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Veröffentlicht am 15.09.2016

Werther schreibt

Die Buchspringer
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Bester Freund,

ich habe schon einige Male die Feder zur Hand genommen, ohne dir - wie es mein Gedanke war - gleich zu schreiben.

Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für ...

Bester Freund,

ich habe schon einige Male die Feder zur Hand genommen, ohne dir - wie es mein Gedanke war - gleich zu schreiben.

Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, daß meine Kunst darunter leidet.

Denn in den letzten Tagen ist viel geschehen.

Doch zunächst einmal: Die hehre Gilde der Buchspringer auf der Insel Stormsay, die hier seit Jahrhunderten für den Schutz der Literatur sorgt, hat Zuwachs bekommen. Fräulein Amy aus dem Clan der Lennox. Es ist mir vergönnt gewesen, sie gleich am ersten Tag, an dem sie das Dschungelbuch in der Buchwelt besuchte, kennenzulernen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, sie hat mich vor den drei Hexen aus Macbeth retten müssen.

Aber nicht nur deshalb habe ich sie ein klein wenig in mein Herz geschlossen, (wobei sie natürlich nie meine Lotte wird verdrängen können). Das Fräulein Amy ist so begabt und sieht bezaubernd aus in ihrer grazilen Anmut. Tatsächlich durfte ich ihr schon meinen Arm zum Geleit reichen und sie - echter Kavalier, der ich bin - durch das unwegsame Gelände führen. Ein böser Mensch würde behaupten, dass wir beide gemeinsam unbeholfen über Wurzeln stolperten und uns auf den engen Trampelpfaden gegenseitig auf die Füße traten. Aber ich weiß, du bist keiner dieser verächtlich redenden Personen, die solcherart über eine junge Dame und ihren Begleiter herfallen. Das hat das Fräulein Amy in ihrer Welt zur Genüge erlebt. Ich wünschte, ich könnte diese Personen zu einem Duell auf Pistolen fordern, wenn ich nicht wüsste, dass mein Mut dafür leider nicht ausreicht...

Aber törichte Gedanken darüber erlaube ich mir nicht, weil ich die Buchwelt nicht verlassen werde. Außerdem:

Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße.

Das Fräulein Amy ist so wissbegierig und erinnert sehr an ihre Frau Mama, als diese noch die Buchwelt mit ihrer Anwesenheit beglückte. Die edle, wenn gleichwohl unglückliche Anna Karenina sagte mir erst letztens bei unserer Begegnung in der "Zeile" - du weißt, es ist der Ort, an es uns Buchfiguren gestattet ist, uns mit anderen zu treffen... Also, sie erinnerte sich wehmütig an ihre wunderbare Freundschaft mit Fräulein Alexis, und sie bedauert es heute noch mit Wehmut, dass diese eines Tages fortblieb. Wobei mir Anna Karenina im Vertrauen offenbarte, was der Grund für die Flucht von der Insel der Buchspringer gewesen ist. Als Herr von Anstand habe ich ihr natürlich strengste Geheimhaltung zugesichert.

Schweife ich ab? Sieh es mir nach, lieber Freund. Dabei ist das Leben derzeit so aufregend, dass ich mich gar oft daran erinnern muss, mein eigenes Ende, das ich ja selbst so gewollt habe, nicht zu verpassen.

Ich will, lieber Freund, ich verspreche dir's, ich will mich bessern, will nicht mehr ein bißchen Übel, das uns das Schicksal vorlegt, wiederkäuen, wie ich's immer getan habe; ich will das Gegenwärtige genießen, und das Vergangene soll mir vergangen sein.

Doch es hat sich etwas Schreckliches zugetragen. Sherlock Holmes, dieser überragende Detektiv, ist tot. Das Fräulein Amy fand ihn gemeinsam mit dem jungen Macalister. Was muss das für einen Schock gewesen sein. Master Will, wie Sherlock Holmes ihn nannte, betrachtete sich als besten Freund des Meisterdetektivs und ermöglichte ihm so manchen Gang in die Draußenwelt. Um so bedauerlicher ist, dass Holmes dort zu Tode kam. Wer nur wollte sein Ableben? Er hatte außerhalb seines Buches keine Feinde, war zwar etwas eigen, zugegebenermaßen, aber ein brillanter Kopf.

Damit nicht genug. Unerklärliche Ereignisse erschüttern die Buchwelt. Ein Dieb ist hier unterwegs, und dank meiner, ich darf sagen, nicht unbescheidenen geistigen Fähigkeiten, die selbstverständlich hinter denen vom großen Sherlock Holmes zurückstehen, gelang mir die Erkenntnis, dass dieser gemeine Dieb die Ideen aus verschiedenen Büchern stiehlt, ohne die die Bücher nicht existieren können.

Du verstehst, teurer Freund, dass ich Fräulein Amy sofort meine tatkräftige Unterstützung bei der Lösung dieses Problems angeboten habe. Voller Stolz kann ich dir schreiben, dass sie dieses Offerte dankend angenommen hat. Und so konnte ich als treuer Freund bereits einen schlichten Betrag leisten und erstellte eine Liste der verlorenen Rudimente.

Seit der Zeit bin ich oft draußen.

Ich habe keine Ruhe, mich in meiner Kammer meiner Kunst zu widmen, wenn Geheimnisvolles in der Buchwelt geschieht.

Übrigens befinde ich mich hier gar wohl.

Denn meinem Geschick ist es zu verdanken, dass wir uns einmal der Ergreifung des Dieb so nahe wähnte. Leider gelang dies dann doch nicht. Er entkam uns, was Fräulein Amy und mich sehr betrübt.

Und zudem quält mich - du wirst behaupten unsinnigerweise - der Gedanke, dass auch der junge Herr Will dem Fräulein Amy seine Hilfe zugesichert hat. Ich habe ihre liebevollen, sehnsüchtigen Blicke, die mir äußerst vertraut sind, bemerkt, als sie von ihm sprach. Ich gebe zu, Malalister ist ein formidabler junger Mann. Andererseits wäre ich entzückt, wenn die Bewunderung Fräulein Amys allein meiner Person gelten würde...

