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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.06.2025

Sehr umfangreiches und detailliertes, dabei aber spannend erzähltes Werk

Kampf ums Unbewusste
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Mehrere Jahre hat das Ehepaar Christina von Braun und Tilo Held - sie Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Filmemacherin, er Psychiater und Psychoanalytiker - an diesem umfangreichen Werk gearbeitet. Trotz ...

Mehrere Jahre hat das Ehepaar Christina von Braun und Tilo Held - sie Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Filmemacherin, er Psychiater und Psychoanalytiker - an diesem umfangreichen Werk gearbeitet. Trotz der vielen Details und des Umfangs liest sich das Buch überraschend flüssig und unterhaltsam.

Es beginnt bei den Anfängen der Entstehung eines Konzeptes für das Unbewusste, das dann bekanntlich Sigmund Freud aufgenommen und umfangreich ausgebaut hat. Sehr interessant wird auf die sowohl jüdischen als auch christlichen Einflüsse auf die Psychoanalyse eingegangen, den Streit um die Bedeutung des Sexuellen und noch so einiges mehr. Danach geht es darum, wie verschiedene verbrecherische Regime, die Nazis genauso wie die Sowjets, das Unbewusste für ihre Zwecke zu manipulieren versucht haben.

Nach einem Abriss der Weiterentwicklung der Psychoanalyse in der Nachkriegszeit geht es um aktuelle Themen wie Gendertheorie und Transsexualität, ebenso wie um den Einfluss der Medien vom Fernsehen übers Internet bis zu künstlicher Intelligenz, die vorgibt, mit uns therapeutisch zu interagieren, sowie um Trauma und aktuelle Entwicklungen in dem Feld.

Mich persönlich hat etwa das erste Drittel des Buches beim Lesen am meisten angesprochen. Da habe ich unglaublich viel über geschichtliche Zusammenhänge im Kontext der Psychoanalyse und des Unbewussten gelernt. Danach wurde das Buch für mich etwas weniger interessant, als es in der Mitte des Buches ausführlich um das derzeit so aktuelle und gehypte Transgender-Thema ging. Ob ich das dem Buch anlasten kann, dafür habe ich noch keine abschließende Beurteilung, mir war es zu viel - es passt aber zu den Forschungsschwerpunkten der Autorin. Auch in den darauf folgenden Kapiteln hat sich noch so einiges Interessantes gefunden, allerdings haben sie mich etwas weniger gefesselt als die sehr stringente und gut aufgebaute Erzählweise im ersten Kapitel, was möglicherweise der Themenvielfalt geschuldet ist.

Das Buch kann ich also jenen empfehlen, die sich gerne bis in die Tiefe mit der Geschichte und Instrumentalisierung des Unbewussten und der Psychoanalyse auseinandersetzen möchten, von deren historischen Anfängen bis zu aktuellen Themen des heutigen Zeitgeistes. Vorwissen in diesem Bereich kann nicht schaden und insgesamt ist es eher ein Buch, das sich an Fachleute richtet, allerdings durchaus auch für interessierte und gebildete Laien lesbar ist, da die meisten Konzepte sehr gut erklärt werden.

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Veröffentlicht am 17.06.2025

Vielfältige Perspektiven zum Thema Elternschaft

Rethinking Motherhood
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Im Sammelband "Rethinking Motherhood", herausgegeben von Anne Theiss, finden sich 19 verschiedene Beiträge unterschiedlicher Autorinnen und Autoren zum Thema "Elternschaft neu denken". Ich nenne es hier ...

Im Sammelband "Rethinking Motherhood", herausgegeben von Anne Theiss, finden sich 19 verschiedene Beiträge unterschiedlicher Autorinnen und Autoren zum Thema "Elternschaft neu denken". Ich nenne es hier bewusst Elternschaft und nicht nur Mutterschaft, denn tatsächlich kommen - entgegen der Erwartung, die der Titel wecken würde - in diesem Buch durchaus auch Väter und sogar ein homosexuelles Väterpaar, das einen kleinen Jungen adoptiert hat, zu Wort.

Es geht um so vielfältige Themen wie Elternschaft und Beruf, die Frage, welche Rolle erziehende Erwachsende, Mütter wie Väter, in einer modernen Gesellschaft einnehmen können, wie wir uns gegenseitig dabei unterstützen können und welche Rahmenbedingungen der Staat schaffen könnte, um Elternschaft weniger anstrengend und damit wieder attraktiver für junge Menschen zu machen - in einer Zeit der historisch niedrigen Geburtenraten.

