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Veröffentlicht am 08.05.2023

Inhaltlich eine Freude, aber Katzen sollte man nicht für Bilder kostümieren

Auf Samtpfoten durch die Geschichte
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Die Geschichte der Katzen – das war ein Thema, das mich sofort angezogen hat, denn diese Geschichte ist vielseitig, oft leider tiefdunkel und durchweg interessant. Das Titelbild besticht durch elegante ...

Die Geschichte der Katzen – das war ein Thema, das mich sofort angezogen hat, denn diese Geschichte ist vielseitig, oft leider tiefdunkel und durchweg interessant. Das Titelbild besticht durch elegante Schlichtheit und überzeugte mich ebenfalls sofort. Ein wenig reserviert war ich lediglich, weil das Buch von einer Katze erzählt wird – Tiere als Erzähler, das ist oft albern, auch mag ich es nicht, wenn Tiere vermenschlicht werden. Trotzdem war das Thema zu vielversprechend und es stellte sich bald heraus: die Katze Baba als Erzählerin – das funktioniert, ist gut gemacht. Es gibt zwar immer wieder Passagen, in denen ich etwas die Augen verdrehte, weil Katzen vermenschlicht wurden und es albern wurde, aber der Großteil des Texts ist gut lesbar und Baba hält den Menschen so manchen Spiegel vor, was mit einer Katzenerzählerin tatsächlich besser funktioniert. Der Schreibstil ist locker, plaudernd, leicht lesbar und die Übersetzung ist ganz hervorragend, dies ist mir immer wieder erfreut aufgefallen. Baba gibt es übrigens wirklich, sie ist die Katze des Autors und im Nachwort berichtet er berührend, wie sie ihn im Tierheim gewissermaßen für sich ausgewählt hat.
Die schlichte Gestaltung des – erfreulich festen – Einbands setzt sich im Inneren nicht fort. Beim ersten Durchblättern war ich ein wenig erschrocken ob der verspielten Farbenfreude. Die innere Gestaltung ist liebevoll gemacht, aber für meinen Geschmack wesentlich zu bunt und überladen. Jede Seite hat einen bunten dünnen Rahmen sowie oben und unten eine Borte aus einem zum jeweiligen Kapitel passenden Muster. Auch die Titelseite jedes Kapitel ist aufwendig farbig gestaltet. Das war nicht mein Geschmack, aber ich habe mich beim Lesen daran gewöhnt. Was mich allerdings das ganze Buch hindurch störte, waren die Fotos von Baba in allerlei Kostümen. Dies fand ich gleich aus mehreren Gründen unpassend. Vorwiegend natürlich, weil es nicht artgerecht ist, eine Katze in Kostüme zu stecken (inkl. Perücken und Mützen). Nun erklärt der Autor im Nachwort, Baba wäre ganz verrückt nach den Kostümen und sie scheint ja immerhin freiwillig dort sitzenzubleiben. Wirklich entspannt sieht sie für mich allerdings nicht aus, nur ist das schwer zu beurteilen, wenn man die Katze nicht kennt. Trotzdem fürchte ich, daß so mancher nach der Lektüre auf die Idee kommen wird, seiner Katze ebenfalls so einem Blödsinn zu unterwerfen und es ist schlichtweg keine Art, mit einer Katze umzugehen.
