Wie im Märchen
Liebesromane, die kranke oder gehandicapte Menschen in ihren Fokus stellen, lese ich immer gerne, weil ich es zum einen für wichtig halte, dass solchen Geschichten eine Plattform gegeben wird und zum anderen ...
Liebesromane, die kranke oder gehandicapte Menschen in ihren Fokus stellen, lese ich immer gerne, weil ich es zum einen für wichtig halte, dass solchen Geschichten eine Plattform gegeben wird und zum anderen natürlich auch, weil ich mich für Dramatik und große Gefühle begeistern kann. Emma Scotts neuestes Buch enthält von all dem eine Überdosis.
Inhalt:
Bei einem schweren Autounfall wurde der Teil des Gehirns von Kunststudentin Thea zerstört, der für die Übersetzung von Informationen in Gedächtnisinhalte zuständig ist. Seit sie im Krankenhaus wieder aufgewacht ist, steht ihr nur noch ein Zeitfenster von fünf Minuten zur Verfügung. Danach kommt es in ihrem Kopf zu einer Art Neustart. Sie leidet also an einer Amnesie und kann seit dem Unfall keine neuen Erinnerungen mehr speichern. Deswegen lebt sie in einem Pflegeheim für Menschen mit schweren neurologischen Defiziten. Ihre ältere Schwester Delia fungiert als Theas rechtliche Betreuerin und wacht über Theas Behandlung.
Jim Wheelan tritt eine neue Stelle als Hilfspfleger in Theas Einrichtung an. Nach einer unglücklichen Kindheit im Pflegesystem hat er nicht mehr viele Ansprüche an sich und das Leben.
Als er auf Thea trifft, fühlt er sich sofort zu ihr hingezogen. Trotz ihrer Behinderung spürt Jim das freigeistige und lebenshungrige Wesen, das Thea früher besessen hat. Er will bei ihr sein und sie beschützen. Außerdem glaubt er in Theas Verhalten etwas zu erkennen, das die Ärzte nicht sehen. Doch diese immer intensiver werdende Beziehung zwischen einem Angestellten und einer Patientin wird von allen Außenstehenden kritisch gesehen und Jims Einwände nimmt niemand ernst.
Meine Meinung:
Es ist gar nicht so leicht eine Inhaltszusammenfassung für dieses Buch zu formulieren, ohne den Fortgang vorwegzunehmen. So viel verrate ich aber: Der Leser begleitet Jim und Thea in „Between your words“ in mehreren unterschiedlichen Phasen.
Jede für sich ist herzzerreißend, intensiv und schicksalhaft.
Emma Scott erzählt die Geschichte von zwei außergewöhnlichen und authentisch dargestellten Figuren, die in einer hoffnungslosen Situation aufeinandertreffen. Besonders gefallen hat mir, dass Thea zu jeder Zeit sie selbst bleibt. Auch im Vergessen ist immer noch die übermütige Frau erkennbar, die sie früher einmal gewesen ist. Ich kann verstehen, wenn es Leser gibt, die sie nicht in allen Punkten sympathisch finden. Manche Entscheidungen, die Thea im Buch trifft, sind zweifelhaft. Für mein persönliches Empfinden war ihre Sturheit und ihr Wille zu leben genau das, was dieses Buch gebraucht hat. Jim trägt die Geschichte maßgeblich. Ich würde sagen, er hat großen Anteil daran, dass „Between your words“ so gut ist. Er ist so herrlich unsicher und selbstlos und dabei so unbewusst lässig. Man möchte ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, dass er so viel mehr verdient hat, als er glaubt.
Der Plot ist außergewöhnlich, wenig vorhersehbar und märchenhaft romantisch. Die Betonung liegt auf „märchenhaft“. Denn das muss man ganz klar sagen: „Between your words“ ist ein Märchen! Wer ein Buch lesen möchte, in dem medizinische Sachverhalte realitätsnah dargestellt werden, der ist hier ganz falsch. Wie Emma Scott in einem Nachwort erklärt, ist lediglich die Darstellung von Theas Amnesie an den wahren Fall eines Mannes angelehnt. Ich gehe davon aus, dass sie den Fall des Musikers „Clive Wearing“ meint. Alle anderen Aspekte der Geschichte - die Bilder, die Thea malt, Behandlungsoptionen, Medikamente, Verhalten von Ärzten und Pflegepersonal, Abläufe in der medizinischen Einrichtung - haben wenig bis nichts mit der Realität zu tun.
Mich persönlich stört das überhaupt nicht. Ich lese, um zu träumen und der Realität zu entfliehen. Das Bestechende an Büchern und Fiktion war für mich schon immer, dass alles kann und nichts muss. Wenn eine Geschichte gut geschrieben ist, von tiefgehend ausgearbeiteten Figuren erzählt und die Handlung nicht konstruiert wirkt, bin ich dabei. Genau so eine Geschichte ist „Between your words“ und ich möchte sie auf keinen Fall verpasst haben.
Emma Scotts Schreibstil ist wie immer makellos und enthält genau die richtige Dosis an Poesie, um nicht zu gewollt zu sein. Das Buch enthält viele emotionale Höhepunkte und hat mir die ein oder andere Träne ins Auge getrieben haben.
Fazit:
„Between your words“ ist New Adult vom allerfeinsten. Relevant, dramatisch, romantisch. Ich war nicht mit allen Lösungen, die das Buch angeboten hat, hundert Prozent zufrieden. Das Ende kommt sehr schnell, aber alles davor habe ich so gerne gelesen, dass ich mich frage, ob nicht jedes Ende zu früh gewesen wäre. Ich vergebe volle fünf Sterne.