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Veröffentlicht am 10.09.2019

Jede Menge Denkanstöße

Der Store
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Online-Shopping ist eine bequeme Sache. Nahezu alles, was man benötigt, ist im Angebot, mit einem Klick bestellt und wird meist bereits am nächsten Tag geliefert. Man muss das Haus nicht verlassen, hat ...

Online-Shopping ist eine bequeme Sache. Nahezu alles, was man benötigt, ist im Angebot, mit einem Klick bestellt und wird meist bereits am nächsten Tag geliefert. Man muss das Haus nicht verlassen, hat keinen Einkaufsstress und oft sogar noch günstigere Preise als im Laden um die Ecke. Dass das auf lange Sicht das Aus für den Einzelhandel und nachfolgend die Verödung der Innenstädte bedeutet, ist den Konsumenten egal. Hauptsache bequem.

Der amerikanische Autor Rob Hart hat dieses Szenario weitergesponnen und bietet in „Der Store“ seinen Lesern einen erschreckenden Blick in die Zukunft. Eine Zukunft, in der ein Handelsgigant namens „Cloud“ das Leben bestimmt, dessen Gründer den richtigen Riecher zur richtigen Zeit hatte und mittlerweile Eigner eines weltweiten Imperiums ist. Wer sich entschließt, für Cloud zu arbeiten, verkauft seine Seele. Ausgewählt von Algorithmen, kaserniert, überwacht, ohne Rücksicht angetrieben. Alles im Sinne der Profitmaximierung. Arbeitsalltag bei Cloud.

Innenansichten liefert Hart aus drei Perspektiven: Gibson Wells, der Besitzer, ist davon überzeugt, dass Cloud die Lösung für alle Probleme der Menschheit ist. Zinnia hat nicht nur spezielle Fähigkeiten sondern auch einen Auftrag. Paxton, ehemaliger Besitzer einer kleinen innovativen Firma, wurde von Cloud in den Ruin getrieben und ist mittlerweile dort als Security-Mitarbeiter angestellt. Alle drei geben uns höchst entlarvend durch ihre verschiedenen Sichtweisen einen Blick auf die Wirklichkeit.

Machen wir uns nichts vor, diese Zukunft hat bereits begonnen und alle Themen, die Hart anschneidet, sind schon längst Realität. Globale Monopolisten, Niedriglöhne, Einschnitte im Gesundheitswesen, Umweltzerstörung – Entwicklungen, die nicht nur die Vereinigten Staaten betreffen.

Unterhaltsam, entlarvend, spannend. Ein Roman, bei dem Ähnlichkeiten mit Sicherheit beabsichtigt sind und der jede Menge Denkanstöße liefert. Nachdrücklich empfohlen!

Veröffentlicht am 07.09.2019

Ein kleines Stück großer Literatur

Menschen neben dem Leben
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Mit dem 2018 in deutscher Fassung erschienenen „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz hat der Verlag Klett-Cotta einen Autor wiederentdeckt, dessen in den dreißiger Jahren geschriebenen Romane auch ...

Mit dem 2018 in deutscher Fassung erschienenen „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz hat der Verlag Klett-Cotta einen Autor wiederentdeckt, dessen in den dreißiger Jahren geschriebenen Romane auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Nun also erstmals eine deutsche Ausgabe von „Menschen neben dem Leben“, 1937 in schwedischer und 1939 in englischer Sprache verlegt. Und wie bereits der Vorgänger besticht auch dieses Werk durch einen unverstellten Blick auf das Leben nach dem Ersten vor dem Zweiten Weltkrieg. Zeigt, wie es dazu kommen konnte, dass der Nationalsozialismus auf fruchtbaren Boden fiel.

Es sind die einfachen Menschen und deren Kampf ums Überleben, denen Boschwitz‘ Interesse gilt. Das hat nichts von einem „Babylon Berlin“ Glamour, das ist die Betrachtung von einem Leben ganz unten, in dem man das Dach über dem Kopf verloren hat, in dem man sich für das täglich Brot prostituieren muss, in dem die Schrecken des vergangenen Krieges noch immer allgegenwärtig sind. In dem man aber nicht aufgibt, sondern weiter strampelt und sich seinen kleinen Augenblick des täglichen Glücks in der Kneipe um die Ecke mit einem Glas Pfefferminzschnaps und einem Tänzchen verschafft. Für einen kurzen Augenblick die Sorgen des Alltags vergisst und nicht an die Zukunft denkt. Das drohende Unheil noch nicht kommen sieht.

Ein schmaler Roman, aber dennoch ganz dicht dran an den Menschen, voller Sympathie für die Verlierer, plastisch und dicht in den Beschreibungen. Authentisch und voller Atmosphäre. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Ein kleines Stück großer Literatur.

Veröffentlicht am 04.09.2019

Alles hat ein Ende...

