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Veröffentlicht am 14.10.2025

Ein Buch, das mich schon auf den ersten 30 Seiten zum Weinen gebracht hat. Und das passiert mir selten…

Working Class Girl
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Worum geht’s?
In ihrer Autobiografie erzählt Katriona O’Sullivan von ihrem Aufwachsen in Großbritannien/Irland geprägt von Klassismus, Armut, Diskriminierung und dem ständigen Wegschauen der Gesellschaft. ...

Worum geht’s?
In ihrer Autobiografie erzählt Katriona O’Sullivan von ihrem Aufwachsen in Großbritannien/Irland geprägt von Klassismus, Armut, Diskriminierung und dem ständigen Wegschauen der Gesellschaft. Der Titel „Working Class Girl“ ist dabei für meinen Geschmack noch viel zu harmlos - ein absolutes Understatement.
Wenn das Leben ein Computerspiel wäre, dann hätte Katriona auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad gespielt!
Eltern abhängig von Drogen und Alkohol, völlige Verwahrlosung, Armut, Gewalt, kaum Liebe oder Geborgenheit. Und trotzdem bzw. vielleicht auch gerade deswegen schreibt sie mit einer beeindruckenden Klarheit über ihr Leben.

Das Buch ist schonungslos ehrlich, ohne jede Romantisierung. Katriona reflektiert ihr Leben mit einem Blick, der weder Selbstmitleid noch Sentimentalität kennt. Wir begleiten sie durch all die Stationen ihres Lebens – erleben Zurückweisung, aber auch Begegnungen mit Menschen, die ihr helfen. Und genau diese Momente haben mich am meisten berührt: Die, die selbst kaum etwas haben, teilen, was sie können. Während andere wegsehen oder nur helfen, um sich moralisch überlegen zu fühlen.

Ich habe mitgelitten, mich mitgefreut und hätte an manchen Stellen am liebsten laut geschrien, wenn sich die nächste Katastrophe anbahnte.

Fazit:
Ein absolut bewegendes Buch mit einer klaren, wichtigen Botschaft:
Wir werden nicht alle mit den gleichen Chancen geboren. Und es wird Zeit, dass wir das endlich anerkennen und hinschauen, wo die Probleme wirklich liegen!
Denn so viele Menschen fallen durchs Raster, nicht weil sie zu wenig können, sondern weil ihnen schlicht die Mittel fehlen, überhaupt anzufangen.
Und btw: Wieder einmal ein Buch aus dem @kjona.verlag, das mich komplett umgehauen hat.
Großartige Arbeit – und ein großes Danke für diese Veröffentlichung.

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Veröffentlicht am 22.09.2025

Fünf Menschen, ein Wochenende, ein Haus – und jede Menge unausgesprochene Wahrheiten.

Schöne Scham
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In Schöne Scham prallen unterschiedliche Beziehungen, Herkunft und Selbstbilder aufeinander.
Erzählt wird abwechselnd aus den Perspektiven von drei Frauen: Amalia, Kata und Ola. Dieser Wechsel macht den ...

In Schöne Scham prallen unterschiedliche Beziehungen, Herkunft und Selbstbilder aufeinander.
Erzählt wird abwechselnd aus den Perspektiven von drei Frauen: Amalia, Kata und Ola. Dieser Wechsel macht den Roman sehr zugänglich, weil man nah an ihren Gedanken ist – und dabei erkennt, wie unterschiedlich Wahrnehmungen sein können.

Amalia stammt aus einfachen Verhältnissen und blickt mit Staunen (und auch Unsicherheit) auf den Wohlstand ihrer Freundin Kata. Klassismus ist damit zwar nicht das zentrale Thema des Romans, aber er durchzieht die Geschichte wie ein unterschwelliger Ton.

Im Fokus stehen vor allem die Beziehungsdynamiken:

– Amalias Partner Christian wirkt nach außen liebevoll, offenbart aber schnell ein hoch toxisches, narzisstisches Muster. Dass seine Herkunft dabei mitbeleuchtet wird, macht ihn komplexer und gleichzeitig noch unangenehmer.

