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Veröffentlicht am 23.12.2023

Faszinierende Spurensuche

Kajzer
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MEINE MEINUNG
Mit seinem Sachbuch-Debüt „Kajzer“ ist dem in Toronto geborenen und in New York lebenden Journalisten Menachem Kaiser ein bewegendes und zugleich höchst unterhaltsames Memoir gelungen.
Hierin ...

MEINE MEINUNG
Mit seinem Sachbuch-Debüt „Kajzer“ ist dem in Toronto geborenen und in New York lebenden Journalisten Menachem Kaiser ein bewegendes und zugleich höchst unterhaltsames Memoir gelungen.
Hierin erzählt er äußerst scharfsinnig und humorvoll, welche unerwarteten und bisweilen bizarren Verwicklungen ihm widerfuhren, als er sich auf die Spurensuche nach der Geschichte seiner eigenen Familie begab.
Eigentlich hatte sich Menachem Kaiser als Nachkomme von Juden, die den Holocaust überlebten und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika auswanderten, nicht sehr für alte Familiengeschichten und seine Herkunft interessiert – sicherlich auch, weil in der Familie wenig über die problematische Vergangenheit gesprochen wurde. Als er jedoch erfährt, dass sein Großvater Maier Menachem Kajzer, der bereits 8 Jahre vor seiner Geburt verstarb und nach dem er benannt wurde, sich vor langer Zeit vergeblich bemühte, im heutigen Polen Ansprüche auf ein von den Nazis enteignetes Mietshaus seiner Familie geltend zu machen, begibt sich der Autor nach Schlesien - der ehemaligen Heimat seines Großvaters, um vor Ort mehr darüber zu erfahren und eventuell doch noch eine Rückübertragung des Gebäudes zu erwirken.
Es wird eine höchst ereignisreiche und fesselnd erzählte Reise zu seinen familiären Wurzeln und seinem Familienerbe mit zahlreichen Um-und Irrwegen sowie sehr abenteuerlichen Entwicklungen, auf der wir den Autor begleiten.
In seinem in vier Teile untergliederten Buch berichtet Kaider über seine Erlebnisse keineswegs rein chronologisch. Des Öfteren schweift er in seinen zu Papier gebrachten Erinnerungen ab, verliert sich bisweilen in Nebenschauplätzen, hinterfragt seine Motive und sinniert über unterschiedliche Themen, um schließlich den Faden wieder aufzunehmen. Durch den lebendigen, sehr mitreißenden Schreibstil wird man rasch in die sich oftmals überraschend entwickelnden Geschehnisse hineingezogen und folgt gebannt dem weiteren Fortgang, so dass man gerne über einige sehr sprunghafte Wechsel und etwas langatmige Passagen hinwegsieht.
Hautnah haben wir zunächst Anteil an seiner Spurensuche nach dem Familienerbe in der kleinen polnischen Stadt Sosnowiec, seinen Begegnungen mit den langjährigen Bewohnern des Gebäudes sowie seinen Interaktionen mit der mysteriösen polnischen Anwältin namens „Killerin“, die ihn und seine Familie bei ihrer Restitutionsforderung in Polen und möglichen bürokratischen Schwierigkeiten unterstützen soll. Doch unversehens befinden wir uns im zweiten Teil auf einer Schatzsuche der ganz anderen Art, erkunden an der Seite skurriler Nazi-Schatzsucher das von jüdischen Zwangsarbeitern tief ins Eulengebirge gegrabene Mysterium namens Projekt Riese, um das sich viele Mythen und aberwitzige Verschwörungstheorien ranken, und tauchen an der Seite von Kaiser in eine höchst merkwürdige Welt ab, die viele interessante historische Hintergrundinformationen aber auch bizarre Verwicklungen für uns bereit hält. So erstaunt er uns insbesondere mit einer ganz neuen, erstaunlichen Facette seiner verwobenen Familiengeschichte, die uns eigentlich von seiner Spurensuche nach der Familie seines verstorbenen Großvaters wegführt und einen ganz anderen, berühmten Volkshelden in Polen in Form von dessen Cousin in den Mittelpunkt rückt.
Und wie es so oft im Leben ist, kommt am Ende alles ganz anders als erhofft und wir müssen uns mit einem unbefriedigenden und bislang offenen Ausgang von Kaisers Unterfangen zufrieden geben.
FAZIT
Ein fesselndes, sehr ausschweifend erzähltes Memoir über eine ereignisreiche Spurensuche nach den familiären Wurzeln, über Familienerbe, Herkunft, Wiedergutmachung und erschütternde jüdische Schicksale.
Eine absolut bizarre, wie faszinierende Geschichte mit interessanten Hintergrundinformationen, die mich noch lange beschäftigt hat! Lesenswert!