Jetzt muss ich eilen, bester Freund. Meine Anwesenheit wird benötigt.

Dir in der Ordnung zu erzählen, wie's zugegangen ist, daß ich eins der liebenswürdigsten Geschöpfe habe kennen lernen, wird schwer halten. Ich bin vergnügt und glücklich, und also kein guter Historienschreiber.

Jedoch ich sichere dir schon jetzt einen einen wohlfeil geschliffenen, bestimmt auch in seinen Wendungen und Ergebnissen überraschenden, gleichwohl stets unterhaltsamen, mit Poesie erfüllten und fantasievollen Bericht über aufwühlende und gefährliche Abenteuer zu, wenn das wundervolle Fräulein Amy und ich das mysteriöse Rätsel gelöst haben. Wünsche uns Glück!

Dein treuer Freund

Werther

P. S. Werther zitiert sich selbst (aus "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang von Goethe).

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Die Hoffnung ist der Anker ihrer Seele."

Das Geheimnis von Stralsund
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Der Dreißigjährige Krieg wütet schon fast zehn Jahre, als er 1627 die Insel Rügen erreicht. Bis dahin hatte sich das Herzogtum Pommern, zu dem Rügen gehört, neutral verhalten. Doch nun fallen die kaiserlichen ...

Der Dreißigjährige Krieg wütet schon fast zehn Jahre, als er 1627 die Insel Rügen erreicht. Bis dahin hatte sich das Herzogtum Pommern, zu dem Rügen gehört, neutral verhalten. Doch nun fallen die kaiserlichen Truppen unter Wallenstein ins Land ein, und damit kommt Leid und Tod über die Menschen. Nach der Besetzung, die zu allem Übel auch noch von der Pest begleitet wird, bleiben allein in Bergen, im Zentrum der Insel gelegen, von 1650 Einwohnern im Jahre 1600 dann im Jahre 1630 nur noch 400 "übrig". Insgesamt schrumpft die Inselbevölkerung auf ein Drittel.

Schon im Prolog ihres Romans "Das Geheimnis von Stralsund" bietet Sabine Weiß davon eine erschütternde Kostprobe. Denn der Leser sieht sich unmittelbar hineingezogen in den Angriff auf das Haus einer Familie auf Rügen. Dort kämpfen Sina, ihre Mutter und Angehörige ihres Haushalts um das nackte Überleben, und alles scheint verloren...

Doch bevor der Leser erfährt, ob dies tatsächlich so ist, führt die Geschichte zunächst in friedliche Zeiten zurück. In denen wächst die junge Sina, von ihren Eltern wegen ihrer blauen Augen liebevoll "Eisvogel" genannt, behütet in einem Dorf auf der Halbinsel Mönchgut auf und hat eine besonders enge Bindung zu ihrer fünfjährigen Schwester Dorthie, die in ihrer erfrischenden Fröhlichkeit, Fantasie und Unbekümmertheit für alle ein "Himmelsgeschenk" ist. Gideon, das Familienoberhaupt, sorgt als Schiffer für das Einkommen der Seinen und zeigt viel Verständnis für Sinas Leidenschaft für Meer und Seefahrt. Die Mutter, Ebba, dagegen wartet bei jeder Reise ihres Mann unter Ängsten und Stimmungsschwankungen darauf, dass ihr Mann heil und gesund zurückkehrt.

Die 17-jährige Sina tauscht erste Küsse mit ihrem Jugendfreund Asmus, wartet vergeblich auf das Herzklopfen und ahnt, dass Asmus ihr zwar als ein Freund nahe steht, wohl aber als Ehemann nicht in Frage kommt, obwohl ihre beiden Familien davon ausgehen.

Dann kommen die kaiserlichen Truppen, und die Situation nach der "Einquartierung" der Soldaten ist bedrohlich. Als diese das Anwesen von Sinas Familie angreifen, muss Sina ihre sterbende Mutter im brennenden Haus zurücklassen und flieht mit der kleinen Schwester in einem winzigen Boot mitten hinein in einen Sturm auf der Ostsee. Nur dem Glück und Leif, Erster Steuermann auf dem Schiff des Trunkenbolds Pit Skaap, ist es zu verdanken, dass die beiden gerettet werden und nach Stralsund gelangen, wo sie sich auf die Suche nach David von Garlstorp begeben, wie es ihnen die Mutter mit ihren letzten Worten aufgetragen hat.

Doch Stralsund erweist sich auf Dauer nicht als sicherer Zufluchtsort. Die Hansestadt wird von den Truppen Wallensteins belagert, und in dieser umkämpften Zeit entscheidet sich nicht nur das Schicksal der dort lebenden Menschen, sondern auch das von Sina...

Mit ihrem Roman greift Sabine Weiß ein historisches Ereignis auf, das in die Annalen der Hansestadt Stralsund einging.

