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Veröffentlicht am 16.01.2019

Keine leichte Kost

Der Consolidator
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Mit „Der Consolidator“ hat Daniel Defoe eine Satire geschrieben, die heute weithin unbekannt ist. Der Verlag die „Andere Bibliothek“ hat dieses Werk nun aus der Versenkung geholt und mit umfangreichen ...

Mit „Der Consolidator“ hat Daniel Defoe eine Satire geschrieben, die heute weithin unbekannt ist. Der Verlag die „Andere Bibliothek“ hat dieses Werk nun aus der Versenkung geholt und mit umfangreichen Anmerkungen veröffentlicht.

Der Roman, der 1705 veröffentlicht wurde, ist allerdings keine leichte Kost. Defoe hat eine Satire auf das England seiner Zeit geschrieben, die mit zahlreichen Anspielungen auf historische Personen und Ereignisse gespickt ist.

Es beginnt bereits damit, dass für den Bau der Mondmaschine, dem „Consolidator“, 513 Federn aus allen Teilen des Landes notwendig sind, eine Anspielung auf die Anzahl der Sitze im House of Commons. Auf satte 322 Anmerkungen bringt es der Band bei rund 230 Seiten Text.

Während man anfangs der Handlung noch etwas abgewinnen kann, ohne alle Anspielungen verstanden zu haben, vergällt es einem dann doch nach und nach die Lust beim Lesen.

Der Hochgesang auf das Land China, von dem aus Mondreisen möglich sind, ist anfangs sehr unterhaltsam. Auch manch Idee hat Münchhausen-Format. Wenn der Ich-Erzähler etwa mit dem Mann im Mond darüber diskutiert, wer von beiden nun vom Mond kommt. Aber außer einer Hand voll weiterer Ideen wie etwa der Erfindung eines ganz speziellen Teleskops gibt es nichts, was die Handlung weiter vorantreibt, das ohne intensivere Entschlüsselung zu verstehen ist. Auf der Folie Chinas und der lunaren Welt wird die Geschichte Großbritanniens bis zur Aufklärung kritisch gespiegelt und das Hintergrundwissen dazu ist zum Verständnis des Buches vonnöten.

So ist Daniel Defoes „Der Consolidator“ durchaus ein interessantes Werk der Aufklärung, es ist aber nur sehr, sehr bedingt unterhaltsam.

Veröffentlicht am 03.09.2018

Keine klare Linie

Im Blick
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"Du sitzt vor mir. Ich lege mein glattes Gesicht an und gebe nichts preis, was mich menschlich macht. So lerne ich dich kennen."

Dieser erste Satz aus Marie Luise Lehners neuem Buch „Im Blick“ hat mich ...

"Du sitzt vor mir. Ich lege mein glattes Gesicht an und gebe nichts preis, was mich menschlich macht. So lerne ich dich kennen."

Dieser erste Satz aus Marie Luise Lehners neuem Buch „Im Blick“ hat mich fasziniert. Die Frage der Identität, die hier mitschwingt, die Frage nach dem wer man ist, sein will und wie man von anderen definiert wird, all das hätte Stoff für einen spannenden Roman bieten können. Hätte. Denn das Buch entwickelt keine klare Linie, geschweige denn eine klare Geschichte.

Die Ich-Erzählerin des Buches lebt in einer Beziehung mit einem ominösen „Du“, einer Frau, ist allerdings deutlich öfter zusammen mit ihrer alten Schulfreundin Anja. Zudem wird die Beziehung der Erzählerin noch bedroht durch die „Wölfin“, die Ex ihrer Freundin. Erzählt wird von diesem Beziehungsreigen fragmentarisch, wobei die Geliebte immer als „Du“ angesprochen wird. Eine Entwicklung in diesen Beziehungen ist nicht erkennbar, alles dümpelt so vor sich hin. Mal sagt die Protagonistin, es sei schwer das „Du“ zu lieben, dann wiederum stellt sie fest, dass sie zu einem „Wir“ werden. An anderer Stelle wiederum bemerkt sie, dass sie eigentlich alle liebt: ihre Geliebte, ihre Freundin Anja und irgendwie auch die „Wölfin“. Love is all around.

Dazwischen sind immer wieder Gespräche eingeschoben, die Aspekte der Genderdebatte aufgreifen. Kann man einen Mann, der einer Frau an den Po fasst vergleichen mit einer Frau, die einem Mann an den Po fasst? Gibt es einen männlichen Blick (male gaze) auf die Frau im Kino? Muss man sich als schwul outen? Die Diskussion bleibt jedoch meist im Oberflächlichen, es wird mehr angedeutet, angesprochen als diskutiert. Von einem Buch wie Thomas Meineckes „Tomboy„, das einem die feministischen Theorien nur so um die Ohren haut, ist „Im Blick“ meilenweit entfernt.

