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Veröffentlicht am 08.09.2022

Spannende Suche nach den Fakten hinter den Ereignissen

Fake – Wer soll dir jetzt noch glauben?
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In den Psychothrillern „Fake“ beziehungsweise „Fakt“, die inhaltsgleich sind, gibt Arno Strobel auf beeindruckende Weise ein Beispiel für die Möglichkeiten der Beeinflussung unserer Wahrnehmung der Realität. ...

In den Psychothrillern „Fake“ beziehungsweise „Fakt“, die inhaltsgleich sind, gibt Arno Strobel auf beeindruckende Weise ein Beispiel für die Möglichkeiten der Beeinflussung unserer Wahrnehmung der Realität. Daher spielt der Untertitel der beiden Bücher „Wer soll dir jetzt noch glauben?“ an. Das Cover spiegelt wider, dass nur durch den Austausch eines Buchstabens im Wort aus Wahrheit Lüge wird.

Der Protagonist Patrick Dostert ist 37 Jahre alt, verheiratet und sitzt nach eigenen Angaben unschuldig in der JVA ein. Der größte Teil des Buchs besteht aus Patricks Erzählung der zurückliegenden Ereignisse. Allerdings schildert er die Geschehnisse in der dritten Person, weil er diese Form für angenehmer zu lesen hält.

Patrick wird beschuldigt, zwei Frauen ermordet zu haben. Er erzählt, welche Begebenheiten Schritt für Schritt dazu führten, dass er als einziger Tatverdächtiger in das Visier der polizeilichen Ermittlungen gerät. Vergeblich und zunehmend verzweifelt, versucht er Erklärungen und Beweise vorzubringen, die ihn entlasten. Seine Kollegen, seine Freunde und Bekannten und schließlich auch seine Frau beginnen, seine Unschuld in Frage zu stellen.

Die Spannung stieg zunehmend. Als Lesende war ich auf der Seite von Patrick und hoffte darauf, dass er eine Möglichkeit findet, sich zu entlasten. Was mich aber störte, war der Prologs, der thematisch zwar passte, sich aber nicht in die Vorgänge einordnen ließ. Immer wieder sind Szenen eingefügt, die durch ihre Kursivschrift auffallen. Darin schildert Patrick die Umstände, unter denen er gegenwärtig in der JVA lebt, seine schwere Kindheit sowie seine Gefühle bei alldem.

Der Autor spielt im Buch mit dem Potential des sogenannten Deepfakes, das sind manipulierte Bild-, Audio- oder Videoaufnahmen, die echt wirken. Aber „Fake/Fakt“ wäre kein Psychothriller von Arno Strobel, wenn der Ablauf der Handlung darin bestände, dass der Beschuldigte viel Zeit benötigt, seine Unschuld zu beweisen, es ihm dann zur Freude der Lesenden gelingt und das Buch dann beendet wäre. Nein, so einfach ist es nicht, denn dass Täter – Opfer – Ermittlerspiel ist weitaus verschlungener und es ist viel schwieriger Fake von Fakt zu unterscheiden als zunächst ersichtlich ist. Auch der Prolog fügt sich zum Schluss in das vergangene Geschehen ein.

Der besondere Reiz der Geschichte liegt darin, dass man sich gut in die Rolle des Patrick hineindenken kann. Als Leserin schien es mir, dass er in einer harmonischen Ehe lebt und seiner Arbeit einer leitenden Position in einem Logistikunternehmen gerne nachkommt. Es ist erschreckend, was ihm geschieht und ich fragte mich, ob das jederzeit Jedem geschehen könnte. Das Wissen, dass betrügerische News in den Sozialen Medien dazu führen können, Fakten zu verdrehen, macht es nicht einfacher, zwischen die realen Ereignisse von Vortäuschungen zu unterscheiden.

Mit dem Psychothriller „Fake“, der auch unter dem Titel „Fakt“ erscheint, gelingt Arno Strobel die glaubhafte Schilderung eines Verbrechens, bei dem es schwierig ist, Tatsachen von Vorspiegelungen zu unterscheiden. Neue Wendungen führen die miträtselnden Lesenden auf manche falsche Fährte und steigern die Spannung bis zum Ende. Über allem steht die große Frage nach dem Motiv des Täters. Das Buch ist ein Must-Read für alle Strobel-Fans und meine Empfehlung an diejenigen, die gerne Psychothriller lesen.

