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Marielle_liest

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.04.2024

Stürmisch und mitreißend – wie das Meer!

Was das Meer verspricht
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Vida lebt auf einer kleinen Insel zusammen mit ihren Eltern. Ihr Bruder Zander hat die Insel längst verlassen. Vidas Zukunft scheint festzustehen – sie wird ihr Leben auf der Insel verbringen, das Café ...

Vida lebt auf einer kleinen Insel zusammen mit ihren Eltern. Ihr Bruder Zander hat die Insel längst verlassen. Vidas Zukunft scheint festzustehen – sie wird ihr Leben auf der Insel verbringen, das Café ihrer Eltern übernehmen und Jannis heiraten.

Ein feenhaftes, ganz und gar unwirkliches Wesen zieht auf die Insel und bringt Vidas Pläne durcheinander. Das Wesen heißt Marie und alles an ihr scheint übernatürlich und von unbegreiflicher Grazie und Schönheit zu sein. Vida ist hin- und hergerissen zwischen der gewohnten Sicherheit und Marie, die eine völlig fremde und so aufregende Form der Zukunft sein könnte.

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Wow! Was für eine Achterbahnfahrt! Das Feuer, das Marie in Vida entfacht, entfachte dieser Roman in mir. Die starken Gefühle, die Vida erlebt, waren für mich auf beeindruckende Weise nachzuempfinden. Gänsehaut und Herzklopfen, Euphorie und Faszination, Schmerz und Leid – wie das alles in knapp 300 Buchseiten passt, ist kaum zu glauben. Doch ich habe es zusammen mit Vida durchgemacht, und muss mich emotional nun erst einmal davon erholen.

Ich liebe es, wenn geschriebene Worte so ein Feuerwerk an Empfindungen auslösen können! Auch wenn ich Vidas Verhalten nicht immer richtig fand und wenn ich ihren Gedanken nicht immer zustimmen konnte, war es dennoch beeindruckend, auf diese Weise mit ihr einzutauchen in ihre Welt. Mehr möchte ich zur genauen Handlung gar nicht verraten, da gerade diese den Roman so kraftvoll und dynamisch zum Leben erweckt.

Alexandra Blöchl gelingt es mit einem fesselnden und mitreißenden Sprachstil, eine einzigartige Geschichte von jungen Menschen mit ungewisser Zukunft zu erzählen – mit dem gewissen Etwas. Und ich kann mich kaum erinnern, wann ich einen Roman so körperlich miterlebt habe.

Ganz besonders war auch die Rolle des Meers, die die Stimmung der Figuren miterzählt hat – mal stürmisch, mal sanft, mal bedrohlich, mal kristallklar. Eine Empfehlung für alle, die emotionale und ausdrucksstarke Geschichten mögen, die Bücher gerne in einem Rutsch durchlesen und natürlich für alle, die das Meer lieben.

Veröffentlicht am 08.04.2024

Fühlen, wahrnehmen, anerkennen, wertschätzen

Mit den Jahren
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Eva und Lukas führen mit ihren beiden Kindern ein klassisches Familienleben - zumindest von außen betrachtet. Als Lehrerin und Künstler unterscheidet sich ihr beruflicher Alltag jedoch erheblich. Und mit ...

Eva und Lukas führen mit ihren beiden Kindern ein klassisches Familienleben - zumindest von außen betrachtet. Als Lehrerin und Künstler unterscheidet sich ihr beruflicher Alltag jedoch erheblich. Und mit den Jahren finden Unterschiede und Kontraste auch einen Weg in das Privatleben der beiden.

Jette ist Single, einsam und steht auf Frauen - eigentlich. Denn als sie Lukas immer wieder in der gemeinsamen Stammkneipe über den Weg läuft, kommt sie ihm bald näher als erwartet.

Alle drei sind irgendwie unzufrieden mit der aktuellen Situation und begeben sich auf dünnes Eis, bis der Zufall oder das Schicksal (wer weiß das schon so genau) ihr Leben komplett durcheinander bringt.


