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Veröffentlicht am 08.02.2020

Ein Thriller der besonderen Art

Wolves – Die Jagd beginnt (Ein New-Scotland-Yard-Thriller 3)
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REZENSION – Der im Januar bei Ullstein erschienene Roman „Wolves – Die Jagd beginnt“ ist ein lesenswerter Thriller. Und doch: Wer erst jetzt mit diesem bereits dritten Band in die New-Scotland-Yard-Thrillerreihe ...

REZENSION – Der im Januar bei Ullstein erschienene Roman „Wolves – Die Jagd beginnt“ ist ein lesenswerter Thriller. Und doch: Wer erst jetzt mit diesem bereits dritten Band in die New-Scotland-Yard-Thrillerreihe des britischen Schriftstellers Daniel Cole (37) einsteigt, wird Mühe haben, das mehr oder minder enge Verhältnis der vielen Protagonisten zu durchschauen und ihr Handeln zu verstehen. Denn zu oft setzt Cole genaue Vorkenntnisse aus seinen vorangegangenen Romanen „Ragdoll – Dein letzter Tag (2017) und „Hangman – Das Spiel des Mörders“ (2018) voraus. Andererseits zwingt gerade diese Tatsache alle Neueinsteiger zu erhöhter Aufmerksamkeit und sorgt zugleich für zusätzliche Spannung und Erwartung, der Antwort anfangs noch offener Fragen und der Lösung dieses Mordfalles endlich näher zu kommen.
So ist beim ersten Erscheinen des früheren Detectives William Oliver Layton-Fawkes, nach seinen Initialen „Wolf“ genannt, völlig unverständlich, warum er viele Monate untergetaucht war und noch immer von der Polizei gesucht wird. Trotz der ihm drohenden Festnahme sieht er sich nur deshalb zum Auftauchen gezwungen, weil sein väterlicher Freund, der pensionierte Polizist Finlay Shaw, angeblich Selbstmord begangen hat. Darauf deuten zumindest die Indizien, weshalb der Fall bereits abgeschlossen ist. Doch William Fawkes ist überzeugt, Shaw hätte niemals seine krebskranke Ehefrau Maggie nach Jahrzehnten glücklicher Ehe allein zurückgelassen. Außerdem sind Gründe für einen Selbstmord nicht erkennbar, nicht einmal ein Abschiedsbrief wurde gefunden. Gemeinsam mit seiner früheren Kollegin Emily Baxter nimmt sich William „Wolf“ Fawkes des Falles an und entdeckt schließlich, Finlays Tod könne mit jenem spektakulären Drogenfund vor fast 40 Jahren in Verbindung stehen, durch den der damals noch junge Polizeianfänger zum Helden wurde.
Kenner dieser Thrillerreihe treffen in „Wolves“ auf alte Bekannte aus den zwei ersten Bänden, deren Vielzahl es Neueinsteigern aber schwer macht, sie alle spontan auseinander zu halten oder einander richtig zuzuordnen. Es gehört schon Konzentration dazu, um das Miteinander oder Gegeneinander der Personen deuten zu können. Erst durch kapitelweise eingeschobene Rückblenden wird das Handeln der verschiedenen Charaktere allmählich verständlich und auch das Motiv für den „perfekten Mord“ erkennbar.
Trotz aller inhaltlichen und personellen Verbindungen zu den Vorgängerbänden schildert „Wolves – Die Jagd beginnt“ eine in sich abgeschlossene, plausibel aufgebaute Handlung, der es dank einer unterhaltsamen Mischung aus Spannung und Action, aus viel Humor, aber ebenso viel Ernsthaftem bis hin zu menschlicher Tragik an nichts fehlt. Immer wieder schafft es Daniel Cole, uns durch unerwartete Wendungen auf neue Fährten zu locken. Vor allem im Finale des Buches gelingt ihm dies auf besondere Weise: Während andere Thriller üblicherweise mit dem Auffinden des Täters schließen, setzt Cole noch eins drauf und lässt seinen Roman erst mit einem überraschenden, für William „Wolf“ Fawkes aber notwendigen Coup des gesamten Ermittler-Teams enden.
Dieser trotz anfangs genannter Kritikpunkte letztlich doch sehr spannende Thriller lebt durch seine klare Sprache, kurze Sätze und viele Dialoge, worin sich Cole als professioneller Drehbuchautor auskennt. Gespickt mit viel schwarzem Humor und voller Sarkasmus hat der 37-jährige Bestseller-Autor zweifellos seinen ganz eigenen Schreibstil gefunden, der seine lesenswerte Thrillerreihe, die nicht ohne Grund bereits in 34 Ländern erscheint, wirklich zu etwas Besonderem macht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.12.2019

Dieser Takeda-Krimi gleicht einem Politthriller

Inspektor Takeda und das doppelte Spiel
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REZENSION – Waren die ersten drei Romane um den japanischen Austausch-Inspektor Kenjiro Takeda, dem „ungewöhnlichsten Helden der deutschen Krimi-Szene“ vergleichsweise harmlose, aber sehr vergnügliche ...