Ende 1627 droht Ungemach in der Gestalt des unter Befehl Wallensteins stehenden kaiserlichen Feldherrns Armin. Dieser will - nachdem der Herzog von Pommern unter Zwang die Einquartierung der kaiserlichen Truppen in seinem Land gebilligt hat, eine Garnison in der Stadt errichten, ohne die dafür erforderlichen Geldmittel aufwenden zu müssen. Da die Stadt dies verständlicherweise ablehnt, Armin die Belagerung ausruft, beschließt der Rat von Stralsund, seine Stadt zu verteidigen und ersucht zu diesem Zweck um Beistand von Dänemark und Schweden. Am 13. Mai 1628 sehen sich 1.000 Söldner und 1.500 Stralsunder 8.000 Mann der kaiserlichen Belagerungsarmee gegenüber und halten den ersten Angriffen stand. Ende Mai treffen die dänischen Schiffe ein. Nicht überall werden sie freudig empfangen. Hunger macht sich unter der Bevölkerung breit. Deshalb fordert eine Bürgerfraktion, dass den Kaiserlichen verhandelt und die Stadt an diese übergeben werden soll. Doch der Rat von Stralsund hält stand. Als Wallenstein einen Monat später Stralsund erreicht, ist die Belagerung immer noch nicht beendet. Erneut lässt er angreifen. Die Verluste auf beiden Seiten sind hoch, ganze Gräben mit Leichen füllen sich. Die Stadt befürchtet, wenn sie der Belagerung nicht mehr standhalten kann, von den kaiserlichen Truppen überrannt zu werden, was Gemetzel und eine kompletten Plünderung zur Folge hat. Deshalb kommt es zu einem Waffenstillstand und zu Friedensverhandlungen, die jedoch beendet werden, als die schwedischen Truppen eintreffen.
Nach mehreren vergeblichen weiteren Angriff scheitert Wallenstein und verlässt mit seinen Truppen Stralsund, die Stätte seiner ersten Niederlage. Die Hansestadt hat zwar erfolgreich Widerstand geleistet, doch bis 1814 bleibt sie unter schwedischer Herrschaft.


Vor diesem historischen Hintergrund, den die Autorin erkennbar intensiv recherchiert hat, entwirft sie in einem einprägsamen und anschaulichen Schreibstil eine dramatische Geschichte, die auf die Insel Rügen und nach Stralsund führt. Es entsteht ein faszinierendes Bild vom Leben der Menschen in Friedens- und Kriegszeiten. Die gelungene und eindrucksvolle Beschreibungen der örtlichen Gegebenheiten auf der Insel und in Stralsund werden unterstützt durch historische Karten, die auch dem ortsunkundigen Leser eine gute Orientierung und damit unter anderem die Begleitung der jungen Rüganerin Sina ermöglichen.

Sina ist klug und zeichnet sich durch einen energischen Willen aus. Sie hat Rückgrat, lässt sich nicht beirren, ihr Schicksal zu bestimmen. Dass sie nach dem schmerzhaften Verlust der Mutter für eine Zeit die Hoffnung verliert, ist realistisch und wird nachvollziehbar dargestellt.

Mit Leif begegnet dem Leser ein sympathischer junger Mann, der etwas im Leben erreichen will, nämlich selbst eines Tages Schiffsherr sein. Er ist durch die harte Schule seines Vaters gegangen und versucht, seine Pflicht gegenüber dem grausamen Trunkenbold Skaap und gegenüber der Mannschaft zu erfüllen. Überdies ist er fähig, den schmalen Grat zwischen Gehorsam und eigener Entscheidung auszuloten.

Zwischen Leif und Sina wird schon früh ein Band geknüpft. Leif hegt erste zärtliche Gefühle für sie, da kennt er noch nicht einmal ihren Namen. Ihre behutsame Annäherung ist angenehm beschrieben. Zudem hat Leif einen klaren Blick, der in die Zukunft gerichtet ist, so dass er auch Sina bewusst macht, nach dem Tod der Mutter und der Unsicherheit bezüglich ihres Vaters nicht länger in der Trauer zu verharren und nach vorne zu schauen.

Bei Unstimmigkeiten zwischen den beiden weitet die Autorin diese nicht über Gebühr aus und lässt ihre Protagonisten immer wieder einen Schritt auf den anderen zugehen und so zueinander finden. Denn sie haben andere Sorgen. Schließlich gilt es gerade für Sina, das Geheimnis zu lüften, für das sie nach Stralsund gekommen ist.

Sabine Weiß hat ihre Protagonisten bis hin zu den Nebenfiguren mit viel Leben erfüllt. Neben Sina und Leif, für die der Leser sofort Wohlwollen empfindet, sind es auch Gideon und Sten, der zu Gideons Schiffskindern (wie die Schiffsmannschaft genannt wird) gehört, die einem ans Herz wachsen und mit denen er mit bangt. Oder Menschen wie die Magd Marthe, die mehrfach von Söldnern missbraucht wird und es danach lange Zeit nicht absehbar ist, ob sie jemals ins Leben zurückfindet.

Andere dagegen erfahren eine differenzierte Zeichnung. David von Garlstorf, zu dem Ebba ihre Tochter geschickt hat und in dessen Hause Sina und ihre Schwester aufgenommen werden. Lange Zeit ist nicht klar, wie er einzuschätzen ist und welche Rolle er einnimmt. Die Geschwister Asmus und Sophie, beides Freunde von Sina, die im Verlauf der Geschichte eine Entwicklung nehmen, die sich in das Gegenteil ihrer anfänglich aufgezeigten Charaktere kehrt. Besonders Sophie weiß zu überraschen, legt sie doch zunächst eine Oberflächlichkeit und Realitätsferne an den Tag, die einen nicht für sie einnehmen. Im Laufe der Handlung lässt sie jedoch - auch auf Grund eigener Erfahrungen - eine gewisse Entwicklung erkennen, die als angenehm betrachtet werden kann.

Einen interessanten Platz in der Geschichte findet Stoffel, der verwaiste Sohn eines Söldners, der sich bei den kaiserlichen Truppen durchschlägt. Er ist vorwitzig und geradeheraus, stets hungrig, aber bei aller Benachteiligung wissbegierig und klug, so dass er schneller lernt als anderen. Das Leben in einer Kriegsarmee hat ihn geprägt, in der es nur um das nackte Dasein geht, und so sieht er zunächst nur seinen Vorteil. Dann aber wächst er über sich hinaus, und zwar als er ein Ziel hat, nämlich in naher Zukunft Schiffsjunge und damit Teil einer Mannschaft zu werden. Damit wird er zu einem kleinen Helden in der Geschichte, weil er mutig das eigene Leben für einen anderen Menschen riskiert.

