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Veröffentlicht am 04.06.2025

Für meinen Geschmack zu viele Klischees

Landleben
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Rivka ist fünfunddreißig und eine alleinstehende Frau. Sie weiß, dass sie bedauernswert ist. Ihr Vater Dr. Jacob Shaab muss in der Eckkneipe zur Toilette gehen, weil seine Tochter ihn per Gegensprechanlage ...

Rivka ist fünfunddreißig und eine alleinstehende Frau. Sie weiß, dass sie bedauernswert ist. Ihr Vater Dr. Jacob Shaab muss in der Eckkneipe zur Toilette gehen, weil seine Tochter ihn per Gegensprechanlage an der Haustüre abweist. Es passe gerade nicht so gut. Ihr schlechtes Gewissen und die Traurigkeit lassen sie ihre Zähne in die Fingergelenke schlagen. Sie geht dazu über die Wohnung zu putzen, entschuldigt sich telefonisch bei Eltern und Freunden und ruft den Anwalt an, dessen Nummer sie sich notiert hatte und zeigt Gesprächsbereitschaft.

Die Hausbesichtigung mit Esse war zu schön, um wahr zu sein. Nachdem der Makler sie durch die Räume geführt und Snibbe sich unter der alten Platane gewälzt hatte, saßen sie im Auto und ließen, jede für sich, die Eindrücke auf sich wirken. Es war perfekt, aber beide hatten genug Lebenserfahrung gesammelt, um zu wissen, dass es immer einen Haken gab und es einfach nur auf dessen Größe ankam. Nach einem kurzen Blick hielt Esse an und machte dem Makler telefonisch ein Angebot.

Der Abschied aus Amsterdam verlief schnell und unsentimental. Die Stadt weckte Bedürfnisse, die laufend Befriedigung suchten. In den Cafés und Kneipen grassierte die alles entscheidende Frage, ob dies eine Welt sei, in die man noch Kinder setzen sollte. Die Leute stressten sich. Rivka brauchte dringend Inspiration für ihre Bücher, die ihr die Stadt nicht lieferte und Esse suchte einen Ort, der sie zur Ruhe kommen ließ. Und vielleicht wäre Onderweer so ein Ort geworden, wenn ihnen die Autorin Eva Alta nicht begegnet wäre.

Fazit: Nina Polak hat eine Geschichte geschrieben, die zwei Frauen zeigt, die sich aus guten Gründen für das Leben auf dem Land begeistern. Esse findet ihr Glück in der Gartenarbeit und im Fotografieren, während Rivka nach Worten sucht. Die Autorin verhandelt die Themen Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Depression, Liebe, Selbstfindung, Eifersucht und Manipulation und ich fand das ganz schön viel für ein Buch. Es dauerte etwa die Hälfte der Geschichte, bis ich mich angenehm unterhalten fühlte. Neben den vielen Klischees und den Charakteren, von denen mir keine einzige sympathisch war, störte mich das infantile Agieren aller Beteiligten. Die Sprache fand ich nicht außergewöhnlich und die Themen auch nicht. Auch wenn es mir nicht gefallen hat, wird das Buch sicher seine Leserinnen finden.

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Veröffentlicht am 30.05.2025

Die Entzauberung der Autor*innenschaft

Stehlen, Schimpfen, Spielen
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In zwei Jahren soll Barbi eine Poetikvorlesung halten. Das ist bestens, denn bis dahin hat sie noch unendlich viel Zeit. Vierzehn Tage davor hat sie allerdings noch keine Zeile geschrieben. Der Countdown ...

In zwei Jahren soll Barbi eine Poetikvorlesung halten. Das ist bestens, denn bis dahin hat sie noch unendlich viel Zeit. Vierzehn Tage davor hat sie allerdings noch keine Zeile geschrieben. Der Countdown läuft.

Tag 13

Sie findet keinen Anfang. Tippt, löscht, tippt, löscht. Selbstzweifel kriechen vom Nacken in den Magen und hinauf ins Gehirn. Im Hinterkopf urteilt ihre gesamte Familie, wie sie das immer getan hat. Barbi hat großkotzige Versprechen gegeben, weil jedes Projekt eine Ankündigung braucht, lange bevor es geschrieben ist und die wird sie wahr machen.

Tag 12

Sie verstreut Anekdoten darüber, was ihr vor, während und nach Lesungen passiert ist.