REZENSION – Waren die ersten drei Romane um den japanischen Austausch-Inspektor Kenjiro Takeda, dem „ungewöhnlichsten Helden der deutschen Krimi-Szene“ vergleichsweise harmlose, aber sehr vergnügliche Krimis, wenn man allein an die japanischen Teestunden im Hamburger Morddezernat denkt, fällt doch der vierte, im August veröffentlichte Band „Inspektor Takeda und das doppelte Spiel“ völlig überraschend aus dem gewohnten Rahmen. Was Autor Henrik Siebold, Pseudonym für den in Hamburg lebenden Journalisten und Schriftsteller Daniel Bielenstein (59), diesmal abgeliefert hat, ist ein erstaunlichen Politthriller. Trafen in den ersten Bänden in den Charakteren Ken Takedas und seiner Kollegin Claudia Harms lediglich unterschiedliche Mentalitäten und Kulturen aufeinander, prallen in diesem vierten Band geradezu unterschiedliche Welten aufeinander. Zudem behandelt der Autor historische und aktuelle gesellschaftspolitische Probleme beider Länder und zeigt am Beispiel des Neonazismus mögliche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede.
Dabei beginnt auch dieser Band mit scheinbar normalem Dienst bei der Hamburger Mordkommission: Takeda wird nachts in einen abgelegenen Gewerbehof gerufen, wo man die Leiche eines jungen Mannes gefunden hatte, der, wie Takeda schnell herausfindet, brutal hingerichtet wurde. Das für Takeda besonders Erschütternde ist, dass es sich bei dem Toten um einen prominenten Landsmann handelt, einen Profifußballer beim HSV. Folgerichtig vermuten Takeda und Claudia Harms anfangs ein Verbrechen im Fußballmilieu. Der Täter, der die Hinrichtung vornahm, ist bald gefunden, und damit der Fall für Takedas und Harms' Vorgesetzte auffallend schnell abgeschlossen, was beide Polizisten stutzig macht, da sie bereits mysteriöse Hintergründe im Leben des japanischen Fußballers ermittelt hatten, die bis in die japanische Mafia (Yakuza) reichen. Deshalb entscheiden sich beide zu einem spontanen „Urlaub“, um in Japan weiter zu ermitteln.
Mit diesem in Japan spielenden Kapitel sprengt Siebold den aus den Vorgängerbänden gewohnten räumlichen Rahmen und erweist sich als jener Japan-Experte, der er durch mehrjährigen Aufenthalt und seine Arbeit für eine japanische Tageszeitung ist. In diesem Kapitel lernt der Leser nicht nur Vieles über das heutige Japan, sondern erfährt auch Wichtiges über das alte Japan der 1940er Jahre und dessen Pakt mit den Nazis. Fast scheint es, als sei der Autor am Ende selbst überrascht, was aus seinem Krimi wurde. Denn Siebold ergänzt seinen Roman um ein seitenlanges Nachwort mit Erläuterungen zu neureligiösen Sekten mit Anleihen am Zen-Buddhismus, zur japanischen Yakuza und zu einem Bündnis alter Fanatiker, die davon träumen, das historische Achsenbündnis zwischen Japan und Deutschland wieder aufleben zu lassen.
Gelegentlich übertreibt es Siebold in seinen Actionszenen. Wenn zum Beispiel Ken Takeda, von unzähligen Kugeln der Yakuza-Killer getroffen, immer noch Schwerter schwingend weiterkämpft. Aber Vieles andere in diesem historisch-politisch interessanten Thriller entschädigt. So sieht man doch gern über solche Schwachstellen hinweg.„Inspektor Takeda und das doppelte Spiel“ ist ein spannender, trotz seiner Menge an Wissenswertem immer noch sehr unterhaltsamer Krimi, den es durchaus zu lesen lohnt. Ob dieser vierte Band der letzte dieser unterhaltsamen japanisch-deutschen Krimireihe sein wird, ist nicht gesichert. Der ungewöhnlich fulminante Handlungsrahmen und die Tatsache, dass Takeda und Harms sich am Ende endlich „kriegen“, scheint das Finale allerdings zu bestätigen. Schade!

