Profilbild von bootedkat

bootedkat

Lesejury Profi
offline

bootedkat ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit bootedkat über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.06.2018

Die Macht der Schrift

Die Bücherjäger
0

Gianfrancesco Poggio Bracciolini ist Handschriftenjäger und Kopist. Als er in einem abgelegenen Kloster ein Buch entdeckt, dessen Inhalt einer Verschwörungstheorie nahekommt, wird er allerdings zum Bücherjäger, ...

Gianfrancesco Poggio Bracciolini ist Handschriftenjäger und Kopist. Als er in einem abgelegenen Kloster ein Buch entdeckt, dessen Inhalt einer Verschwörungstheorie nahekommt, wird er allerdings zum Bücherjäger, denn das gefundene Buch ist nicht das einzige seiner Art. Bei der Suche nach den weiteren Exemplaren erhält Poggio mal mehr, mal weniger Hilfe von Baldassare Cossa, dem frisch abgesetzten Papst, und Agnes von Mähren, einer Witwe, die noch eine Rechnung mit dem König offen hat. Und dann ist da noch Oswald von Wolkenstein, der die Bücher gerne für sich hätte.

Die Handlung in Dirk Husemanns Roman „Die Bücherjäger“ spielt zur Zeit des Konstanzer Konzils, welches das Ende der Kirchenspaltung innerhalb der römischen Kirche bedeutete. Im Vordergrund des Romans steht jedoch die Geschichte rund um Poggio und seine Begleiter, sowie die Suche nach den Büchern. Der Autor erzählt spannend und lässt an mehreren Stellen durch temporeichen Erzählstil auch tatsächlich das Gefühl einer Jagd aufkommen. Den Gegensatz dazu bilden die einzelnen Stationen, die die Charaktere im Laufe ihrer Suche erreichen. Zwar kommt die Jagd nach den Büchern dort nicht zum Erliegen, doch wird der Erzählstil ruhiger und es findet sich Platz für Details und ausführlichere Details zu Gebäuden, Räumen oder der Umgebung. Zusätzlich gibt es einige Rückblenden, die dem Leser von Poggios Vergangenheit erzählen. Einerseits werden dadurch einige Motive und Beweggründe des Protagonisten deutlicher, andererseits bringt es ihn dem Leser auch näher.

Wenn man möchte, dann lässt sich der Roman flüssig runterlesen. Die Geschichte selbst gewinnt allerdings, wenn man bereits während des Lesens, immer mal wieder einen Blick in das Nachwort und das angefügte Glossar wirft und auch selbst ein paar Nachforschungen anstellt. Neben der Haupthandlung finden einige zeitpolitische Ereignisse ihren Weg in die Erzählung und auch die vier Bücherjäger haben tatsächlich gelebt. Die Recherche parallel zur Lektüre lohnt sich allemal, schließlich geht es im Roman um ein nicht unbedingt allgemein bekanntes Kapitel der Geschichte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Abenteuer
  • Charaktere
  • Erzählstil
  • Originalität
Veröffentlicht am 11.06.2018

Bilderwandel

Die Unruhigen
0

Eine Lebensgeschichte. Aber nicht vollständig. Dafür viele kleine detaillierte Momente. Vater – Mutter, Vater – Tochter, Mutter – Tochter, allerdings nie alle drei auf einmal. Das hat das Erzählen mit ...

Eine Lebensgeschichte. Aber nicht vollständig. Dafür viele kleine detaillierte Momente. Vater – Mutter, Vater – Tochter, Mutter – Tochter, allerdings nie alle drei auf einmal. Das hat das Erzählen mit dem Fotografieren gemeinsam. Einer muss immer das Bild machen bzw. die Geschichte erzählen. Und so sind Fotos mit der ganzen Familie selten. Zumal die Eltern der Erzählerin getrennt leben und sich die Momente vor allem in Mutter – Tochter und Vater – Tochter unterteilen lassen. Im Mittelpunkt stehen Gespräche und zwischenmenschliche Interaktionen, die den roten Faden der Erzählung bilden.

