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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.06.2025

Sehr persönliches, einseitiges Männerbild

Furye
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Die Selfmadefrau Alec, Gesicht der Vogue Business, lächelt sich händeschüttelnd durch die Vernissage. Die Toxou stellt ästhetisch fragwürdige Fotografien aus und Alecs neuer Stern am Klassikhorizont hat ...

Die Selfmadefrau Alec, Gesicht der Vogue Business, lächelt sich händeschüttelnd durch die Vernissage. Die Toxou stellt ästhetisch fragwürdige Fotografien aus und Alecs neuer Stern am Klassikhorizont hat seinen Gastauftritt. Die Toxou und sie haben nichts gemein, außer dass sie kinderlose Singlefrauen sind und sich gefährlich nah an einen Burnout heranarbeiten. Alec war ungewollt das leuchtende Beispiel des Kindes einer Einwandererfamilie, die Alma Mater mit dem rasanten Aufstieg zur einflussreichsten Managerin der Neoklassikbranche. Die Leute um sie herum stürmen das Austernbüffet. Ein Koch schiebt sein Messer unter die obere Schale, durchtrennt den Schließmuskel und tötet das lebendige weiche Fleisch. Die Gäste träufeln Zitronensaft oder Zwiebelvinaigrette darüber und schlürfen den Inhalt in ihren Mund. Es folgen große Schlucke eines roséfarbenen Champagners und Gespräche über Armbanduhren und Anlageoptionen. Die Toxou flüstert ihr ins Ohr, welche Party sie im Anschluss besuchen wird und Alec solle sie doch begleiten, aber Alec will nach Hause. Will sich in der Stille ihrer Wohnung, mit der Tablette aus der weiß-blauen Packung und einer Flasche Weißwein lebendig begraben.

Damals, als sie Siebzehn war, gehörte ihnen die kleine Stadt und das Meer. Damals, als sie nur Lust und Schmerz und doch so lebendig waren, die drei Furyen. Alec wohnte in dem Viertel, das niemand gerne betrat, der nicht dort zu Hause war. Ihre Eltern hatten ihre Heimat verlassen und ganz von vorne anfangen müssen. Ihr Vater arbeitete als Taxifahrer, die Mutter als Reinigungskraft. Die beiden teilten sich die Schlafcouch im Wohnzimmer, damit Alec ihr eigenes Zimmer hatte und in Ruhe lernen konnte. Trotzdem waren sie glücklich. Alec arbeitete in Nics Bar und bekam ein Stipendium, doch dann warf sie ein Auge auf den schönen stillen Romain, der einen Jahrgang über ihr war.

Fazit: Kat Eryn Rubin hat eine Geschichte geschaffen, die das Frausein in allen Facetten beleuchtet. Ihre Protagonistin kommt aus einem liebevollen Elternhaus, ganz im Gegensatz zu ihren beiden Freundinnen. Ein großer Teil der Story dreht sich um das Unglück schöner junger Frauen, die sich im Dunstkreis älterer wohlhabender Männer bewegen, um die Oberflächlichkeit von Beziehungen und die Last der Abhängigkeiten. Die Wut darüber verlassen worden zu sein, oder die Ohnmacht darüber ständiger häuslicher Gewalt ausgesetzt zu sein. Die Protagonistin, die sowohl als Freundin, aber auch als Kellnerin hautnah mitbekommt, wie Männer sein können und sich bewusst für ein unabhängiges Leben entscheidet, damit dann unglücklich ist, weil sie das Fehlende nicht ersetzen kann. Ich fand den Schreibstil eingängig und unterhaltsam. Gerade zu Anfang hat mich die Geschichte gefesselt, später fand ich sie zu langatmig. Die Stimmung ist so melancholisch und es scheint so aussichtslos, dass sich etwas zum Positiven bewegen wird, dass es mich zum Ende richtiggehend runtergezogen hat. Der Schluss ist ebenso überraschend wie unglaubwürdig. Für mich war das Bild des egoistischen, reichen, weißen, heteronormativen Mannes, das die Autorin gezeichnet hat, zu einseitig. Irgendwie auch persönlich, als sei an dieser Stelle noch eine Rechnung offen.

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Veröffentlicht am 16.06.2025

Unterhaltsam aber nicht rund

Die Frau hinter der Bühne
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Die junge Mairéad folgt ihrem Traum. Sie geht aus einer dörflichen Provinz Irlands ins multikulturelle London, um Theaterregisseurin zu werden. Um ihr WG-Zimmer halten zu können, arbeitet sie an einem ...