Vernichtung
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Jetzt ist es also soweit. Die nach dem Tod von Stieg Larsson von David Lagercrantz fortgeschriebene Reihe um den Journalisten Mikael Blomkvist und die Hackerin Lisbeth Salander ist mit „Vernichtung“ am ...

Jetzt ist es also soweit. Die nach dem Tod von Stieg Larsson von David Lagercrantz fortgeschriebene Reihe um den Journalisten Mikael Blomkvist und die Hackerin Lisbeth Salander ist mit „Vernichtung“ am Ende angelangt. Und noch einmal begeben sich die beiden auf eine Mission, einen Rachefeldzug gegen das Böse. Gegen die mächtigen Männer und gegen Camilla, Lisbeths Zwillingsschwester, die mit diesen und für diese arbeitet.

Ein toter Bettler mit einem Super-Gen, eine Everest-Expedition mit mehreren Toten, Sherpas, russische Gangster und Cybertrolle. Stockholm, Moskau und der Himalaya. Eine wilde Mischung auf den ersten Blick, aber all diese Komponenten sind stimmig in diesem rasanten Thriller verwoben. Gute Hacker und böse Intriganten, die ihre verheerende Saat streuen und so politische Prozesse nach ihrem Willen beeinflussen. Salander und Blomkvist mittendrin in der globalisierten Gegenwart mit ihren verheerenden Möglichkeiten.

Die Themen, die Lagercrantz seinen beiden Protagonisten auf den Leib geschrieben hat, könnten aktueller nicht sein. Ob es nun die aktuelle Populismuswelle oder gezielte Desinformationen in Form manipulierter Nachrichten betrifft, ob (A)soziale Medien oder Darknet, der Autor bietet in diesem Roman seinen Lesern einen spannenden und detaillierten Querschnitt durch die bestimmenden Themen unserer Zeit an und krönt dies mit einem dramatischen Ende.

Es ist vollbracht!

Veröffentlicht am 02.09.2019

Ein Leseerlebnis der besonderen Art

Teufelskrone
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Rebecca Gablé nimmt in ihrem neuesten Band der Waringham-Saga den Leser mit auf eine Reise in eine höchst interessante Epoche. Und wie wir es bereits aus den Vorgängern kennen, verquickt sie auf ihre unnachahmliche ...

Rebecca Gablé nimmt in ihrem neuesten Band der Waringham-Saga den Leser mit auf eine Reise in eine höchst interessante Epoche. Und wie wir es bereits aus den Vorgängern kennen, verquickt sie auf ihre unnachahmliche Weise belegbare historische Tatsachen der englischen Geschichte am Beispiel der Plantagenêts mit der fiktiven Familiengeschichte der Waringhams.

Zeitlicher Hintergrund für „Teufelskrone“ ist der Zeitraum zwischen 1192 bis 1216. Und es sind zwei jüngere Brüder, die im Zentrum der Handlung stehen. Auf der einen Seite Yvain, Sohn eines verarmten Landadeligen aus dem Süden Englands, auf der anderen John, Sohn von Henry II. und Eleonore von Aquitanien, Bruder von Richard Löwenherz. Und wie sich im Verlauf der Geschichte herausstellen wird, ist deren Schicksal untrennbar miteinander verbunden.

Wir erleben die letzten Jahre der Regentschaft König Richards, beobachten die Entwicklung seines Nachfolgers auf dem Thron, König John Ohneland, zum grausamen Despoten und nehmen an Feldzügen auf französischem Boden teil. Unbarmherzig gegenüber jedem, der seine Pläne kreuzt, mordet er nicht nur treue Untergebene aus seinem direkten Umfeld sondern schreckt auch nicht davor zurück, seinen Neffen Arthur eigenhändig zu töten. Er geht über Leichen, alles zum Zwecke des Machterhalts und zur Sicherung seiner „von Gott gegebenen Stellung“. Es ist die Gier, die ihn beherrscht, ob nach Frauen, Alkohol oder Ländereien, wobei letztere ihm die Exkommunikation und dem englischen Volk das Interdikt einbringt. Aber in seine Regierungszeit fällt auch die Magna Charta, die den Untertanen einen gewissen Schutz gegen Willkür durch ihre Lehnsherren gewährt und die Rechte und Pflichten des Adels festlegt. Wobei man natürlich festhalten muss, dass dies nicht auf Betreiben des Königs sondern durch äußere Notwendigkeiten geschehen ist.

Aber auch Yveins Leben ist wechselnden Strömungen unterworfen. Als fünfzehnjähriger Junge von seinem taktierenden Vater in die Obhut des Prinzen gegeben, erlebt er dessen Aufstieg und Regentschaft sehr zwiespältig. Anfangs noch bewundernd, später hadernd mit dessen Unberechenbarkeit und Unbarmherzigkeit. Heute Günstling, morgen persona non grata. Immer im Zwiespalt, immer auf der Hut. Sein Leben lang.

