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Veröffentlicht am 15.09.2025

Drama in zwei Akten

Die Probe
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Akt 1: Eine Begegnung mit dem jungen Xavier bringt das Leben der erzählenden Schauspielerin durcheinander. Er eröffnet der Protagonistin, er glaube sie wäre seine Mutter. Dabei kann das gar nicht sein, ...

Akt 1: Eine Begegnung mit dem jungen Xavier bringt das Leben der erzählenden Schauspielerin durcheinander. Er eröffnet der Protagonistin, er glaube sie wäre seine Mutter. Dabei kann das gar nicht sein, nie hat sie ein Kind geboren. Trotzdem lässt sie die Begegnung nicht los.
Akt 2: Xavier ist bei der namenlosen Schauspielerin und ihrem Mann Tomas eingezogen. Während sie über ihr bisher verbrachtes, gemeinsames Familienleben sinniert, das Großziehen von Xavier, ihre Gefühle zu ihm, ihre nicht greifbare Beziehung, scheint dieser gekommen sein, um zu bleiben - und das nicht alleine.

Katie Kitamura nimmt die beobachtenden Leser*innen in "Die Probe" mit in ein gekonntes Verwirrspiel, das - je weiter man in die Geschichte vordringt - immer undurchsichtig wird. Was ist wahr und was ist falsch, gibt es sowas wie die Wahrheit überhaupt und worin kann man Theater und Realität unterscheiden? Was ist passiert, in der Lücke, die zwischen dem ersten und dem zweiten Teil klafft? Und ist die Protagonistin überhaupt zurechnungsfähig oder befindet sie sich in einer sich stetig steigernden Wahnvorstellung? Diese Fragen und viele mehr begegnen einem unwillkürlich beim Lesen dieses Dramas in zwei Akten. Es gibt unzählige Weisen, wie man welches Ereignis / wie man die Gedanken der Protagonistin und ihrer Familie, seien es jene im Theater oder jene der vermeintlichen Realität, interpretieren kann, es bieten sich viele Spielräume, die unklar und glasklar zugleich sind. Fest steht: diesen Roman sollte man am Besten in einem Lesekreis lesen, denn alleine macht das Rätselraten, das Zurechtbiegen der eigenen Wahrnehmung, die Anstrengungen der Hirnwindungen nur halb soviel Spaß.

Man sollte gefasst sein auf eine dichte Sprache, die jedes Wort ernst nimmt und gleichzeitig ad absurdum führt, nur eines ist gewiss: die Erzählerin ist absolut unzuverlässig. Zwar hat das Büchlein nur wenige Seiten, es sind nur 176 abzüglich der üblichen Leerseiten, aber es verlangt die volle Aufmerksamkeit, damit einem die Geschichten nicht davon rennen. Zu der ganzen Unklarheit kommt dann auch noch die Gewissheit, dass die Protagonistin eine hervorragende Schauspielerin ist, nicht nur im wörtlichen Sinn, sondern auch im beruflichen. Ist man mit dem Lesen fertig, beginnt erst die richtige Arbeit, denn verstehen tut man nur das, was man selbst hineininterpretieren will. Und das ist pure Absicht der Autorin. Für dieses Spiel muss man offen sein, muss sich darauf einlassen und auch bereit sein, die eigene Meinung zu revidieren.

Viele kluge Fragen ergeben sich, über das Zusammenleben, über Beziehungen und Wünsche, über Karriere, über Mann und Frau - und natürlich übers Theater. Letzteres ist bekanntlicherweise eine spezielle Welt und war für mich auch der Grund, weshalb ich bei den teilweise längeren Schilderungen darüber manchmal etwas entnervt war. Überhaupt war das Milieu, in dem sich die Protagonistin bewegt, für mich sowohl unzugänglich, wie auch unverständlich. Annahmen über Menschen wirkten teilweise befremdlich, weshalb ich auch keine wirkliche Anteilnahme an dem verwirrenden Leben der Schauspielerin nehmen konnte.