Auch fand ich diese Bilder an sich nicht passend – es wird die Geschichte der Katzen erzählt und diese liefen nie in dieser Kleidung herum, die Bilder ergeben inhaltlich also keinen Sinn. Ohne diese albernen Kostüme hätte mir die bildschöne Baba zudem wesentlich besser gefallen. Eine Katze braucht keine Kostüme, um schön zu sein, und hätten Fotos einer unkostümierten Baba vor den diversen Hintergründen das Buch geziert, wäre ich hellauf begeistert gewesen. So, macht der Autor genau das, von dem er Baba im Vorwort sagen lässt: „Denn diesen ganzen Unsinn hat sich der Mensch ausgedacht, und keine Katze auf dieser Welt würde sich je damit beschäftigen. (…) … vor allem, wenn sie als Spiegel für euer dümmliches menschliches Verhalten herhalten müssen. (…) Sie spülen Geld in eure Kassen, ohne auch nur das Geringste über das stolze Leben einer Katze auszusagen. Bloße Klischees, die suggerieren, wir seien auf der Welt, um süß zu wirken und euch Menschen zu amüsieren. Keine Katze, die etwas auf sich hält, würde sich je für so etwas hergeben.“ Nach einem so zutreffenden Vorwort wirkten die Fotos der kostümierten Baba noch unpassender und geradezu ärgerlich.
Sehr schön dagegen sind die Abbildungen von Katzen in der Kunst, Katzenstatuen, Grabmälern, Zeitungsartikeln über Katzen und dergleichen. Diese haben den Text gelungen untermalt und zu gerne hätte ich einige der Kostümfotos gegen weitere davon ausgetauscht.
Bei aller Verspieltheit der Gestaltung und Lockerheit des Schreibstils enthält das Buch eine ganze Menge Informationen. Auf sechs Kapiteln begleiten wir die Katzen um die Welt und durch die Jahrhunderte. Hier merkt man die gute Recherche und auch das Bewusstsein für die Materie. Ich habe eine ganze Menge Neues erfahren – leider zu häufig über die Abscheulichkeit der Menschen gegenüber den Katzen, aber immer wieder auch Beispiele der Liebe zwischen Mensch und Katze. Katzen haben eine Menge für uns getan – leider oft erzwungen – und sind bemerkenswerte Lebewesen, was der Mensch in seiner Hybris zu selten anerkennt. Deshalb war es eine Freude, hier von so vielen beeindruckenden Katzen zu lesen und auch zu erfahren, wie sich die Sicht auf diese im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt hat. Es war eine erfreuliche und sehr informative Lektüre, eine Bibliografie regt zu weiterer Lektüre an. Abgesehen von den unpassenden Fotos ist das Buch also eine wahre Freude.

