Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.02.2018

Wer ist das schwarze Schaf?

Der Sommer der schwarzen Schafe
0

England: eine Straße in einer Wohnsiedlung in einem heißen, heißen Sommer 1976. Der Asphalt kocht, der Klatsch auch. Aber letzteres ist bei jeder Witterung der Fall, wie sich im Laufe der Lektüre zeigt, ...

England: eine Straße in einer Wohnsiedlung in einem heißen, heißen Sommer 1976. Der Asphalt kocht, der Klatsch auch. Aber letzteres ist bei jeder Witterung der Fall, wie sich im Laufe der Lektüre zeigt, als es nämlich zum zweiten - um einiges knapper gehaltenen - zweiten Erzählstrang geht, der im Jahre 1967 spielt und so einiges klar rückt. Warum niemand Walter Bishop mag, beispielsweise und einige andere Punkte.

Wobei dieser Mensch gar nicht die Hauptrolle spielt: nein, die nehmen zwei kleine Mädchen ein (zumindest 1976), nämlich Tilly und Grace, die sich langweilen und stets dankbar jede Anregung zur Unterhaltung annehmen - so aktuell die Suche nach der plötzlich verschwundenen Mrs. Creasy. Die Mädels ermitteln auf eigene Art und Weise - doch immer wieder führt die Geschichte weitab vom roten Faden, wodurch es mir oftmals schwerfiel, am Ball zu bleiben.

Faszinierend ist die Demaskierung gewisser gesellschaftlicher Gruppen und die damit verbundene Aufdeckung verschiedener Eigenschaften, die vielen von uns schlummern - fiesen, kleinen Eigenschaften wie bspw. Missgunst, Neid und Geltungssucht, die am Beispiel der Anwohner dieser so friedlichen kleinen englischen Vorstadtstraße dargestellt werden. Auch Vorurteile spielen eine große Rolle.

Doch findet sich wirklich das schwarze Schafe oder gleich mehrere davon. Dadurch, dass die Autorin Joanna Cannon irgendwie ständig vom Thema abkommt - ein bisschen kam ich mir während der Lektüre vor wie beim Kaffeeklatsch im Seniorenheim - bleibt ein wirkliches Aha-Erlebnis aus, jedenfalls bei mir.

Ja, tolle Ideen, vielversprechende Ansätze, aber die Zusammensetzung passt nicht so richtig. Ein Buch, das ich leider nicht so richtig empfehlen kann - vielleicht für England-Liebhaber, die schon (fast) alles andere gelesen haben!

Veröffentlicht am 30.12.2017

I'm on the road to nowhere

Kings of Nowhere
0

ist ein altes Lied von den "Talking Heads", das ich sehr mag und an das ich bei dem Titel dieses Buchs gleich denken musste. Aber hier führt nicht der Weg ins Nichts, nein, es sind die Wanderer, die manchmal ...

ist ein altes Lied von den "Talking Heads", das ich sehr mag und an das ich bei dem Titel dieses Buchs gleich denken musste. Aber hier führt nicht der Weg ins Nichts, nein, es sind die Wanderer, die manchmal nicht wissen, wo sie sich befinden - innerlich, versteht sich. Dass sie auf dem Appalachean Trail unterwegs sind, der in eine klare Richtung führt, ist schon klar.
Der Leser lernt vor allem drei dieser Wandervögel näher kennen - den Ex-Drogensüchtigen - wirklich ex? - Taz, für den der Weg eine neue Perspektive ist, Simone, eine junge Wissenschaftlerin mit einem überaus fatalen Zwang und Richard, den Möchtegern-Indianer und Trinker, der einem quasi vorgegebenen Lebensplan entrinnen möchte.

Und dann begegnet man noch zahlreichen Menschen, die am Wegesrand leben, die mit den Wanderern in verschiedenster Art und Weise in Interaktion suchen: sei es, dass sie - beispielsweise als Gastwirte - von ihnen leben, sei es, dass sie ihre Nähe suchen oder ihnen entfliehen wollen.

Zu kurz kommt die Landschaft rund um diesen Weg, viel zu kurz. Für Leser, die wie ich bei einem solchen Roman auch das Naturerlebnis suchen, wird er eine große Enttäuschung sein.