Auch in Blick auf die Beziehung der Protagonistin wird vieles nur angedeutet, wenig beleuchtet. So wird Max Frischs Bildnisproblematik aufgegriffen: „Du fragst ich, ob ich eine Projektionsfläche brauche“ – und endet mit der Frage der Ich-Erzählerin, wie ihre Geliebte rauchend Fahrrad fahren kann. Selbst wenn – ganz im Sinne der Postmoderne – auf einen Bildband von Rhys Ernst und Zackary Drucker verwiesen wird, fragt man sich als Leser nur: warum? Will die Ich-Erzählerin auch eine neue Form von Identität, Gender, Sexualität und Queerness? Oder will sie einfach nur ab und zu darüber reden?

Die Ernsthaftigkeit, die das Buch streckenweise hat, wenn es um Identität geht, um Gewalt gegen Frauen und um die Frage, wo Grenzüberschreitungen beginnen, verliert sich leider in einem Wust an Angesprochenem und einer unerquicklichen Handlung.

Veröffentlicht am 28.02.2018

Der Titel hält, was er verspricht

Wenn es Frühling wird in Wien
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"Wenn es Frühling wird in Wien" - wäre das kein Buch-, sondern ein Filmtitel, er hätte mich abgeschreckt. Schmalzig, schwarz-weiß, vorhersehbares Happyend: das wären meine Vermutungen gewesen. Und leider: ...

"Wenn es Frühling wird in Wien" - wäre das kein Buch-, sondern ein Filmtitel, er hätte mich abgeschreckt. Schmalzig, schwarz-weiß, vorhersehbares Happyend: das wären meine Vermutungen gewesen. Und leider: auch auf Petra Hartliebs Buch "Wenn es Frühling wird in Wien" trifft das meiste davon zu.

Das Büchlein, das im Wien des Jahres 1912 spielt, hat mich interessiert, weil es um eine Kinderfrau geht, die Angestellte von Arthur Schnitzler ist. Allerdings: über den Schriftsteller erfährt man so gut wie nichts in dem 172 Seiten starken Büchlein. Schnitzler ist nett zu seinen Kindern, geht fair mit seinen Angestellten um, setzt sich hin und wieder gegen seine Frau durch, hält die Bleibtreu für eine optimale Besetzung als Schauspielerin für das Stück "Das weite Land". Da ist es interessanter, zu verfolgen, die der Untergang der Titanic 1912 in den Zeitungen der Donaumonarchie erst nach und nach bekannt wurde oder ob Sophie, das Hausmädchen, nach einem Schwangerschaftsabbruch wieder zu den Schnitzlers zurückkehren darf.

Die beiden Hauptfiguren in diesem Liebesreigen sind eindeutig Oskar, der Buchhändler, und Marie, das Kindermädchen. Sie lernen sich kennen und lieben, und natürlich: ihre Liebe wird auch auf eine Bewährungsprobe gestellt. Übertrieben schnulzig ist das Buch nur in der Anlage der Handlung, die Sprache selbst ist angemessen nüchtern. Die Figuren sind eher einfach gestrickt, man erkennt sofort, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. So ahnt man schnell, wie das Buch ausgehen wird - und siehe: es geschieht auch so.

Nein, "Wenn es Frühling wird in Wien" war mir trotz der plausiblen Handlung zu seicht, die Sozialkritik zu abgewogen. Ein historischer Roman, der mich nicht gepackt hat.

Veröffentlicht am 13.05.2023

Mühsames Leseerlebnis

Schlafende Sonne
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Wer Bücher liest, um besser einschlafen zu können, der kann an Thomas Lehrs "Schlafende Sonne" vielleicht seine Freude haben. Vielleicht aber auch nicht. Denn der ab- und ausschweifende Erzählstil Lehrs ...

Wer Bücher liest, um besser einschlafen zu können, der kann an Thomas Lehrs "Schlafende Sonne" vielleicht seine Freude haben. Vielleicht aber auch nicht. Denn der ab- und ausschweifende Erzählstil Lehrs lässt die Gedanken des Lesers ebenso schnell abschweifen. Man kann sich in Bildern, Beschreibungen, Geschichten in der Geschichte gnadenlos verlieren. Will man aber der Handlung des Buches doch irgendwann folgen, so ist Lehrs "Schlafende Sonne" so gar nicht als Bettlektüre geeignet.

Ein Tag im Jahr 2011 ist der Kristallisationspunkt, auf den alles hinläuft. An diesem Tag findet die Ausstellungseröffnung der bekannten Künstlerin Milena Sommer statt. Ihr Mann Jonas, ein aus Freiburg stammender Physiker, wird vom Erzähler immer wieder als Erzählperspektive genutzt .