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Veröffentlicht am 04.05.2023

Gelungen atmosphärisch erzählt

Adas Fest
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„Adas Fest“ war in vielerlei Hinsicht eine erfreuliche Überraschung für mich. Dies lag vor allem an Katrin Bursegs herrlichem Umgang mit Sprache, der mich das ganze Buch hindurch erfreut hat. Der Stil ...

„Adas Fest“ war in vielerlei Hinsicht eine erfreuliche Überraschung für mich. Dies lag vor allem an Katrin Bursegs herrlichem Umgang mit Sprache, der mich das ganze Buch hindurch erfreut hat. Der Stil ist leicht und entspannt lesbar, enthält aber trotzdem – wie die Geschichte auch – viel Tiefe. Immer wieder genoss ich herrlich bildhafte Formulierungen, die das Wesentlich in wenige, gut gewählte Worte packten. Dies ist eine Autorin, von der ich noch weitere Bücher lesen möchte.
Am Anfang des Buches taucht der Leser gleich in eine gekonnt geschaffene Atmosphäre. Wir kommen mit Ada in ihrem Ferienhaus an der französischen Küste an und sehen, fühlen, riechen, schmecken alles durch die gelungenen Beschreibungen. Es war ein Genuss, diese Atmosphäre zu erleben. Über der Sinnlichkeit des Sommers, des Essens – das während des ganzen Romans eine große Rolle spielt – und der Natur liegt eine ebenfalls exzellent vermittelte Wehmut, da Adas geliebtes Refugium aufgrund von Klimaveränderungen bald verlorengehen wird; sie weiß, es ist ihr letzter Sommer dort. In der ersten Hälfte des Buches, die mir mit Abstand am besten gefiel, passiert äußerlich wenig und trotzdem wird es keine Sekunde langweilig, denn man genießt nicht nur die Atmosphäre, sondern lernt auch Ada und ihre Geschichte genauer kennen. Dies geschieht u.a. durch diverse Rückblicke, die elegant in das aktuelle Geschehen eingeflochten werden. Man merkt recht schnell, das hier wird keine seichte Sommergeschichte, hier geht es tief hinein. Es wurde letztlich alles noch tiefer und teilweise dunkler, als ich erwartet hatte und die Autorin weiß ihre Leser mit unerwarteten Wendungen zu überraschen.
Nach und nach lernen wir die anderen Charaktere kennen. Sie sind fast ausnahmslos herrlich gezeichnet, werden lebendig und wirken sehr echt, selbst die nur kurz auftretenden Nebencharaktere und die beiden schon verstorbenen Personen. Einziges Manko war hier für mich Adas Tochter Imme. Während Immes Schwestern und deren Beziehung zueinander und zu ihrer Mutter ausgezeichnet dargestellt sind, blieb Imme blass. Ihre Geschichte wirkte auf mich halbherzig und ihre sehr seltene Interaktion mit ihren Schwestern und ihrer Mutter bestand hauptsächlich in Vorträgen über den Klimawandel, welcher Teil ihres Berufs ist. So hatte ich manchmal den Eindruck, Immes Funktion sei die eines erhobenen Zeigefingers, die Passagen mit ihr fielen für mich immer sehr ab. Ansonsten aber war das Miteinander der Charaktere und auch all das, was sich allmählich über sie offenbart, faszinierend zu erleben. Hier ist sehr viel – eigentlich fast alles – nicht so, wie es scheint.
Nach und nach werden allerlei Geheimnisse enthüllt – in sehr kurzer Zeit folgt eine Offenbarung der nächsten. Das wurde mir zunehmend zu viel und es war mir auch zu viel des Zufalls, wie sich manches genau in diesem Zeitraum erschloss. Irgendwann habe ich gedacht: „Nein, nicht noch ein Geheimnis.“ Es hätte mir mehr zugesagt, wenn hier weniger offenbart und sich dem dafür tiefgehender gewidmet worden wäre. Zwar ist das Buch alles andere als oberflächlich, aber manches wurde mir doch zu rasch und problemlos abgehandelt, weil schon die nächste Enthüllung folgte, auch war es in dieser Häufung nicht ganz nachvollziehbar für mich, mir zu überfrachtet. So war das letzte Drittel des Buches nicht ganz mein Geschmack, auch wenn alles interessant verwebt, überlegt und geschildert wurde. Ganz am Ende wurde es mir dann auch ein wenig zu rührselig. Trotzdem blieb das Buch durchweg ausgesprochen lesenswert, die Atmosphäre habe ich bis zur letzten Seite genossen und vor dem Erzähltalent Katrin Bursegs kann ich nur den Hut ziehen.