Mein Fazit: "Die Probe" ist ein gekonnt inszeniertes Verwirrspiel, das wohl bewusst so geschrieben wurde, dass es nicht aufgelöst werden kann. Es taucht tief ein in die wirre Psyche der Protagonistin sowie die Welt des Theaters und glänzt durch eine präzise eingesetzte Sprache. Es ist eine Empfehlung für alle, die offen sind einem unlösbaren Rätsel gegenüberzutreten und sich nicht scheuen, in die Welt des Theaters einzutauchen.

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Veröffentlicht am 27.07.2025

Mensch-Vogel-Psychogramm

Das Nest
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Fran verzweifelt Zusehens. Ihr Mann Dom entgleitet ihr, genauso ihr kleiner Sohn Bruno, nicht zu sprechen von ihrer Schwester Ros, die mit ihrer Tochter Sadie und ihrem Lebensgefährten Ellis nach gescheitertem ...

Fran verzweifelt Zusehens. Ihr Mann Dom entgleitet ihr, genauso ihr kleiner Sohn Bruno, nicht zu sprechen von ihrer Schwester Ros, die mit ihrer Tochter Sadie und ihrem Lebensgefährten Ellis nach gescheitertem Leben kostenlose Zuflucht in einem ihrer Mobilheime findet. Ständig wundert und sorgt Fran sich über bzw. um ihre Verwandtschaft und ihr einziger Trost scheint die brütende Mutter eines seltenen Zwergseeschwalbennests zu sein, um dessen Verlust sie immer mehr bangt. Das bessert sich auch nicht, als sich gegenüber ihrer Mobilheimsiedlung eine Familie von reisenden Roma niederlässt. Als schließlich Brunos & Sadies Lehrerin verschwindet und mit ihr auch Ellis, scheint das beschauliche Leben am einsamen, englischen Küstenstreifen ein Ende zu haben...

"Das Nest" besticht gleich durch mehrere Tatsachen: die langsame, eindringliche Beschreibung der Küstenlandschaft; die eingehende Beobachtung von Vögel; die verschiedenen Blickwinkel, aus denen die Geschichte erzählt wird; das große Fragezeichen, dass bis kurz vor Ende über dem Erzählten schwebt; die unterschiedlichen Charaktere, die allesamt suspekt erscheinen, der intensive Blick in die Psyche der Erzählenden. Es hat ein paar Seiten gedauert, bis ich in den außergewöhnlichen, gemächlichen Erzählstil hineingefunden habe, aber als ich den Kipppunkt überschritten hatte, gab es kein Halten mehr: ich musste das Buch in einem Satz zu Ende lesen. Das schaffen nicht viele Bücher, doch Morton-Thomas spinnt ein Netz aus vielschichtigen Strängen, die einen gefangen halten, bis man am Ende - etwas unzufrieden - ausgespuckt wird. Aber von vorne:

Wir lesen die Geschichte aus zwei Perspektiven: aus der Sicht der bereits angeführten Fran und Tad, einem Rom. In Frans Welt werden wir umgehend eingeführt, wohingegen Tads Erzählung vorerst rätselhaft bleibt, man kann nicht so richtig verorten, wie er in die starke Geschichte Frans hinein passt. Diese beiden Stränge zusammenzuführen, gelingt der Autorin kunstvoll und sie schafft dabei einen grandiosen Spannungsbogen. Je weiter man liest, desto mehr Rätseln scheinen sich aufzutun, man weiß bald, es gab einen Mord und irgendwie verdächtigt man gleich einmal alle Charaktere, denn alle sind besonders: schrullig, ein wenig irre, mitunter auch gewalttätig, aber auch tragisch. Kurzum: etwas lost. Die Figuren werden so beschrieben, dass sie einem sympathisch und unsympathisch zugleich sind und alle sind verdächtig. Das trifft nicht nur auf die Erwachsenen zu, sondern auch auf die Kinder. Immer wieder (Achtung: Triggerwarnung!) werden zu Tode gequälte Vögel gefunden und eigentlich könnte sie jeder getötet haben. Grundsätzlich: wir erfahren viel über die Psyche der vorkommenden Personen und irgendwie wird dieses Psychogramm auch anhand der unterschiedlichen Vogelliebe erstellt.