Die junge Mairéad folgt ihrem Traum. Sie geht aus einer dörflichen Provinz Irlands ins multikulturelle London, um Theaterregisseurin zu werden. Um ihr WG-Zimmer halten zu können, arbeitet sie an einem kleinen Theater unter Margaret, der dortigen Kostümbildnerin. Margaret ist anspruchsvoll, distanziert, sparsam und trockene Alkoholikerin. Sie verlangt Mairéad einiges ab, deren Alltag aus waschen, nähen, ausbessern, bügeln und Einkäufen besteht.

Mairéad muss Scott Gilbourne vermessen. Der schottische Schauspieler raubt ihr den Atem. Sie ist kurz angebunden und geht nicht auf seine Witze ein. Seine Fragen beantwortet sie ausweichend. Als sie vor ihm in die Knie gehen muss, gibt die Naht ihrer Hose nach und entblößt ihren Hintern vom Becken bis zum Schritt. Mairéad stürmt aus dem Raum zur Toilette und weint, bis sie Nasenbluten hat.

Die Mitarbeiterin Jacquis, die zweite des Kleiderateliers, steht auf den Produzenten Oliver Bow. Sie glaubt, dass er ihr zu einer Karriere verhelfen könnte, dass er ein arroganter Unmensch ist, weiß sie zu ignorieren. Erst kürzlich hatte er seine Assistentin mit Dicken-Witzen vergrault, weil sie volle Bezahlung für all ihre Stunden verlangte. Er bringt Schauspielerinnen zum Weinen und hackt auf schwulen Mitarbeitern rum, aber im Grunde macht er auch nur seinen Job.

Fazit: Elaine Garvey hat mich in ihrem Debütroman mitgenommen, um mich in die Welt des Theaters hinter die Kulissen abtauchen zu lassen. Hier herrscht ein rauer Ton und die Mitarbeiter dürfen nicht zimperlich sein. Interessant fand ich, wie die Autorin ihre Protagonistin ausgearbeitet hat. Sie ist eine schüchterne junge Frau aus der Provinz, gefüttert mit den Anweisungen eines tadellosen Benehmens und der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Ihrem Vater rutscht leicht die Hand aus und er und ihre Mutter liefern sich von je her erbitterte Zweikämpfe, ringen um die familiäre Aufmerksamkeit. Die Autorin hat sich für eine Ich-Erzählung entschieden und schildert alles aus Mairéads Sicht. Der Konflikt zwischen ihrem Vater, der wollte, dass sie spurt und den Männern am Theater, die zu Machtmissbrauch neigen, gefällt mir. Was mir nicht so gut gefallen hat, ist, dass die Autorin beim Lesenden einiges voraussetzt. Sie lässt Personen und deren Äußerungen einfließen, als müsste ich sie kennen. Ebenfalls erschwert hat mir meinen Lesefluss die Aneinanderreihung von Szenen, die ich mir aber nicht so recht vorstellen konnte. Insgesamt eine unterhaltsame Geschichte, die vielleicht etwas zu viel von mir erwartet hat.

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Veröffentlicht am 04.06.2025

Für meinen Geschmack zu viele Klischees

Landleben
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Rivka ist fünfunddreißig und eine alleinstehende Frau. Sie weiß, dass sie bedauernswert ist. Ihr Vater Dr. Jacob Shaab muss in der Eckkneipe zur Toilette gehen, weil seine Tochter ihn per Gegensprechanlage ...

Rivka ist fünfunddreißig und eine alleinstehende Frau. Sie weiß, dass sie bedauernswert ist. Ihr Vater Dr. Jacob Shaab muss in der Eckkneipe zur Toilette gehen, weil seine Tochter ihn per Gegensprechanlage an der Haustüre abweist. Es passe gerade nicht so gut. Ihr schlechtes Gewissen und die Traurigkeit lassen sie ihre Zähne in die Fingergelenke schlagen. Sie geht dazu über die Wohnung zu putzen, entschuldigt sich telefonisch bei Eltern und Freunden und ruft den Anwalt an, dessen Nummer sie sich notiert hatte und zeigt Gesprächsbereitschaft.