Die Beiträge sind vielfältig, aber überwiegend sehr persönlich gestaltet: mal geht es um eine erwachsene Tochter und ihre Mutter, die sich schriftlich über das Thema unterhalten, mal erzählen Alleinerziehende, dann Künstlerinnen, die Mütter geworden sind und damit verbundene Diskriminierungen und Herausforderungen erlebt haben, und auch ein Paar, das mit Unfruchtbarkeit gekämpft hat und sich schließlich für eine Leihmutterschaft in den USA entschieden hat, kommt zu Wort. Damit zeigt das Buch insgesamt eine große und vielfältige Bandbreite an Stimmen zum Thema Elternschaft auf.

Zwei Einschränkungen gibt es allerdings: es sind zum einen ausschließlich progressive Stimmen - das konservative Meinungsspektrum wird ausschließlich kritisiert und als veraltet angesehen, aber auf deren Argumente gar nicht wirklich eingegangen. Dadurch kommt in vielen Beiträgen durch, dass es als nicht akzeptabel angesehen wird, wenn eine Frau daheim bei den Kindern bleiben möchte; macht das hingegen der Mann, ist es lobenswert und modern. Hier würde ich mir mehr Dialog zwischen den verschiedenen politischen Richtungen wünschen.

Die zweite Einschränkung ist, dass es, mit wenigen Ausnahmen, überwiegend Menschen aus der sehr privilegierten Bildungsschicht sind, die hier zu Wort kommen, während die Perspektiven von marginalisierten Menschen und solchen aus Arbeitermilieus, wie so oft in solchen Sammelbänden, unterrepräsentiert sind. Wenn man das aber weiß und gerne einen weiteren Sammelband von Künstlerinnen, Schauspielerinnen, Moderatorinnen, Schriftstellerinnen - den klassischen Berufen, die sehr gewandt im Umgang mit Worten sind und sich deshalb oft zu Wort melden - lesen möchte, ist es ein interessantes und lohnenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt.

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Veröffentlicht am 17.06.2025

Wie wir unsere gedankliche Realität verzerren und uns innerlich verrückt machen

Das Zeitalter des magischen Zerdenkens. Notizen zur modernen Irrationalität
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"Das Zeitalter des magischen Zerdenkens" ist das dritte Buch der amerikanischen Linguistin Amanda Montell. Schon in ihrem zweiten Buch, in dem es um Sekten und Kulte geht, hat sie sich intensiv mit den ...

"Das Zeitalter des magischen Zerdenkens" ist das dritte Buch der amerikanischen Linguistin Amanda Montell. Schon in ihrem zweiten Buch, in dem es um Sekten und Kulte geht, hat sie sich intensiv mit den psychologischen Mechanismen beschäftigt, die dazu führen, dass wir scheinbar irrationale Entscheidungen treffen.

Dieses Buch führt diese Ideen nun fort, beschäftigt sich aber thematisch mit einer wesentlich größeren Bandbreite. Es beginnt damit, dass in den letzten Jahren die Häufigkeit psychischer Probleme enorm angestiegen ist, insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, und wie das damit zu tun haben könnte, dass wir - angespornt durch Social-Media-Algorithmen - unser Leben und die Welt immer mehr zerdenken.

Auf dieser Idee aufbauend geht es um verschiedene Alltagsphänomene, beispielsweise die vielen "Stans" (ein Kunstwort aus "Stalker" und "Fan", das auf Eminems gleichnamiges Lied zurückgeht), die eine regelrechte Besessenheit für ihre Idole, etwa Taylor Swift, aufbauen und diese glühend verehren, sich aber ebenso schnell und drastisch von diesen abwenden oder Shit-Storms starten können, wenn die unrealistische Projektion, die sie um ihr Idol aufgebaut haben, zusammenbricht. Weiters geht es um Themen wie toxische Beziehungen, Idealisierung der eigenen Eltern, Glaube an Verschwörungstheorien und so einiges mehr. Interessant ist, wie die Autorin jeweils bekannte psychologische Theorien mit ihren eigenen Gedanken zum Thema und ihren persönlichen Erlebnissen verbindet.