"Das Nest" ist kein Krimi im klassischen Sinn, obwohl sich die Spannung um des Mordes Rätsel zunehmend steigert. Die Polizei scheint aus absoluten Losern zu bestehen, die nicht ordentlich ermitteln, aber der Schein kann trügen, denn beim Lesen sollte man sich vergegenwärtigen, dass wir nur zwei, sehr, sehr subjektive Perspektiven erzählt bekommen. Grundsätzlich lässt sich das Genre dieses Buches nur schwer greifen, was es als perfekte Wahl für den kleinen Verlag "Pendragon" macht, der Jahrs zuvor mit "Das Haus in dem Gudelia stirbt" ein ähnlich undefinierbares Werk herausbrachte. Wobei, wenn Psychogramm ein eigenes Genre ist, trifft es auf beide Bücher zu.

Auch Gesellschaftliches wird in vielen Facetten thematisiert. Armut, Verwahrlosung, Vernachlässigung, Vorurteile, die gekonnt ins Gegenteilige gesetzt werden, verstummende Beziehungen, Beeinträchtigungen, Solidarität, Gerüchte, Natur, Gewalt, und so weiter. Alles nicht zu offensichtlich, sondern fein eingewoben in die Geschichte und deren starke Atmosphäre.

Der Grund, weshalb meine Bewertung einen Stern Abzug erhält, ist das Ende. Auch wenn ich das Buch wirklich jedem, der etwas Außergewöhnliches lesen mag, nur sehr ans Herz legen kann: das Ende war für meinen Geschmack zu konstruiert und zu viele Fragen bleiben offen. Das war aber auch bestimmt so gedacht, denn, wie bereits erwähnt, erfahren wir ja nur aus zwei Erzählperspektiven von dem Geschehen. Nichtsdestotrotz bleibt eine sachte Enttäuschung, dass enorm viel der Spekulation der Leser*innen überlassen bleibt und manche Handlungen zum Schluss auch mit viel Menschenkenntnis nicht nachvollzogen werden können.

Mein Fazit: "Das Nest" ist ein grandios geformtes Psychogramm einer Dorfgemeinschaft, das absolute Spannung bietet, die sich langsam aufbaut und immer mehr zuspitzt. Die geschaffene Atmosphäre ist sehr stark und prägt sich nachhaltig ein, die Rätsel verlangen den Hirngewinden immer mehr Geschwindigkeit ab, um die Lesenden am Ende erschöpft und ein klein wenig enttäuscht zurückzulassen. Eine absolute Leseempfehlung an alle, die kein vorgegebenes Genre brauchen und besonderen Lesestoff suchen, über den noch jahrelang spekuliert werden kann.

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Veröffentlicht am 23.06.2025

Das Buch: ein Rätsel

Die Schrecken der anderen
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Ein Toter im Eis, der soziophobe Schibig, die Alte, Kern und dessen Mutter: das sind die Hauptfiguren in Martina Clavadetschers "Die Schrecken der Anderen". Langsam werden die Personen eingeführt und sachte ...

Ein Toter im Eis, der soziophobe Schibig, die Alte, Kern und dessen Mutter: das sind die Hauptfiguren in Martina Clavadetschers "Die Schrecken der Anderen". Langsam werden die Personen eingeführt und sachte miteinander verwoben. Die Sprache ist zwar einfach zu lesen, aber doch sehr anspruchsvoll und komplex, es bedarf einer hohen Konzentration, um dem Erzählten die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Gewaltig und dicht ist nicht nur die Sprache, sondern auch der Inhalt. Jede einzelne Figur bekommt einen schrägen Charakter, ist mit eigenen Besonderheiten ausgestattet. Was sie vereint, ist das Unzugängliche, das Mysteriöse das ihnen anhaftet. Jede und jeder ist etwas auf der Spur, lang ist nicht erkennbar, dass es sich um Gemeinsames handelt. Die Geschichte ist Geschichte und Ungeschichte zugleich, sie ist nicht fassbar und lässt sich deshalb auch kaum beschreiben.

Es ist ein Leseerlebnis, das man selbst erfahren muss, es hat etwas Märchenhaftes, aber doch sehr Reales, könnte vor oder in hundert Jahren spielen. Es beeindruckt und stößt ab zugleich. Schließlich geht es - wie in vielen Dingen - um das Geld, dass nicht nur Dreck am Stecken hat, sondern auch Blut - und alle gieren danach, aus unterschiedlichen Motiven. Und auch hier, in der neutralen Schweiz, tauchen abstoßende Spuren von Alt- und Neonazis auf.

