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Gisel

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.05.2018

Auf den Punkt gebracht

Kühn hat Ärger
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Als ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund tot aufgefunden wird, ist es an Martin Kühn und seinem Team, nach den Hintergründen zu dem Mord zu recherchieren. Dabei bewegt er sich bald im Milieu der ...

Als ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund tot aufgefunden wird, ist es an Martin Kühn und seinem Team, nach den Hintergründen zu dem Mord zu recherchieren. Dabei bewegt er sich bald im Milieu der Reichen und Wohltätigen. Wer jedoch sollte einen Grund haben, Amir zu ermorden? Währenddessen muss Kühn sich einerseits im polizeilichen Alltag wieder zurechtfinden, andererseits plagen ihn die Überlegungen, ob seine Frau fremdgeht.

„Kühn hat Ärger“ ist der zweite Band um den Kommissar Martin Kühn, der nach einer Rehabilitation wieder in sein Berufsleben zurückfinden und sich dabei gleichzeitig in einen recht verzwickten Mordfall knien muss. Es menschelt in jeder Hinsicht. Sehr detailliert beschreibt der Autor Jan Weiler die Lebenswelten seiner Protagonisten, lädt den Leser ein, sie zu begleiten, ihre Motivationen nachzuvollziehen. Er spart dabei auch nicht mit einem Schuss Sozialkritik, seine satirische Ader verwandelt manches Lachen in eine nachdenkliche Gedankenspirale. Dennoch nimmt er seine Protagonisten in jeder Hinsicht ernst. Die Auflösung ist von langer Hand vorbereitet und gut nachvollziehbar. Jan Weilers journalistische Ader schimmert durch jeden Satz des Buches hindurch, sein Schreibstil ist eine besondere Freude beim Lesen.

Auf den Punkt gebracht hat der Autor einen leicht sozialkritischen Roman mit Krimihandlung und viel Situationskomik, gerät dabei aber nie ins Alberne. Dafür gebe ich gerne alle fünf möglichen Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung. Ganz klar bin auch ich bei Kühns nächster Ermittlung wieder dabei!

Veröffentlicht am 09.05.2018

Beklemmendes Zeitzeugnis

Der Reisende
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Der Berliner Jude Otto Silbermann hat den Zeitpunkt zur Flucht aus Deutschland verpasst, er kann seiner Verhaftung gerade noch entkommen. Sein Hab und Gut hat er bereits verloren, nun will er seine Würde ...

Der Berliner Jude Otto Silbermann hat den Zeitpunkt zur Flucht aus Deutschland verpasst, er kann seiner Verhaftung gerade noch entkommen. Sein Hab und Gut hat er bereits verloren, nun will er seine Würde behalten, doch zum Schluss verliert er alles, was er hat.

Der Autor Ulrich Alexander Boschwitz erzählt teilweise autobiografisch von der systematischen Verfolgung der Juden in Deutschland. Unter dem Eindruck der Geschehnisse der Novemberpogrome 1938 entstand dabei ein beklemmendes Zeitzeugnis, das sich sehr flüssig liest und dabei gleichzeitig erschreckend und berührend ist. Otto Silbermann ist immer in Gefahr, entdeckt zu werden, er muss sich allein zurechtfinden unter Menschen, die ihm teilweise Böses wollen, andere, denen er egal ist, aber auch welchen, die ihm helfen wollen. Seine ausweglose Situation ist dabei sehr überzeugend geschildert.

Der Sprachstil erinnert daran, dass das Buch bereits 1939 und 1940 in England bzw. Amerika erschienen ist. Das lässt die Erzählung jedoch umso authentischer erscheinen. Beeindruckend ist dabei nicht nur die Geschichte an sich, sondern auch, dass der Autor zum damaligen Zeitpunkt gerade mal 23 Jahre alt war. Von mir gibt es eine unbedingte Leseempfehlung für diese äußerst ungewöhnliche Geschichte.

Veröffentlicht am 07.05.2018

Ausbruch aus dem Alltag

Ans Meer
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Anton ist Busfahrer, jeden Tag fährt er dieselbe Linie mit demselben Bus und denselben Passagieren. Er kennt seine Mitfahrer, kennt teilweise auch ihre Geschichten. Gerne näher kennenlernen möchte er seine ...