Tag 11

Sie hat sich das Handgelenk beim Schreiben verdreht. Der Arzt in der Notaufnahme ulkt: „Szenenscheidenentzündung. Haha.“ Jetzt stört sie die Schiene. Sie wird aber trotzdem alles geben.

Ihre Tante hatte sie schon frühzeitig aufgeklärt, dass aus ihr keine großartige Schriftstellerin werden würde, weil:

Sie aus armen Verhältnissen kommt und die wenigsten es schafften, sich darüber hinwegzusetzen.
Sie wohl eher in der Wohnung, in der sie geboren wurde, sterben würde.
Sie Agoraphobie bekommen oder eine schlecht verdienende alleinerziehende Mutter werden würde.

Tag 10

Ihr Konzept steht jetzt. Sie wird zuerst über das Stehlen schreiben, zum Beispiel über die Aneignung fremden Urhebereigentums.

Die Worte anderer führen manchmal weiter, als ich mich aus eigenen Kräften getraut hätte zu gehen. S. 34

Fazit: Barbi Marcovic erzählt über ihr Schreiben und wie sie es entwickelte. Sie studierte in Belgrad Germanistik. Während sie aus dem serbokroatischen übersetzte, schrieb sie ihr erstes Buch. Sie überlebte einen der verheerendsten Kriege und nahm ein Stipendium in Graz an. In ihrem ersten Buch eignete sie sich Textstellen von Thomas Bernhard an, die sie so gut mit ihren eigenen Worten vermischte, dass man sie zunächst für eine geniale Thomas Bernhard Nachfolgerin hielt. Sie kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen und verschweigt neben gut gesetzten Schimpftiraden auch nicht, welches Glück ihr widerfahren ist, um eben doch allen Unkenrufen zum Trotz, eine große Schriftstellerin zu werden. Ihr Buch ist frech, frisch und vollkommen anders als alles, was ich bisher gelesen habe. Ich muss gestehen, dass ich ihren Humor mag, dass ich den Kern des Buches aber wahrscheinlich nicht verstanden habe. Eine Entzauberung der Autor*innenschaft ist nachvollziehbar. Und habe ich da vielleicht auch eine leise Kritik am Literaturbetrieb vernommen? Und wenn ja, war das überhaupt beabsichtigt? Fragen über Fragen. Viele ihrer Gedankengänge fand ich richtig gut, aber der chaotische Aufbau hat mein konservativ gepoltes Hirn fertig gemacht. Alle, die experimentelle, neue, spritzige Literatur lieben, werden hierin ihren Seelenfrieden finden.

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Veröffentlicht am 27.05.2025

Sehr experimentell

Lebensversicherung
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Sie teilt die Angst ihrer Familie vor nahezu allem, weil immer was passieren kann. Selbstverständlich hat sie eine Haftpflichtversicherung. Eine Hausrat-,private Krankenzusatz-, Berufsunfähigkeit-, Reisekranken-, ...

Sie teilt die Angst ihrer Familie vor nahezu allem, weil immer was passieren kann. Selbstverständlich hat sie eine Haftpflichtversicherung. Eine Hausrat-,private Krankenzusatz-, Berufsunfähigkeit-, Reisekranken-, Unfall- und eine Zahnzusatzversicherung, denn man weiß ja nie und der Tarif ist in der Menge günstiger. Ihre Eltern sind Versicherungsvertreter, so wie ihre Großeltern. Selbstredend hat sie die Tradition fortgeführt. Opa F war der erste Versicherungsvertreter im Dorf. Opa O war auch Versicherungsvertreter, machte sich aber im anderen Dorf selbstständig. Papa wurde Reiseversicherungskaufmann, weil er gerne die Welt kennenlernen wollte, übernahm dann die Kunden von Opa F und blieb doch im Dorf hängen. Mama wurde Versicherungskauffrau, das war praktisch, weil sie nebenbei Haushalt und Einkauf machen konnte.

Neunzehnhundertneunzig haben die Eltern ein Fertighaus ins Neubaugebiet gebaut. Im Erdgeschoss entstand Platz für ein kleines Versicherungsbüro mit Gäste-WC, einem Aktenarchiv und separatem Eingang. Die ganze Woche über empfingen die Eltern die Kunden in ihrer Niederlassung und am Wochenende klapperten sie die umliegenden Restaurants ab, um die Unterschriften für die Gebäudeversicherungen einzuholen.