Insgesamt aus meiner Sicht ein sehr negatives Buch, der den Trail als zerstörendes Element zeigt, der die Hiker kaputtmacht, statt sie aufzubauen. So richtig Kraft aus der tiefen Begegnung mit der Natur geschöpft - das hat meines Erachtens keine einzige Figur in diesem Roman. Insgesamt hat mich dieser Roman ziemlich runtergezogen - es gab darin nichts Stärkendes, Aufbauendes für mich. Also nur was für Leser, die gerade mit sich und der Welt im Reinen sind!

Warum ich trotz dieses vernichtenden Urteils keine ähnlich vernichtende Gesamtbewertung gebe? Nun, der Autor kann schreiben und dafür, dass der Titel in der deutschen Übersetzung absolut unpassend wiedergegeben wird - es gibt schließlich auch Queens auf dem Trail, kann er ja nichts. Im Original heißt das Buch nämlich "Black Heart on the Appalachean Trail". Die Figuren sind gut gezeichnet, fast sieht man Taz, Simone und Richard vor sich, kann sich ihre Reaktionen und auch ihr Umfeld vorstellen. Deswegen denke ich, dass dieses Buch Leser mit anderen Erwartungen, die zudem noch härter im Nehmen sind, durchaus bereichern kann.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Lebensweg eines politischen Karrieristen aus der Provinz

Keine Experimente
0

Der Lebensweg von Frederik Kallenberg sollte geradlinig sein - nämlich immer steil nach oben, auf die Abgeordnetenbank einer wertkonservativen christlichen Partei und möglicherweise noch weiter hoch - ...

Der Lebensweg von Frederik Kallenberg sollte geradlinig sein - nämlich immer steil nach oben, auf die Abgeordnetenbank einer wertkonservativen christlichen Partei und möglicherweise noch weiter hoch - so der Plan des noch recht jungen Abgeordneten aus einem winzigen Ort im Sauerland. Frederik hat es nicht leicht gehabt in der Kindheit, zerüttete Familienverhältnisse, viel Spott und Hohn... und hat sich selbst - mit ein bisschen Unterstützung von außen - am Haarschopf gepackt und aus dem Dreck gezogen und kann mit Mitte 30 auf eine langjährige glückliche Ehe mit einer wunderbaren, bildschönen Frau, zwei wohlgeratene Kinder - und auf einen Sitz als Bundestagsabgeordneter, der durchaus was zu sagen hat, blicken.

Doch dann wird seine heile Welt so dermaßen durcheinandergewirbelt, dass es kein Halten gibt und Kallenberg steht vor einer Entscheidung, die sein ganzes weiteres Leben betrifft.

Markus Feldenkirchen schreibt gut, solide ... und ein kleines bisschen langweilig. Die Beklemmung des dörflichen Lebens in der nordrhein-westfälischen Provinz zu Beginn des Buches ist außerordentlich eindringlich geschildert und raubt dem Leser fast den Atem... doch leider baut das Buch dann aus meiner Sicht kontinuierlich ab. Klischees noch und nöcher werden gebracht, wobei nicht klar wird, ob dies ironisch oder ernst gemeint ist - und dies betrifft grundlegende Punkte wie bspw. das Bild der Frau in unserer Gesellschaft, die katholische Kirche - hie und da wäre ein wenig mehr Einfühlsamkeit, auch mehr Originalität durchaus nicht fehl am Platze gewesen.

Das Können des Autors - das mir durch seinen ersten Roman "Was zusammengehört", den ich sehr genossen habe, nicht unbekannt ist - blitzt nur ab und an mal hervor - so bspw. in der Diskussion Frederik Kallenbergs mit seiner späteren Geliebten Liane über Fontane ... Parallelen zu Fontanes Stil, seinen Erzählstrukturen tauchen kurzfristig auf... um dann wieder im Nirwana zu verschwinden... schade eigentlich! Es ist kein schlechtes Buch - aber wenn man es nicht liest, ändert sich auch nichts und mich hat es stellenweise sogar etwas verdrossen - daher hier eher keine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 21.12.2017

Die Pariser Antwort auf Anita Berber

Die Tänzerin von Paris
0

die Startänzerin der 1920er Jahre in Berlin? Nein, das war Lucia Joyce, Tochter des großen irischen Autors und mit ihren Eltern jahrelang im französischen Exil lebend, nicht ganz. Auch wenn es im englischsprachigen ...

die Startänzerin der 1920er Jahre in Berlin? Nein, das war Lucia Joyce, Tochter des großen irischen Autors und mit ihren Eltern jahrelang im französischen Exil lebend, nicht ganz. Auch wenn es im englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zu ihr ein ungeheuer avantgardistisches Foto von ihr als Tänzerin gibt.