Es benötigt definitiv einen zweiten Durchlauf, um dieses Buch zu verstehen und es fassen zu könne, denn es bleibt: ein Rätsel. Eines allerdings, dass es sich lohnt lösen zu wollen. Und hoffentlich gelöst werden kann.

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Veröffentlicht am 08.06.2025

Verbrannt oder nicht verbrannt, das ist hier die Frage

Verbrannte Wörter
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Matthias Heine liefert uns mit der 2. Auflage von "Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht" ein äußerst aktuelles und ausführliches Werk in alphabetischer Reihenfolge, das informativ ...

Matthias Heine liefert uns mit der 2. Auflage von "Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht" ein äußerst aktuelles und ausführliches Werk in alphabetischer Reihenfolge, das informativ und überraschend zugleich ist.

Nach einer fundierten Einleitung zum aktuellen Wissensstand, erhalten wir Erläuterungen über die (NS-) Geschichte verschiedenster Wörter. Die Erklärungen sind in adäquater Wissenschaftssprache verfasst, nehmen uns in die Spurensuche mit und beziehen sich auch oft auf aktuelle Debatten in deutscher und österreichischer Politik. Jede Wortbetrachtung schließt mit einem Fazit, welches zusammenfasst, ob und in welchem Zusammenhang das jeweilige Wort verwendet werden sollte - oder eben nicht. Erschütternd wird in Erinnerung gerufen, was die Nazis alles steuerten und verbürokratisierten - eben auch die Sprache. Doch nicht überall stecken Nazis drinnen, wo wir das vermuten, was zu der ein oder anderen Überraschung führt. Andererseits gab es auch große Aha-Momente, da ich niemals eine NS-Prägung in gewissen Wörtern vermutet hätte. Dazu gehört beispielsweise "betreuen".

Mit dem Fazit der einzelnen Wörter bin ich ehrlichgestanden nicht immer zufrieden, weshalb ich auch einen Stern Abzug gebe. Besonders bei der Redewendung "bis zur Vergasung" ist es mir einfach zu schwammig. Zudem finde ich den Aufbau des Buches ein wenig unübersichtlich und ich würde mir eine bessere Auffindbarkeit der Wörter mittels einer Buchstabenmarkierung wünschen. Positiv hervorzuheben ist das Eingehen auf aktuelle politische Diskussionen.

Mein Fazit: "Verbrannte Wörter" ist ein Buch, das in jedem deutschsprachigen Haushalt stehen sollte, da es den bewussten Umgang mit Sprache schult. Es eignet sich hervorragend für den Unterricht verschiedenster Gruppe, um sie für einen kritischen Umgang mit Sprache zu sensibilisieren. Vielleicht kann es in der nächsten Ausgabe noch etwas übersichtlicher gestaltet und Handlungsempfehlungen konkreter und weniger subjektiv gegeben werden.

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Veröffentlicht am 23.05.2025

Vom Schwinden der Identität

Das Echo der Sommer
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Rávdná, ihre Schwester Ánne und ihre Tochter Ingá sind Sami, sie folgen dem Lauf der Jahreszeiten. Im Winter leben sie in einer Baracke im Osten, im Sommer ziehen sie gen Westen an den See, um dort der ...

Rávdná, ihre Schwester Ánne und ihre Tochter Ingá sind Sami, sie folgen dem Lauf der Jahreszeiten. Im Winter leben sie in einer Baracke im Osten, im Sommer ziehen sie gen Westen an den See, um dort der Fischerei nachzugehen. Immer wieder wird durch ein großes Elektrizitätsunternehmen ihr Territorium verkleinert, indem es den See, der ihre Lebensgrundlage darstellt, mehr und mehr aufstaut. Jedes Mal verlieren sie ein Mehr an dem ohnehin schon geringen Eigentum. Die Samen werden als minderwertiges Volk angesehen, nahezu ohne Rechte. Doch ihr Widerstand wird im Laufe der Jahrzehnte immer mehr...