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Veröffentlicht am 07.12.2023

Eindrucksvoller Roman

Als wir an Wunder glaubten
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MEINE MEINUNG
In ihrem beeindruckenden, auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman „Als wir an Wunder glaubten“ widmet sich die deutsche Autorin Helga Bürster einem wenig bekannten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. ...

MEINE MEINUNG
In ihrem beeindruckenden, auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman „Als wir an Wunder glaubten“ widmet sich die deutsche Autorin Helga Bürster einem wenig bekannten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Hierin greift sie sozialpsychologische Phänomene der deutschen Nachkriegsgesellschaft auf, die sich in einem weit verbreiteten Aber- und Hexenglauben, der Popularität von selbst ernannten „Wunderdoktoren“ wie Bruno Gröning aber auch Fällen von Hexendenunziationen äußerten.
Wie bereits in ihren letzten beiden Romanen „Luzies Erbe“ und „Eine andere Zeit“ entführt uns Bürster an einen sehr ländlichen Schauplatz im Norden Deutschlands. So ist diesmal ist der neue Roman in Unnenmoor zum Ende der 1940er Jahre angesiedelt, einem abgeschiedenen und rückständigen kleinen Ort in der unwirtlichen norddeutschen Moorlandschaft, an dem das Leben von vielen Beschränkungen geprägt ist und ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Hervorragend haben mir insbesondere die eindrucksvollen, atmosphärisch dichten Natur- und Landschaftsbeschreibungen der eigenwilligen und sehr mystischen Gegend und der unterschiedlichen Handlungsorte gefallen, die mich die Kargheit und die Härte der Naturgewalten hautnah haben spüren lassen
Einfühlsam und eindringlich erzählt die Autorin von verunsicherten und entwurzelten Menschen, denen nach ihren traumatischen Erlebnissen in der Nazizeit und durch die Folgen des verlorenen Kriegs die Orientierung und Sicherheiten abhandengekommen sind. Noch haben sie nicht in ihr Leben zurückgefunden und flüchten sich in der Hoffnung, Rückhalt und Geborgenheit zu finden, ins Irrationale und Übernatürliche. Sehr anschaulich und authentisch fängt sie die Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit der Dorfgemeinschaft von Unnenmoor und das allgegenwärtige Gefühl von sozialem Misstrauen und unbestimmten Zukunftsängsten ein. Sehr atmosphärisch beschreibt sie die düstere, trostlose Stimmung und bleierne Schwere, die auf dem Dorfleben lastet, das immer noch von den Auswirkungen des Krieges beeinflusst ist. Ein perfekter Nährboden für Scharlatane und Wanderpropheten, die den Weltuntergang ankündigen, und dem Aufleben von altem Aberglauben.
Nachvollziehbar ist die große Sehnsucht der Menschen nach einer besseren Zukunft und einem Leben ohne Schuldgefühle und die Schatten der Vergangenheit. Doch während die einen auf materiellen, Wohlstand, Fortschritt und Neuanfang setzen und die alten Traditionen rigoros hinter sich lassen wollen, besinnen sich andere in der schwierigen Zeit auf die früheren Zeiten, alte Bräuche, Geister und ihren Aberglauben und suchen Sündenböcke unter ihresgleichen, um sich von ihren unguten Emotionen und Ängsten zu befreien.
Der Autorin ist eine einfühlsame, vielschichtige Figurenzeichung ihrer Protagonistinnen gelungen. Am Beispiel der beiden Freundinnen Edith und Annie führt uns die Autorin anschaulich und ernüchternd den tristen Alltag in Unnenmoor vor Augen und lässt uns schrittweise in die bedrückende Nachkriegsatmosphäre eintauchen, die mich mit ihrer Intensität zunehmend in den Bann gezogen hat. Gemeinsam mit ihren Kindern, der aufgeweckten Betty und den geistig behinderten Willi haben sie die harten Kriegsjahre durchgestanden, immer noch auf sich selbst gestellt und warten sie auf die baldige Heimkehr ihrer Männer aus dem Krieg. Als jedoch Annis Mann Josef kriegsverseht, schwer traumatisiert und mit nur rudimentären Erinnerungen an die Vergangenheit heimkehrt, nimmt das Schicksal seinen fatalen Lauf und die Ereignisse gipfeln in einer bizarren Hexenjagd. Obwohl sich die Handlung bisweilen im Kreise zu drehen scheint, konnten mich vor allem Gustes alte Geister-Geschichten über die Glöhnigen und Töverschen, die mystische Atmosphäre und die Dynamik der sich zuspitzenden Geschehnisse sehr fesseln. Sehr glaubhaft wird in der bewegenden und nachdenklich stimmenden Geschichte dargelegt, wie leicht sich psychisch labile Menschen von Opportunisten und Blendern manipulieren und ausnutzen lassen.
Abgerundet wird der Roman durch einen zuversichtlich stimmenden Ausklang im Epilog, der die Geschehnisse nach einem großen Zeitsprung zu einem schönen, stimmigen Abschluss bringt.