Sie war eine junge Frau mit vielen Träumen, die in vielem scheiterte - und irgendwann zu alt dafür war. Doch das vorliegende Buch der Britin Annabel Abbs behandelt ihr Leben in Paris - und in Zürich, wo sie Patientin von C.G. Jung war.

Also kein glückliches Leben? Lesen Sie selbst über ihre Erfolge und ihr Scheitern, ihr Leben und Lieben - Samuel Beckett war der Mann ihrer Begierde - doch machen Sie sich gefasst auf ziemliche Längen.

Literaturfreunden würde ich eher zu einer Biografie über James Joyce, die auch seine Familie umfasst, raten, denn hier habe ich den verdacht, dass doch recht vieles der Phantasie der Autorin entspringt. Ist ja auch vollkommen legitim für einen Roman, aber der ein oder andere Leser dürfte andere Erwartungen haben - ich zugegebenermaßen auch, wenn auch nur in Form einer Zeittafel zur Familie Joyce, eines Personenregisters und eines ausführlichen Nachworts. Gibt es alles nicht - nun ja, das Nachwort schon, aber es ist wirklich nur kurz und gewährt keinen "ordentlichen" Einblick. Im Gegensatz zum langatmigen und oft ermüdenden Stil der Autorin.

Nein, leider keine Empfehlung von mir, auch wenn es stellenweise recht unterhaltsam war - aber wirklich nur punktuell!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Eine Frau an jedem Finger

Das Jahr der Frauen
0

und zwei noch dazu - dieses "Konzept" schlägt Frank Stremmer seinem Therapeuten Niederegger am 4. Januar 2013 für eine Wette vor: Wenn er es schafft, in jedem Monat des Jahres eine Frau rumzukriegen, dann ...

und zwei noch dazu - dieses "Konzept" schlägt Frank Stremmer seinem Therapeuten Niederegger am 4. Januar 2013 für eine Wette vor: Wenn er es schafft, in jedem Monat des Jahres eine Frau rumzukriegen, dann "darf" er sich an dessen Ende umbringen.

Ein eigenartiger Vorschlag, auf den Niederegger nicht eingeht, den Stremmer jedoch als Projekt sieht, auf das er sich gleich stürzt. Mit mehr oder weniger Erfolg: eine Frau gibt es durchaus in jedem Monat, aber wie nahe ihr Frank tatsächlich kommt, das unterscheidet sich von Mal zu Mal.

Wir begleiten im Laufe der Lektüre also Frank Stremmer durch das gesamte Jahr 2013 und lernen ihn und seine Umgebung dabei kennen. Er outet sich als vielschichtige Persönlichkeit mit Depression, hat seinen Hang zum schwarzen Humor nicht verloren und macht sich auch in dieser seinen persönlich problematischen Situation gern Gedanken um seine Mitmenschen, die er gelegentlich mit fiktiven Biographien versieht.

Stremmer arbeitet in einer global tätigen NGO, einer nichtstaatlichen Organisation also mit karitativem Charakter, die sein Autor Christoph Höhtker immer wieder aufs Korn nimmt. Da ich diesen Roman jedoch unmittelbar nach "Die Hauptstadt" von Robert Menasse gelesen habe, wo Ähnliches mit der EU geschieht, waren meine Erwartungen wohl ein bisschen zu hoch, ich finde die Darstellung in dieser Hinsicht ein bisschen wirr.

Wenig stringent sind allerdings auch die anderen Erzählstränge, in denen immer wieder Einschübe vorkommen - E-mails, die Stremmer erhält, Reflexionen vergangener Zeiten, die ihm durch den Kopf gehen.

Übrigens sind viele der Mails in Englisch, wenige sogar auf Französisch verfaßt und werden nicht im Anhang oder so übersetzt. Ich konnte sie zwar verstehen, aber ich fand das trotzdem störend und empfand sie als Hemmschwelle für Leser, die nicht so global unterwegs sind wie der Autor und sein (Anti)Held. Ein eloquent geschriebener, sprachlich spannender Roman, der mich leider auf anderer Ebene nicht packen konnte.