Daneben nimmt man es als Leser nicht übel, dass es auch einige ausschließlich negativ gehaltene Charaktere gibt. Es breitet sich tatsächlich so etwas wie Erleichterung aus, dass diese wenigen Protagonisten keinerlei positive Eigenschaften erkennen lassen und sie nach Herzen verdammt werden können.

Die Einflechtung historischer Figuren ist wunderbar gestaltet. Neben Albrecht Wenzel von Wallenstein und seinen Feldherrn Hans Georg von Arnim-Boitzenburg hat auch Oberst Robert Monro, ein schottischer Söldner in dänischen Diensten seinen Auftritt. Ihm und seinen Aufzeichnungen Monro, His Expedition With the Worthy Scots Regiment Called Mac-Keys ist es unter anderem zu verdanken, dass die Autorin ein authentisches Bild von Stralsunds Belagerung wiedergeben kann.

Alles in allem offeriert Sabine Weiß dem Leser einen aufregenden Ausflug in den pommerschen Norden während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und beschert ihm damit ein unterhaltsames Leseabenteuer.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Reise in ein neues Leben

Insel der blauen Gletscher
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Auf den ersten Blick vereint die beiden Protagonistinnen des dritten Romans „Insel der blauen Gletscher“ von Christine Kabus wenig. So sehr unterscheiden sie sich in Alter, Herkunft, Lebenszeit und -weise. ...

Auf den ersten Blick vereint die beiden Protagonistinnen des dritten Romans „Insel der blauen Gletscher“ von Christine Kabus wenig. So sehr unterscheiden sie sich in Alter, Herkunft, Lebenszeit und -weise. Und doch ist ihnen eines gemeinsam: Sie verlassen ihre gewohnte Umgebung und suchen ihren eigenen Weg für ein erfülltes Dasein.

Elberfeld im Rheinland, Mai 1907. Emilie, die behütete Tochter des Fabrikanten Gustav Berghoff, feiert gerade ihren 21. Geburtstag und sieht sich den typischen Zwängen ihrer Zeit ausgesetzt: Nicht nur dass sie sich tatsächlich in ein Korsett pressen muss, sich während der Schulzeit lediglich mit Handarbeiten, Auswendiglernen und Abschreibeübungen in Schönschrift beschäftigen durfte. „Wir werden hier nicht über Gebühr mit Wissen belastet. Das hat immerhin den Vorteil, dass wir unseren solcherart geschonten Verstand nachher noch haben werden.“ (Seite 442), schlussfolgert eine Mitschülerin treffend. Sondern es ist auch für Emilie trotz ihrer Intelligenz und ihres vorhandenen Talents nicht vorgesehen, dass sie eine Ausbildung macht. Stattdessen besteht nach Anschauung ihres Vaters das Ziel darin, sie gut zu verheiraten. Damit folgt er dem klassischen Modell, wonach eine Frau versorgt werden sollte. Beklemmende Aussichten für eine Frau von Emilies Format...

Doch dann bietet sich ihr eines Tages die Gelegenheit, zumindest für eine Zeit aus ihrer gewohnten Tristesse auszubrechen. Weil Emilies hochsensibler, schöngeistiger, aber gleichwohl lebensuntüchtiger Bruder Max, Student der Biologie, auf Grund seiner ihn beherrschenden Versagensängste nicht in der Lage ist, an einer Expedition nach Spitzbergen teilzunehmen, tritt sie an seine Stelle. Verkleidet als fescher junger Mann, wobei ihre burschenhafte Figur, die buschigen Augenbrauen und ihr tiefer Stimmentimbre sich als Vorteil erweisen, beginnt sie das Abenteuer ihres Lebens.

Sulzbach-Rosenberg in der Oberpfalz, Juli 2013. Hanna hat gerade ihren Sohn Lukas zum Flughafen gebracht und sich für ein Jahr, das er als Helfer in einem bolivianischen Waisenhaus verbringen will, von ihm verabschiedet. Bei der Rückkehr nach Hause überrascht sie ein Brief ihres Mannes Thorsten, in dem er ihr offenbart, dass er sie verlässt, um nicht länger unzufrieden sein Leben aufzuschieben, sondern entgegen seinem sonstigen Bedürfnis nach Sicherheit und Beständigkeit neue Wege gehen will.

Nach dem ersten – verständlichen Schock – rafft sich Hanna – auch auf Grund des aufmunternden Zuspruchs ihres guten Freundes Heiko auf und lässt ihr bisheriges Dasein hinter sich, um zu ihren beruflichen Ursprüngen zurückzukehren. Einst hatte sie für ihre Familie ihren erfolgreichen Job als Reisejournalistin an den Nagel gehängt. Jetzt bietet sich ihr die Gelegenheit, für ihre alte Redaktion nach Spitzbergen zu fliegen.

Christine Kabus ist eine ausgezeichnete Erzählerin. Die sich abwechselnden Geschichten der beiden Frauen sind detailliert und mit viel Hintergrundwissen gefüllt. Umfangreiche Informationen geschichtlicher, örtlicher, baulicher oder technischer Natur fügen sich gekonnt in den Text ein und sind für den Leser wissenserweiternd. Bis zur Zusammenführung der beiden Handlungen gibt es berührende, spannungsreiche, geheimnisvolle und nachdenkliche Momente zu entdecken. Da der Humor das eine oder andere Mal ebenfalls nicht zu kurz kommt, ist das Lesen insgesamt ein Vergnügen.

Wie schon in den Vorgängerromanen der Autorin, spielt bei Norwegen eine Hauptrolle. Insbesondere steht Spitzbergen im Fokus der Geschichten von Emilie und Hanna. Zwei Landkarten lassen hierbei eine gute Orientierung zu.