Wer gerne solche persönlichen Geschichten mag, der findet hier ein unterhaltsames Buch vor, in dem die Autorin nahbar und persönlich etwa von ihrer distanzierten und idealisierten Beziehung zu ihrer extrem leistungsstarken, aber nur selten Gefühle zeigenden Mutter erzählt, genauso wie von ihrer problematischen ersten Beziehung, aus der sie sich erst nach sieben Jahren lösen konnte, von ihren eigenen Selbstwertproblemen in Bezug auf ihr Äußeres oder ihren Schwierigkeiten beim Einstieg in den Arbeitsmarkt nach dem Studium.

Die Autorin ist selbst Jahrgang 1992 und damit am Anfang ihrer 30er. Darum geht es im Buch natürlicherweise hauptsächlich um die Themen, Interessen und Probleme junger Menschen, und es ist somit auch am besten für Lesende in diesem Alter geeignet. Nebenbei lernt man noch so einiges Interessantes über psychologische Theorien, die erklären, warum Menschen scheinbar irrationale Entscheidungen treffen.

Für ihr Buch hat die Autorin sorgfältig recherchiert und sowohl im Fließtext als auch im Quellenverzeichnis sind viele Details zu den entsprechenden Studien und Experimenten zu finden, sodass man sich bei Interesse leicht noch weiter in die eine oder andere Theorie vertiefen kann. Ein durchaus unterhaltsames und dabei lehrreiches Buch zur Alltagspsychologie, das ich insbesondere jenen Menschen empfehlen kann, die es sehr mögen, nicht nur theoretisch über psychologische Phänomene zu lesen, sondern diese eingebettet in eine konkrete Lebensgeschichte und verbunden mit den persönlichen Gedanken einer jungen Frau zu erleben.

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Veröffentlicht am 04.06.2025

Coming-of-Age vor dem Hintergrund des Schweigens der Nachkriegsjahre

Sputnik
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Christian Berkel hat mit "Sputnik" sein drittes Buch veröffentlicht, alle davon tragen mehr oder weniger autobiografische Züge und haben mit seiner Familiengeschichte zu tun. Für mich war es das erste ...

Christian Berkel hat mit "Sputnik" sein drittes Buch veröffentlicht, alle davon tragen mehr oder weniger autobiografische Züge und haben mit seiner Familiengeschichte zu tun. Für mich war es das erste Buch des Autors, ich beurteile es also unabhängig von den anderen beiden.

Humorvoll startet die Geschichte mit dem Spermium und der Eizelle, die sich zu dem Embryo vereinen, aus dem schließlich der Ich-Erzähler werden wird, hier "Sputnik" genannt, aufgrund der zeitlichen Nähe der Geburt des Jungen zum Start des russischen Satelliten.

In dem Buch geht es sehr viel ums Spüren und Wahrnehmen, ergänzt um philosophische Gedanken des Autors. Das zeigt sich schon ganz am Anfang, als die vermutete Erfahrung des Embryos im Mutterleib beschrieben wird: "Die dunkle Stimme ist weg. Besser so. ich mag es lieber, wenn wir unter uns sind. Liegt es an den überschäumenden Lustgefühlen, die mich überfallen, wenn ich die Stimme meiner Mutter höre? Anfangs hielt ich sie für meine eigene. Wessen Stimme sollte es sonst sein? Ich nahm an, das Leben sei in mir, bis ihch begriff, dass ich in einem Leben war. Da beschloss ich, erst recht zu schweigen." (S. 17)

Dann begleiten wir den Autor durch seine Kindheit mit einem strengen Vater, der HNO-Arzt ist, und einer Mutter, die als Tochter einer Jüdin in der NS-Zeit verfolgt und in einem französischen Lager war, die kunstsinnig und sensibel ist, aber auch schwer traumatisiert, die immer wieder wie tot wirkt und deren Blick ins Leere gleitet. Sehr viel Entfremdung ist da zu spüren, zwischen den Eltern, zwischen ihnen und der Nachkriegsgesellschaft und auch zwischen dem heranwachsenden Jungen und seiner Umgebung.