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Veröffentlicht am 17.08.2022

Für diejenigen, die sich griechische oder orientalische Einflüsse bei Gerichten wünschen

Wenn ich das kann, kannst du das auch!
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Das Buch „Wenn ich das kann, kannst du das auch!“ aus dem Verlag Gräfe und Unzer beinhaltet eine persönliche Rezeptsammlung der bekannten Journalistin und Fernsehmoderatorin Linda Zervakis. Als Fotografin ...

Das Buch „Wenn ich das kann, kannst du das auch!“ aus dem Verlag Gräfe und Unzer beinhaltet eine persönliche Rezeptsammlung der bekannten Journalistin und Fernsehmoderatorin Linda Zervakis. Als Fotografin und Co-Autorin sowie Testeserin hat Elissavet Patrikiou sie bei der Erstellung des Buchs unterstützt.
Linda Zervakis beabsichtigt mit dem Buch nicht, dem Käufer eine Menge Rezepte zu liefern. Stattdessen hat sie eine Handvoll Rezepte ausgesucht, die sie von Bekannten erhalten hat und nach ihrem persönlichen Geschmack angepasst. Dazu holte sie den Rat einiger küchenerfahrener Freunde ein und kochte die Gerichte so lange nach, bis sie ihr schmeckten. Sie selbst hat sich vorher wenig als Köchin betätigt, weil sie von ihrem Mann bekocht wurde und früher von ihrer Mutter. Aus dieser Ausgangslage heraus ist der auffordernde Titel entstanden, denn die Autorin traut es jedem Lesenden zu, dass ihr oder ihm die Gerichte nach den Rezepten im Buch gelingen.
Außerdem finden sich Rezepte ihrer Freunde im Buch, die der Meinung waren, dass Linda Zervakis diese unbedingt einmal probieren sollte. Selbst wenn die Gerichte nicht alltägliche Zutaten enthalten, hat die Autorin dazu einen Kauftipp angeführt. Auch die Empfehlungen hat sie nachgekocht und sie sind ihr schmackhaft gelungen!
Die Rezepte hat die Journalistin in vier Kategorien eingeteilt. Das erste Kapitel ist „Greek Style meets HH“ benannt, denn hier bringt sie ihren südländischen Geschmack in die nordische Heimat ein. Im Kapitel „Griechenland trifft Orient“ finden sich hauptsächlich kleine Vorspeisen, wohingegen der Kochende unter „Rezepte für jeden Tag“ von Suppe über Salat bis hin zur Bolognese ein schöne Mischung findet. Das letzte Kapitel „Alles mit Teig“ enthält einige Backrezepte. Abschließend findet sich ein spezielles Rezept für Gebackenen Feta der Co-Autorin Elissavet Patrikiou, das sie ihrer Freundin Linda schenkt, weil diese es so gerne mag. Also unbedingt ausprobieren!
Neben den Fotos der Rezepte im Buch sind Bilder der Köche und Köchinnen bei der Zubereitung, beim Essen oder auch bei Treffen mit Linda Zervakis zu finden, die motivierend wirken. Ergänzt werden sie von der Autorin mit Hinweisen oder Wissenswertes zum Gericht und Geschichten rund um die abgebildeten Personen.
Mich haben die Aufmachung des Buchs und die Rezepte sehr angesprochen. Das Weißbrot habe ich nach den Angaben gebacken und das griechische Hähnchen aus dem Ofen mit Kartoffeln nachgekocht. Es hat nicht nur mir und meinem Mann prima geschmeckt, sondern das Back- bzw. Kochergebnis sah genauso aus wie das Brot und das Gericht auf den Fotos. Sicher werde ich weitere Rezepte ausprobieren. Gerne empfehle ich das Buch an diejenigen weiter, die sich griechische oder orientalische Einflüsse beim Kochen wünschen und sich dem Geschmack annähern wollen.

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Veröffentlicht am 09.08.2022

Einfühlsam geschriebener Roman über eine junge Lehrerin in der Frauenbildung der 1930er

Die karierten Mädchen
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Der Roman „Die karierten Mädchen“ ist der erste Band einer Trilogie, die inspiriert ist von der Lebensgeschichte der Großmutter der Autorin Alexa Hennig von Lange. Ende der 1920er Jahre ist die Protagonistin ...