Spitzbergen ist mit einer Fläche von fast 38.000 km² die größte Insel der gleichnamigen Inselgruppe im Arktischen Ozean und als einzige bewohnt. 2.500 Menschen halten es hier im arktischen Klima aufgeteilt auf fünf Dörfer aus. Zu ihnen gesellen sich 3.000 Eisbären, 10.000 Spitzbergen-Rentiere, ein paar Tausend Walrosse, Robben und Polarfüchse. Die Küsten Spitzbergens sind stark gegliedert und bilden zahlreiche Fjorde, die im westlichen Teil wegen des Golfstroms im Winter oft nicht zufrieren. Der größte und zugleich bekannteste Fjord ist der Isfjord, der weit ins Zentrum der Insel reicht und mit geschützten Lagen die günstigsten Bedingungen für menschliche Besiedlung bietet.
Spitzbergen liegt nördlich der Permafrostgrenze. Das bedeutet, dass der Boden an den Küsten ständig zehn bis vierzig Meter, im Hochland des Inselinneren sogar mehrere hundert Meter tief gefroren ist. Daher sind Geburten und Sterbefälle auf Spitzbergen nicht erlaubt. Eigentlich. Ab und an geschieht es trotzdem. Und im Hinblick auf das Ableben ist das eine heikle Sache: Wegen des Permafrostes kann niemand beerdigt werden, die Leichen werden konserviert...


Beeindruckend sind die Schilderungen der majestätischen und bezaubernden Landschaft. So kann der Leser mit Emilie den erhabenen Anblick erleben, mit dem Schiff durch grünblaues Wasser auf die auf den Gipfeln mit Schnee bedeckten Berge und blauen Gletscher zuzugleiten.

Über die Hälfte der Landfläche von Spitzbergen ist von Gletschern in vielerlei Gestalt bedeckt - manche sehen aus wie gewaltige Tafeln, andere wiederum ähneln bizarren Berglandschaften. Sie sind zwar ständig in Bewegung, dies aber auf Grund der niedrigen Temperaturen und geringen Niederschläge nur sehr langsam. Lediglich in den feuchteren Küstengebieten verändern die Gletscher ihre Lage um zehn bis dreißig Meter pro Jahr. In der Regel sind die Kolosse strahlend weiß. Manchmal gibt es jedoch auch blaue Eisberge. Ihre Farbe beruht ganz simpel auf Physik, nämlich den optischen Eigenschaften des Eises. Tiefblau schimmert ein Eisberg nur, wenn er sehr wenige Luftbläschen enthält.

Oder er lässt mit Hanna gern den "Blick über den Fjord zum gegenüberliegenden Ufer schweifen, in dessen schwarzen Felsen hunderte Seevögel" (Seite 316) nisten, in deren Rufe sich das leise Rauschen des Windes mischt, wo blaue von einem Gletscher abgebrochene Eisstücke über das Wasser und an den Strand treiben. Wenn sie wie Diamanten zwischen bunten Steinen glitzern, mag man nur an die traumhafte Kulisse und die friedliche Atmosphäre denken und nicht daran, dass der Mensch selbst die größte Bedrohung für das alles ist. Es ist wunderbar, wie die Autorin das beschreibt. Dadurch entstehen lebhafte Bilder, gemalte Momente: "Der Himmel wölbte sich tiefblau über ihnen, die Sonne stand über den Hügeln und ließ das rötliche Gestein leuchten. Vom gegenüberliegenden Steilufer trug eine sanfte Brise die Rufe der Vogelkolonie herüber." (Seite 334)

Dazu passt das wunderschöne Cover mit dem hellen Licht der aufsteigenden Sonne über den blauen Gletschern hervorragend.

Christine Kabus hat ihre Figuren, allen voran Emilie und Hanna mit viel Feingefühl entwickelt.

Emilie ist warmherzig und mutig. Die Abenteuerlust lockt sie. Sie verfügt über einen messerscharfen Verstand. So schnell haut sie nichts um. Keine stürmische Fahrt übers Meer, schießwütige Kerle, die Aussicht, vielleicht riesigen Eisbären zu begegnen.

Sie möchte selbst ihren Weg suchen und nicht ausnahms- und meinungslos tun, was von ihr erwartet wird, sich nicht all den Regeln, Vorschriften und Zwängen ohne Aussicht auf persönliches Glück unterwerfen. Im Verlaufe der Reise entwickelt sie sich, verinnerlicht die Rolle ihres Bruders mehr und mehr, auch wenn es zwischendurch ein paar Momente gibt, in denen sie alten Gewohnheiten folgt. Tatsächlich stellt sie fest, dass es nicht leicht ist, Verhaltensmuster, die einen jahrelang geprägt haben, durch neue zu ersetzen, in erster Linie, wenn es unbekannte männliche Gebaren sind. Aber Emilie kommt immer besser zurecht und schätzt die damit verbundenen Freiheiten. Unter anderem, nicht mehr das abhängige und fremdbestimmte sich Leben einer Frau zu führen, die Möglichkeit zu haben, einen anderes Stück der Welt kennen zu lernen. Sie macht die Erfahrung, Teil einer Gruppe zu sein, die Hand in Hand miteinander arbeitet und gemeinsam den Gefahren die Stirn bietet, dass dies ein befriedigendes Gefühl ist. Gebraucht zu werden. Ein sinnvolle Tätigkeit auszuüben.

Hanna dagegen scheint mit 45 Jahren schon auf Grund ihrer Lebenserfahrung gefestigter. Doch der Eindruck täuscht. Denn auch Hanna hat ihr Päckchen zu tragen. Sie ist eine Frau mit einem großem Einfühlungsvermögen. Allerdings drängt sie ihre eigenen Gefühle zurück, sobald jemand, der ihr nahesteht, emotional ihre Unterstützung benötigt.