Autobiographie? Fiktion? Vielleicht biographische Fakten fiktiv in Szene gesetzt? „Die Unruhigen“ verweigert sich einer genauen Einordnung. Fakt ist, dass Linn Ullmanns Vater tatsächlich Drehbuchautor und Regisseur war und ihre Mutter auch tatsächlich Schauspielerin ist. Ihre Erzählweise, sowie der Verzicht auf Namen, entziehen den Roman ein Stück weit der Realität. Ebenso der Umstand, dass die Erzählerin von sich mitunter in der dritten Person spricht. Hinzu kommt der filmische Aspekt. Die Erzählerin schafft Momentaufnahmen. Der Titel „Die Unruhigen“ bezieht sich dabei ebenso auf die Charaktere, wie auch auf die Bilder, die in diesen Momentaufnahmen geschaffen werden. Denn unruhige, womöglich laufende, Bilder ergeben einen Film und genau das ist es, was Linn Ullmann mit ihrem Detailreichtum schafft.
Aber auch die Personen sind Unruhige. Immer in Bewegung und immer auf der Suche.

Der Erzählton ist dagegen eher weniger unruhig, sondern ruhig und bedächtig. Zusammen mit den vielen kleinen Details entsteht Atmosphäre und es fällt leicht, in die erzählte Welt einzutauchen. Wenn man sich darauf einlässt. Der Roman verlangt Aufmerksamkeit. So werden immer wieder Dialogausschnitte, Briefe und Tagebucheinträge in die Erzählung mit eingebunden. Diese bilden die Ausgangspunkte für verschiedene Episoden aus der Vergangenheit, in denen vieles ungesagt bleibt und trotzdem keine Lücken entstehen.

Veröffentlicht am 28.03.2018

Stück für Stück

Krokodilwächter
0

Was ist ein Krokodilwächter? Ein kleiner Vogel, der zwischen den Zähnen von Krokodilen nach Nahrung sucht und damit das Krokodilmaul reinigt. Was hat so ein Vogel mit einem in Kopenhagen begangenen Gewaltverbrechen ...

Was ist ein Krokodilwächter? Ein kleiner Vogel, der zwischen den Zähnen von Krokodilen nach Nahrung sucht und damit das Krokodilmaul reinigt. Was hat so ein Vogel mit einem in Kopenhagen begangenen Gewaltverbrechen zu tun?

Eine junge Frau wird tot aufgefunden. Ermordet und mit Schnitten im Gesicht. Für die Ermittler Jeppe Kørner und Anette Werner ergibt sich zunächst keine heiße Spur, bis die Vermieterin der getöteten jungen Frau zugibt, den Mord so in einem Romanmanuskript beschrieben zu haben. Verständlich, dass man sie verdächtigt, den Mord nicht nur beschrieben, sondern auch begangen zu haben. Allerdings wird nach und nach deutlich, dass mehrere Personen Zugang zum Manuskript hatten und es mehr Verdächtige gibt, als man angenommen hat.

Katrine Engberg führt ihr Ermittlerteam und damit auch den Leser immer wieder in die Irre. Das liegt nicht zuletzt an dem beiläufigen Detailreichtum mit dem die Geschichte gespickt ist. Diese Details sind nicht sofort offensichtlich und lassen sich an manchen Stellen leicht übersehen, für die Entwicklung der Geschichte sind sie aber nicht ganz unwichtig. Auch das Romanmanuskript ist für die Handlung von Bedeutung. Immer wieder streut die Autorin ein bis zwei Seiten lange Passagen daraus ein. Zusammen mit den Informationen aus der Haupthandlung findet man bereits nach kurzer Zeit Parallelen zwischen der Protagonistin aus dem Manuskript und der ermordeten jungen Frau. Deuten lassen sich diese jedoch erst nach und nach. Interessant ist hier vor allem die Erzählerperspektive. Der Erzähler im Romanmanuskript ist ein allwissender. Vor dem Hintergrund des Mordes wirkt das Manuskript dadurch nahezu wie der Bericht eines Stalkers, was der Geschichte ein Element des Schauers verleiht.

Der Titel „Krokodilwächter“ passt ausgezeichnet zu der Art und Weise wie die Autorin ihr Ermittlerteam den Fall lösen lässt. Stück für Stück, so wie auch der Vogel Stück für Stück zwischen den Krokodilszähnen herauspickt, offenbaren sich die Hinweise zur Lösung des Falls. Andererseits lebt der Krokodilwächter auch gefährlich, ein zugeklapptes Maul könnte sein Ende bedeuten. Eine unbedachte Handlung der Polizei könnte aber auch den Ermittlungserfolg kosten. Anspielungen auf die Lösung des Falls gibt es von Anfang an, allerdings lässt sich erst fast ganz zum Schluss das Puzzle auch zusammensetzen. Auch die genaue Bedeutung des Krokodilwächters wird am Ende aufgeklärt, doch die Symbiose zwischen Krokodil und Vogel lässt sich als Metapher auf mehr als ein Element des Thrillers anwenden. Katrine Engberg ist somit ein spannender Roman gelungen, der seine Geheimnisse nicht vorzeitig preisgibt.