Die Hausbesichtigung mit Esse war zu schön, um wahr zu sein. Nachdem der Makler sie durch die Räume geführt und Snibbe sich unter der alten Platane gewälzt hatte, saßen sie im Auto und ließen, jede für sich, die Eindrücke auf sich wirken. Es war perfekt, aber beide hatten genug Lebenserfahrung gesammelt, um zu wissen, dass es immer einen Haken gab und es einfach nur auf dessen Größe ankam. Nach einem kurzen Blick hielt Esse an und machte dem Makler telefonisch ein Angebot.

Der Abschied aus Amsterdam verlief schnell und unsentimental. Die Stadt weckte Bedürfnisse, die laufend Befriedigung suchten. In den Cafés und Kneipen grassierte die alles entscheidende Frage, ob dies eine Welt sei, in die man noch Kinder setzen sollte. Die Leute stressten sich. Rivka brauchte dringend Inspiration für ihre Bücher, die ihr die Stadt nicht lieferte und Esse suchte einen Ort, der sie zur Ruhe kommen ließ. Und vielleicht wäre Onderweer so ein Ort geworden, wenn ihnen die Autorin Eva Alta nicht begegnet wäre.

Fazit: Nina Polak hat eine Geschichte geschrieben, die zwei Frauen zeigt, die sich aus guten Gründen für das Leben auf dem Land begeistern. Esse findet ihr Glück in der Gartenarbeit und im Fotografieren, während Rivka nach Worten sucht. Die Autorin verhandelt die Themen Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Depression, Liebe, Selbstfindung, Eifersucht und Manipulation und ich fand das ganz schön viel für ein Buch. Es dauerte etwa die Hälfte der Geschichte, bis ich mich angenehm unterhalten fühlte. Neben den vielen Klischees und den Charakteren, von denen mir keine einzige sympathisch war, störte mich das infantile Agieren aller Beteiligten. Die Sprache fand ich nicht außergewöhnlich und die Themen auch nicht. Auch wenn es mir nicht gefallen hat, wird das Buch sicher seine Leserinnen finden.

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Veröffentlicht am 30.05.2025

Die Entzauberung der Autor*innenschaft

Stehlen, Schimpfen, Spielen
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In zwei Jahren soll Barbi eine Poetikvorlesung halten. Das ist bestens, denn bis dahin hat sie noch unendlich viel Zeit. Vierzehn Tage davor hat sie allerdings noch keine Zeile geschrieben. Der Countdown ...

In zwei Jahren soll Barbi eine Poetikvorlesung halten. Das ist bestens, denn bis dahin hat sie noch unendlich viel Zeit. Vierzehn Tage davor hat sie allerdings noch keine Zeile geschrieben. Der Countdown läuft.

Tag 13

Sie findet keinen Anfang. Tippt, löscht, tippt, löscht. Selbstzweifel kriechen vom Nacken in den Magen und hinauf ins Gehirn. Im Hinterkopf urteilt ihre gesamte Familie, wie sie das immer getan hat. Barbi hat großkotzige Versprechen gegeben, weil jedes Projekt eine Ankündigung braucht, lange bevor es geschrieben ist und die wird sie wahr machen.

Tag 12

Sie verstreut Anekdoten darüber, was ihr vor, während und nach Lesungen passiert ist.

Tag 11

Sie hat sich das Handgelenk beim Schreiben verdreht. Der Arzt in der Notaufnahme ulkt: „Szenenscheidenentzündung. Haha.“ Jetzt stört sie die Schiene. Sie wird aber trotzdem alles geben.

Ihre Tante hatte sie schon frühzeitig aufgeklärt, dass aus ihr keine großartige Schriftstellerin werden würde, weil:

Sie aus armen Verhältnissen kommt und die wenigsten es schafften, sich darüber hinwegzusetzen.
Sie wohl eher in der Wohnung, in der sie geboren wurde, sterben würde.
Sie Agoraphobie bekommen oder eine schlecht verdienende alleinerziehende Mutter werden würde.

Tag 10

Ihr Konzept steht jetzt. Sie wird zuerst über das Stehlen schreiben, zum Beispiel über die Aneignung fremden Urhebereigentums.