FAZIT
Ein beklemmender Roman über ein wenig bekanntes Phänomen deutscher Nachkriegsgeschichte – eine eindrucksvoll erzählte Geschichte voller Magie, Mythen und Aberglaube, die noch länger nachwirkt und nachdenklich stimmt!

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Veröffentlicht am 03.12.2023

Leichte Krimiunterhaltung für Zwischendurch

Monsieur le Comte und die Kunst der Täuschung
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MEINE MEINUNG
Bei dem kurzweiligen Krimi „Monsieur le Comte und die Kunst der Täuschung“ von Pierre Martin, einem deutschen unter Pseudonym schreibenden Bestseller-Autor, der vor allem durch seine Provence-Krimi-Reihe ...

MEINE MEINUNG
Bei dem kurzweiligen Krimi „Monsieur le Comte und die Kunst der Täuschung“ von Pierre Martin, einem deutschen unter Pseudonym schreibenden Bestseller-Autor, der vor allem durch seine Provence-Krimi-Reihe um »Madame le Commissaire« bekannt ist, handelt es sich bereits um den zweiten Band seiner humorvollen Wohlfühlkrimi-Reihe. Angesiedelt ist diese in Südfrankreich mit den wundervollen Schauplätzen Villefranche-sur-Mer und Cap-Ferrat.
Im Mittelpunkt der unterhaltsamen Krimi-Reihe steht der charmante Bonvivant Lucien Comte de Chacarasse, der ein Bistro im südfranzösischen Villefranche-sur-Mer leitet und ansonsten als sprichwörtlicher Lebemann die schönen Seiten des Lebens in vollen Zügen genießt. Allerdings ist er nach dem Tod seines Vaters gemäß seiner Familientradition verpflichtet in dessen Fußstapfen zu treten und entgegen seiner Überzeugung als Auftragsmörder zu arbeiten. Mit allerlei Tricks und cleveren Täuschungsmanövern versucht er seine Aufträge auch ohne zu morden auszuführen. Zum Glück kann Lucien er auf die tatkräftige Unterstützung von Francine, der attraktiven Sekretärin und Geliebten seines verstorbenen Vaters zählen…
Der Autor hat sich für seinen liebenswerten Protagonisten und Auftragskiller wider Willen erneut einen originellen und ziemlich verzwickten Auftrag einfallen lassen, den er geschickt und vor allem unblutig zu lösen versteht. Die abwechslungsreiche Handlung ist zwar nicht allzu realistisch und schreitet eher gemächlich voran, doch sorgen vor allem humorvolle und skurrile Episoden sowie der lockere Erzählstilstil für Abwechslung und gute Unterhaltung. Insgesamt hätte ich mir allerdings etwas mehr Spannung und einige unerwartete Wendungen gewünscht. Wie es für regionale Krimis typisch ist, spielen natürlich die kulinarischen Genüsse der provenzalischen Küche und das stimmungsvoll eingefangene südfranzösische Lokalkolorit mit dem französischen 'Savoir-vivre'. Die Schilderungen der Schauplätze und des wundervollen Settings an der französischen Riviera lassen zudem ein schönes Urlaubs-Feeling aufkommen. Auch das turbulente Privatleben des überaus gutherzigen Antihelden Lucien kommt zwischendrin nicht zu kurz.
Die verschiedenen Charaktere sind insgesamt interessant, aber etwas klischeehaft angelegt und hätten ruhig mehr Tiefgang vertragen können. Gelungen ist aber neben der sympathischen Hauptfigur Lucien vor allem die liebenswerte, schwerhörige Haushälterin Rosalie, die für einige nette Schmunzelmomente sorgt. Auch die clevere Francine ist wieder für einige Überraschungen gut und unterstützt Lucien bei seinen Aufträgen wo es nur geht. Ein kurzer Gastauftritt von Madame le Commissaire aus einer früheren Krimi-Reihe von Pierre Martin ist überdies als Running Gag eingebaut.
Man darf gespannt sein, wie es mit Lucien Comte de Chacarasse und der geheimnisvollen Francine in der Fortsetzung dieser charmanten Cosy-Crime-Reihe weitergehen wird.
ZUM HÖRBUCH
Das gekürzte Hörbuch wird von Schauspieler Wolfram Koch erneut sehr überzeugend eingelesen. Mit seiner ruhigen, angenehmen Stimme und angemessenem Sprechtempo setzt er die Handlung abwechslungsreich und mitreißend um. Auch humorvolle Passagen gelingen ihm mit dem gewissen Augenzwinkern. Gekonnt schlüpft er in die Rolle des charmanten Lebemanns Lucien und lässt seinen eigenwilligen Charakter lebendig werden. Insgesamt ein nettes vergnügliches Hörerlebnis!
FAZIT
Ein unterhaltsamer Wohlfühlkrimi - mit viel Humor, einem liebenswertem, gutherzigen Auftragskiller und tollem südfranzösischen Lokalkolorit!

