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Veröffentlicht am 24.02.2020

Nur wer loslässt, hat das Herz frei

Nur wer loslässt, hat das Herz frei
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Gina Zoberski versucht zwei Jahre nach dem Tod ihres geliebten Ehemannes Drew ihr Leben zu meistern. Jeden Tag erstellt sie umfangreiche To-Do-Listen und bereitet in ihrem Food Truck, den Drew kaufte und ...

Gina Zoberski versucht zwei Jahre nach dem Tod ihres geliebten Ehemannes Drew ihr Leben zu meistern. Jeden Tag erstellt sie umfangreiche To-Do-Listen und bereitet in ihrem Food Truck, den Drew kaufte und reparierte, köstliche Sandwiches zu. Beschäftigt zu sein, lenkt sie von der Vergangenheit, der Gegenwart und auch der – für sie doch besorgniserregenden – Zukunft ab. Denn Ginas Tochter May leidet ebenfalls noch immer unter dem Verlust des Vaters, zu dem sie eine besondere Bindung hatte. Das Verhältnis zu Gina indes ist äußerst angespannt.

Genau so betrachtet Gina dasjenige zu ihrer eigenen Mutter Lorraine. Ständig hat diese etwas an der Tochter auszusetzen, und auch mit der Wahl ihres Ehemannes war sie einst nicht einverstanden, weil sie deren Meinung nach unter ihrem Stand heiratete.

Nachdem Lorraine wegen eines schweren Schlaganfalls ins Krankenhaus kommt, weckt dies nicht nur Erinnerungen an Drews Tod. Als Gina und ihre Schwester Victoria die Angelegenheiten regeln, fällt Gina eine zweite Ausfertigung ihrer Geburtsurkunde in die Hände, auf der ein völlig unbekannter Name steht. Bald sind die Schwestern einem alten Familiengeheimnis auf der Spur, das sie – da ihre Mutter nicht mit ihnen kommunizieren kann – zu ergründen versuchen...


Amy E. Reichert gelingt mit „ Nur wer loslässt, hat das Herz frei“ das Kunststück, eine empfindsame und berührende Geschichte zu erzählen, in der traurige Momente mit hoffnungs- und humorvollen gepaart werden. Zentrales Thema sind Mutter-Tochter-Beziehungen: einmal von Lorraine und Gina, deren Schicksale sich ähneln und doch jeweils andere Entwicklungen nehmen. Hier ermöglichen es Rückblenden, an der Vergangenheit teilzuhaben.

Gina weiß nicht wirklich etwas über ihre Mutter. Jene komplizierte Person, deren Großteil des Daseins um den schönen Schein drehte, ist ihr stets ein Rätsel geblieben, obwohl sie immer den Eindruck hatte, dass Lorraine nicht glücklich ist. Erst jetzt bietet sich die Gelegenheit, hinter die Fassade zu schauen.

Und dort befindet sich eine junge Frau, die innig geliebt hat. Eine, die nach dem Tod des Ehemannes eine Entscheidung treffen muss, wie sie sich und die Kinder versorgen kann. Sie hat keine Ausbildung und keine Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen. Es stellt sich als ein schwieriges Unterfangen dar, das ohne Unterstützung zu schaffen. Hinzu kommt Angst, allein zu sein. So entscheidet sie sich für die finanzielle und gesellschaftliche Sicherheit und spielt allen eine perfekte Familie vor.