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Veröffentlicht am 02.05.2023

Umfassende, vielfältige Informationen

The Big Bang Theory
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Wenn ein Produkt sich selbst als „definitiv“ oder „ultimativ“ bezeichnet, werde ich misstrauisch und mache darum eher einen Bogen. Hier aber war ich neugierig. TBBT ist eine meiner absoluten Lieblingsserien ...

Wenn ein Produkt sich selbst als „definitiv“ oder „ultimativ“ bezeichnet, werde ich misstrauisch und mache darum eher einen Bogen. Hier aber war ich neugierig. TBBT ist eine meiner absoluten Lieblingsserien (zumindest die ersten Staffeln) und ich hoffte, mehr darüber zu erfahren, als ich bereits wußte. Das hat absolut funktioniert. Das Buch besteht aus nahezu 600 recht großformatigen Seiten und ist prallvoll mit Informationen. „Der definitive Insiderbericht“ ist hier also keine leere Versprechung, sondern als Bezeichnung vollauf berechtigt, denn umfassender wird man wohl nirgendwo über TBBT informiert werden.
Wir erfahren die Informationen durch Ausschnitte von Interviews, die die Autorin mit Schauspielern und anderen Mitarbeitern der Serie führte – so gibt es einen gelungenen Querschnitt an Erfahrungen, der u.a. auch über die Hintergrundarbeiten berichtet, die man als Zuschauer kaum oder gar nicht mitbekommt. So fand ich z.B. die Hingabe der Requisite (inkl. umfangreichen Kochens) und die Kostümüberlegungen sehr interessant, aber auch Informationen aus dem Autorenraum zu Überlegungen, warum und wie manche Handlungsstränge umgesetzt wurden, andere dagegen nicht, etc. boten einen neuen Blick auf TBBT.
Die Interviewausschnitte führen durch das gesamte Buch, verbunden durch Passagen mit Hintergrundinformationen oder Einleitungen. So ist der Leser mitten im Geschehen und man hat das Gefühl, mit der Belegschaft in einem Zimmer zu sitzen und alles erzählt zu bekommen. Das schafft eine einmalige Unmittelbarkeit. Manche Informationen wurden für meinen Geschmack zu ausführlich oder wiederholend präsentiert. Wenn z.B. vier oder fünf Personen ihre Versionen eines Ereignisses schildern, dann liest man letztlich immer wieder dasselbe, nur mit leichten Facetten. Auch wurde manches zu ausufernd erzählt, wie z.B. bei der Romanze von Kaley Cuoco und Johnny Galecki – ich muß nicht jede Uhrzeit jeder SMS wissen, nicht den Namen jedes Lokals, in dem sie sich trafen, etc. Oft hätte ich eine etwas straffere Erzählweise vorgezogen, insbesondere wenn es zu wiederholend wurde. Meistens aber sind diese direkten Einblicke und auch die Offenheit der Aussagen erfreulich und interessant.
Das Buch liest sich leicht und locker, der entspannte Plauderstil des Originals kommt in der Übersetzung gut rüber. Allerdings hat die Übersetzung auch für ein erhebliches Manko gesorgt. Sie ist streckenweise arg holprig, denn sie klammert sich immer wieder zu stark am Englischen fest, was zu seltsamen Satzstellungen oder der wörtlichen Übersetzung von Redewendungen führt, die es im Deutschen so nicht gibt. Hinzu kamen einige dicke Schnitzer, die einem Übersetzer einfach nicht passieren dürfen. So bedeutet „resign“ nicht „resignieren“, sondern „zurücktreten“ und somit etwas völlig anderes, womit der gesamte Satz verfälscht wird. „When“ kann eher selten als „wann“ übersetzt werden und „funny as hell“ kann man nicht einfach als „witzig wie die Hölle“ übersetzen, usw. Auch die Zeichensetzung folgt oft den englischen Grammatikregeln, nicht den deutschen, ist im Deutschen falsch und sorgt somit ebenfalls für Irritation. Da das Korrektorat hinsichtlich der Tippfehler und Rechtschreibung sehr sorgfältig war, wundert es mich, daß solche ständigen Zeichensetzungsfehler, sinnnehmenden oder holprigen Übersetzungen und durch die Übersetzung seltsamen Satzstellungen übernommen wurde. Mein Lesevergnügen hat dies leider erheblich beeinträchtigt. Auch die Angewohnheit, reichlich Denglisch zu verwenden, hat mir nicht zugesagt und wirkte etwas albern.
Insgesamt war es aber erfreulich, die einem durch den Bildschirm so vertrauten Schauspieler in ihren eigenen Worten zu hören und auch von den Mitarbeitern hinter den Kulissen so vielseitige und informative Informationen zu bekommen. Zahlreiche Fotos , einige sogar in einem Mittelteil in Farbe, zeigen sowohl Bekanntes wie auch Neues und dienen als willkommene Ergänzung zum Text (wenn es auch in manchen Fällen schön gewesen wäre, wenn sie durch ein wenig Aufhellung oder ähnliche Bearbeitung erkennbarer gemacht worden wären). Insgesamt boten sich durch das Buch neue Einblicke, die teils berührend persönlich waren. Und wenn auch der stetig geäußerte Enthusiasmus über fast alles manchmal überbordend amerikanisch rüberkommt, so merkt man doch: das gute Einvernehmen ist echt und die Leidenschaft, die in die Serie floss, ebenfalls. Das Buch wird dieser gerecht und zeigt den Lesern eindrücklich, was es war, das TBBT so besonders gemacht hat.

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Veröffentlicht am 16.04.2023

Ein raffiniertes, stilistisch grandios gewebtes Geschichtennetz

Hotel Shanghai
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In „Hotel Shanghai“ entwirft Vicki Baum ein beeindruckend vielschichtiges Netz von Schicksalen, die nach und nach ineinandergreifen und auf ihr gemeinsames Verderben in der Schlacht um Shanghai zutaumeln. ...