Am Beginn ihrer Reise steht sie vor den Trümmern ihrer Ehe. Weil sie viel zu lange nicht wahrhaben wollte, dass sie und Thorsten schon seit Jahren nebeneinander her leben und sie aus Bequemlichkeit oder auch aus Furcht vor den Konsequenzen ihre Unzufriedenheit verdrängt und meine Wünsche und Vorstellungen von einem erfüllten Leben unterdrückt hat. Doch schlussendlich bietet sich ihr nun eine Chance, an der Reihe zu sein. Sie muss kein schlechtes Gewissen mehr haben und Rücksicht nehmen, kann das tun, was sie möchte.

Neben Emilie und Hanna hat die Autorin den Nebenfiguren viel Raum und Charakter gegeben.

Da ist zum Beispiel Kare, gutaussehender Einzelgänger, der bislang nirgendwo Wurzeln geschlagen hat und feste Bindungen einging, gleichwohl jedoch einfühlsam, umgänglich, bescheiden ist, bleibt in Erinnerung als einer der seltenen Menschen, die lieber zuhören, weder fordernd noch besitzergreifend sind, sondern aufmerksam und zugewandt. Es macht Spaß zu lesen, dass er an Hannas Seite wie ausgetauscht wirkt. Sie tut ihm sichtlich gut. Und das beruht auf Gegenseitigkeit.

Emilies Tante Fanny, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, das sie keinesfalls streng und steif sieht, schließt der Leser ins Herz, weil sie ihre Nichte in ihrem Bestreben auf Selbstbestimmung unterstützt.

In der Gegenwart des sympathischen Engländers William fühlt sich jeder unbeschwert. Nicht nur Emilie. Er hat Humor und interessiert sich aufrichtig für andere Menschen.

Dann sei noch Arne erwähnt, die „Inkarnation eines Wikingerhäuptlings", dem wenige Worte ausreichen und der nicht so zugänglich, sondern eher ungehobelt und mürrisch erscheint.

Natürlich bekommen außer den vorgenannten weitere interessante, freundliche oder gar unleidliche Protagonisten ihren Auftritt. Sie alle beleben den Roman, und wer ihnen, vor allem aber Emilie und Hanna und der großartigen Natur Spitzbergens begegnen möchte, dem sei die Lektüre des Romans an Herz gelegt.

Diese Reise lohnt sich auf jeden Fall!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Lieben und geliebt werden

Friederike. Prinzessin der Herzen
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"Das Einzige, was ich suche, ist das Glück. Ich ersehne mir nur, zu lieben und geliebt zu werden."

Berlin, 26. Dezember 1793. Zwei Tage nach der Hochzeit ihrer älteren Schwester Luise mit dem Kronprinzen ...

"Das Einzige, was ich suche, ist das Glück. Ich ersehne mir nur, zu lieben und geliebt zu werden."

Berlin, 26. Dezember 1793. Zwei Tage nach der Hochzeit ihrer älteren Schwester Luise mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen heiratet Friederike Luise Karoline Sophie Charlotte Alexandrine von Mecklenburg-Strelitz den zweiten Sohn des Preußischen Königs, Friedrich Ludwig Karl von Preußen.

Während Luise und Friedrich Wilhelm eine Liebesheirat verbindet, gestaltet sich zu Friederikes Enttäuschung ihre Ehe nicht wie erhofft als freudig und traumhaft. Ludwig ist zwar ein schöner Mann, aber leider kein guter. Schon kurz nach der Hochzeit triff Friederike die Erkenntnis, einen Rohling geheiratet zu haben, hart. Ihre Schwester Luise, mit der sie eine innige Zuneigung verbindet, hat dagegen so ausgiebig mit sich selbst und ihrer neuen Rolle als Kronprinzessin zu tun, dass sie Friederike darüber vergisst. Als sie der lieblosen Ehe enttäuscht entfliehen will, stellen sich nicht nur der König, sondern auch ihre Großmutter, bei der sie und Luise aufgewachsen sind, und zudem selbst ihre Schwester dagegen. Und Friederike muss begreifen, dass weder Luise ihrem neuen Leben und der Aussicht, Königin zu werden, durch Friederike Schaden zufügen lässt, noch dass ihre Großmutter auf den Triumph verzichtet, ihre Enkelinnen mit zwei so großartigen Partien versorgt zu haben.

In der Folge arrangiert sich Friederike und stürzt sich in den Trubel von Berlin. In Salons zeigt sie, dass sie äußerst belesen ist und überrascht viele mit ihrer Klugheit, steht im Mittelpunkt der Gesellschaft.

Nach der Geburt des ersten Sohnes erkennt Ludwig, wie schändlich er sich Friederike gegenüber verhalten hat. Tatsächlich tritt eine Änderung in seinem Verhalten und damit so etwas wie ein harmonisches Eheleben ein. Innerhalb von drei Jahren folgen zwei weitere Kinder.

Als Ludwig stirbt, ist dies vor allem für Friederike, die gerade ihren Frieden gefunden hat, ein herber Verlust. Mit gerade einmal 18 Jahren und drei Kindern ist sie Witwe.

Zwei Männer buhlen um ihr Herz: Prinz Louis Ferdinand, Onkel ihres verstorbenen Mannes, und Friedrich Wilhelm zu Solms-Braunfels. Als Friederike in unehrenhafte Umstände gerät, beweist sich Solms, Friederikes erste Liebe, als Retter in der Not und heiratet Friederike. Gegen den Willen des Königs, weswegen beide aus Berlin verbannt werden. In Ansbach folgt ein Zeit familiären Glücks, bescheiden zwar, aber glücklich. Doch noch hält das Schicksal einiges für Friederike bereit...

Nach ihrem bemerkenswerten Debütroman „Luise. Königin aus Liebe“ nimmt sich Bettina Hennig nunmehr dem Leben der jüngeren Schwester der preußischen Königin an, die in Anbetracht ihrer wechselhaften Geschichte wohl die interessantere der beiden Schwestern ist: "Friederike. Prinzessin der Herzen".