In der Gegenwart rücken Gina und May in ihrer angespannten Situation in den Mittelpunkt. In intensiver Art und Weise widmet sich Amy E. Reichert der vierzehnjährigen May, die in einem Strudel aus Trauer und dem ersten Auftauchen von Gefühlen zu ihrem Mitschüler Connor gefangen ist. May wütet. Es ist vor allem die Sprachlosigkeit, mit der ihre Mutter dem Tod des Vaters begegnet, die May zu schaffen macht. Die beiden reden nicht über den von ihnen schmerzlich vermissten Menschen. Drew ist für seine Familie stets da gewesen und hat ihr Halt gegeben. Ohne ihn stolpern sie durch den Tag, schlagen wild um sich, treffen einander gelegentlich. Sie haben nicht mit dem Verlust abgeschlossen. May isoliert sich und sehnt sich gleichzeitig danach, sich gemeinsam mit der Mutter an Drew zu erinnern. Gina sieht zwar in der Regel das Positive und versucht mit viel Optimismus und dem Erstellen ihrer Listen, von ihrer Unsicherheit abzulenken, ob sie ein neues Kapitel ihres Lebens beginnen soll. Allerdings die Worte zu finden, auf ihre Tochter zuzugehen, fällt ihr schwer.

Amy E. Reichert erzählt mit viel Feinsinn und Sensibilität. Vielleicht schrammt sie ein, zweimal nahe an kitschigen Situationen vorbei, aber einerlei, das tut sie mit so viel Liebe, das einem das eigene Herz auf besondere Weise anrührt und darum verziehen werden kann.

Außerdem greift sie auf weitere Stützen des Romans zurück: Roza, die warmherzige polnische Nachbarin, auf die sich alle verlassen können, und Ginas Schwester Victoria „Vicky“, die mit ihrem unbeschwerten willensstarken Wesen punktet und zur Stelle ist, obwohl auch sie nicht frei von Problemen ist. Das ausgeglichene Verhältnis der Schwestern trägt viel zum Gelingen der Geschichte bei.

"Nur wer loslässt, hat das Herz frei" ist eine emotionale Lektüre über Familienbande, Verlust, Loslassen, Vergeben und Neuanfang, die einen trotz aller Trauer mit einem guten Gefühl und Zuversicht entlässt.

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Veröffentlicht am 04.02.2020

Arthur und der schreckliche Scheuch

Arthur und der schreckliche Scheuch
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Während ihre Eltern campen, verbringen die elfjährigen Zwillinge Rose und Arthur Trout jeden Sommer eine Woche bei ihrem Opa. Sie bauen Höhlen, baden im Meer, essen dreimal am Tag Cornflakes und tun alles, ...

Während ihre Eltern campen, verbringen die elfjährigen Zwillinge Rose und Arthur Trout jeden Sommer eine Woche bei ihrem Opa. Sie bauen Höhlen, baden im Meer, essen dreimal am Tag Cornflakes und tun alles, was ihnen Spaß macht. Alles könnte also wie immer sein. Doch seit Rose ihr Handy hat, ist sie nicht mehr witzig und albern, sondern langweilig. Während sie sich mit YouTube, Make-up und ihren Freundinnen beschäftigt, interessiert Arthur sich noch für die Helden seiner Kindheit: Star Wars und Drachen. Aber ohne Rose ist er einsam. Da hilft ihm auch seine übermäßig blühende Fantasie nicht.

Eines Tages verkündet der Großvater eine Überraschung: Arthur und Rose könnten sich den Dachboden zu ihrem eigenen Reich gestalten. Der einzige Haken ist, dass sie ihn „ausmisten“ müssten. Hier sind sich die Geschwister einig. Kurz vor Beginn des Schuljahres an einer neuen Schule haben sie keine Lust auf solche Aufräumaktionen.

Als sie sich trotzdem durch jahrelang angehäuften Kram und Müll wühlen, entdecken sie neben Relikten aus ihrer Kindheit wie dem Schaukelpferd Prosecco auch eine Landkarte, über das einzelne Wort ARRO prangt. Und nach und nach kehrt Arthurs Erinnerung zurück: Arro ist jene Welt mit Magiern, Meerjungfrauen und Abenteuern, die sich Rose und Arthur vor vier Jahren geschaffen haben. Und der Eingang ist ein altes Klappbett.