Veröffentlicht am 29.01.2018

Zehnter Januar Zweitausendsechzehn

Der Tag an dem David Bowie starb
0

Ein namenloser Hauptcharakter, der durch sein Leben irrt. Namen sind nicht wichtig, weder sein eigener noch die anderer Charakter. Vielmehr geht es um die Darstellung und Entwicklung des Protagonisten, ...

Ein namenloser Hauptcharakter, der durch sein Leben irrt. Namen sind nicht wichtig, weder sein eigener noch die anderer Charakter. Vielmehr geht es um die Darstellung und Entwicklung des Protagonisten, der die Geschichte konsequent aus der Ich-Perspektive erzählt. Keine Liebesgeschichte und kein Sittenbild junger Menschen, ist „Der Tag an dem David Bowie starb“ eher eine (Eigen-)Charakterstudie oder auch eine Biografie des Scheiterns.

Die oftmals nüchterne Sicht des Ich-Erzählers äußert sich in parataktischen Sätzen, wodurch zusätzlich eine gewisse Distanz zwischen Ereignissen und Lesern entsteht. Der Erzähler lässt niemanden an sich heran, mit ein Grund warum Annäherungen von anderen scheitern. Manche Ereignisse werden durch Montagetechnik parallel erzählt, was für den Eindruck von Gedankensprüngen erweckt, aber auch für den Protagonisten zusammenhängende Ereignisse deutlich macht. Zusammen mit der Ich-Perspektive wird der innere Monolog besonders deutlich.
Der Erzählstil des Romans erinnert damit an Romane wie „Ulysses“ von James Joyce oder Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“.

Zwischendurch finden sich Zitate aus Songs von David Bowie, die sich nicht nur inhaltlich nahtlos in die Geschichte einfügen, sondern deren Titel ebenso gut als Überschrift für die jeweilige Szene gelten können. Leider lässt sich letzteres erst nach einer Eigenrecherche herausfinden, auf die Zitate finden sich hinten im Buch leider keine Verweise. Hinzu kommen verschiedene textliche Fehler, die den Lesefluss ein wenig dämpfen. Inhaltlich ist der Text allerdings sehr stimmig.
Der Roman braucht etwas Anlaufzeit um sich zu entwickeln. Das äußert sich vor allem darin, dass beim Lesen das Gefühl entsteht, der Protagonist müsste dem Leser gegenüber erst „auftauen“, bevor tiefere Einblicke in das Selbst offenbart werden können. Nach dem der Ich-Erzähler dem Leser allerdings erst einmal geöffnet hat, entwickelt sich die Geschichte fast von selbst.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Engel oder Bengel

Die dunklen Gassen des Himmels
0

Bobby Dollar ist ein Engel. Wer jetzt allerdings an leuchtende Wesen mit goldenen Flügeln denkt - weit gefehlt. Bobby zweifelt, hinterfragt und trifft manchmal ziemlich eigenwillige Entscheidungen, die ...

Bobby Dollar ist ein Engel. Wer jetzt allerdings an leuchtende Wesen mit goldenen Flügeln denkt - weit gefehlt. Bobby zweifelt, hinterfragt und trifft manchmal ziemlich eigenwillige Entscheidungen, die bei seinen Vorgesetzten nicht gerade auf Begeisterung stoßen. Er ist als Engel Anwalt des Himmels und somit dafür verantwortlich die Seele eines Verstorbenen dem Teufel abstenstig zu machen. Bobbys Gedanken und eigener Lebenswandel sind aber eher die eines "advocatus diaboli".
Tad Williams mitunter ziemlich schwarzer Humor unterstreicht Bobbys Charakter und erweckt tatsächlich den Eindruck, Bobby selbst würde seine Geschichte erzählen. Die dadurch erzeugte Nähe fesselt den Leser und sorgt für das Gefühl, die Handlung aus nächster Nähe mitzuerleben. "Die dunklen Gassen des Himmels" ist als Auftakt für eine Trilogie bestens dazu geeignet, mehr von Bobby Dollar lesen zu wollen.