– Besonders spannend fand ich, wie klar gezeigt wird, dass Freund:innen zwar oft merken, wenn etwas nicht stimmt, aber trotzdem wegsehen. Ein heikles, wichtiges Thema.

– Kata und Lenny, das vermeintlich „schlechtere“ Paar, entpuppen sich dagegen als Beispiel dafür, dass Alltag nicht gleich Stillstand ist. Ihre gesunde Kommunikation fand ich sehr erfrischend.

– Mein persönliches Highlight: Ola. Selbstbewusst, glücklich single und die Einzige, die Amalias Zwickmühle wirklich wahrnimmt. Sie ist eine Figur, die zeigt, dass Selbstbestimmung nicht nur möglich, sondern kraftvoll sein kann. Schade nur, dass ihre eigene Story um „Lotti“ offen bleibt.

Fazit: Schöne Scham ist leicht zugänglich geschrieben, hat mich komplett mitgerissen und regt dazu an, Beziehungsdynamiken neu zu betrachten. Wo fängt Fürsorge an und wo schlägt sie in Kontrolle oder sogar Gewalt um? Der Roman zeigt, dass nichts so ist, wie es scheint, und dass wir vorsichtig sein sollten, Beziehungen von außen vorschnell zu bewerten.

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Veröffentlicht am 15.09.2025

Tiefgründig, erschütternd, unvergesslich

Furye
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Auf „Furye“ bin ich durch Bookstagram aufmerksam geworden. Der Klappentext hat mich sofort gepackt, und ich wusste: Dieses Buch muss ich lesen!

Wir begleiten Alec (oder wie auch immer ihr tatsächlicher ...

Auf „Furye“ bin ich durch Bookstagram aufmerksam geworden. Der Klappentext hat mich sofort gepackt, und ich wusste: Dieses Buch muss ich lesen!

Wir begleiten Alec (oder wie auch immer ihr tatsächlicher Name ist), eine erfolgreiche Musikmanagerin, die alles erreicht hat und doch von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. 20 Jahre nach dem „Sommer der Furien“ stellt sie sich dem Verdrängten und reist zurück an den Ort der Geschehnisse. Dabei begegnen wir Themen wie unerfüllter Kinderwunsch, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Suizid, aber auch der ersten großen Liebe und ihren lebenslangen Spuren.

Rubiks Schreibstil ist klar und nüchtern, getragen von einer unterschwelligen Schwere und Bedrohung. Einziger Lichtblick: die Freundschaft von Alec, Tess und Meg – drei junge Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch füreinander einstehen. Die Geschichte ist zutiefst berührend, voller Wendungen und Plot-Twists, die ich absolut nicht habe kommen sehen.

Für mich war „Furye“ rundum durchdacht – nichts blieb offen, nichts war zufällig. Ein Buch für alle, die keine Scheu vor schweren Themen haben und sich auf eine intensive, tiefgründige Leseerfahrung einlassen wollen.
Zurück bleibt bei mir vor allem eins: absolutes Erstaunen über die Tiefe und Intensität, mit der Kat Eryn Rubik schreibt.

Große Empfehlung!

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Veröffentlicht am 08.09.2025

Fascholand: unbequem, vollgestopft, wichtig

FASCHOLAND
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„Wir sind hier immer noch in Deutschland.“ – Mit diesem Satz steigt Canberk Köktürk tief in die Widersprüche, Absurditäten und Gefahren ein, die migrantische Menschen in diesem Land tagtäglich erleben.
Kernthese: ...

„Wir sind hier immer noch in Deutschland.“ – Mit diesem Satz steigt Canberk Köktürk tief in die Widersprüche, Absurditäten und Gefahren ein, die migrantische Menschen in diesem Land tagtäglich erleben.
Kernthese: Nicht Integration, sondern Assimilation wird eingefordert. Wer hier geboren ist aber "anders" aussieht, soll seine Existenz rechtfertigen und bitte auch beweisen, das er es verdient hier zu leben. Ein Hohn, der dazu führt, dass Menschen sich in ihrem eigenen Heimatland nicht sicher fühlen.