Rose kann sich für die albernen Kinderspiele nicht mehr begeistern und weigert sich, daran überhaupt nur zu glauben oder gar einen Gedanken zu verschwenden.

Dann passiert schier Unmögliches: Der Großvater verschwindet. Kreuch, der schreckliche Vogelscheuchenmann hat ihn verschleppt.

Rose hält das für einen Witz, so dass Arthur gezwungen ist, sich allein auf die Suche nach dem Großvater zu machen, vor allem weil dieser unbedingt sein Asthmaspray benötigt. Wenn das nicht schon schlimm genug wäre, droht auch noch die Welt von Arro zu zerfallen. Arthur wird es auch mit seinem Minja-Freund Min zusammen nicht schaffen, seinen Opa zu retten. Wird Rose ihm beistehen?


„Arthur und der schreckliche Scheuch“ von Jenny McLachlan ist ein herzerwärmendes Buch, das nicht nur die jungen Leser für sich einnimmt. Erwachsene dürften ebenfalls angetan sein und nostalgisch bei dem Blick in die eigene Vergangenheit werden, als sie ihrer eigenen Fantasie jede Menge Raum gaben.

Die Geschichte, die durchaus an „Die Chroniken von Nania“ und Peter Pan erinnert, entfaltet ihren ganz eigenen zeitgemäßen und frischen Reiz. Jenny McLachlan hat eine detaillierte, bunte Welt mit unterschiedlichen Landschaften, Drachen, Meerjungfrauen, Einhörner und anderer Wesen kreiert. Dort erleben ihre Helden ein mitreißendes und aufregendes Abenteuer, das gefährliche Ereignisse für sie bereithält und sie dabei mit ihren Ängsten konfrontiert. Die Handlung ist einfallsreich und originell, allerdings etwas vorhersehbar bei der schnellen Lösung der Konflikte. Bei allem kommt trotz einiger düsterer und gruseliger Momente der Humor nicht zu kurz. Die Beschreibungen sind einfach, aber wirkungsvoll und vorstellungsintensiv.

„Arthur und der schreckliche Scheuch“ wird aus der Sicht des elfjährigen Jungen erzählt, der einem mit seiner Art schnell ans Herz wächst. Auch Rose überzeugt in ihrer Charakterzeichnung. Denn der Autorin gelingt es, ein Gleichgewicht an Vorzügen und Fehlern der Geschwister herzustellen, ohne einen zu bevorzugen. Beide sind wichtig und können nur gemeinsam mit ihren Freunden in Arro – unter anderem eigensinnigen Drachen, einem tollkühnen Magierninja, dem es an magischen Fähigkeiten, allerdings nicht an Selbstbewusstsein mangelt, einer Meerjungfrauenhexe und den Verlorenen Mädchen – Gefahren bestehen und Probleme lösen. Daneben punktet der unkonventionelle Großvater, nicht allein wegen seines aufmerksamen Umgangs mit seinen Enkelkindern.

Insgesamt ist „Arthur und der schreckliche Scheuch“ mit seinem Land Arro eine Hommage an die Kraft der kindlichen Vorstellung und an die Magie, die mit zunehmendem Alter leider zu verloren gehen droht, aber natürlich auch an die Liebe zur Familie, die Freundschaft und Loyalität. Sie stupst uns Erwachsene an, die moderne Welt wieder einmal unbeschwert und mit fantasievollen Augen zu betrachten.

„Achtung, fertig, Arrooo!“

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Veröffentlicht am 13.01.2020

Neuschnee

Neuschnee
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„Keep your friends close, but your enemies closer.“ / „Halte deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher.“ sagte schon Al Pacino als Don Michael Corleone in DER PATE 2. Doch was geschieht, wenn die ...

„Keep your friends close, but your enemies closer.“ / „Halte deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher.“ sagte schon Al Pacino als Don Michael Corleone in DER PATE 2. Doch was geschieht, wenn die Grenze zwischen Freund und Feind nicht (mehr) erkennbar ist? Wenn sich vermeintliche Freunde als Feinde herausstellen? Wenn Aufrichtigkeit, Vertrauen, Loyalität und Treue verloren gehen?