Die Worte anderer führen manchmal weiter, als ich mich aus eigenen Kräften getraut hätte zu gehen. S. 34

Fazit: Barbi Marcovic erzählt über ihr Schreiben und wie sie es entwickelte. Sie studierte in Belgrad Germanistik. Während sie aus dem serbokroatischen übersetzte, schrieb sie ihr erstes Buch. Sie überlebte einen der verheerendsten Kriege und nahm ein Stipendium in Graz an. In ihrem ersten Buch eignete sie sich Textstellen von Thomas Bernhard an, die sie so gut mit ihren eigenen Worten vermischte, dass man sie zunächst für eine geniale Thomas Bernhard Nachfolgerin hielt. Sie kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen und verschweigt neben gut gesetzten Schimpftiraden auch nicht, welches Glück ihr widerfahren ist, um eben doch allen Unkenrufen zum Trotz, eine große Schriftstellerin zu werden. Ihr Buch ist frech, frisch und vollkommen anders als alles, was ich bisher gelesen habe. Ich muss gestehen, dass ich ihren Humor mag, dass ich den Kern des Buches aber wahrscheinlich nicht verstanden habe. Eine Entzauberung der Autor*innenschaft ist nachvollziehbar. Und habe ich da vielleicht auch eine leise Kritik am Literaturbetrieb vernommen? Und wenn ja, war das überhaupt beabsichtigt? Fragen über Fragen. Viele ihrer Gedankengänge fand ich richtig gut, aber der chaotische Aufbau hat mein konservativ gepoltes Hirn fertig gemacht. Alle, die experimentelle, neue, spritzige Literatur lieben, werden hierin ihren Seelenfrieden finden.

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Veröffentlicht am 27.05.2025

Sehr experimentell

Lebensversicherung
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Sie teilt die Angst ihrer Familie vor nahezu allem, weil immer was passieren kann. Selbstverständlich hat sie eine Haftpflichtversicherung. Eine Hausrat-,private Krankenzusatz-, Berufsunfähigkeit-, Reisekranken-, ...

Sie teilt die Angst ihrer Familie vor nahezu allem, weil immer was passieren kann. Selbstverständlich hat sie eine Haftpflichtversicherung. Eine Hausrat-,private Krankenzusatz-, Berufsunfähigkeit-, Reisekranken-, Unfall- und eine Zahnzusatzversicherung, denn man weiß ja nie und der Tarif ist in der Menge günstiger. Ihre Eltern sind Versicherungsvertreter, so wie ihre Großeltern. Selbstredend hat sie die Tradition fortgeführt. Opa F war der erste Versicherungsvertreter im Dorf. Opa O war auch Versicherungsvertreter, machte sich aber im anderen Dorf selbstständig. Papa wurde Reiseversicherungskaufmann, weil er gerne die Welt kennenlernen wollte, übernahm dann die Kunden von Opa F und blieb doch im Dorf hängen. Mama wurde Versicherungskauffrau, das war praktisch, weil sie nebenbei Haushalt und Einkauf machen konnte.

Neunzehnhundertneunzig haben die Eltern ein Fertighaus ins Neubaugebiet gebaut. Im Erdgeschoss entstand Platz für ein kleines Versicherungsbüro mit Gäste-WC, einem Aktenarchiv und separatem Eingang. Die ganze Woche über empfingen die Eltern die Kunden in ihrer Niederlassung und am Wochenende klapperten sie die umliegenden Restaurants ab, um die Unterschriften für die Gebäudeversicherungen einzuholen.

Weil sie sich gut damit auskennt, denkt sie viel über Übelkeit nach. Magendruck vor dem Essen. Völlegefühl nach dem Essen. Übelkeit vor Müdigkeit. Darmkrämpfe. Sodbrennen mit leichtem sauren Reflux. Bauchweh kündigt Erkältung an. Kopfschmerz kündigt Bauchweh an. Diese Kenntnis existiert, seit sie denken kann. Warum weiß sie nicht.

Fazit: Katharina Bachs Prosadebüt verhandelt mit der Angst. Die namenlose Ich-Erzählerin blickt emotionslos auf ihre Familie und ihr eigenes Dasein, was mitunter amüsant ist. Der Text ist gespickt mit Notizen, die einzelnen Kapitel sind kurz und vielzählig. Obwohl die Autorin ihre Protagonistin immer wieder andeutungsweise zeigen lässt, dass die Familie wunderlich ist, erschließt sich das Tragische erst ganz zum Schluss und macht die Angst und das Bedürfnis nach Sicherheit völlig verständlich. Die Technik hat mich nicht wirklich mitgerissen und ich konnte mir lange nicht erklären, warum ich das Buch lese. Mir hat sich der Sinn nicht erschlossen, weil das Vergnügen fehlte. Den Schluss allerdings fand ich gelungen und erhellend.

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