In einem unaufgeregten, jedoch deswegen keineswegs langweiligen Schreibstil schildert die Autorin das anschauliche und zum Teil auffällige Leben der Schwester der preußischen Königin. Dabei bekommt der Leser ein Gefühl für die Zeit des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, denn es ist zu spüren, dass Bettina Hennig das Leben der Prinzessin hervorragend recherchiert hat. Sie schreibt eindrucksvoll und spickt ihre Sätze mit historischen Sätzen und Redewendungen, die zudem Witz und Esprit enthalten. Kleine Anekdoten fügen sich harmonisch in das Geschehen ein.

Manchmal erzählt sie sehr ausführlich und detailliert, so dass sich Wiederholungen, auch inhaltlicher Natur einschleichen. Das ist angesichts des Könnens der Autorin, eine wertungsfreie Geschichte zu erzählen, in der die Menschen mit Stärken und Schwächen gleichermaßen wandeln, aber entschuldbar.

Besonderes Augenmerk hat Bettina auf die Figurenzeichnung gelegt. An dieser Stelle zeigt sich ihre Stärke. Angesichts der Fülle der handelnden Personen ist es eine bewundernswerte Leistung, dass die Autorin den Überblick behält und damit dem Leser ebenfalls die Freude beim Kennenlernen ermöglicht. Hierbei überlässt sie es ganz dem Leser, Sympathie oder Antipathie für die Protagonisten zu empfinden.

Allerdings ist es von Anfang an ein Leichtes, Friederike ins Herz zu schließen.

Friederike. Eine verführerische Schönheit mit großen Augen und auffällig langen Wimpern, vollen Lippen, runden hohen Wangen, reiner und frischer Haut, lockigen Haaren, einem unregelmäßig, doch lebhaften Gesichtsausdruck, die mit ihrem scheuen Blick eine Aura von Unschuld vermittelt, wohingegen ihre ausgeprägte Silhouette das Gegenteil andeutet. Feine, etwas lange Gliedmaßen und ein verspielter Gesichtsausdruck geben ihr das Aussehen einer Katze, die noch nicht ganz ausgewachsen ist.

Tatsächlich stellt die fünfzehnjährige und damit sehr junge Friederike wenig Ansprüche an das zukünftige Leben: Mit einem kleinen und bescheidenen Dasein fernab großer Metropolen wäre sie zufrieden gewesen, solange sie einen Mann bekäme, den sie lieben und von dem sie geliebt würde. Von diesem Traum nimmt sie Abschied, als sie gemeinsam mit ihrer Schwester Luise in die preußische Königsfamilie einheiratet.

Denn im Gegensatz zu Friederike ist Luise ehrgeiziger. Attraktiv, anmutig und charmant wird sie als Kronprinzessin und später als preußische Königin die ihr zugedachte Rolle niemals infrage stellen, das innere Empfinden der öffentlichen Person konsequent unterordnen und im Dienste der preußischen Monarchie eine perfekte Mischung zwischen Pomp und Volksnähe finden und zu deren Ansehen in beachtenswerter Weise beitragen. Doch auch sie kennt Gefühle wie Eifersucht. Steht sie nicht im Mittelpunkt, macht ihr das sehr zu schaffen.

Die Verbindung zwischen den Schwestern ist nicht immer eitel Sonnenschein, vielmehr ein Auf und Ab. Doch eine ohne die andere zu betrachten, ist ein schlechtes Unterfangen. Hier ist der Autorin eine großartig Mischung gelungen.

Wie schon beim ersten Roman der Autorin punktet das schlichte Cover mit einem ansprechenden und einladenden Bild der jungen Friederike auf einfarbigem, elegantem (preußisch) blauen Hintergrund.

Im Gesamtpaket legt Bettina Hennig einen unterhaltsamen Roman über Friederike vor, der nicht nur gut geschrieben ist, sondern auch außerordentliche Sachkunde beweist.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Tuchvilla

Die Tuchvilla
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Herbst 1913. Es ist das letzte Jahr vor dem Ersten Weltkrieg, der "Urkatastrophe Europas". Während auf dem Balkan zwei Kriege um das Erbe des zerfallenden Osmanischen Reiches toben, die erahnen lassen, ...

Herbst 1913. Es ist das letzte Jahr vor dem Ersten Weltkrieg, der "Urkatastrophe Europas". Während auf dem Balkan zwei Kriege um das Erbe des zerfallenden Osmanischen Reiches toben, die erahnen lassen, welche Schrecken eine Auseinandersetzung mit Waffengewalt birgt, verbringt das übrige (westliche) Europa eine vermeintlich unbeschwerte Zeit in stabiler Ordnung. Hier herrscht seit vierzig Jahren Frieden, der einen technischen Fortschritt, die Hochindustrialisierung (auch als Zweite industrielle Revolution bezeichnet) ermöglicht, der die Nationen wirtschaftlich miteinander verflechtet. Gleichzeitig konkurrieren die europäischen Großmächte um Kolonien und Weltgeltung, instrumentalisieren die Konfliktparteien auf dem Balkan für ihre jeweiligen Interessen und rüsten ihre Flotten und Armeen auf - natürlich nur für den Verteidigungsfall. Das deutsche Kaiserreich erlebt wirtschaftliche Erfolge und baut vor allem gegenüber Großbritannien als einstigem Industriepionier seine Position aus und steht im Vergleich der Industrieländer an zweiter Stelle.

Von diesem Aufschwung hat auch Johann Melzer profitiert und es als Sohn eines Lehrers im Laufe der Jahre nicht nur zu einer florierenden Tuchfabrik in der Textilstadt Augsburg, sondern zudem zu einer adligen Ehefrau, drei präsentablen Nachkommen und einer mondänen Villa samt Dienstpersonal gebracht.