Wie gelingt es, sich als Paar nach 20 Jahren Beziehung und zwei gemeinsamen Kindern noch so zu lieben und zu schätzen, wie am ersten Tag? Warum schauen sich Menschen immer nach etwas Besserem um? Woher kommt die Frage an sich selbst, wie ein alternatives Leben ausgesehen hätte? Will man das, wonach man sich sehnt, immer noch genauso sehr, wenn man es schließlich bekommt?

Ich habe diese Fragen geliebt, die Janna Steenfatt während des gesamten Romans immer wieder einfließen lässt. Eva, Lukas und Jette stoßen auf diese Fragen und müssen Antworten finden und irgendwie stellen wir uns doch alle im Laufe unseres Lebens hin und wieder ähnliche Fragen.

Von außen betrachtet war für mich alles ganz klar. Ist es dann im eigenen Leben nicht auch? Die Autorin schafft es mit einer angenehmen und lebensnahen Sprache, die tiefen inneren Zerwürfnisse der drei Figuren aufzuzeigen. Das Seelenleben lag so offen dar, dass wir es als Lesende förmlich greifen konnten - das Verlangen, die Hintergründe, die Träume und Ängste.

Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, dass die beiden eigentlich so wunderbar zusammen passen, gerade wegen der Kontraste. Und schließlich ist es Jette, die die besten Seiten von Eva und Lukas wieder zurück ans Licht holt, sodass sie einander endlich wieder sehen können. Sehen im Sinne von fühlen, wahrnehmen, anerkennen, wertschätzen.

Es passiert ansonsten nicht wahnsinnig viel auf den 352 Seiten, aber es war genau meins. So viele Emotionen, so viel Sehnsucht und Schmerz - so viel reflektieren, überdenken, resignieren und neu beginnen. Große Empfehlung für alle, die das Ergründen lieben!

Veröffentlicht am 24.03.2024

Kraftvoll und intensiv

Yellowface
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Athena und June, Freundinnen und Autorinnen. Beide sind jung, beide haben ihren Debütroman veröffentlicht - eine ist erfolgreich, die andere nicht. Als die eine bei einem tragischen Unfall stirbt, ist ...

Athena und June, Freundinnen und Autorinnen. Beide sind jung, beide haben ihren Debütroman veröffentlicht - eine ist erfolgreich, die andere nicht. Als die eine bei einem tragischen Unfall stirbt, ist die andere dabei. Und plötzlich ist sie da, die Gelegenheit. Die Chance, in die Haut der anderen zu schlüpfen, ebenso erfolgreich und beneidenswert zu werden. Aus der Gelegenheit wird die Wirklichkeit - doch um welchen Preis?

Es gleicht der Kraft eines Strudels, den Gedanken und Handlungen von June zu folgen. Ständig werde ich umher gewirbelt, wenn sich die Ereignisse überschlagen und trotzdem kann ich mich aus dem Sog der Worte nicht befreien. Und nie war ich ganz sicher, ob June die Wahrheit sagt oder ob sie die Realität zurecht biegt, um alles besser ertragen zu können, was nach Athena’s Tod geschieht.

Rebecca F. Kuang schreibt fesselnd und faszinierend von einer Geschichte, die eigentlich vollkommen absurd erscheint. Denn natürlich könnte man keinesfalls diejenige sein, die sich in Lügen verstrickt und plötzlich in einer Parallelwelt aufwacht. Könnte man wirklich nicht?

Es ist beängstigend, wie schnell aus einer unüberlegten Handlung, die im Schock und ohne reifliche Überlegung geschieht, eine ganze Lawine losgetreten wird. Ständig werden neue Entscheidungen von June verlangt, doch hat sie überhaupt eine Wahl? Sie ist eine Lügnerin und stiehlt nicht nur ein Lebenswerk, sondern gleich eine ganze Identität. Und trotzdem wünsche ich ihr manchmal, dass sie damit durchkommt. Doch in der nächsten Minute finde ich ihr Verhalten einfach nur abstoßend.

Dass es der Autorin gelingt, June‘s Zerrissenheit auch auf mich als Leserin zu spiegeln, gefällt mir unglaublich gut.