Ihr traditionelles Treffen während des Jahreswechsels verbringt eine Gruppe von Freunden, die die gemeinsame Studienzeit in Oxford verbindet, in den abgelegenen schottischen Highlands. Dieses Mal hat Emma, die Lebensgefährtin von Mark, die erst vor drei Jahren zur Gruppe gestoßen ist, den Aufenthalt auf dem exklusiven und idyllischen Landgut Loch Corrin in der winterlichen Wildnis organisiert. So atemberaubend die Landschaft auch ist. Es ist kalt. Und dunkel. Einsam obendrein.

Neben Mark und Emma sind Miranda und ihr Ehemann Julien, Nick und sein amerikanischer Partner Bo, Samira, ihr Ehemann Giles und ihr Baby Priya und Single Katie angereist. Die Managerin des Landguts, Heather, und Wildhüter Doug versorgen die Gäste, zu denen außerdem noch ein fremdes Pärchen zählt.

Einst standen sich die Freunde sehr nahe und hatten viel Spaß miteinander. Inzwischen gehören die damaligen Gemeinsamkeiten der Vergangenheit eines unkomplizierten Lebens an, weil familiäre und berufliche Verpflichtungen der Freundschaft in die Quere gekommen sind. So haben sich die Freunde im Lauf der Zeit auseinandergelebt und legen nicht mehr so viel Wert auf die Gesellschaft der anderen. Was allerdings auffällt: Sobald sie den Jagdsitz betreten, spielen sie ihre alten Rollen aus College-Zeiten. Es beginnt harmlos, dann erhöhen sich die Feindseligkeiten, nicht aufhaltbare Ressentiments und die Offenbarung von Geheimnisse. Bis das Geschehen im Tod eines Menschen gipfelt und klar ist, dass dieser keines natürlichen Todes gestorben ist.

Während ein Schneesturm die Gäste von der Außenwelt isoliert und verhindert, dass die Anwesenden das Lodge verlassen können und die Polizei ihre Ermittlungen aufnimmt, stellt sich die Frage, wer das Opfer und wer der Täter ist?


Lucy Foley zieht ihre Leser von Anfang an in die Geschichte hinein. Sie startet ihren Thriller „Neuschnee“ nämlich mit dem Auffinden einer Leiche, ohne aufzuklären, um wen es sich handelt. Danach wechselt sie ständig die Zeitebenen und verschiebt die Ereignisse zwischen der Entdeckung des Mordes und der Ankunft der Freunde in den Highlands drei Tage zuvor. Gleichzeitig jongliert die Autorin mit den Perspektiven einzelner Charaktere. So berichten Miranda, Katie, Emma und Heather aus ihrer jeweiligen Ich-Position heraus und ermöglichen einen Einblick in ihr Inneres, lediglich Dougs Part fällt aus diesem Rahmen.

Insgesamt ist dies stimmungsgeladen und mit Scharfsinn erzählt. Denn mittels der Cliffhanger innerhalb der Perspektiven und der Verwendung von nicht unbedingt neuen, gleichsam unheimlichen, ja durchaus gruseligen Momenten kreist Lucy Foley geschickt die Wahrheit ein und lässt die Leser nicht nur an der Motiv- und Tätersuche sowie der Auflösung teilhaben, ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt zu verwirren, sondern bietet außerdem einen Blick hinter die Kulissen von vermeintlich perfekten Beziehungen, das Dasein als Eltern oder als Single.

Obwohl sich Mark und Emma, Miranda und Julien, Nick und Bo, Samira und Giles sowie Katie seit Jahren kennen, und auch trotz der (aufgesetzten) Fröhlichkeit und der guten Laune ist es zum Beispiel für eine Außenstehende wie Heather unschwer festzustellen, dass etwas in diesem Freundschaftsgefüge nicht stimmt und sie sich und ihre Geheimnisse voreinander verstecken. Bis zur unausweichlichen Implosion.