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Veröffentlicht am 17.11.2023

Spannender Nachkriegskrimi

Helle Tage, dunkle Schuld
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MEINE MEINUNG
Der fesselnde Kriminalroman „Helle Tage, dunkle Schuld“ von der deutschen Autorin Eva Völler ist der viel versprechende Auftakt einer neuen historischen Krimi-Reihe rund um den Kriminalbeamten ...

MEINE MEINUNG
Der fesselnde Kriminalroman „Helle Tage, dunkle Schuld“ von der deutschen Autorin Eva Völler ist der viel versprechende Auftakt einer neuen historischen Krimi-Reihe rund um den Kriminalbeamten Carl Bruns, der für die Abteilung Kapitalverbrechen im Essener Polizeipräsidium arbeitet. Angesiedelt ist die Handlung im Ruhrgebiet um 1948 erst wenige Jahre nach Kriegsende.
In ihrem Spannungsroman ist Eva Völler eine abwechslungsreiche und fesselnde Mischung aus interessanten Einblicken in die deutsche Zeitgeschichte, packender Krimihandlung und zarter Liebesgeschichte gelungen.
Als Aufhänger hat sich die Autorin eines realen Verbrechens angenommen, das in den letzten Märztagen des Jahres 1945 nur wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs in Essen verübt wurde. In einer Nacht und Nebelaktion wurden damals mindestens 35 osteuropäische Zwangsarbeiter von der Gestapo erschossen und in einem Massengrab verscharrt.
Der Autorin ist es hervorragend gelungen, viele historische Fakten und Hintergrundinformationen in die spannende Krimihandlung einzuflechten. Zugleich zeigt sie anschaulich die vielfältigen Verstrickungen der Polizei in die skrupellosen Machenschaften der Nazi-Schergen und die nur unzureichende Aufarbeitung der verübten Gräueltaten durch die Alliierten nach dem Krieg auf – insbesondere die laxe Handhabung der Entnazifizierung in Justiz und Polizei ist ein dunkles Kapitel der deutschen Zeitgeschichte.
Gekonnt nimmt uns die Autorin mit ins Ruhrgebiet der Nachkriegszeit und vermittelt ein sehr stimmiges, authentisches Bild der damaligen Zustände. Sehr facettenreich portraitiert die Autorin die ausgebombte Ruhrgebietsstadt Essen unter britischer Besatzung, in der Hunger, Armut, knapper Wohnraum und Kriminalität den Alltag bestimmen, der Schwarzmarkt bis zur Währungsreform floriert. Geschickt lässt Völler uns auch an der Stimmungslage der notleidenden Bevölkerung Menschen im besetzten Nachkriegsdeutschland teilhaben, die der Zukunft mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen und mit der Aufarbeitung der Vergangenheit noch längst nicht abgeschlossen haben.
Völler gelingt es hervorragend, das Lokalkolorit des Ruhrgebiets mit anschaulich geschilderten Schauplätzen einzufangen, und sorgt mit den geschickt eingestreuten Dialogen im Kohlenpottdialekt für ein authentisches Flair.