Der Roman „Die karierten Mädchen“ ist der erste Band einer Trilogie, die inspiriert ist von der Lebensgeschichte der Großmutter der Autorin Alexa Hennig von Lange. Ende der 1920er Jahre ist die Protagonistin Klara stolz über eine Stelle als Hauswirtschaftslehrerin in einem Kinderheim in Oranienbaum. Einige Jahre später erhält sie die Leitung eines Frauenbildungsheims. Die Auszubildenden sollen einheitliche Arbeitskleidung tragen. In Anlehnung daran werden sie bald als „karierte Mädchen“ bezeichnet.
Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Einerseits erzählt die Autorin von Klara, die etwa um die Jahrhundertwende 91 Jahre alt und blind ist. Dennoch lebt sie weitgehend unabhängig im eigenen Haus. Ihr Mann ist vor vielen Jahren verstorben, aber ihre Kinder besuchen sie noch regelmäßig. Die Schwangerschaft ihrer Enkelin löst bei Klara verschüttete Erinnerung wach. Ihr kommt die Idee, auf Kassetten aufzunehmen, was sie in der Vergangenheit erlebt hat. Auf der zweiten Zeitebene konnte ich von Klara als junge Frau bei Antritt ihrer ersten Stelle lesen. Chronologisch setzt Alexa Hennig von Lange beide Handlungsebenen fort.
Die Autorin schreibt als allwissende Erzählerin. Dadurch erreicht sie eine gewisse Distanz zum Geschehen, die notwendig ist, um der Geschichte ihrer Großmutter einen breiteren fiktionalen Raum zu geben. Es ist für uns heute schwierig, Gründe für die Handlungen der damals Lebenden nachzuvollziehen. Unsere heutige Meinung über die vergangene Epoche beruht auf der Kenntnis vieler Fakten.
Klara trat ihre erste Stelle in der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 an. Sie war froh darüber, überhaupt eine Arbeit zu finden in ihrem erlernten Beruf. Aber bald schon geraten die Finanzen des Kinderheims in eine Schieflage und es kommt zu Entlassungen von Personal. Die Protagonistin hat die Idee dazu, sich auf die aufstrebende Partei der Nationalsozialisten zu stützen, die das Heim erhalten will, wenn die neuen Ideologien dort vermittelt werden.
Mit der Figur der Kindergärtnerin Susanne schafft die Autorin eine Person, mit der Klara ihren Standpunkt diskutiert. Susanne kommt aus einer betuchten Familie in Berlin und bringt einen anders gelagerten Blick auf die Machtverhältnisse mit. Durch Einflechten einer Erzählung rund um das jüdische Waisenkind Tolla, dessen Klara sich annimmt, bindet die Autorin zusätzlich die Geschichte der Judenverfolgung mit ein. Obwohl Klara sich und die unter ihrer Obhut stehenden vor weiteren Nöten bewahren möchte, sind ihre Entscheidungen aus moralischer Sicht im Nachhinein kontrovers zu sehen.
Alexa Hennig von Lange schreibt in ihrem Roman „Die karierten Mädchen“ behutsam und einfühlend. Gerne blickt sie hinter die Fassade ihrer Figuren, die sich ändern und weiterentwickeln, aus Sicht des Lesenden nicht immer zu deren Bestem, aber mit Konsequenzen. Auch aufgrund der einfließenden Lebenserinnerungen ihrer Großmutter gelingt es ihr, ein authentisches Bild der damaligen Zeit zu zeichnen. Das Buch ist der erste Teil einer Trilogie, deren Handlungszeit bis in die 1960er Jahre reicht. Schon jetzt freue ich mich auf die Fortsetzung und vergebe gerne eine Leseempfehlung für den vorliegenden Band.

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Veröffentlicht am 04.08.2022

Freude und Leid auf einem Roadtrip im eigenen Land

Wir sehen uns zu Hause
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Nach einem persönlichen Drama beschließt die 53-jährige Anne, eine der Hauptfiguren im Roman „Wir sehen uns zu Hause“ von Christiane Wünsche, die lange geplante Auszeit im alten Camper, ohne ihren Ehemann ...