Anton ist Busfahrer, jeden Tag fährt er dieselbe Linie mit demselben Bus und denselben Passagieren. Er kennt seine Mitfahrer, kennt teilweise auch ihre Geschichten. Gerne näher kennenlernen möchte er seine Nachbarin Doris, die auch ein bisschen Pech mit ihren bisherigen Partnern hatte. Doch die will so gerne einen Helden zum Freund haben… Dann wird Anton plötzlich zum Helden: Als Carla, gezeichnet von ihrer Krebserkrankung, nochmal ans Meer fahren will in ihre Heimat, bricht Anton mit allen bisherigen Regeln und lädt alle Reiselustigen ein, mit ihm mitzufahren. So reißt eine kleine Gemeinschaft aus dem Alltag aus zu einer Fahrt ans italienische Meer.

Eine sehr berührende Geschichte hat Autor André Freund mit ganz viel Humor gewürzt und lässt alle Reisenden ihren Alltag verlassen. Vor allem Anton hat nichts mehr zu verlieren, aber er wird ganz viel gewinnen bei dieser Fahrt. Was er aber noch nicht weiß. Was genau er gewinnen wird, darf bitte jeder selbst lesen, mehr wird hier nicht verraten. Spannend ist die Fahrt zudem, wenn Anton verfolgt wird – von Carla, von der deutschen Polizei… und das sind noch nicht alle. Doch Anton der Unglücksrabe erhält unversehens die Gelegenheit, zum Glückspilz zu werden. Ganz lustig ist das, wenn sich im letzten Moment doch noch eine Chance auftut, wo so gar keine mehr zu sein schien. Herzerwärmend ist es, wenn die Einzelreisenden sich plötzlich als Gemeinschaft wiederfinden, wenn die Kratzbürstigkeit sich dahingehend verändert, dass alle zusammen gehören, und seien sie noch so seltsam. Jeder der Protagonisten wird anfangs knapp dahinskizziert, und doch hat man schnell das Gefühl, mit Bekannten unterwegs zu sein.

Das Coverbild passt nicht ganz dazu, denn kein Linienbus wird Gepäck auf dem Dach transportieren. Ansonsten gibt das Bild aber eine passende Einstimmung auf das Buch selbst. Eine freundliche Geschichte zum Immer-Wieder-Lesen, wenn mal wieder alles schiefgehen will – da bringt das Buch kleine Freuden in den Alltag zurück. Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung dafür.

Veröffentlicht am 30.04.2018

Tage der Angst

Fanatisch
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Nara wurde entführt, und mit ihr befinden sich fünf weitere Mädchen in ihrem erzwungenen Gefängnis. Sechs Tage lang werden an ihnen die sechs barmherzigen Gaben praktiziert, dann stehen alle sechs plötzlich ...

Nara wurde entführt, und mit ihr befinden sich fünf weitere Mädchen in ihrem erzwungenen Gefängnis. Sechs Tage lang werden an ihnen die sechs barmherzigen Gaben praktiziert, dann stehen alle sechs plötzlich vor ihrem Haus und dürfen sechs Tage lang nicht reden, jedes der Mädchen in einem Jogginganzug und mit einer Verletzung an der Hand. Nara fällt es schwer, nicht zu reden, denn sowohl ihre Eltern wie auch die Polizei wollen die Entführung aufklären. Doch Nara hat Angst, dass dann ihrem Bruder etwas angetan wird. Eine weitere Aufgabe soll sie noch erledigen, doch die bringt sie und andere Menschen in Gefahr.

Die Autorin Patricia Schröder entwirft in diesem Roman für Jugendliche ab 14 Jahren ein brandgefährliches Szenario, in dem sich Nara zurechtfinden muss. Immer wieder überlegt sie, ob es sinnvoller ist, Informationen an die Polizei zu geben, damit die Täter gefasst werden, oder ob die Gefahr für ihren Bruder zu groß ist. Aus Naras Sicht wie auch aus der des Täters und eines weiteren Entführten wird die Geschichte aufgerollt, so dass der Leser die Begebenheiten aus drei Perspektiven erfährt. Umso deutlicher wird damit die Gefahrensituation für Nara, und umso spannender wird damit die Erzählung selbst. Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, so dass die Geschichte den Leser sehr schnell in seinen Bann zieht und man erst aufatmen kann, wenn man das Buch beendet hat und die Gefahr für Nara endlich vorbei ist. Verblüffend ist die Auflösung, ahnt man doch, wer der Täter sein könnte, doch ist auch wirklich alles so, wie es sich darstellt?