Dank des angenehmen und lebendigen Schreibstils wird man schnell in die fesselnde Krimihandlung hineingezogen, die ausgezeichnet in den historischen Kontext eingebettet ist.
Die Ermittlungen zum rätselhaften Tod der Mutter eines flüchtigen SS-Verbrechers, der zunächst ein ganz alltägliches Verbrechen vermuten lässt, führen Carl Bruns bald schon auf die Spur zu einem einige Jahre zurückliegenden grauenvollen Verbrechen. Schon bald überschlagen sich die Geschehnisse und bringen Carl bei seinen vielfältigen Nachforschungen nicht nur an seine persönlichen Grenzen, sondern lassen ihn auch an seinen Loyalitäten zu den Kollegen aus eigenen Reihen zweifeln und rücken ihn schließlich ins Fadenkreuz des Mörders. Die Autorin hält für uns einen komplexen Fall mit vielen Ansatzpunkten zum Miträtseln bereit, die allerdings im Mittelteil durch die im Vordergrund rückende Liebesgeschichte zwischen Carl und seiner alten Jugendliebe Anna leider deutlich an Schwung verliert. Nach einigen überraschenden Wendungen nimmt dann aber die Handlung enorm an Tempo und Spannung auf und gipfelt in einem sehr fesselnden Showdown. Die überraschende Auflösung des aufwühlenden Falls ist rundum stimmig und hat mich sehr nachdenklich zurückgelassen.
Völler versteht es, ihre Figuren, vielschichtig und lebensnah zu zeichnen. Hervorragend hat mir die sympathische Hauptfigur Kriminalinspektor Carl Bruns gefallen, der wegen seiner jüdischen Wurzeln während der NS-Zeit nicht als Polizist arbeiten durfte und nun wieder mit seinen alten Kollegen im Dienst ist. Sehr glaubwürdig wird dargestellt wie durch den Fall sein ganzes Leben und seine moralischen Prinzipien völlig auf den Kopf gestellt werden. Ebenfalls der Charakter von Krankenschwester Anna mit ihrem dunklen Geheimnis ist sehr facettenreich und glaubwürdig gezeichnet, so dass ihre Handlungen für mich sehr nachvollziehbar waren.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es bald eine Fortsetzung der viel versprechenden Krimireihe gibt und neuen Fall für Kriminalinspektor Carl Bruns.
FAZIT
Ein spannender historischer Kriminalroman im Nachkriegsdeutschland des Ruhrgebiets - mit einem sympathischen Ermittler, erschütterndem zeitgeschichtlichen Hintergrund und stimmig eingefangenem Zeitkolorit!

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Veröffentlicht am 25.10.2023

Interessante Fortsetzung der historischen Eifel-Trilogie

Perlenbach
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MEINE MEINUNG
Nachdem die deutsche Autorin Anna-Maria Caspari mit dem gelungenen Auftakt ihrer historischen Eifeltrilogie „Ginsterhöhe“ dem Eifeldorf Wollseifen ein literarisches Denkmal gesetzt hat, liegt ...

