte aber für mich unglaubwürdig. Ehrenmorde sind eigentlich Taten, die aus der Wut und Enttäuschung heraus entstehen, und somit von Familienmitgliedern Onkel, Väter, Brüder, … umgesetzt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür wirklich eine Art Mörderclub geben soll.
Eine beurlaubte Polizistin, vor allem wenn sie wegen Befangenheit ihren Job nicht ausüben soll, wird in der Realität nicht so in den Fall integriert, wie es Tanner wird. Sie bespitzelt verdächtige Personen, ist bei akuten Befragungen mit Thorne dabei und wird auch sonst nicht in ihre Schranken gewiesen, wenn sie sich aktiv eingemischt hat. Vielleicht liegt es daran, dass ich die vorherigen Bände nicht kenne, dass mir da etwas Wichtiges durch die Lappen gegangen ist, aber so ist das mehr als unglaubwürdig.
Der letzte Punkt ist, dass der gewissenhafte Thorne (Spoileralarm!) via unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge ein Geständnis erzwingt und die Auswirkungen ohne Konsequenzen für ihn vertuscht.

Fazit:
Die Geschichte fesselt durch eine Sogwirkung, die gerade durch eine ruhige, strukturierte Ermittlungsarbeit entsteht. Das Ausmaß der ganzen Tragödie wird erst nach und nach sichtbar und auch das Verständnis, warum sich Nicola Tanner gerade zu in den Fall verbissen hat, recht spät klar.
Dennoch sollte die Betonung des Krimis nicht zu sehr auf wahre Begebenheiten liegen, dafür ist er in vielen Bereichen nicht realistisch genug wiedergegeben. Wer sich allerdings auf ein sensibles, immer wieder kehrendes Thema einlassen möchte, kann hier gut unterhalten werden.

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Veröffentlicht am 03.08.2021

Gesichtsblindheit

Franzi
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Das Buch ist in zwei Zeitebenen unterteilt. Das eine spielt in der Jetzt-Zeit, das andere spielt sieben Jahre zuvor, zu einem Zeitpunkt als Caro noch studierte. Caro, die Hauptprotagonistin, ist leidenschaftliche ...


Das Buch ist in zwei Zeitebenen unterteilt. Das eine spielt in der Jetzt-Zeit, das andere spielt sieben Jahre zuvor, zu einem Zeitpunkt als Caro noch studierte. Caro, die Hauptprotagonistin, ist leidenschaftliche Sportlerin und lernt zu Studienzeiten Till, einen DJ, der an Wochenenden regelmäßig auftritt, kennen. Zu Beginn ihrer Beziehung scheint alles perfekt. Sie wohnen nach recht kurzer Zeit zusammen, Caro ist vollauf mit ihrem Studium beschäftigt und erlernt dank Till gleichzeitig das Laufen. Ihr Partner gründet alsbald ein eigenes Unternehmen, zieht sich aber immer mehr zurück, bis herauskommt, dass er zweigleisig fährt.
Für Caro, die meint ihrer großen Liebe gegenüberzustehen, bricht eine Welt zusammen, und auch die Person, die als Affäre missbraucht wurde, wird aus der Bahn geworfen.
Sieben Jahre später bringt Caro ihren Debütthriller heraus, der in die Bestsellerlisten schießt, hat eine neue, harmonische Beziehung und ihr Leben wieder im Griff. Sie ist mittlerweile derart selbstbewusst und mit ihrem Leben in Harmonie, dass sie nach kurzem Zögern einem großen Fan, die auch schreibt, allerdings noch nichts veröffentlicht hat, Nachhilfe in Sachen Marketing und später öffentliche Auftritte gibt. Doch ist ihr Fan Franzi die, für die sie sich ausgibt, ist ihre Beziehung wirklich so harmonisch oder baut sich Caro eine Traumwelt auf?

Das große Hauptthema ist die Gesichtsblindheit in „Franzi“, Prosopagnosie, die Unfähigkeit Personen anhand ihrer Gesichter zu erkennen, worunter beispielsweise auch Brad Pitt und die Autorin mit ihren Geschwistern leidet. Auch wenn es ein wichtiges und bisher noch recht unbekanntes Phänomen ist, wird mir persönlich am Anfang zu viel auf dem Thema herumgeritten und inhaltlich passiert nicht viel, sodass die Spannung auf sich warten lässt. Ab etwa der Hälfte des Buches nimmt das Ganze dann Fahrt auf. Es passieren Ungereimtheiten, die Caro aber auf ihre Prosopagnosie schiebt, ein Unfall oder Selbstmord passiert auf einer ihrer Lesungen und sie erschlägt ihren Exfreund Till, dann wird sie in der Wohnung ihrer Eltern überfallen, ihr zweites Buch wird gestohlen und ihr Leben bedroht…
Der Unfall in ihrem Keller, indem sie ihren Ex umbringt, wirkt auf mich konstruiert. Dieser taucht nach über sieben Jahren unangemeldet bei ihr auf und durchwühlt ihre Sachen. Warum er auf einmal auftaucht, was er sucht und wie er Zugang zu dem
Kellerabteil bekommen hat, bleibt ungeklärt.
Im Abspann des Buches wird darauf hingewiesen, dass Till ein Narzisst sei und sie ein abschreckendes Beispiel an ihm aufzeigen wolle. Sowohl die anderen Teilnehmer der Leserunde, an der ich teilnehmen durfte, als auch ich, der in dieser Hinsicht leidliche Erfahrungswerte hat, haben Till nicht als solchen erkannt. Ja, er ist ein bindungsscheuer Trottel und emotional nicht ganz so reflektierend, wie man es sich wünscht, aber von einem Narzissten meiner Meinung nach weit ist er weit entfernt.