Von mir eine eindeutige Leseempfehlung für dieses spannende Buch, ein Pageturner für junge Leser, aber auch für Erwachsene, denen es mal nicht so blutig, dafür aber spannend und gleichzeitig überraschend sein sollte.

Veröffentlicht am 30.04.2018

Der lang erwartete Abschluss der Neapel-Saga

Die Geschichte des verlorenen Kindes
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In den achtziger Jahren kehrt Elena nach Neapel zurück, und Elena und Lila erleben ihre Freundschaft wieder intensiver. In diesem vierten Band schließt sich der Bogen, den die Autorin auf den ersten Seiten ...

In den achtziger Jahren kehrt Elena nach Neapel zurück, und Elena und Lila erleben ihre Freundschaft wieder intensiver. In diesem vierten Band schließt sich der Bogen, den die Autorin auf den ersten Seiten des ersten Bandes begonnen hat, der Leser erfährt die restliche Geschichte der beiden Frauen, und nimmt die Frage nach dem Verschwinden der Freundin wieder auf.

Auf interessante Weise schildert die Autorin die Freundschaft der beiden Frauen, eine Freundschaft, die von vielerlei (auch negativen) Emotionen begleitet ist. Dabei streift sie schonungslos viele Themen Italiens in den achtziger Jahren bis hin ins neue Jahrtausend, aber auch die Lebensthemen der beiden Frauen erhalten neue Höhepunkte, die den Alltag der beiden betreffen. Deutlich wird, wie Elenas und Lilas Leben miteinander verbunden waren, sowohl in Zeiten der Nähe wie auch des Abstands, wie beide Frauen erst im Miteinander zu derjenigen wurden, die sie im Leben geworden sind: dass Elena erst im Gegensatz zu Lila die Schriftstellerin wurde, während Lila zur heimlichen Macht im Rione Neapels werden konnte. Verblüfft habe ich festgestellt, wie gut es der Autorin gelingt, bereits bekannte Aspekte der Freundschaft zwischen den beiden Frauen herauszuarbeiten, aber auch neue hervorzubringen. Dies scheint mir ähnlich gut gelungen zu sein wie im ersten Band, es war mir eine besondere Freude, diesen Abschluss zu lesen.

Etwas verwirrt hat mich der völlig offene Abschluss des Buches hinterlassen, denn zwar sind viele Fäden des Buches zum Abschluss gebracht worden, aber die wichtigste Frage, mit der die Autorin uns Leser in die Geschichte gelockt hat, wurde nicht aufgelöst. Zugegeben, damit hat sie mich mehr zum Nachdenken gebracht als mit einer vorgegebenen Erklärung. Dennoch bleibt ein Gefühl der Unzufriedenheit, denn dieses offene Ende war für mich nicht vorhersehbar.

Erstaunlich ist es, wie sehr es der Autorin immer noch gelingt, ihre Anonymität zu wahren, scheint das doch in der heutigen Zeit der sozialen Netzwerke kaum machbar. Erstaunlich vor allem auch, weil Elena Ferrante kein Blatt vor den Mund nimmt, um Neapel zu schildern, es ist wahrlich kein touristisch geschöntes Bild, das der Leser hier von dieser Stadt erfährt. Angetan bin ich hingegen davon, wie die Autorin es völlig offen lässt, ob es sich hier um eine Autobiografie handelt oder ob sie die Geschehnisse erfunden hat auf dem Hintergrund der Gegebenheiten in Neapel. Dieses Verwirrspiel ist ihr bis zum Schluss hervorragend gelungen. Bis auf das offene Ende der Geschichte hat mich das Buch dermaßen überzeugt, dass ich nun mit leichten Abstrichen fünf von fünf Sternen vergebe.