Die Mutter spricht mit dem Jungen französisch und so wächst er mit dieser Sprache, neben dem Deutschen auf, was ihm später einige Türen öffnen wird: zuerst an eine französischsprachige Schule in Deutschland und schließlich nach Frankreich selbst. Es geht um die Kindheit, Jugend und die jungen Erwachsenenjahre des Ich-Erzählers, darum, wie er immer mehr zu sich und seiner eigenen Identität findet, wie er schon früh Schauspieler werden möchte und engagiert und eigeninitiativ Kontakte in die Schauspielszene knüpft, aber auch sehr viel um sein sexuelles Erwachen und Begehren und erste sexuelle Erfahrungen. Das alles vor dem Hintergrund des Schweigens und Relativierens im Nachkriegsdeutschland.

Über weite Strecken habe ich das Buch sehr interessiert gelesen. Ganz besonders spannend wurde es für mich immer dann, wenn einzelne Szenen den gesellschaftlichen Hintergrund der damaligen Zeit lebendig werden haben lassen und ich ein Gefühl dafür bekommen habe, in was für einem Zwiespalt sich die deutsche Gesellschaft zwischen dieser dunklen Vergangenheit und dem Wunsch, in die Zukunft zu streben, befunden hat, und wie dieser Zwiespalt noch einmal stärker sich in einem jungen Mann zeigt, dessen Mutter selbst von den Tätern verfolgt wurde, der aber gleichzeitig etwa in Frankreich unter der Fremdzuschreibung als "boche" (abwertender Begriff für einen Deutschen) leidet.

Die sexuellen Begehren und Erlebnisse des Jugendlichen und jungen Mannes hingegen waren zwar durchaus authentisch für diese Lebensphase geschildert, haben mich aber beim Lesen nicht so mitgenommen, ebenso wie die Beschreibungen der ersten Kontakte mit dem Theatermilieu. Vielleicht ist mir aber auch beides in dieser Form zu fremd.

Insgesamt ist es ein durchaus solides, lesenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt.

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Veröffentlicht am 02.06.2025

Spannende Perspektiven

Meine deutsche Geschichte
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Wie erlebt ein ukrainischer Jude, der in den 1990ern mit seinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland gezogen ist, seine neue Heimat? Dieser Blick von außen hat mich sehr neugierig auf dieses Buch gemacht. ...

Wie erlebt ein ukrainischer Jude, der in den 1990ern mit seinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland gezogen ist, seine neue Heimat? Dieser Blick von außen hat mich sehr neugierig auf dieses Buch gemacht. Darin erzählt Mihail Groys in vielen kleinen Kapiteln von verschiedensten Themen, die ihn betreffen und auf die er seine ganz eigene Perspektive hat.

Er hat es - trotz negativer Einschätzungen einer Lehrkraft in der Volksschule - geschafft, eine ausgezeichnete Bildungskarriere hinzulegen, Abitur zu machen und erfolgreich Verwaltungswissenschaften zu studieren. Nun ist er stolzes Mitglied der SPD und auch als Referent für diese tätig.

Im Buch geht es um Themen der Integration und Identitätsfindung, Kulturunterschiede in den Bereichen Essen, Kleidung, Autos oder Umgang mit Tieren, z.B. verstehe ich nun endlich, warum so viele Migranten mit Trainingsanzügen in der Öffentlichkeit herumlaufen, obwohl sie gerade gar nicht Sport machen - in der Ukraine gelten diese offensichtlich als sehr schick und elegant, danke für diese Erklärung!

Und es geht auch um ernstere Themen wie Jude sein im heutigen Deutschland, den Umgang mit der Erinnerung an die Schoah und den Krieg in der Ukraine.

Es wird deutlich, dass der Autor schon viel Interessantes erlebt hat und dazu sehr spannende, eigene Perspektiven entwickelt hat. Zu vielen im Buch angesprochenen Themen würde ich ihn am liebsten tiefergehend interviewen: da das Buch so eine Bandbreite von verschiedensten Themen umfasst, geht es naturgemäß bei den einzelnen Themen oft noch nicht so in die Tiefe, wie ich mir das gewünscht hätte. Insbesondere gibt es so einige Stellen, an denen der Autor über Unterschiede spricht, aber keine konkreten Beispiele dafür anführt... mit diesen wäre das Buch noch viel verständlicher und leichter lesbar.

Es handelt sich hier auf jeden Fall um einen jungen Mann, der eine starke Stimme hat und viel Wichtiges zu sagen hat und mit diesem Buch ein interessantes Debüt herausgebracht hat. Ich freue mich auf weitere Bücher des Autors, in denen er vielleicht manche der hier kurz behandelten Themen noch viel ausführlicher vertiefen wird.

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