Was ich persönlich gut finde ist, dass man im letzten Drittel des Buches etwas auf die falsche Fährte geführt wird. Während Franzi von Anfang an etwas seltsam wirkt, wird später der Eindruck erweckt, dass Caro aufgrund von zu viel Fantasie manchmal nicht zwischen dieser und der Realität unterscheiden kann.
Fazit:
„Franzi“ ist ein Buch, das nicht gänzlich überzeugt und manche Schwachstellen aufweist, zugleich aber versucht, Einblicke in zwei wichtige Themen zu geben und auf Hilfeseiten hinweist. Wer sich thematisch für die Themen Narzissmus und Prosopagnosie interessiert, wird hier Einblicke finden.

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Veröffentlicht am 11.05.2020

Irr-witzig, nachdenklich, düster, philosophisch

Die neunte Konfiguration
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Viel mehr als die Inhaltsangabe kann man nicht über den Inhalt verraten, ohne zu spoilern beziehungsweise in weitschweifige Erzählungen auszuarten, die doch jeder Leser anders auffasst. Es ist kein Buch, ...

Viel mehr als die Inhaltsangabe kann man nicht über den Inhalt verraten, ohne zu spoilern beziehungsweise in weitschweifige Erzählungen auszuarten, die doch jeder Leser anders auffasst. Es ist kein Buch, das man gleich versteht, vermutlich auch erst mal gar nicht, denn es ist eine Mischung aus irrwitzigen Dialogen, rasend schnellen Wortgefechten, vielen Insidergags, aber auch einer versteckten Portion Ernst und philosophisch anmutenden Passagen.

Es ist ein faszinierendes Buch, das seinesgleichen sucht. Das Einstiegskapitel ist sehr atmosphärisch, beim Lesen springt die Landschaft förmlich aus dem Buch und zieht den Leser an den Ort des Geschehens.

„Die Dämmerung kam. Die dünnen Strahlen der Herbstsonne versuchten, den Morgen aus seinem finsteren Grab unter den Bäumen zu befreien, und Nebelschwaden stiegen von verrottetem Laub auf wie entschwindende Seelen, schwach und vertrocknet. Ein Fensterladen ächzte im Wind und eine verschreckte Krähe krächzte rau auf einer weit entfernten Wiese. Dann Schweigen. Warten.“ (Pos. 24)

Man kann es lesen, wie die Worte gedruckt wurden. Man kann aber auch verstehen, was sich zwischen den Zeilen verbirgt.
Der Rest des Buches wirkt nicht mehr so atmosphärisch, sondern es wird eher auf die Begebenheiten vor Ort eingegangen. Hierbei wird man mit Figuren, Gedanken und Äußerungen konfrontiert, die einen zum Lachen, zum Verzweifeln, aber fast immer auch sehr zum Nachdenken bringen.
Es ist eines der wenigen Bücher, die man mehrfach lesen kann und sollte. Bei jedem erneuten Lesen versteht man mehr, kann anders interpretieren und seine Gedanken mit dem Buch schweifen lassen. Hochgradig faszinierend! In der Wortwahl aber auch derbe, verzweifelt schreiend und aggressiv, vermischt mit den Sehnsüchten des Lebens und der Angst vor vergangenem, vor dem Jetzt und dem Morgen.

Das Cover an sich ist für mich ein absoluter Hingucker. Auch wenn ich erst mal mit Militär eher wenig etwas anfangen kann, hat mich der Anblick des Buches fasziniert und es mich nicht mehr vergessen lassen. Ich finde, es fängt den Inhalt gut ein – die militärischen Hauptpersonen, den Klinikaufenthalt, aber auch das etwas mystische des ganzen Buches.


Persönliches Fazit:

Ein fesselndes Buch, ein Must Read, ein Buch, das mich erst mal sprachlos zurück gelassen hat, verwirrt und gedankenverloren. Eine Empfehlung an alle, die gerne zwischen den Zeilen lesen und die nicht müde werden, ein Buch mehrfach in die Hand zu nehmen. Denn das sollte man jedenfalls tun:
Den Buchdeckel mehrfach aufschlagen und in die Welt der Irrenanstalt versinken.

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