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Veröffentlicht am 19.05.2024

Kuschelfantasy deluxe!

Bücher und Barbaren
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Eigentlich lebt die Söldnerin Viv für den Rausch der Schlacht, doch mit Krieg und Kämpferei ist es für den Moment vorbei, nachdem sie bei einem Scharmützel mit magischen Skeletten den Kürzeren zieht. Mit ...

Eigentlich lebt die Söldnerin Viv für den Rausch der Schlacht, doch mit Krieg und Kämpferei ist es für den Moment vorbei, nachdem sie bei einem Scharmützel mit magischen Skeletten den Kürzeren zieht. Mit dem Versprechen, sie bald wieder abzuholen, setzt ihr Trupp die Orc-Kriegerin zur Genesung in einer idyllischen Kleinstadt am Meer ab - und Viv könnte sich an diesem beschaulichen Ort nicht stärker langweilen. Doch dann stolpert sie über die Bücherei der Rättin Fern und Maylees Bäckerei und lernt eine ganz neue Sichtweise auf die Dinge kennen. Schon bald will sie gar nicht mehr wirklich weg ...

Mit "Magie & Milchschaum", dem ersten Teil seiner Saga um die Kriegerin Viv, gab Travis Baldree dem Genre Cozy Fantasy auf Anhieb ein neues, erfolgreiches Gesicht. Und so folgt natürlich auch "Bücher & Barbaren", sein zeitlich vor dem Auftakt angesiedeltes Prequel, der altvertrauten Formel, die sich dank Baldrees meisterhaftem Sinn für reichlich Atmosphäre so kuschlig anfühlt wie ein jahrelang getragener Lieblings-Wollpullover. Schnell schließt man die skurrilen Charaktere und ihre alltäglichen Sorgen ins Herz und lässt sich fallen in eine Fantasywelt, in der man sich uneingeschränkt wohlfühlen kann. Und wer hier zu wenig Inhalt und Konflikt bemängelt, hat schlicht den Sinn des Genres Cozy Fantasy (alternativ und hier auch recht zutreffend als "Cottagecore" bezeichnet) noch nicht verinnerlicht.

Fantasy war schon immer eine der eskapistischsten Literaturgattungen überhaupt. Cozy Fantasy steigert dieses Verlangen nach einer Flucht in andere Welten nun noch einmal mehr, indem sie den Wohlfühlfaktor in den Vordergrund stellt (ähnlich wie die berühmten britischen Cozy Crimes das mit schrulligen Ermittler:innen und beschaulichen Dörfchen tun, in denen Verbrechen nur ein lästiges Hindernis auf dem Weg zum nächsten Kaffeeklatsch sind). Wer also im "Herrn der Ringe" immer schon die Dorfgeschichten im Auenland am spannendsten fand, bei "Harry Potter" die Ausflüge in die Winkelgasse und nach Hogsmeade genossen hat und am Computer stundenlang in den Spielewelten von "Animal Crossing" oder "Stardew Valley" abtaucht, für den ist "Bücher & Barbaren" ein ganz klarer Fall - unbedingt lesen! Die Kenntnis des Vorgängers, der zeitlich ohnehin Jahre nach der hier geschilderten Handlung spielt, ist zwar nicht zwingend erforderlich, aber unabhängig davon ist auch dieser mindestens genauso zu empfehlen. Travis Baldree hat sich mit den Geschichten um Viv zu Recht zum unangefochtenen König der Kuschel-Fantasy aufgeschwungen - dieses Buch macht süchtig!

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Veröffentlicht am 13.03.2024

The Great American Novel

Demon Copperhead
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Jeder angehende Schriftsteller in den USA träumt davon, sie irgendwann zu schreiben, die "Great American Novel" - das Buch, das den Zustand der Gesellschaft innerhalb einer bestimmten Zeitspanne einfriert, ...