Lucy Foley legt den Fokus auf ihre Figuren, und ihr Vermögen, diese präzise ins ins Licht oder auch Dunkel zu setzen, ist ausgesprochen anschaulich und detailliert, allerdings mit geringen Wiederholungen in der Beschreibung. In der Gruppe der Freunde gibt es die attraktiven, eleganten, erfolgreichen, stillen, langweiligen, harmlosen Personen, indes können nur wenige Sympathieträger ausgemacht werden. Es geht um Macht und Kontrolle, im der Großteil zeigt sich egozentrisch und unberechenbar. Dadurch stimmen sie wahrscheinlich mit gängigen Stereotypen überein, was aber nicht gravierend ins Gewicht fällt, spricht es doch für ein realistisches, durchaus fehlerhaftes menschliches Bild.

Im Gegensatz dazu hat Lucy Foley zwei Protagonisten erdacht, die in ihrem Leben große Verluste erleiden mussten und versuchen, eine traumatische Vergangenheit zu bewältigen. Heather und Doug schätzen die Einsamkeit der Highlands und die Abgeschiedenheit des Landguts, weil sie hier nicht jeden Tag mit dem konfrontiert werden, was sie verloren haben. Ihre Schicksale erhöhen die Dramatik der Geschichte genauso wie die Tatsache, dass ein Serienmörder in der Gegend gesichtet wurde...

„Neuschnee“ von Lucy Foley erweist sich als ausgezeichnete Charakterstudie, die zudem auch inhaltlich mit einem klugen Plot und niveauvoller Schilderung überzeugt.

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Veröffentlicht am 02.01.2020

Die Ewigkeit des Augenblicks

Die Ewigkeit des Augenblicks
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Das Schicksal hat Ava Hochstein in der Vergangenheit geprüft. Doch es bietet ihr einen Neuanfang in Paris und damit neue Eindrücke, neue Menschen, ein neues Leben. Vor einem Jahr hätte Ava die Chance voller ...

Das Schicksal hat Ava Hochstein in der Vergangenheit geprüft. Doch es bietet ihr einen Neuanfang in Paris und damit neue Eindrücke, neue Menschen, ein neues Leben. Vor einem Jahr hätte Ava die Chance voller Freude die Chance ergriffen, ihren Mann Dirk zu begleiten, jetzt fühlt sie nur Angst. Und Trauer. Denn sie müsste in Hamburg Murielle zurücklassen. Ihre Tochter, die das Leben nie kennenlernen durfte. Die Fehlgeburt traumatisiert Ava noch immer. Während für Avas Mann Dirk stets alles einfach ist und er Hindernisse scheinbar mühelos überwindet, ist für Ava das Überwinden selbst ein Hindernis. Hinzu kommen eine mysteriöse Augenkrankheit, so dass die junge Frau nicht mehr ihren Beruf als Lehrerin ausüben kann, und die Zweifel, ob sich Ava in der Liebe und folglich in ihrer Ehe von Anfang an geirrt hat.

Eine spontane Reise nach Paris, bei der Ava ihr neues Haus im Vorort Meudon in der Rue des Illusionistes aussucht, bringt die Wendung. Zwar gelingt es Ava nicht, sich mit den Extremen einer hektischen Großstadt zu arrangieren, aber vor allem die Besuche des nahegelegenen Museums umgeben von den Skulpturen von Rodin bescheren ihr eine innere Ruhe, die sie indes ihre Gefühle für ihren Mann mehr und mehr hinterfragen lässt. Außerdem sind da noch ihr Vermieter, der Kunsthändler Sebastian Duroc, der ihr mehr als aufdringlich wirkt, und die Villa auf dem Nachbargrundstück. Von dieser fühlt sich Ava angezogen, und während alle anderen Menschen nur eine verfallene leerstehende Ruine vor Augen haben, hört Ava des Nachts Klopfgeräusche, so dass sie nicht schlafen kann. Spielen ihr die Sinne einen Streich? Sie will der Sache auf den Grund gehen und entwickelt bald eine besondere Beziehung zum Haus und seinem Bewohner…