Ich habe „Yellowface“ super gern gelesen, habe mich von der kraftvollen Handlung fesseln lassen, habe viel gelernt über die Welt der Autor:innen und der Verlage und habe gestaunt über die Macht der sozialen Medien. Denn obwohl wir heute alle wissen, was ein Shitstorm ist, können wir die echte Gewalt, die davon ausgeht, wahrscheinlich nur erahnen.

Ob der Hype um dieses Buch gerechtfertigt ist, solltest du selbst herausfinden. Ich war sehr überzeugt von der Geschwindigkeit und der Intensität von „Yellowface“ und von der skurrilen Idee, die diesem Roman zugrunde liegt. Ein halbes Pünktchen ziehe ich ab, weil ich mir eventuell einen noch stärkeren Paukenschlag als Ende gewünscht hätte. Ansonsten bin ich rundum happy und habe jede Zeile genossen.

4,5/5 ★

Veröffentlicht am 26.02.2024

Lil‘s geniale Rache

Lil
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Sarah erzählt die Geschichte ihrer Ur-Ahnin Lillian Cutting, die Ende des 19. Jahrhunderts eine erfolgreiche, intelligente und selbstbewusste Unternehmerin war. Für die damalige Bevölkerung New Yorks und ...

Sarah erzählt die Geschichte ihrer Ur-Ahnin Lillian Cutting, die Ende des 19. Jahrhunderts eine erfolgreiche, intelligente und selbstbewusste Unternehmerin war. Für die damalige Bevölkerung New Yorks und auch für ihren eigenen Sohn Robert war Lil etwas zu unabhängig für diese Zeit und so geschah es, dass sie unter einem heimtückischen Vorwand in einer Psychiatrie behandelt wurde. Dort wurde ihr Schreckliches angetan, doch Lil beschloss, sich zu rächen.


Ich habe den knapp 240 Seiten schlanken Roman geradezu verschlungen. Die Erzählerin Sarah berichtet so grandios sarkastisch von ihrer Familiengeschichte, dass ich schon nach wenigen Seiten mit Haut und Haaren von ihr gefangen war. Die absolute Krönung ist ihre Gesprächspartnerin Miss Brontë, womit der Autor zu 100 % meinen Geschmack getroffen hat.

Das Buch beinhaltet so viele weiblich gelesene Charaktere, in die man sich nur verlieben kann. Für die damalige Zeit sind Lil, Libby, Eve und Colby so fantastische Vorbilder, dass ich einfach nur dahingeschmolzen bin. Sie bieten ihren Widersachern auf so raffinierte Weise die Stirn, dass ich gerne mehrfach laut gejubelt hätte.

Dass ausnahmslos alle Psychiatrien, Psychotherapeut:innen und stationäre Einrichtungen für psychische Erkrankungen im Roman „Lil“ sehr schlecht wegkommen, ist ein bisschen schade und mein einziger Kritikpunkt.

Mein absolute Highlight war schließlich die Gerichtsverhandlung. Der Richter Stamford Brook ist dabei zur Höchstform aufgelaufen und hat so heroisch alle Scheusale und alle Ungerechtigkeiten diskreditiert, dass ich bei seiner Urteilsverkündung Gänsehaut bekam und beinahe ein Freudentränchen verdrücken musste.

Vom Sprachstil des Autors bin ich sehr beeindruckt. Es gelingt ihm dadurch, den Roman so mitreißend und amüsant zu gestalten, dass das Lesen für mich zur wahren Freude wurde. Ich kann das Buch unbedingt empfehlen, wenn du Lust hast auf geniale Rachefeldzüge, exzellenten Sarkasmus, Kreativität und Genugtuung en masse.

Veröffentlicht am 15.05.2024

Zwischen rauer Wildnis und dem Wunsch nach einem Ausweg

Die Tage des Wals
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Manod ist 18 Jahre alt und lebt kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester und ihrem Vater auf einer Insel vor der walisischen Küste. Das Leben dort ist hart und ganz der Witterung ...