Jeder angehende Schriftsteller in den USA träumt davon, sie irgendwann zu schreiben, die "Great American Novel" - das Buch, das den Zustand der Gesellschaft innerhalb einer bestimmten Zeitspanne einfriert, kritisch beleuchtet und lebendig für die Nachwelt konserviert. Romane wie Steinbecks "Früchte des Zorns" zum Beispiel, Twains "Huckleberry Finn", Fitzgeralds "Der große Gatsby", Salingers "Fänger im Roggen" oder Harper Lees "Wer die Nachtigall stört". Barbara Kingsolver ist nun eine Autorin, die erneut verdammt nah dran ist an dieser Idealform einer Geschichte - und ganz im Zeichen ihrer eigenen Generation unerreicht großer Autoren (Cormac McCarthy, Bret Easton Ellis, David Foster Wallace) schreckt sie nicht zurück vor naturalistischen Darstellungen und anklagender Gewalt. Das Resultat heißt "Demon Copperhead", gewann den letztjährigen Pulitzer-Preis und bringt Barbara Kingsolver ein ganzes Stück weiter auf dem Weg zum Thron der neuen "Great American Novel".

"Demon Copperhead" ist nicht nur eine Hommage an den großen Charles Dickens, es borgt sich sogar unverhohlen den groben Plot und den größten Teil seiner Figuren (mit teilweise nur leicht veränderten Namen) aus dessen Klassiker "David Copperfield" (der seinerseits wohl das beste Beispiel für eine "Great British Novel" wäre). Das ist nicht als Plagiat gemeint, sondern instrumentalisiert bewusst Dickens' damalige Themen für einen Vergleich mit der Jetztzeit. Insofern kann man Kingsolver durchaus den Vorwurf machen, mit ihrer Geschichte des bitterarm und vernachlässigt aufgewachsenen Demon in einer der rückständigsten Gegenden der USA auf die künstliche Emotionalität eines aufgekitschten Groschenroman-Elends abzuzielen, aber das verfehlt den Punkt, da diese Kunstgriffe schon in der Dickens-Version inhärent und dort sicherlich sogar weitaus mehr einem damaligen Publikumsgeschmack geschuldet sind.

Kingsolver greift diese Mechanik auf und macht sich nicht die Mühe, dem Publikum eine mildere, versöhnlichere Beschreibung des harten Lebens inmitten der Appalachen anzubieten, nur um diesem Vorwurf zu entgehen. Stattdessen zielt sie genau dorthin, wo es weh tut, bombardiert den Leser mit kraftvoller, lebensnaher Sprache, dem Schmutz des Trailerparks, der seelischen Verwahrlosung und physischen Gewalt einer Unterschicht ohne Perspektive, die immer wieder durchbrochen wird von den unschuldigen kleinen Freuden der Kindheit und von der Sorglosigkeit des Coming of Age. Das ändert sich spätestens, als Demon nach einer Verletzung abhängig von OxyContin wird, jenem teuflischen Schmerzmedikament, dass besonders in den verarmten Gegenden der Vereinigten Staaten durch seine skrupellose Verbreitung zum Nutzen der großen Pharma-Konzerne eine massive Opioid-Krise auslöste. Doch das ist fast schon eine andere Geschichte.

Auf weit über 800 Seiten windet sich "Demon Copperhead" durch ein Leben am Rande lauernder Katastrophen, beobachtet sein Umfeld mit messerscharfer Präzision und schafft vor allem durch diese ausufernde Detailfreude ein ultrarealistisches Abbild einer verlorenen Gesellschaft, festgefroren in einem ewigen Status Quo. Und genau das macht Barbara Kingsolvers wohl ambitioniertestes Werk dann doch schon zum heißesten Anwärter auf die nächste "Great American Novel". Auf jeden Fall kürt es "Demon Copperhead" mit fast schon obszöner Leichtigkeit zum unumstrittenen Buch des Jahres!

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Veröffentlicht am 11.10.2023

Kalter Krieg - heiß serviert

Wie Sterben geht
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Wenn sich ein Autor wie Andreas Pflüger dazu entscheidet, einen politisch aufgeladenen Agententhriller zu schreiben, der den Leser mitten in die paranoide Zeit des Kalten Krieges zurückwirft, dann ist ...

Wenn sich ein Autor wie Andreas Pflüger dazu entscheidet, einen politisch aufgeladenen Agententhriller zu schreiben, der den Leser mitten in die paranoide Zeit des Kalten Krieges zurückwirft, dann ist schon davon auszugehen, dass "Wie Sterben geht" (trotz des tatsächlich eher ungelenken Titels) eine einmalige Erfahrung für Thrillerfans werden könnte. Und so kommt es dann eben auch. Überraschend ist das nicht, großartig irgendwie schon.