Nach einem persönlichen Drama beschließt die 53-jährige Anne, eine der Hauptfiguren im Roman „Wir sehen uns zu Hause“ von Christiane Wünsche, die lange geplante Auszeit im alten Camper, ohne ihren Ehemann Peter zu starten. Es ist Juni 2019. Die in Kaarst wohnende Anne ist Lehrerin und hat ein Sabbatical gewählt. Peter ist einige Jahre älter und bereits Rentner. Gemeinsam haben sie sich auf eine achtmonatige Tour durch Nordeuropa gefreut. Von vielen gemeinsamen Urlauben mit dem Wohnmobil ist ihnen die dänische Insel Bornholm schon gut bekannt. Ihre 24-jährige Tochter Alina, die als Kind mit ihren Eltern auf Tour war, bleibt mit ihrem Freund in der Studentenwohnung in Düsseldorf. Beide ahnen beim Abschied nicht, dass das Leben für jede von ihnen eine besondere Herausforderung bereithält.
Anne hat in ihrem Gepäck einen Karton, in dem der plötzlich verstorbene Peter Erinnerungen an seine Familie aus Thüringen aufbewahrt hat. Dazu gehören unter anderem Fotos. Ihr selbst waren die Bilder bis vor kurzem fast alle unbekannt, aber einige der abgelichteten Personen kann sie aufgrund der Beschreibungen ihres Manns benennen. Persönlich begegnet ist sie Peters Familienmitgliedern und früheren Freunden nie. Die beiden haben sich am Tag des Mauerfalls in Berlin kennengelernt, seitdem ist der Kontakt zu Peters Familie abgebrochen.
Der Umgang mit der Trauer fällt sowohl Alina wie auch Anne schwer. Die Stille im Haus ist für Anne erdrückend und obwohl Peter in der Regel das Wohnmobil gelenkt und vor allem gewartet hat, traut sie sich, die Reise allein zu. Alina hat ihr Studium zu absolvieren und neben dem Kummer über den Tod des Vaters kommt nun noch die Sorge um das Wohlergehen ihrer Mutter auf der Fahrt. Während neue Situationen auf der Fahrt für Anne immer wieder Herausforderungen darstellen, wird auch Alina mit einem unerwarteten Problem konfrontiert. Hinzu kommt ein Brief an die beiden, der sowohl Mutter wie auch Tochter eine unerwartete Seite des liebevollen Ehemanns und Vaters zeigt.
Die Fahrt wird für Anne zu einer Reise in die Vergangenheit ihres Ehemanns. Manche Aussage von ihm zu Orten und Personen konnte sie nie zuordnen, hat aber niemals nachgehakt und stattdessen akzeptiert, dass ihr Mann nicht über sein Leben in der DDR reden wollte. Es ist einer dieser Punkte an denen Christiane Wünsche mit viel Feinsinn die Befindlichkeiten ihrer Figuren austariert. Überhaupt gestaltet sich die Geschichte auf der gefühlsmäßigen Ebene als authentisches Bild. Dank guter Recherche und eigener Erfahrungen wirken die beschriebene Umgebung und die handelnden Personen ebenso realistisch, das Geschehen vorstellbar.
Indem die Autorin mit schriftstellerischem Kniff hin und wieder den Fokus auf Figuren wirft, die bestimmte Begebenheiten erklären, klärt sie alle Geheimnisse aus der Vergangenheit Peters bis zum Ende hin für den Lesenden auf.
In ihrem Roman „Wir sehen uns zu Hause“ nahm Christiane Wünsche mich als Leserin mit auf einen Roadtrip im eigenen Land, den eine ihrer Protagonistinnen nach dem plötzlichen Tod des Ehemanns unternimmt. Sie zeigte mir wunderbare Orte und brachte mir die Vergangenheit im geteilten Deutschland näher. In ihrem Roman wechseln sich Freude wie auch Leid gleichmäßig ab und vermitteln eine lebensechte Geschichte. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

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Veröffentlicht am 01.08.2022

Beunruhigender Roman über ein brandaktuelles Thema

Der Anfang von morgen
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Im Roman „Der Anfang von morgen“ zeigt der Schwede Jens Liljestrand ein erschreckendes Szenario, das im Zuge des Klimawandels irgendwann in der baldigen Zukunft sich entwickeln könnte, auf den auch der ...

Im Roman „Der Anfang von morgen“ zeigt der Schwede Jens Liljestrand ein erschreckendes Szenario, das im Zuge des Klimawandels irgendwann in der baldigen Zukunft sich entwickeln könnte, auf den auch der Titel anspielt. Ebenso die farbliche Gestaltung des Umschlags nimmt Bezug darauf und scheint den Interessierten zu warnen. Während des Lesens saß ich auf meiner Terrasse, es waren 34 Grad und im Radio hörte ich davon, dass in Brandenburg ein Wald brennt. Wie schnell doch die Realität die Fiktion einholen kann!