Veröffentlicht am 08.12.2019

Spannender u. unterhaltsamer Krimi vom Feinsten

Der Verein der Linkshänder
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REZENSION – Eigentlich hatte der schwedische Schriftsteller Håkan Nesser (69) seinen Ex-Kommissar Van Veeteren, die „lebende Legende der Maasdamer Kriminalpolizei“, schon vor 16 Jahren im zehnten Band ...

REZENSION – Eigentlich hatte der schwedische Schriftsteller Håkan Nesser (69) seinen Ex-Kommissar Van Veeteren, die „lebende Legende der Maasdamer Kriminalpolizei“, schon vor 16 Jahren im zehnten Band dieser Krimireihe, „Sein letzter Fall“ (2003), endgültig den verdienten Ruhestand genießen lassen wollen. Doch die in über 20 Sprachen übersetzte Erfolgsreihe – oder war es Nessers Verlag? - verlangte wohl eine Fortsetzung. So sieht sich also Van Veeteren kurz vor seinem gefürchteten 75. Geburtstag im kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman „Der Verein der Linkshänder“ doch gezwungen, einen 20 Jahre zurückliegenden Mordfall erneut aufzurollen.
Denn unerwartet besucht ihn sein früherer Mitarbeiter Kommissar Münster und berichtet dem Pensionär, man habe die verweste Leiche von Qvintus Maasenegger gefunden – ausgerechnet jenes Mannes, dem Van Veeteren 1991 den Mord an dessen vier Freunden angelastet hatte, die damals beim Brand in Mollys Pension in Oosterby umgekommen waren. Sie und Maasenegger waren Mitglieder des schon 1958 in Schulzeiten gegründeten Vereins der Linkshänder. Da Maasenegger aber verschwunden war, hatte man ihn schnell zum Mörder erklärt, international zur Fahndung ausgeschrieben und damit den Fall abgeschlossen. Nach Auffinden von Maaseneggers Leiche nahe dem damaligen Tatort muss folglich eine sechste, völlig unbekannte Person der Täter gewesen sein.
Nun trifft es sich gut, dass Van Veeteren auf der Flucht vor Gratulanten ohnehin seinen 75. Geburtstag gemeinsam mit Lebensgefährtin Ulrike Fremdli in einem Hotel nahe Oosterby verbringen will. Obwohl sich Van Veeteren an der neuen Wendung des alten Mordfalles scheinbar völlig uninteressiert gibt, wurmt es ihn natürlich ungemein, damals diesen Fehler gemacht zu haben. Seine Lebensgefährtin durchschaut ihn, und beide nutzen ihre wenigen Ferientage zur endgültigen Lösung dieses ominösen Falles.
Anfangs wirkt der Roman „Der Verein der Linkshänder“ durch den ständigen Wechsel von vier Zeitebenen (1958/1969/1991/2012) ziemlich irritierend. Doch man liest sich schnell ein und behält doch den Überblick, obwohl sich der Autor nicht nur zeitlich, sondern sogar in der Handlung auf unterschiedlichen Ebenen bewegt: Einerseits schildert er die Aufklärungsarbeit Van Veeterens und seiner heute für die Ermittlung zuständigen Kollegen. Dazwischen lesen wir Briefe oder Tagebucheinträge von Clara Behrens, der einzigen Überlebenden der Linkshänder. Sie hatte 1991 ihre Zwillingsschwester Brigitte vertretungsweise in Mollys Pension geschickt. Seitdem lebt nun Clara, die ja offiziell tot ist, mit der Identität Brigittes weiter. Schließlich kommt sogar noch der schwedische Kriminalinspektor Gunnar Barbarotti mit seiner Kollegin und neuen Freundin Eva Backman ins Spiel, Hauptfigur in Håkan Nessers zweiter erfolgreicher Krimireihe, die doch eigentlich schon 2012 nach dem fünften Barbarotti-Band abgeschlossen schien.
Trotz dieser häufigen Wechsel von Zeiten, Orten und Personen gelingt es dem Autor sehr geschickt, seine vielen „Fäden“ am Ende schlüssig zusammenzuführen. „Der Verein der Linkshänder“ ist ein psychologischer Kriminalroman, der nicht nur in seiner durchgängig gehaltenen Spannung überzeugt. Denn gerade die ironisch-philosophischen Dialoge zwischen dem alternden, oft wegen seines Alters jammernden Van Veeteren und seiner nur wenige Jahre jüngeren Lebensgefährtin sowie der ebenfalls recht trockene Humor im Miteinander des Paares Barbarotti und Eva Backman lassen häufig schmunzeln, geben diesem Roman seine spezielle Note und machen ihn lesenswert. Warum aber Barbarotti unbedingt im letzten Teil dieses elften Van-Veeteren-Krimis erscheinen muss, bleibt ein Rätsel: Er trägt nichts zur Lösung des Falles bei und unterscheidet sich in seiner Art kaum von Van Veeteren.