Zwar sind es Bilder der Ausstellung, die immer wieder Thema sind, doch die Handlung pausiert in dieser Zeit nicht, und man hat Mühe ihr zu folgen. So folgt etwa dem Blick auf das Freiburger Münster beim Besuch in der badischen Stadt eine seitenlange Beschreibung über einen früheren Versuch von Jonas, den Turm zu besteigen. Inklusive: jede Menge Fachbegriffe der Architektur wie Expressschlingen, Sprossen und Krabben, Kreuzblume und Maßwerkfenster. Dazu noch: Metaphernreichtum grenzenlos. Das Freiburger Münster? Ein "hohes filigranes Massengebilde aus rotem Fleisch, Raucherlungengewebe oder alter Herzmuskel, mit Finesse in den Himmel ziseliert". Aha.

"Schlafende Sonne" als Gelehrtenroman zu bezeichnen, ist sicherlich richtig, doch hilft dies für das Verständnis mitnichten. So schön einzelne Beschreibungen sind, so sehr es Spaß macht, sich in einzelnen Szenen zu verlieren: den Gesamtzusammenhang überhaupt nur zu erkennen, ist eine Herausforderung, der man als Leser kaum gewachsen ist.

Der extreme Blick auf Details, das abschweifende Erzählen, das ausschweifende Abdriften in Belangloses, die konturlosen Figuren des Buches. All das macht das Buch zu einem zutiefst mühsamen Lese-Erlebnis. Und ja: die Ernte der Lesefrüchte erscheint doch äußerst mager, blickt man auf den Kraftakt, den man dafür geistig aufbringen muss. Nicht zu vergessen die Geduld, die es braucht, um sich immer wieder auf die - zumeist vergebliche - Suche nach einem roten Faden zu machen. Die wenigen Glücksmomente, wenn man sich über eine Formulierung freut, eine Anspielung erkennt, einen Zusammenhang bemerkt, können all dies nicht aufwiegen.

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Veröffentlicht am 14.11.2021

Kein Plädoyer fürs Alleinsein

Allein
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Was hat Corona mit uns gemacht? Daniel Schreiber schildert in seinem Buch „Allein“ wie die Corona-Zeit mit all ihren Einschränkungen ihn zum Nachdenken über das Alleinsein gebracht hat. Ein Nachdenken, ...

Was hat Corona mit uns gemacht? Daniel Schreiber schildert in seinem Buch „Allein“ wie die Corona-Zeit mit all ihren Einschränkungen ihn zum Nachdenken über das Alleinsein gebracht hat. Ein Nachdenken, das er mit seinen Lesern nun teilt.

Denn – das muss vorab gesagt sein! – mehr als ein Nachdenken ist Daniel Schreibers Buch nicht. Es ist kein thesenhaftes Plädoyer für das Alleinsein, keine empathische Streitschrift, kein „Empört euch!“. Am ehesten wirkt das Buch wie der Versuch einer Selbsttherapie. Dass die Therapeuten, die herangezogen werden, Philosophen, Psychologen und Soziologen sind, gehört zur Besonderheit dieses Buches.

Was hat Corona mit Daniel Schreiber gemacht? Es hat ihn auf sich selbst zurückgeworfen, Freundschaften waren plötzlich ausgesetzt, weil jeder mit sich selbst zu tun hatte, berufliche Unsicherheiten wuchsen, ein spürbarer Sinnverlust durch das „Ineinanderfallen der Zeit“ entstand.

Daniel Schreiber schreibt zu Beginn seines Buches, allein zu leben sei keine bewusste Entscheidung von ihm gewesen. Wer somit ein Plädoyer für das Allein-Leben erwartet, wird enttäuscht. Vielmehr ist „Allein“ ein Buch, das über weite Strecken biographische Selbstanalyse und -therapie präsentiert, den Versuch, sich selbst aus der Depression zu befreien.

Als Alternative wird in der ersten Hälfte des Buches die Möglichkeit, statt in einer Beziehung in Freundschaften zu leben, diskutiert. Der Autor geht dabei immer von seinen eigenen Erfahrungen aus, sodass man bald den Eindruck hat, dass das Buch auf der Stelle tritt. Da ein argumentativer Schreibstil durch diesen Zugang vermieden wird, muss man sich schon sehr für die literarischen Bezüge interessieren, um dem Kreisen ums selbe Thema gespannt zu folgen. Irgendwann hat man den Eindruck, das Ganze schon einmal gehört zu haben. Nur ist es dieses Mal eben mit einem anderen literarischen Verweis versehen. Hinzu kommen recht zusammenhangslos biographische Überlegungen wie etwa zum Gefühl, nicht liebenswert zu sein, Stricken als Selbsttherapie oder zum Umgang mit dem Tod eines Freundes.

Ich habe von dem Buch etwas anderes erwartet: ein provokatives Plädoyer dafür, allein zu leben. Aber auch als literarisches Essay hat mich das Buch nicht überzeugt.

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