In „Hotel Shanghai“ entwirft Vicki Baum ein beeindruckend vielschichtiges Netz von Schicksalen, die nach und nach ineinandergreifen und auf ihr gemeinsames Verderben in der Schlacht um Shanghai zutaumeln. In der ersten Hälfte lernen wir die Vorgeschichte der einzelnen Protagonisten kennen, nicht als unmittelbarer Zeuge der Handlung, sondern wie ein Leser eines Berichts. Es ist mutig, mehrere hundert Seiten auf diese Art – die leicht steril und leblos wirken könnte – und mit stetig wechselnden Schicksalen zu füllen, aber es funktioniert. Das liegt vor allem an Vicki Baums herrlichen Umgang mit Sprache und ihrem Talent für psychologisch feine Charakterentwicklung. Mühelos führt sie uns von China ins Deutsche Reich des späten 19. Jahrhunderts, bis zur Nazizeit und dem Exil, wechselt danach elegant ins Leben russischer Flüchtlinge nach der Revolution und zur englischen Aristokratie, bevor wir uns im Mittelklasse-Amerika finden und zurück nach Asien reisen. Wie die Autorin das jeweilige Umfeld, sowohl geographisch wie auch gesellschaftlich, einfangen kann, wie informations- und farbreich sie es jeweils darstellt, ist absolut bewunderungswürdig. Auch füllt sie die Lebensberichte trotz nüchterner Erzählweise mit so viel Gefühl und Bewegendem, daß ich sie größtenteils geradezu verschlungen habe.

Im zweiten Teil begegnen wir diesen sehr unterschiedlichen Protagonisten im Shanghai des Jahres 1937 und die Erzählweise wechselt vom Berichtartigen zum direkten Geschehen. Wir begleiten die Charaktere auf ihren jeweiligen Erlebnissen und finden auch hier wieder eine bemerkenswerte Vielfalt, während sich die einzelnen Wege immer mehr annähern. Nicht alles ist interessant, es gibt durchaus viele langatmige Passagen, in der Mitte des Buches verlor ich die Leselust vorübergehend, weil das Zusammenführen einiger Charaktere ohne wirkliche Substanz geschah und sich zäh hinzog. Auch gibt es viele trockene, geschichtsbuchartige Passagen, die so voller Informationen sind, daß man als Leser zu überwältigt ist, um diese vollends aufzunehmen, und die für einen Roman schlichtweg zu lang und sachlich sind. Zum Ende hin war ich von den Geschehnissen aber wieder gebannt und fand hier auch erneut die psychologische Finesse, die ich so genoss. Man weiß um den tragischen Ausgang der Geschichte, denn er wird schon am Anfang erwähnt, und so liest man atemlos, während das Grollen der Geschütze immer lauter, das Verhalten in Stadt und Hotel immer fiebriger wird. Das Ende wirkt dann gerade in seiner Knappheit fulminant. „Hotel Shanghai“ ist ein so reichhaltiges Panorama, wie man es wohl selten in einem Roman findet, so kunstvoll gewebt und erzählt, daß man voller Berührung und auch Bewunderung für eine solche schriftstellerische Leistung ist.

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Veröffentlicht am 24.03.2023

Origineller Ansatz, zahlreiche Informationen, leider nicht ausgeglichen gewichtet

Deutsche Geschichte in 100 Zitaten
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Den Gedanken, deutsche Geschichte durch Zitate zu vermitteln, finde ich hervorragend. So kann man sich den Themen aus einem neuen Blickwinkel nähern und entdeckt hinter manchem vertrauten Zitat unbekannte ...