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Veröffentlicht am 23.11.2019

Spannender Krimi über die letzten Tage des Nazi-Regimes

Totenland
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REZENSION – Beherrschten bislang eher die Vorkriegs- und Nachkriegsjahre das Genre aktueller historischer Romane, schlägt jener norddeutsche Arzt und Buchautor, der kürzlich sein Krimi-Debüt unter dem ...

REZENSION – Beherrschten bislang eher die Vorkriegs- und Nachkriegsjahre das Genre aktueller historischer Romane, schlägt jener norddeutsche Arzt und Buchautor, der kürzlich sein Krimi-Debüt unter dem Pseudonym Michael Jensen im Aufbau-Verlag veröffentlichte, ein neues und literarisch weit schwierigeres Kapitel deutscher Zeitgeschichte auf: Sein lesenswerter Roman „Totenland“ spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs – also in der Zeit des Zusammenbruchs, als das Dritte Reich eigentlich schon untergegangen war, Hitler im Führerbunker Selbstmord beging, führende Nazi-Funktionäre sich vor den alliierten Siegermächten in Sicherheit brachten, Flüchtlinge aus dem Osten in Westdeutschland Zuflucht suchten, die dort in zerbombten Städten hilflos zurückgelassene Bevölkerung notdürftig zu überleben versuchte, viele Menschen aber in ihrer Verzweiflung den Freitod wählten. In diesen wirren Tagen des Untergangs beginnt Michael Jensens Krimi „von Opfern und Tätern“ mit einem „Mord in Deutschlands Stunde Null“.
Ein hoher Parteibonze wurde nahe einem Bauernhof ermordet. Der früher in der Berliner Mordkommission unter dem legendären Kripochef Ernst Gennat (1880-1939) ausgebildete, inzwischen aber nicht nur wegen seiner beim Fronteinsatz erlittenen Handamputation als Dorfpolizist in die Provinz abgeschobene Kriminalinspektor Jens Druwe nimmt die Ermittlungen auf. Seine für den Mordfall zuständigen Kripo-Kollegen aus der Stadt stempeln einen aus dem KZ Fuhlsbüttel entkommenen Häftling und „Volksschädling“, der auf dem Bauernhof untergetaucht war, schnell als Täter ab. Doch dem trotz Kriegseinsatz sowie beruflicher und menschlicher Erniedrigungen gedemütigte Druwe geht es um Gerechtigkeit. Er ermittelt trotz mancher Drohung seiner Vorgesetzten weiter und stellt sich den Profiteuren des untergehenden Regimes allein entgegen.
So spannend die Kriminalhandlung auch ist, geht es dem Autor in seinem Buch weniger um den Mordfall und die nachfolgenden Ermittlungen. Beides dient ihm vielmehr zur Darstellung der von den Menschen unter dem Nazi-Regime und im Krieg erlittenen seelischen Folgen – nicht nur bei Opfern, sondern auch bei Tätern, wobei die Grenzen zwischen beiden oft fließend sein können, wie wir im Roman an Beispielen erfahren. Jensen entwickelt ein genaues Psychogramm seiner charakterlich so unterschiedlichen Figuren und zeigt damit die Vielschichtigkeit der Gesellschaft auch in der Nazi-Diktatur. Die Menschen lassen sich eben nicht nur in Schwarz und Weiß einteilen, sondern es gibt auch ein in vielen Schattierungen nicht immer leicht erkennbares Grau. Parallel zur spannenden Kriminalhandlung sowie zur treffenden Charakterisierung seiner Protagonisten gelingt es dem Autor hervorragend, die düstere Stimmung im Alltag des untergehenden Deutschlands zu schildern.
Der Debütroman „Totenland“ von Michael Jensen ist nicht nur Liebhabern von [historischen] Krimis zu empfehlen, sondern ist in jedem Fall lesenswert, vielleicht gerade auch für die Generationen der Nachgeborenen: Der Roman zeichnet auf beeindruckende Weise ein genaues - wenn auch zeitlich und räumlich eingeschränktes - Bild Deutschlands gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. „Totenland“ wurde vom Aufbau-Verlag als erster Band einer Jens-Druwe-Reihe angekündigt. Man darf also auf den zweiten Band „Totenwelt“ gespannt sein, dessen Veröffentlichung für Mitte Juni 2020 vorgesehen ist.