Manod ist 18 Jahre alt und lebt kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester und ihrem Vater auf einer Insel vor der walisischen Küste. Das Leben dort ist hart und ganz der Witterung und den Naturgewalten ausgesetzt. Anpassung ist nötig und nur für das Einfachste bleibt Raum und Zeit. Doch Manod ist eine besondere junge Frau, die sich von den anderen Inselbewohner:innen deutlich unterscheidet. Durch ihre Neugier und ihr Interesse, das sich weit über die Grenzen der Insel erstreckt, durch ihre überdurchschnittlich gute Bildung und ihr Wissen, das sie sich sowohl in der Wildnis als auch in der Schule auf dem britischen Festland angeeignet hat, sticht sie heraus. Als die beiden Forschenden Joan und Edward vom Festland zur Insel kommen, um das dortige Leben zu dokumentieren, bemerken auch diese die besondere junge Frau und machen sie zu ihrer Assistentin. Und plötzlich eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für Manod und vielleicht sind ihre Träume und Wünsche doch gar nicht so fern, wie sie ihr bisher schienen.

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Ein Wal strandet gleich zu Beginn des Buchs am Strand der Insel, die Manods Heimat ist. Und dieser Wal begleitet uns während des kompletten Buchs durch seine unauffällige Anwesenheit. Ebbe und Flut lassen ihn auftauchen und wieder verschwinden, das Meer umspült ihn, bedeckt ihn und legt ihn wieder frei. Er verwest, wird zur Nahrungsquelle für andere Tiere und die Natur nimmt ihn wieder auf, macht ihn zum Teil eines Kreislaufes, eines Ökosystems. Doch auch die Menschen nutzen seinen Kadaver, allerdings vorwiegend die Menschen vom Festland. Bis er sich zum Schluss nun doch noch in ein bleibendes Denkmal für die Inselbewohner:innen verwandelt.

Der Wal durchläuft nach seinem Tod eine Entwicklung – einen Prozess, der sich eigentlich vollkommen im Hintergrund abspielt. Und trotzdem ist diese Entwicklung präsent, ebenso wie Manod eine Entwicklung durchläuft und am Ende auch die Insel und die ganze Welt. Denn gerade kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ist alles im Wandel, auch wenn es für die Handlung des Buches nur beiläufig auf der walisischen Insel zu spüren ist. Denn hier steht Manods Entwicklung im Vordergrund, die sich in meinen Augen von einem klugen Mädchen zu einer selbstbewussten und scharfsinnigen jungen Frau verwandelt.

Die Autorin erschafft mit Manod eine sehr sympatische Protagonistin, die so lebendig und wild ist, dass mir das Herz aufgeht. Durch die Verwendung einer wunderschönen poetischen Sprache strahlt Manods einzigartiges Wesen in die Welt hinaus. Sie ist so vielseitig und wissensdurstig, sie ist eine liebenswürdige und fürsorgliche große Schwester und sie ist naturverbunden und geerdet. Und natürlich macht sie Fehler, so wie wir alle, doch sie lernt daraus, zieht die richtigen Schlüsse und steckt neue Ziele. Ich finde Manod wirklich grandios.

Die Handlung von "Die Tage das Wals" ist sehr leise. Es passiert nicht besonders viel und so lebt der Roman vor allem durch seine bildgewaltige und poetische Atmosphäre und durch Naturbeschreibungen, die mich die raue Küste fühlen lassen. So ist diese Geschichte vor allem etwas zum Abtauchen, Genießen und Entschleunigen. Gespickt ist das Buch außerdem mit ungewöhnlichen Inseltraditionen, mit Bräuchen und Liedern und vor allem mit vielen Geheimnissen. Schließlich bleiben einige Lücken zurück, die wir als Leser:innen mit unseren eigenen Gedanken schließen dürfen.

Ich habe das Buch sehr gemocht und es kam für mich zur richtigen Zeit. Aktuell entdecke ich meine Liebe für den poetischen Sprachstil und der ist in diesem Buch wirklich hervorragend gelungen. Ein ruhiger Romane mit viel Platz für dich selbst, mit versteckten Informationen, die du zwischen den Zeilen findest und mit einer fantastischen und bewundernswerten Hauptdarstellerin. Eine Leseempfehlung von mir!