MEINE MEINUNG
Nachdem die deutsche Autorin Anna-Maria Caspari mit dem gelungenen Auftakt ihrer historischen Eifeltrilogie „Ginsterhöhe“ dem Eifeldorf Wollseifen ein literarisches Denkmal gesetzt hat, liegt nun mit ihrem neuen Roman „Perlenbach“ der zweite Band vor, der diesmal im ausgehenden 19. Jahrhundert spielt.
Dieser stellt somit nicht die direkte Fortsetzung des ersten Bands dar, sondern erzählt eine zeitlich vorgelagerte Vorgeschichte, die ebenfalls in dem Bauerndorf Wollseifen sowie in dem kleinen Tuchmacher-Städtchen Montjoie, dem heutigen Monschau, angesiedelt ist. Daher kann man die beiden Teile der Trilogie problemlos unabhängig voneinander lesen.
Der in drei Abschnitte unterteilte historische Roman spielt zwischen den Jahren 1865 bis 1905 und deckt eine Zeitspanne von 40 Jahren ab. Der Autorin ist es hervorragend gelungen, sorgsam recherchierte historische Hintergrundinformationen mit ihrer fiktiven Handlung zu verweben und zeichnet ein stimmiges Bild des damaligen Lebensalltags und der gesellschaftlichen Zustände in jener Zeit der Widersprüche. Sehr anschaulich führt sie uns die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten in der kargen, ländlich geprägten Eifel zu Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts am Beispiel ihrer Hauptfiguren und Familien vor Augen.
Mühelos tauchen wir in die aus abwechselnden Perspektiven geschilderten Geschehnisse der Vergangenheit ein. So lernen wir nicht nur den jungen Bauernsohn Wilhelm aus Wollseifen kennen, der Jacob - dem kränklichen Sohn des Tuchfabrikanten in Montjoie - im Winter Gesellschaft leisten darf, sondern auch die clevere und recht eigensinnige Arzt- und Nachbartochter Luise kennen und nehmen Anteil an der unbeschwerten engen freundschaftlichen Bindung zwischen den Kindern, deren sozialer Status kaum unterschiedlicher sein könnte.
In der abwechslungsreichen Handlung erzählt Caspari die bewegende Geschichte der drei Kindheitsfreunde, deren ungewöhnliche Freundschaft schließlich auf eine harte Probe gestellt wird. Zwischen den Kapiteln sind kurze in Kursivschrift verfasste, fragmentarische Tagebucheinträge von Luises Gouvernante Friederike eingefügt, die aus einer gewissen Distanz das Geschehen kommentieren. Zudem dokumentieren sie nebenbei das gesellschaftliche und politische Weltgeschehen in Kurzfassung und geben uns mit der genauen Datierung einen groben historischen Überblick.
Schrittweise folgen wir den ereignisreichen Lebensgeschichten von Wilhelm, Jacob und Luise im Wandel der Zeiten. Wir erfahren von ihren Träumen von einer besseren, selbst bestimmten Zukunft und ihrer Hoffnung den gesellschaftlichen Zwängen der damaligen Zeit und ihrem vorbestimmten Lebensweg entrinnen zu können. Eindrücklich zeigt die Autorin jedoch auch auf, wie sehr ein jeder von ihnen gefangen ist in den rigiden Standeshierarchien, überkommene Konventionen und tradierten Rollenbildern und für sein Glück gegen vielfältige Widerstände ankämpfen muss.
Geschickt hat die Autorin auch viele geschichtlich interessante Informationen zu zur Arbeit im Bleibergwerk, dem Bau der Erfttalsperre oder dem Niedergang der Tuchherstellung in ihre Handlung eingewoben. Ausführlich geht sie auch auf die Rolle der Frau in jener Zeit ein und thematisiert die den beginnenden Kampf der Frauen um Gleichberechtigung und Frauenrechte.
Die einfühlsame, vielschichtige Zeichnung der verschiedenen Charaktere bis hin zu den verschiedenen Nebenfiguren ist der Autorin gut gelungen. Sie werden recht lebensecht mit all ihren Charaktereigenschaften beschrieben und auch ihre Entwicklung wirkt weitgehend glaubhaft und wirklichkeitsnah, so dass man sich gut in ihre Lage und Gefühlsleben hineinversetzen kann. Ab einem Punkt konnte ich allerdings Wilhelms unbesonnenes Verhalten wenig nachvollziehen, was ihn mir im weiteren Verlauf leider wenig sympathisch machte.
Schade auch, dass die wir die bewegenden Schicksale der Hauptfiguren im Ausklang nur noch in einer Art Kurzabriss erleben und viele interessante Aspekte weitgehend ausgeblendet bleiben, gerne hätte ich vor allem Luise noch weiter begleitet. Ich bin sehr gespannt, zu welcher Zeit der Abschlussband der Eifeltrilogie angesiedelt ist und welchen Nachkommen bekannter Figuren wir dort begegnen werden.
In ihrem Nachwort „Die gute alte Zeit …“ erläutert die Autorin schließlich noch eingehender die historischen Hintergründe ihres Romans. In ihrer Danksagung fasst sie zudem ihr Quellenmaterial zusammen und gibt einen kurzen Einblick in ihre Recherchen.
FAZIT
Ein abwechslungsreich und einfühlsam erzählter historischer Roman über das Leben im ausgehenden 19. Jahrhundert und die bewegende Geschichte dreier Kindheitsfreunde auf der Suche nach ihrem Lebensglück.
Ein interessantes, gut recherchiertes Zeitdokument über das Armenhaus Eifel!

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