Den Gedanken, deutsche Geschichte durch Zitate zu vermitteln, finde ich hervorragend. So kann man sich den Themen aus einem neuen Blickwinkel nähern und entdeckt hinter manchem vertrauten Zitat unbekannte Hintergründe. Das Buch überzeugt auf den ersten Blick durch seine Hochwertigkeit. Der feste Umschlag mit dem Leinenrücken ist solide, die visuelle Gestaltung ansprechend. Hier hätte nur noch ein Lesebändchen zum Glück gefehlt.
In acht Kapiteln werden uns die Zitate vorgestellt, je Zitat mit etwa eineinhalb Seiten Text und einem kurzen biographischen Überblick über den Zitatgeber (oder Informationen zur Quelle). Die Überschriften und der Überblick am Ende sind in roter Schrift, was ansprechend und übersichtlich aussieht. Warum jeder Eintrag mit einer halben leeren Seite endet und dieser Platz nicht für weiteren Inhalt verwendet wurde, ist nicht ersichtlich, denn dieser Platz wäre leicht zu füllen gewesen. Die Einträge sind naturgemäß knapp gehalten und einige zusätzliche Sätze wären mir gerade da willkommen gewesen, wo manches etwas kurz abgehandelt wurde oder einige Zusatzinformationen sinnvoll gewesen wären. Allerdings enthalten die Einträge trotz ihrer relativen Kürze eine Fülle an Informationen – der vorhandene Platz wurde gut genutzt. Wir erfahren nicht nur die Hintergründe des jeweiligen Zitats, sondern auch allerlei Zusammenhänge, manchmal wird zudem dargelegt, wie sich der Gebrauch dieses Zitats über die Zeiten verändert hat. Es ist erfreulich, wie hier anhand des jeweiligen Aufhängers viel vermittelt wird. Das geschieht teilweise etwas trocken und manchmal hätte ich mir etwas mehr Objektivität in der Formulierung gewünscht, es ist aber insgesamt angenehm lesbar.
Jedes der acht Kapitel beginnt mit einer zweiseitigen Einführung zu der jeweiligen Epoche. Am Anfang befindet sich immer ein kleines Bild, welches die zu jener Epoche gängige Transportmethode zeigte – eine schöne visuelle Führung durch sich verändernde Zeiten. Die Einführungen sind ebenfalls informativ. Die Gewichtung allerdings fand ich enttäuschend. Natürlich ist der Abschnitt von der Zeit der Germanen bis zur Schlacht auf dem Lechfeld ziemlich kurz. Das ist angesichts des Mangels von Zitaten aus jener Zeit verständlich und ich bin angetan, daß hier überhaupt genügend gefunden wurden, um diese Epoche darzustellen. Ärgerlich finde ich aber, daß die Hälfte des Buches den relativ kurzen Zeitraum seit 1871 umfasst und sich fast ein Drittel des Buches mit der Nachkriegszeit beschäftigt. Diese Gewichtung ist extrem unausgewogen. Dies stört mich insbesondere deshalb, weil einige relevante Themen früherer Epochen gar nicht oder nur am Rande erwähnt werden oder trotz ihrer Bedeutung nicht annähernd die Beachtung bekommen, welche den Nachkriegsthemen zugedacht wird. So gibt es zur Wende insgesamt vier Einträge, während die Nationalversammlung von 1848/49 nicht einmal einen eigenen Eintrag hat, sondern nur in einem Nebensatz vorkommt. Wowereits Outing hat einen Eintrag, die gesamte Weimarer Klassik wird nicht einmal erwähnt. Greta Thunbergs „How dare you“, das für deutsche Geschichte keineswegs spezifisch ist, hat einen Eintrag, ebenso wie die albernen Trotzreaktionen Fritz Teufels, während von Barbarossa oder der Hexenverfolgung keine Rede ist. Ereignisse, die in einem Eintrag gut Platz gefunden hätten, werden im Nachkriegsabschnitt auf mehrere Einträge ausgewalzt, während in den früheren Abschnitten viel zusammengefasst und knapp behandelt wird. Dies ist übrigens auch der Hauptkritikpunkt, den ich am ebenfalls bei Duden erschienen „Meilensteine der deutschen Geschichte“ hatte – es scheint wohl bei Duden allgemein eine Bevorzugung für Zeitgeschichte zu herrschen, die aber in Werken zur gesamten deutschen Geschichte nicht angebracht ist. Das letzte Drittel dieses Buches enttäuschte mich und die unausgewogene Gewichtung kostet das Buch die fünf Sterne, die es ansonsten verdient hätte. Froh bin ich hingegen, daß der Autor nicht krampfhaft versuchte, mehr Zitate von Frauen einzubauen, nur um irgendeine Quote zu erfüllen, sondern sich da, wie es auch angemessen ist, an inhaltlichen Aspekten orientierte.
Für Geschichtsinteressierte ist es aber trotzdem ein interessantes Werk. Es hat mir, die ich mich beruflich und privat viel mit Geschichte beschäftige, einige neue Informationen und interessante Sichtweisen beschert, während ich mir Bekanntes überwiegend anschaulich dargestellt fand. Abgesehen vom letzten Teil sind die Zitate gut ausgewählt, werfen ein Licht auf viele Facetten der deutschen Geschichte und bieten durch die kurzen Einträge eine Möglichkeit, sich ohne großen Aufwand ein durchaus etwas tiefergehendes Grundwissen über viele Themen anzueignen. Die liebevolle, hochwertige Gestaltung ist ebenfalls ein Pluspunkt.

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