Mit sicherer Hand entwirft Pflüger ein wortgewaltiges und dennoch reduziertes Szenario im Jahr 1983, einer Zeit, in der der Kalte Krieg tatsächlich noch eiskalt war. Seine detaillierte Beobachtung des grauen und zweigeteilten Molochs Berlin atmet die ungemütliche Atmosphäre einer Welt im Zustand lauernder Anspannung, die sich nur hin und wieder in einem kurzen Gewaltexzess Luft macht und ansonsten durch die totale Abwesenheit jeglicher menschlicher Empathie frieren lässt. Das ist spannend zu lesen, gruslig-distanziert wie ein historischer Tatsachenbericht und dann wieder dynamisch und adrenalingetrieben in seinen sehr smart inszenierten Action-Szenen, die den Vergleich zu Hollywood-Storyboards nicht scheuen müssen. Dabei formuliert Pflüger bildhaft und dreckig, oftmals dem Chaos seiner eigenen Szenerie verpflichtet und damit so wenig vorhersehbar selbst für den erfahrensten Literaten, dass man ihm kleinere Ausrutscher gern durchgehen lässt. Erfrischend für einen deutschen Spannungsroman, der weder "nur" unterhalten möchte noch seine Leser mit aufgeblasener Moral aus dem Rückspiegel aufs rhetorische Glatteis führt. Einfach nur gut!

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Veröffentlicht am 25.07.2023

Sternstunde der Thriller-Queen!

Die letzte Nacht
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Ärztin und Gerichtsmedizinerin Sara Linton wird während einer einzigen atemlosen Nacht in der Notaufnahme in einen Strudel aus Ereignissen gezogen, der weit in ihre Vergangenheit zurückreicht. Als die ...

Ärztin und Gerichtsmedizinerin Sara Linton wird während einer einzigen atemlosen Nacht in der Notaufnahme in einen Strudel aus Ereignissen gezogen, der weit in ihre Vergangenheit zurückreicht. Als die junge Dani mit zerschmettertem Brustkorb in die Klinik eingeliefert wird und kurz darauf verstirbt, ist es Sara, der das Mädchen mit ihren letzten gehauchten Worten das Versprechen abnimmt, denjenigen, der ihr das angetan hat, seiner gerechten Strafe zuzuführen. Drei Jahre später könnte Saras Zeugenaussage die entscheidende Wendung in einem Fall ohne ausreichende Beweise bringen, aber hinter dem vermeintlichen Täter und seiner Familie steht jede Menge Geld. Sara muss sich ihren finstersten Dämonen stellen ...

Unerbittlich peitscht Karin Slaughter auch im elften Roman ihrer enorm erfolgreichen Will-Trent-Reihe die Handlung voran und schreckt dabei, wie immer, vor keinen noch so grausamen Details zurück - das ist Teil ihrer Erfolgsrezeptur und geht so auch absolut in Ordnung, denn für empfindsame Seelen hat die Autorin noch nie geschrieben. Andererseits spinnt sie den roten Faden um Will Trent und die bereits seit Slaughters Debüt mit der Grant-County-Reihe zur Stammbesetzung gehörende Sara Linton behutsam weiter und hat damit längst zwei Figuren erschaffen, die Stammlesern in jeder neuen Veröffentlichung weitere faszinierende Facetten ihrer Persönlichkeit (und zwischenmenschlichen Annäherung) offenbaren. Damit kontrapunktiert Karin Slaughter recht geschickt die stets präsente und abstoßende Gewalt in ihren Büchern und lässt sie zu einem atmosphärischen Detail ihrer gnadenlosen literarischen Welt werden, die einfach so ist, wie sie ist. Keine Entschuldigung nötig.

Darüber hinaus hat "Die letzte Nacht" auch als individueller Eintrag in Slaughters Bibliographie genügend zu bieten: Die altvertraute Dynamik zwischen Trent und Linton stellt sich schnell wieder ein, das zentrale Verbrechen ist abscheulich, aber eben auch äußerst komplex, die literarische Sprache kommt unverblümt zur Sache und baut trotzdem jede Menge Emotionen und eine niemals nachlassende Spannung auf - bis zum finalen Schlusstwist, der sich seines unverschämt wirkungsvollen Überraschungsmomentes nur allzu bewusst ist. Es ist wie immer mit Karin Slaughter: Man liebt ihre Bücher oder man hasst sie, doch ihre mittlerweile an unzähligen Romanen geschärfte Meisterschaft im Schreiben moderner "hardboiled" Crime-Thriller wird man nicht in Abrede stellen können. Und so dürfte auch "Die letzte Nacht" in kurzer Zeit ganz unzweifelhaft den Weg in die hiesigen Bestsellerlisten finden. Völlig zu Recht!