Der PR-Berater Didrik von der Esch urlaubt mit seiner Frau und seinen drei Kindern im Sommerhaus seiner Schwiegermutter, das etwa 300 km nordwestlich von Stockholm am Siljan-See steht. Die anhaltende Hitze hat zu Waldbränden geführt, die dem Aufenthaltsort immer näherkommen. Die Familie muss fliehen und Didrik versucht die Kontrolle zu behalten. Er inszeniert sich gegenüber seiner Familie und in den Sozialen Medien als Held, indem er aus der Masse der Flüchtenden durch das Brechen geltender Regeln und Gesetze auffällt. Er führt die Sicherheit der Familie und die Freiheit als Grund dafür an. Neben seinen Argumenten vermutete ich aber auch, dass Didrik erwartete, an Ansehen zu verlieren, wenn er keine Lösung für die anstehenden Probleme findet. Dennoch hat er kurze Momente der Reflexion über seine Fehler im Leben. In seiner Ehe gibt es schon länger Probleme. Er ist immer noch in Melissa verliebt, mit der er eine außereheliche Beziehung hatte. Mir wurde er nicht sympathisch, genauso wenig wie die anderen drei Hauptfiguren.

Währenddessen spielt Melissa in der schwedischen Hauptstadt Housesitter für eine Wohnung eines ehemaligen Tennisprofis. Ihr ist es einerlei von welchem Ort aus sie ihre Influencer-Postings absetzt, ihr Interesse zielt darauf, möglichst viele Likes dafür zu erhalten. Mit ihren Fotos versucht sie, das Schöne auf der Welt festzuhalten, ungeachtet des Klimawandels. Sie empfindet es als radikal, voller Freude und Glück zu leben und lässt sich gerne dafür bezahlen, ihren Followern die erfreulichsten Seiten ihres Lebens zu zeigen. Für sie sind die Einschränkungen der Bevölkerung durch das Chaos, das durch die Waldbrände und der dadurch erfolgten Evakuierungen von Orten ausgelöst wurde, lästig. Ihr eigenes Wohlbefinden stellt sie vor dem des Allgemeinwohls. Ihre Perspektive ist genauso beeindruckend wie die von Didrik und setzt die zeitliche Schilderung der Ereignisse rund um das Desaster fort.

Als Sohn des früheren Tennisstars, auf dessen Wohnung Melissa aufpasst, hat der 19-jährige André mit den Anforderungen seines Vaters zu kämpfen, der nicht versteht, dass er sich beruflich mit dem Thema Leid auseinandersetzen möchte. Obwohl er das Geschehen in Frage stellt, kooperiert er mit einer Gruppe, die ihre Message verbreiten möchte, mit der er selbst sich aber nicht näher auseinandersetzt. Mit André und Vilja, der 14-jährigen Tochter von Didrik, zeigt der Autor zwei jüngere Sichtweisen auf das Chaos.

Zeitlich umspannt der vierte Teil, der von Vilja erzählt wird, die Geschehnisse vom Beginn bis zum Ende der Woche, in denen die Geschichte spielt. Vilja entdeckt dabei ihre soziale Ader. Ihre Hilfsbereitschaft basiert aber auf Unwahrheiten. Es klären sich dabei einige lose Handlungsfäden auf. Aber der Esprit, die beeindruckende Art, die mich in die Geschichte hineingezogen hat, der Schrecken über das, was aus der anhaltenden Hitze entstehen kann, hat mir gefehlt, leider auch schon in der Erzählung von André, in der sich das Geschehen zu sehr der Zerstörung von Eigentum zuneigte.

Jens Liljestrand erreicht es mit seinem Roman, auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen. Strategien für eine Bewältigung bietet er nicht an. Er zeigt auf, wozu Menschen in Notsituationen fähig sind, noch dazu, wenn sie sich in einer Menge Verzweifelter bewegen und der Verstand durch das Beobachten des Verhaltens anderer ausgehebelt wird. Teilweise schweift er vom roten Faden ab, was sich aber durch die Gedankengänge der einzelnen Hauptfiguren erklärt.

Am Ende des Romans bleibe ich zurück mit einer gewissen Furcht vor den kommenden Auswirkungen, die sich aufgrund des Klimawandels ergeben könnten. Dennoch bleibt auch die Hoffnung, dass solche fiktiven Geschichten über die Folgen der Klimakrise wie der hier vorliegende Roman „Der Anfang von morgen“ dazu beitragen, aufzurütteln und allen vor Augen zu führen, dass wir jetzt handeln müssen.

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