Weil sie sich gut damit auskennt, denkt sie viel über Übelkeit nach. Magendruck vor dem Essen. Völlegefühl nach dem Essen. Übelkeit vor Müdigkeit. Darmkrämpfe. Sodbrennen mit leichtem sauren Reflux. Bauchweh kündigt Erkältung an. Kopfschmerz kündigt Bauchweh an. Diese Kenntnis existiert, seit sie denken kann. Warum weiß sie nicht.

Fazit: Katharina Bachs Prosadebüt verhandelt mit der Angst. Die namenlose Ich-Erzählerin blickt emotionslos auf ihre Familie und ihr eigenes Dasein, was mitunter amüsant ist. Der Text ist gespickt mit Notizen, die einzelnen Kapitel sind kurz und vielzählig. Obwohl die Autorin ihre Protagonistin immer wieder andeutungsweise zeigen lässt, dass die Familie wunderlich ist, erschließt sich das Tragische erst ganz zum Schluss und macht die Angst und das Bedürfnis nach Sicherheit völlig verständlich. Die Technik hat mich nicht wirklich mitgerissen und ich konnte mir lange nicht erklären, warum ich das Buch lese. Mir hat sich der Sinn nicht erschlossen, weil das Vergnügen fehlte. Den Schluss allerdings fand ich gelungen und erhellend.

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Veröffentlicht am 16.05.2025

Ich hatte mehr erwartet

Women
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Sie wuchs mit ihrer Mutter in einem Cottage am Waldrand auf. Sie war sechzehn, als ein lesbisches Paar Mitte vierzig ein Haus ganz in ihrer Nähe im Wald baute. Die eine war wohlhabend, die andere eine ...

Sie wuchs mit ihrer Mutter in einem Cottage am Waldrand auf. Sie war sechzehn, als ein lesbisches Paar Mitte vierzig ein Haus ganz in ihrer Nähe im Wald baute. Die eine war wohlhabend, die andere eine am Hungertuch nagende Künstlerin.

Finn schrieb ihr auf die Facebook-Pinnwand, dass ihr Buch fantastisch sei. Sie begannen einen regen E-Mail Austausch über Bücher und Autoren, die sie mochten. Auf einer ihrer Lesungen tauchte Finn auf und faszinierte sie.

Sie zog in Finns Stadt, nicht wegen ihr, sondern weil es ihr Zuhause zu eng wurde. Sie schniefte mehrmals pro Woche Opiate und hoffte ihre Drogenkontakte zu zerstreuen. Und sie hatte eine Fernbeziehung mit Isaac und er bot ihr an, vorerst bei ihm einzuziehen. Nach einem halben Jahr stellte Isaac fest, dass sie manchmal im Bett so gelangweilt wirke und sie trennten sich.

Finn füllte die entstandene Lücke. Sie war neunzehn Jahre älter als sie und nannte sie Champ. Finn trug Männerklamotten aus teuren Läden, mochte Salty Dogs und dunkles Bier. Ihr Gang hatte etwas Großspuriges. Seit zehn Jahren lebte sie in einer festen Beziehung mit einer Frau.

Sie fühlte sich in der Stadt etwas verloren, dümpelte so vor sich hin, ohne große Kontaktfreude. Finn unterstützte sie in vielen Beziehungen und auf ihr Anraten bewarb sie sich in der öffentlichen Bibliothek, wo Finn selbst schon gearbeitet hatte.

Fazit: Chloé Caldwell hat eine zeitgenössische Liebesgeschichte zwischen zwei ungleichen Frauen geschaffen. Dabei nimmt sich die Ältere zurückhaltend der Jüngeren an und unterstützt sie in vielen Lebenslagen. Beide verlieben sich ineinander. Im Vorwort, erläutert Katie Heaney warum sie dieses Buch so wichtig findet, spiegelt es doch ihre eigene Geschichte. Im Nachwort erfahre ich, dass das Buch 2014 entstanden ist und warum. Die Autorin wollte ihr eigenes Coming-out verarbeiten. Die Absätze sind unterlegt mit durchweg positiven Leser*innenmeinungen. Das Buch wurde 2014 im prüden und intoleranten Amerika gefeiert und war für viele sicher ein Befreiungsschlag. Es liest sich wie ein Tagebuch einer Obsession und hat mich leider gar nicht bewegt. Ich habe mittlerweile einige Liebesgeschichten zwischen Frauen gelesen, die ich deutlich besser fand. Auch die Klischees haben mir nicht gefallen: „Die Liebe zwischen Frauen ist einfach tiefer und intensiver.“ Einige lesbische Frauen, mit denen ich sprach, sagten mir, das eine lesbische Beziehung sich kaum von einer heterosexuellen Beziehung unterscheide. Ich fand das Thema Identität und Selbstfindung gut eingefangen, aber die Charaktere fand ich nicht gut gezeichnet. Ich denke, man hätte mehr aus der Story rausholen können, jedenfalls hatte ich wegen Cover und Klappentext mehr erwartet.