Elin Anna Labba thematisiert in "Das Echo der Sommer" die kontinuierliche Vertreibung der Sami auf eindrucksvolle Weise. Die indigene Bevölkerung Skandinaviens wurde lange Zeit als minderwertig angesehen, als Menschen betrachtet, die es selbst nicht zustande bringen, in "geordneten" Verhältnisse zu leben. Ohne groß zu fragen, werden sie peu à peu ihres Lebensraumes beraubt, ohne eine Mitsprache an ihrer Zukunft zu haben. Labba erzählt anschaulich die Naturverbundenheit der Sami - und wie diese von der schwedischen Obrigkeit gekonnt ignoriert wurde. Die drei Frauen stecken sich lange zurück, bis sie nicht mehr mitmachen wollen. Dabei gehen sie äußerst unterschiedlich mit der schleichenden Vertreibung um. Ánne, selbst vom Schicksal stark mitgenommen, resigniert, während ihre Schwester Rávdná immer mehr Widerstand leistet. Rávdnás Tochter Inga will bloß leben, interessiert sich nicht wirklich für Politik, sondern bemüht sich um ein erträgliches Überleben. Sie leben im Einklang mit der Natur, doch im Laufe der Zeit scheint das immer mehr ein Hindernis zu sein.

Die Erzählung der Autorin hat eine besondere Atmosphäre, die Leser:innen spüren förmlich die Verbundenheit der Figuren mit der Natur und die zerstörerische Kraft der hegemonialen Herrscherbevölkerung. Die Sprache ist kühl, beinahe unemotional und hinterlässt doch den Eindruck der puren Unterdrückung der indigenen Bevölkerung. Wir begleiten die Protagonistinnen über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren (1920er bis in die 1970er Jahre) und fühlen, wie unterschiedlich deren Umgang mit der Unterdrückung doch ist. Von purer Resignation, über widerständischen Handeln zu Ignoranz ist alles vorhanden. Die Charaktere sind äußerst unterschiedlich, ihnen gemein ist aber, dass sie nie wirklich zugänglich sind. Trotzdem sind all ihre Handlungen nachvollziehbar, auch wenn es schwer erträglich ist, in welchem Ausmaß die Unterdrückung stattfindet.

Das Buch ist für alle geeignet, die sich mit der Geschichte und dem Umgang mit dieser europäischen indigenen Bevölkerung auseinander setzen wollen. Die Landschaftsbeschreibungen und die kulturellen und religiösen Aspekte der samischen Bevölkerung werden glaubhaft vermittelt. Die Autorin schafft es gekonnt, Bilder zu erzeugen, die die Handlung, die Figuren und die landschaftliche Atmosphäre authentisch widerspiegeln.

In den letzten Jahren hat es einige Literatur gegeben, die sich mit der samischen Kultur und deren Unterdrückung beschäftigt haben. Elin Anna Labba schafft es in "Das Echo der Sommer" glaubhaft, deren Unterdrückung und eigenen Widersprüche darzustellen. Was aber, wie bei einigen anderen Werken ebenfalls, vernachlässigt wurde, ist, dass den Leser:innen die Möglichkeit geboten wird, die sprachliche Kultur verständlich zu machen. Auch in "Das Echo der Sommer" wird in der samischen Sprache gesprochen, doch leider wird es verabsäumt, wesentliche Ausdrücke in einem Glossar dem nichtwissenden Leser:innenpublikum näherzubringen. Zwar hat mich das wesentlich weniger gestört, wie in anderen Romanen, die das Schicksal der Sami thematisieren, weil die Bedeutung oft in Nachfolgesätzen gekonnt weiterverfolgt wurden. Trotzdem wäre es dem interessierten Lesepublikum durchaus zuzumuten, durch Fußnoten oder einem Glossar immer wieder auftauchende Begriffe wie "Giisá" oder "Eanni" zu erklären, einfach auch um mehr Verständnis den Protagonistinnen gegenüber zu erzeugen. Diese Auslassung im Sinne der Leser:innen begründe ich auch meine Entscheidung, eine Stern für dieses ansonsten wunderbar authentische Bild der Sami in Romanform abzuziehen.

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