Stefanie Hohn hat – so schreibt sie selbst – mit „Die Ewigkeit des Augenblicks die „ausgetretenen Pfade des realistischen Erzählens... verlassen“ und sich „auf das unsichere Terrain des magisch-realistischen... begeben, um dort nach der tieferen Wahrheit zu suchen, die dem Kern dieser Geschichte innewohnt“. Darauf sollte sich jeder, der das Buch liest, einstellen und für diese Zeit den Verstand abstellen und nur auf das Herz hören. Dann wird er mit einer magischen und zugleich romantischen Geschichte belohnt, in der es der Autorin mit ihrer feinsinnigen Ausdruckskraft gelingt, schwierige Thematiken unbelastet zu vermitteln. Hierbei ist es das Können von Stefanie Hohn, die Empfindungen ihrer Protagonistin Ava auf eine Weise darzustellen, die deren Verlust, die Trauer, den Schmerz, die Zerrissenheit, die Sehnsucht, allerdings auch den Versuch, den Stolz zu wahren, sowie ihre Freude, ihren liebevollen Glücksmomente erleb- und fühlbar zu machen.

„Sie glaubte, der Boden vibrierte, aber es war wohl nur ein innerliches Beben, eine Erschütterung der Sinne, die überfordert waren mit seiner Nähe, seiner Kraft und ihrer eigenen Willenlosigkeit, mit der sie all dies geschehen ließ.“

Für ihre Geschichte hat sich die Autorin umfassend mit der Bildhauerei auseinandergesetzt und ihre eigene Leidenschaft für diese Kunst entdeckt. So fließt ihr erworbenes Wissen darüber in den geheimnisvollen und überraschenden Handlungsrahmen ein, ohne diesen zu sprengen. Stefanie Hohn erschafft eine atmosphärische und lebendige Grundstimmung, in der im Übrigen auch die äußerst anschaulichen Beschreibungen der örtlichen Gegebenheiten einen hohen Stellwert einnehmen.

Auf seine besondere Art ist Stefanie Hohns Roman "Die Ewigkeit des Augenblicks eine Geschichte der Liebe, die die gewohnten Pfade verlässt, weil die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen, von der Autorin aber in wortkünstlerisch hohem Maße miteinander verwoben werden.

4,5 Sterne

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Veröffentlicht am 22.12.2019

Die Schuld jenes Sommers

Die Schuld jenes Sommers
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Ein Augusttag vor 24 Jahre ist der Wendepunkt in Fances' Leben gewesen. Er beendet abrupt die Freundschaft der achtjährigen Mädchen Frances und Wyn, als letztere spurlos verschwindet. Doch eine Nacht des ...

Ein Augusttag vor 24 Jahre ist der Wendepunkt in Fances' Leben gewesen. Er beendet abrupt die Freundschaft der achtjährigen Mädchen Frances und Wyn, als letztere spurlos verschwindet. Doch eine Nacht des Jahres 1942 ändert alles: Die Deutschen bombardieren Bath, und am Morgen danach vermisst Frances den kleinen Davy, auf den sie aufpassen sollte. Sie hatte ihn in die Obhut eines Ehepaares gegeben, weil sie am Geburtstag von Wyn einen Moment ihrer Freundin gedenken wollte.