Veröffentlicht am 16.11.2019

Lacroix - ein würdiger Nachfolger von Kommissar Maigret

Lacroix und die Toten vom Pont Neuf
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REZENSION – „Maigret, Telefon für Sie.“ Gleich der erste Satz in dem kürzlich im Kampa-Verlag veröffentlichten Roman „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“, dem Krimidebüt eines geheimnisvollen, unter dem ...

REZENSION – „Maigret, Telefon für Sie.“ Gleich der erste Satz in dem kürzlich im Kampa-Verlag veröffentlichten Roman „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“, dem Krimidebüt eines geheimnisvollen, unter dem Pseudonym Alex Lépic schreibenden deutschen Schriftstellers (39), zeigt uns, womit wir es zu tun haben: Der augenzwinkernde Krimi ist eine Verbeugung vor Georges Simenon (1903-1989) und dessen Figur Kommissar Maigret. Held des aktuellen Romans ist Commissaire Lacroix, der „beste Kommissar von Paris“, doch in seinen altmodischen Marotten und seinem Äußeren dem literarischen Vorgänger zum Verwechseln ähnlich. Kein Wunder also, dass die Lehrerin einer Schulklasse vor dem ebenfalls im Kommissariat untergebrachten Polizeimuseum im fünften Arrondissement am linken Seineufer diesen Kommissar in Hut und Mantel und Pfeife im Mund anstarrt, als er mit seinem Mitarbeiter Paganelli das Gebäude verlässt. Paganelli, schlagfertig wie so oft, nutzt ihr Staunen: „Schauen Sie ruhig hin, das ist er. Direkt aus dem Museum: unser Commissaire Maigret. Wir müssen ihn uns kurz für eine Ermittlung ausleihen. Aber keine Sorge, wir bringen das wichtigste Exponat nachher wieder zurück.“ Jetzt wissen wir es: Lacroix ist der neue Maigret!
Gerade aus dem Urlaub zurück, wird Lacroix vom Vorgesetzten mit der Aufklärung eines Mordfalles beauftragt: „Ein toter Clochard. Und um das Klischee vollständig zu bedienen: Er liegt unter dem Pont Neuf.“ Autor Alex Lépic scheut sich also nicht, selbst von Klischees zu sprechen, von denen er in seinem Roman reichlich Gebrauch macht. Doch was in anderen Romanen stört, nimmt man hier in Erinnerung an die Maigret-Klassiker gern an. Es gibt sogar gleich drei Tote in drei Nächten, alle ermordet unter den Brücken der Seine. Schnell erinnert sich die Pariser Öffentlichkeit an eine vergleichbare Mordserie vor 30 Jahren. Lacroix versucht nun wie sein „Vorbild“ mit Intuition und Menschenkenntnis die Mordfälle aufzuklären, was ihm binnen weniger Tage natürlich gelingt.
Fast scheint es, als arbeite Lacroix nur selten im Kommissariat. Ständig begleiten wir ihn, wenn nicht direkt im Außeneinsatz, bei seinen Spaziergängen in der Altstadt auf den Boulevards, am Ufer der Seine oder bei seinen regelmäßigen Abstechern in Brasserien und Cafés, vor allem in sein Stammbistro „Chai de l’Abbaye“. Hier trifft sich Lacroix nicht nur täglich mit Freunden oder sogar zum Gespräch mit Zeugen. Hier nimmt er auch wichtige Anrufe entgegen oder telefoniert selbst. Denn Lacroix verabscheut Handys und die modernen Technologien. Kollegen, sogar sein Vorgesetzter und seine Ehefrau kennen seinen Tagesrhythmus und rufen, wenn sie ihm Wichtiges mitzuteilen haben, kurzerhand im „Chai“ an, weshalb sich dessen Wirtin Yvonne nicht selten und nur scheinbar widerwillig wie seine Sekretärin fühlt. Doch sie hilft ihm gern, ist sie doch seine Vertraute, akzeptiert seine schrulligen Gewohnheiten, weiß genau, wann Lacroix etwas zu essen wünscht oder seine Ruhe braucht, um über den aktuellen Fall zu grübeln.
Mit „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“ ist dem Kampa-Verlag ein lesenswerter Überraschungscoup gelungen, der nahtlos an jene Maigret-Klassiker anschließt, die vom Verlag gerade in neuer Übersetzung herausgegeben werden. Wir dürfen deshalb schon auf „Lacroix und der Bäcker von Saint-Germain“ gespannt sein, den zweiten Band der Lacroix-Reihe, der für März angekündigt ist.