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Veröffentlicht am 05.05.2025

Trotz einiger Schwächen ein gewisser Unterhaltungswert

Stars
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Carla Mittmann ist exmatrikulierte Philosophiestudentin. Seit nunmehr zehn Jahren fristet sie ihren öden Berufsalltag im Kundendienst einer Möbelfirma. Zwanzig Stunden in der Woche nimmt sie Bestellungen ...

Carla Mittmann ist exmatrikulierte Philosophiestudentin. Seit nunmehr zehn Jahren fristet sie ihren öden Berufsalltag im Kundendienst einer Möbelfirma. Zwanzig Stunden in der Woche nimmt sie Bestellungen für Schultische, Amtsregale und Warteraumbestuhlung entgegen. Zwölf Tage Urlaub stehen ihr pro Jahr zu und Magen-Darm kann eine segensreiche Sache sein, wenn er dazu dient, ein paar zusätzliche freie Tage einzubauen oder Urlaube zu verlängern. Nach Feierabend verkauft sie als „Cosmic-Charly Online-Horoskope. Ein Computerprogramm, dessen Auswertung sie wegen der Vergleichbarkeit minimal abändert, hilft ihr dabei. Sie hat sich einen größeren Kundenstamm aufgebaut, der ihr treu ist.

An einem Mittwochmorgen wird sie unsanft geweckt, als ein Stein durch ihr Fenster fliegt. Nach dem ersten Schreck glaubt sie an einen Irrtum, falsche Hausnummer oder jemand hatte sich in der Etage geirrt. Verärgert darüber, dass das Aufräumen nun an ihr hängen bleibt, schält sie sich aus dem Bett, begutachtet den Schaden und schaut hinunter auf den Bürgersteig:

„Freiheit für Mittmann!“, steht dort in großen blauen Kreidebuchstaben. S. 19

Das will sie sich näher anschauen, zieht sich an, öffnet die Wohnungstür und fällt fast über den Karton auf ihrer Fußmatte. Sie trägt ihn in die Küche, faltet den Deckel auseinander und sieht gebündelte zehn Dollarnoten. Sie kann sich nicht vorstellen, dass das Geld echt ist und um ihr Misstrauen zu beweisen, nimmt sie einige Scheine, die sie am Nachmittag zur Wechselstube bringen wird. Als sie die Haustüre öffnet, um zur Arbeit zu fahren, sind die Kreidebuchstaben weg, als hätte sie eine Halluzination gehabt.

Fazit: Katja Kullmann hat nach „Die singuläre Frau“ nun ihren ersten Roman geschrieben. Die fiktionale Geschichte liest sich humorvoll, aber auch beliebig. Erst ab Seite achtzig konnte sie mich mitnehmen und ich fand Spaß an ihrer abstrusen Handlung. Ihre Protagonistin lebt ein arbeitsreiches Singledasein. Mit dem unerwarteten Geldzuwachs als Sicherheit entwickelt sie die Idee einer Vollzeitselbstständigkeit im Astro-Business und stellt ihr Geschäft beeindruckend gewissenhaft auf. Die Interaktionen mit ihren Kundinnen sind wirklich unterhaltsam geschrieben. Sie will hoch hinaus, einer Madame Tessier würdig werden. Mir gefielen auch die diversen Einschübe über die Sternbilder und die Konstellationen. Auf Seite 234 lässt die Autorin dann ihre Protagonistin dazu raten, unsere Globulis in die Kanalisation zu kippen, weil Rudolf Steiners Schriften, zu den Schuldigen am Ersten Weltkrieg, von den Nationalsozialisten rezipiert wurden. Der Anthroposoph und Heilpädagoge Steiner hat sich der Esoterik gewidmet und die Misteltherapie entdeckt, die ja bei bestimmten Krebsarten nicht umstritten ist. Das hat aber mit Globulis gar nichts zu tun, denn die Homöopathie ist ja von dem Arzt Samuel Hahnemann entwickelt worden. Aus beruflicher Sicht bin ich da empfindlich, weil über die unschuldige Homöopathie viel Unsinn verbreitet wird. Dennoch hatte der Roman für mich, trotz einiger Schwächen, einen Unterhaltungswert.

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