Die Autorin hält sich eng an die historischen Fakten, berücksichtigt aber auch die Ergebnisse der aktuellen Forschung und entzaubert so speziell den Mythos vom „edlen Ritter“ Richard Löwenherz. Dass John von der Geschichtsschreibung nicht geliebt wurde, liegt auf der Hand und ist wahrscheinlich zum einen seiner unbändigen Egozentriertheit, zum anderen aber auch seiner Brutalität im Umgang mit all denjenigen, die er als seine Feinde betrachtet hat, begründet. Dazu dann noch seine offen ausgelebte Promiskuität und die Nichtbeachtung der von der Kirche vorgegebenen Regeln – das hat ihm nicht viele Freunde eingebracht.

Natürlich gewichtet Gablé Ereignisse unterschiedlich, schmückt das eine aus und behandelt das andere nur am Rande. Dazwischen lockern dann immer wieder interessante Abschnitte zur Not der Leibeigenen in der damaligen Zeit und Abstecher zu den einzelnen Familienmitgliedern der Waringhams die Story auf, was den Lesefluss spürbar positiv beeinflusst. Man will ja schließlich wissen, wie sich bestimmte Beziehungen bzw. Personen entwickeln. Strahlende und/oder integere Helden sucht man in „Teufelskrone“ vergeblich. Dafür gibt es Liebe und Triebe, unerwartete Schicksalsschläge und Katastrophen, die ganze Bandbreite des menschlichen Lebens. Alles vertreten. Manches vorhersehbar, anderes völlig überraschend, aber immer im Gesamtzusammenhang passend.

Akkurat mit den historischen Fakten, die Personen und deren Beziehungen sehr gut charakterisiert, das Setting so anschaulich beschrieben, dass man sich jedes Detail vorstellen kann - einmal mehr ist Rebecca Gablé mit „Teufelskrone“ ein praller historischer Roman gelungen, der ein außergewöhnliches Leseerlebnis bietet.

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  • Figuren
Veröffentlicht am 01.09.2019

Sucht auf Rezept

Dopesick
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Der Gesetzgeber hat lange unbeteiligt zugesehen, aber nun endlich bewegt sich etwas. Vergangene Woche wurde Johnson & Johnson zu einer Geldstrafe von 572 Millionen Dollar verurteilt. Begründet wurde dieses ...

Der Gesetzgeber hat lange unbeteiligt zugesehen, aber nun endlich bewegt sich etwas. Vergangene Woche wurde Johnson & Johnson zu einer Geldstrafe von 572 Millionen Dollar verurteilt. Begründet wurde dieses Urteil damit, dass ihre abhängig machenden Schmerzmittel mitverantwortlich für die Drogenkrise in den Vereinigten Staaten sind. Aber natürlich läuft ein Berufungsverfahren. Gleichzeitig gibt es Gerüchte über Vergleichsverhandlungen des Pharmakonzerns Purdue und dessen Eignerfamilie Sackler, Hersteller des Schmerzmittels OxyContin, gegen die rund 2000 Klagen anhängig sind. In der Gesamtsumme geht es dabei um ca. 12 Milliarden Dollar.

400.000 Todesfälle zwischen 1999 und 2017, in 2018 pro Tag ca. 250 Tote in den USA durch ihre Schmerzmittelsucht. Das ist der Stoff, aus dem sich Beth Macys „Dopesick“ speist, die auf ihrer Reise durch die USA Betroffene und Hinterbliebene besucht und befragt hat. Fast alle eint der Fakt, dass ihnen die Opioide erstmalig von ihren Ärzten verschrieben wurden. Ärzten, denen Vertreter des Pharmagiganten Purdue ab 1996 weisgemacht haben, dass sie mit OxyContin ein wahres Wundermittel gegen Schmerzen auf den Markt gebracht hätten. Wobei die verheerenden Nebenwirkungen natürlich verschwiegen und die Risiken heruntergespielt wurden. Denn natürlich drehte sich alles um den Profit.

Ganz gleich ob Stadt oder Land, Arbeitsloser oder Akademiker, die Abhängigkeit zieht sich durch sämtliche gesellschaftlichen Schichten. Und nicht selten folgt dem Medikament, der Opioid-Abhängigkeit, der Umstieg auf Heroin. Die Geschichten ähneln sich allesamt. Sie zeigen beeindruckend nicht nur das Ausmaß sondern auch die Auswirkungen der Sucht, nicht nur auf den Einzelnen sondern auch auf die Gesellschaft. Aber es gibt auch Licht am Ende des Tunnels, denn gerade die Konsumenten, die sich aus der Sucht befreit haben, bekämpfen deren Verursacher nun mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. Im Kleinen wie im Großen.

Die Lektüre von „Dopesick“ macht traurig, aber auch wütend. Wütend, weil so lange weggeschaut wurde. Wütend, weil gerade unter Trump die Profite, nicht nur von Big Pharma, über das Wohl der Menschen gestellt werden. Wütend, weil diese Konzerne unantastbar scheinen.

Aber nun das Urteil gegen Johnson & Johnson. Der Anfang ist gemacht.