Hier tritt im Herbst 1913 Marie ihre Arbeit als Küchenmädchen an. Bislang hat ihr das Schicksal übel mitgespielt, für das arme, bemitleidenswerte Waisenmädchen ist der Dienst in der Tuchvilla die letzte Chance. In der Hierarchie der Dienstboten nimmt sie die unterste Stufe ein und wird dementsprechend behandelt.

Doch die jüngste Tochter des Hauses Katharina hat einen Narren an der gleichaltrigen Marie gefressen und bietet ihr die Freundschaft an, die Marie verwundert, aber dankbar annimmt. In relativ kurzer Zeit steigt sie zur Kammerzofe auf.

Noch eine weitere Person des Melzerschen Haushaltes schenkt ihr Zuneigung: Paul. Und obwohl Marie die Gefühle erwidert, weiß sie dennoch, dass sie als Paar keine Zukunft haben. Denn wenn eine Bedienstete sich in den jungen Herrn verliebt, kann daraus nur Unglück erwachsen.

Bald stellt sich heraus, dass Maries Herkunft nicht so unklar und rätselhaft ist, wie man es ihr im Waisenhaus darstellte. Darüber hinaus scheint ihr neuer Arbeitgeber, Johann Melzer, mehr darüber zu wissen, als er preiszugeben bereit ist. Deshalb lässt sich Marie auch von ihm nicht abbringen, Nachforschungen anzustellen, um das Geheimnis zu lüften, während in der Zwischenzeit Katharina mit einem Franzosen davonläuft...

In ihrem Roman "Die Tuchvilla" erzählt Anne Jakobs eine Familien- und Liebesgeschichte, ohne konkret Bezug auf die historischen Gesichtspunkte der Vorkriegsjahre zu nehmen. Im Grunde stellt sie ein Stück heile Welt dar, in der sich das Leben einer Familie gestaltet, die es zu Ansehen und Vermögen gebracht hat. Denn tatsächlich ist es vermutlich für Familie Melzer nicht von großer Bedeutung, was außerhalb ihres Kosmos' geschieht. Leider führt die geringe oder fehlende Einbeziehung geschichtlicher Gegebenheiten dazu, dass die Handlung zeitlich austauschbar ist. Sie hätte so zu jeder anderen Epoche an jedem anderen Ort spielen können.

Ansätze sind durchaus vorhanden. Beispielsweise erhält der Leser eine Beschreibung des Arbeitsgeschehens in der Fabrik, in dem Funktionsweise von Maschinen usw. dargestellt werden. Und Unfälle und Arbeitskampf werden ebenfalls thematisiert. Hingegen wird das hierin liegende Konfliktpotenzial bedauerlicherweise nicht ausgeschöpft. Letzten Endes löst sich alles in Wohlgefallen auf.

Der Schreibstil der Autorin stellt keine große Anforderungen. Er ist einfach und solide. Einigen sehr ausführlichen Schilderungen hätte eine Straffung gut getan. Außerdem ist das Geheimnis um Maries Herkunft recht früh zu erkennen, so dass der Leser der Lösung nicht wirklich entgegenfiebert. Insgesamt fehlt es an aufregenden Momenten, die wahrlich berühren und Herzklopfen bescheren.

In der Figurenzeichnung gibt es gute Ansätze, allerdings auch Klischees.

Marie ist ein Mensch, den der Leser sofort ins Herz schließen kann. Weil sie trotz des Übels, das ihr widerfahren ist, immer Haltung bewahrt, nicht herumjammert, sich nicht einschüchtern lässt und klein beigibt. Sie beobachtet ihre Umgebung und die Menschen intensiv und versucht, eine Wertung vorzunehmen. Sie lässt sich als Mensch nicht erniedrigen, schafft es, ihre Würde zu bewahren und sei es nur im Kampf um die Beibehaltung ihres Vornamens.

Zudem beweist sie außerordentliches Talent beim Zeichnen und ist äußerst geschickt mit der Nadel, was alle Damen der Tuchvilla für sich zu nutzen wissen.

Doch bei allen positiven Eigenschaften hätte es zu Marie mit den wunderschönen Augen, in denen ihre Seele liegt und so viel Trauer und Sehnsucht, so viel Hunger nach Glück, so viel Müdigkeit und so viel Kraft gepasst, auch die eine Ecke oder Kante zu bekommen, um sie von der armen, standhaften und untadeligen Waise zu einer interessanten Figur zu formen, so dass sie eben nicht fehlerlos gewesen wäre.

Bei Paul Melzer ist eine Entwicklung zu erkennen. Zunächst kann er es seinem Vater nicht recht machen. Wiederum bewahrheitet sich im Verlauf der Handlung, dass Paul durchaus Fähigkeiten besitzt, die ihm sein Vater bislang überhaupt nicht zugetraut hat.

Daneben wirken die Schwestern Melzer sehr stereotyp: Elisabeth, unscheinbar und pummelig ist zwar äußerst intelligent, gleichwohl aber intrigant, neidisch und gehässig. Ständig fühlt sie sich im Vergleich zur jüngeren, hübschen, weltfremden Katharina abgewertet. Der durchschimmernden Unsicherheit mehr Raum zu geben, wäre eine Abwechslung gewesen. Oder möglicherweise die Einbeziehung der Tatsache, dass sich gerade in dieser Zeit das Frauenbild verändert. So bleibt es dabei, dass Elisabeth der Euphorie und verklärten Schwärmerei ihrer Schwester nichts entgegenzusetzen hat. Selbst dann nicht, als Katharina diejenige ist, die sorglos und ohne Rücksicht auf andere Menschen handelt, kann sie nicht punkten.

Insgesamt unterhält der Roman, ohne große Anforderungen zu stellen, und wartet zu guter Letzt mit einem zuckrigen Happy End auf. Es bleibt zu wünschen, dass die Autorin diesen Pfad im zu erwartenden Folgeband verlässt und Dramatik in die Geschichte bringt.