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Veröffentlicht am 02.07.2023

Schwedische Thrillerbombe

Refugium
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John Ajvide Lindqvist ist ja mittlerweile Schwedens Vorzeigeautor, wenn es um international konkurrenzfähige Genreliteratur geht. Bisher eher im Horror des Übernatürlichen beheimatet, wurde er seinerzeit ...

John Ajvide Lindqvist ist ja mittlerweile Schwedens Vorzeigeautor, wenn es um international konkurrenzfähige Genreliteratur geht. Bisher eher im Horror des Übernatürlichen beheimatet, wurde er seinerzeit mit dem kongenialen Vampir-Coming-of-Ager "So finster die Nacht" weit über die Grenzen Skandinaviens hinaus zum Star. Das Buch wurde nicht nur in seiner Heimat verfilmt, sondern danach auch in Hollywood neu interpretiert - und das gar nicht mal so übel. Zuletzt gab es dazu sogar noch eine (leider relativ kurzlebige) US-Fernsehserie, die zwar über eine Staffel nicht hinauskam, aber interessante neue Ansätze zeigte. Kurzum: Lindqvist galt zurecht als Schwedens Antwort auf Stephen King - obwohl derlei Auszeichnung oft mehr Marketing-Plattitüde als ernstgemeintes Kompliment ist.

Nun also der Versuch eines Thrillers, und da Lindqvist ja irgendwie einen Ruf zu verlieren hat, klotzt er lieber als zu kleckern. Folgerichtig ist auch sein "Refugium" kein leiser und düsterer Scandi-Noir, sondern ein literarischer Blockbuster-Versuch, der nichts Geringeres will als die Nachfolge von Stieg Larssons weltberühmter Millenium-Trilogie anzutreten. Dementsprechend legt Lindqvist auch sein eigenes Werk nicht nur als (mindestens) Trilogie an, sondern begibt sich relativ frech (oder selbstbewusst) sogleich auf Metaebene und thematisiert Larsson höchstselbst, indem er seine Protagonistin (Autorin und Ex-Polizistin Julia Malmros) als Nachfolgerin von Larsson aufbaut, die im Auftrag ihres Verlages die Folgebände zur realen Millenium-Trilogie (und den Ergänzungen von David Lagercrantz) schreiben soll. Damit ist die Ausgangssituation gesetzt, und jetzt fehlt nur noch ein passender Salander-Ersatz, der Julia zur Seite gestellt wird - und Lindqvist gelingt hier fast unbewusst der nächste Coup, indem er den Computernerd Kim Ribbing einführt, der in seiner freakigen Rätselhaftigkeit auch selbst problemlos allen Vergleichen zur legendären Lisbeth Salander standhält. Chapeau für diesen Move!

Jetzt sind die Weichen gestellt für einen politisch subtil agierenden Action-Thriller, der stilistisch tatsächlich auf den Spuren von "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung" wandelt. Dafür sorgt schon ein typisch blutrünstiger Beginn, bei dem ein gutbürgerlicher schwedischer Familienclan in den idyllischen Schären Schwedens fast vollständig von Maschinengewehrfeuer hinweggemäht wird. Nur die Tochter überlebt, und natürlich war die Tat kein zufälliger Amoklauf. Als alte Geheimnisse wieder ans Licht kommen, beginnen Malmros (und irgendwie auch Kim am Computer) zu ermitteln und - auch logisch - stoßen damit in ein Wespennest, das weitreichende Folgen hat. Das macht Laune, ist durchgehend spannend, selbstverständlich Lundqvist-typisch gut geschrieben und beweist letztendlich das, was der Autor hier vermutlich auch beweisen wollte - dass er in jedem Genre ein Meister sein kann, wenn er nur will. Und ganz klar: Hier will er! Da gibt es keine Diskussion mehr, das ist ein ganz klarer Lesebefehl für "Refugium". Also ran an den vermutlich besten skandinavischen Thriller, der dieses Jahr über die Ostsee schwappt!

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