Ist auch Davy im Bombenhagel umgekommen? Die Spuren sprechen dagegen, und die junge Frau ist sicher, dass Davy überlebt hat. Belastet von massiven Schuldgefühlen, die noch von Davys Mutter Carys verstärkt werden, begibt sie sich auf die Suche. Hierbei wird sie scheinbar von der Vergangenheit eingeholt. Denn außerdem werden in den Trümmern die sterblichen Überreste von Wyn gefunden. Immer mehr Hinweise offenbaren, dass die Wahrheit über deren Tod erschreckender ist als bisher gedacht. Und mit jeder tiefer gehenden Erinnerung verstärkt sich Frances' Überzeugung, dass für das damalige Verbrechen nicht die richtige Person zur Rechenschaft gezogen wurde und wie wichtig es ist, endlich zu wissen, was 1918 tatsächlich passiert ist?


Katherine Webb siedelt ihren Roman „Die Schuld jenes Sommers“ in zwei Zeitebenen an: Es sind zum einen die letzten Monate des ersten Weltkrieges von 1918 und zum anderen das Jahr 1942, und sie verknüpft beide auf nahtlose Art und Weise. Sie schildert in stimmigen und detaillierten Bildern den Alltag der Menschen im von Traditionen geprägten Bath mit jenen Ereignissen, die eine solche Gemeinschaft ausmachen, und packt das Schicksal ihrer Figuren in eine fesselnde und teilweise mysteriöse Handlung, die tiefe Einblicke in die Seele besonders ihrer Heldin Frances ermöglicht.

Dabei ist die Grundstimmung nicht nur in den Rückblenden des Jahres 1918 düster und oft sehr drückend. Während Frances in einer liebevollen Familie und ohne massive Entbehrungen aufwächst, sind Wyn und ihre Geschwister den Launen und Schlägen des Vaters ausgesetzt. Davon gibt es reichlich, die Mahlzeiten sind hingegen eher spärlich.

Die lichten Momente der Freundschaft der beiden Mädchen verschaffen dem Geschehen für Augenblicke Frohsinn, der Frances auch Jahre später noch mit Wyn verbindet. Allerdings ist Frances' Erinnerung lückenhaft, ja ihr Geist wehrt sich sogar, einzelne Begebenheiten abzurufen. Lediglich unklare Bilder, oft in Albträumen, zeigen sich. Erst nach und nach kristallisiert sich heraus, dass nicht jener geflohene Kriegsgefangene Wyn getötet haben kann, mit dem sich „die kleinen Schwestern“ anfreundeten und mit Nahrung versorgten.

Indes sind die Menschen nicht gewillt, dem Drängen von Frances nachzugeben, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Sie klammern sich an das Offensichtliche, Greifbare. Daher stößt Frances auf Unverständnis und Widerwillen und findet wenig Unterstützung in ihrem Bestreben, das Dunkel zu erhellen. Zudem muss sie sich mit ihren verschütteten und verdrängten Kindheitserinnerungen auseinandersetzen und diese in einen entsprechenden Kontext bringen.

Frances leidet unter dem Tod von Wyn, ebenso belasten sie Carys Vorwürfe. Das Fatale: Carys ist nicht nur Davys Mutter, sondern auch die ältere Schwester von Wyn. Seit Jahren trinkt sie und vernachlässigt ihre Kinder. Im Gegensatz zu Frances gibt es für sie keine ungeklärte Wahrheit über den Tod ihrer Schwester. Die Vergangenheit ist abgeschlossen, und die Fragen und Nachforschungen von Frances sind ihr mehr als unangenehm.

Katherine Webb meistert die emotionale Herausforderung ihrer Protagonistin mit hoher Ausdruckskraft und vermag es ausgezeichnet, die Verlustängste, die Verzweiflung, die Selbstbezichtigungen sowie den einhergehenden geistigen und körperlichen Schmerz spürbar werden zu lassen.

Auch dadurch wird „Die Schuld jenes Sommers“ zu einem komplexen historischen Roman, der mit einer durchdachten und tiefgreifenden Handlung aufwartet, die einen bewegt und mitempfinden lässt.

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