Das Hörbuch zeigt schonungslos, wie marginalisierte Gruppen aus Film, Fernsehen und Politik nahezu verschwinden; ökonomische Krisen immer wieder als Bühne für Sündenbock-Narrative dienen (Grundlage des Faschismus) und wie Parteien im Versuch, AfD-Wähler:innen zurückzugewinnen, selbst nach rechts rücken und so diskriminierende Sprache immer weiter normalisieren.

Besonders spannend: Köktürk bringt neben fundierter Analyse auch Humor ein. Gerade das rettet durch die teils sehr theoretischen Passagen, die mit vielen Fachbegriffen gespickt sind. (Ich musste mein Hörtempo auf 1,0 runterdrehen – was bei mir echt selten vorkommt).
Der Sprecher des Hörbuchs ist perfekt gewählt: Er transportiert die Mischung aus Ernst, Wut und Ironie so überzeugend, dass die Inhalte noch stärker wirken.

Am Ende bleibt klar:
Nicht nur Politik, auch die Wirtschaft trägt Verantwortung. Und der Preis, den marginalisierte Gruppen täglich zahlen, ist hoch. Stress, Energieverlust, eingeschränkte Möglichkeiten, sich ein gesundes Leben aufzubauen.

Fazit:
Fascholand ist unbequem, anstrengend, wichtig. Es fordert volle Aufmerksamkeit und genau das macht es meiner Meinung nach so stark. Köktürk legt den Finger in die Wunde einer Gesellschaft, die sich für modern hält, aber noch immer weiße, christliche, heteronormative Normen als Maßstab setzt.

Empfehlung für alle, die verstehen wollen, wie tief Faschismus und Diskriminierung in Deutschland verwurzelt sind und warum Wegsehen keine Option ist.

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Veröffentlicht am 03.11.2025

Zwischen Fußball und Verdrängung

Erde
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Mit "Erde" legt John Boyne den zweiten Band seiner geplanten Tetralogie vor. Thematisch ist dieser unabhängig vom ersten Teil und für sich allein lesbar.

Im Zentrum der Geschichte steht Evan, ein erfolgreicher ...

Mit "Erde" legt John Boyne den zweiten Band seiner geplanten Tetralogie vor. Thematisch ist dieser unabhängig vom ersten Teil und für sich allein lesbar.

Im Zentrum der Geschichte steht Evan, ein erfolgreicher Fußballprofi, der eigentlich Künstler werden wollte. Aufgewachsen auf einer kleinen irischen Insel, geprägt von einem homophoben, toxisch-männlichen Vater und einer passiven, zugleich liebevollen Mutter, entwickelt Evan früh das Gefühl, in seinem eigenen Leben gefangen zu sein.

Boyne erzählt die Geschichte in zwei Ebenen: den Rückblicken auf Evans Kindheit und Jugend sowie den Szenen in der Gegenwart, in denen er vor Gericht steht, weil er die Vergewaltigung einer Frau durch seinen Freund und Teamkollegen gefilmt haben soll.

Thematisch greift der Roman vieles auf: toxische Männlichkeit, das Schweigen in Familien, die Fassade von Moral im Profisport und die Abhängigkeit vom Geld. Gerade die scheinheilige Haltung des Vereins, der sich offiziell distanziert, insgeheim aber auf einen Freispruch hofft, liest sich wie ein bitterer Kommentar auf Macht und Doppelmoral.

Boynes Sprache bleibt kühl und knapp, was hervorragend zum Protagonisten passt, der nie gelernt hat, Gefühle zu zeigen. Diese Nüchternheit macht das Buch gleichzeitig bedrückend und eindrücklich. Evan selbst ist für mich eine eher ambivalente Figur: Man versteht ihn, ohne ihn aber wirklich zu mögen.

Kritisch anzumerken ist, dass "Erde" noch mehr Tiefe vertragen hätte: Manche Nebenfiguren blieben blass, und das Ende kommt fast zu schnell. Dennoch überzeugt der Roman durch seine Präzision und thematische Schärfe.

Mein Fazit: Ein intensiver, bedrückender Roman über toxische Strukturen im Sport und die Folgen einer Kindheit ohne Zuneigung. Empfehlenswert für alle, die gesellschaftskritische, knappe, auf den Punkt erzählte Romane schätzen.

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