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Venatrix

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Veröffentlicht am 05.08.2018

Wie ein örtliches Ereignis eine globale Krise auslöste

Tambora und das Jahr ohne Sommer
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Gleich vorweg, wer sich ein Buch über Vulkane im Allgemeinen und den Tambora sowie dessen Ausbruch im Detail erwartet, ist hier nicht richtig.

Wolfgang Behringer untersucht die globalen Zusammenhänge ...

Gleich vorweg, wer sich ein Buch über Vulkane im Allgemeinen und den Tambora sowie dessen Ausbruch im Detail erwartet, ist hier nicht richtig.

Wolfgang Behringer untersucht die globalen Zusammenhänge zwischen dem Ausbruch des Vulkans und der anschließenden Klimaveränderung. In sieben Kapiteln (inkl. Einleitung und Epilog) versucht der Autor die Auswirkungen darzustellen.
Während es einige Publikationen über die Folgen des Ausbruchs des Krakataus gibt, ist der des Tamboras am 10. April 1815 nahezu unbemerkt.

Woran das liegen mag? An der fehlenden Kommunikation? Vom Ausbruch des Krakatau 1883 wird alle Welt durch Telegrafen recht bald wissen. Soweit ist man 1815 noch nicht. Vermutlich auch daran, dass Europa nach rund 20 Jahren der Napoleonischen Kriege ausgeblutet (im wahrsten Sinne des Wortes) darnieder liegt und wenig Interesse an Katastrophen hat, die in Indonesien stattfinden. Dennoch sind in den darauffolgenden Jahren Europa und Amerika sowohl direkt als auch indirekt betroffen.

Das Jahr 1816 geht als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein. Die Aschewolke und die Schwefeldioxid-Emissionen verfinstern die Sonne und sorgen für eine Mini-Eiszeit. Die darauffolgenden Missernten und Nahrungsmittelknappheit lassen Millionen Menschen verhungern bzw. an Seuchen sterben. Denn vielerorts betriebene Spekulationen lassen die Preise für Getreide ins astronomische steigen. In vielen europäischen Ländern versagen die Regierungen. Es kommt zu Hungerrevolten und Pogromen an Juden, die man für die Krise verantwortlich macht.
Abertausende Menschen verlassen die Hungergebiete Europas und hoffen in Amerika Wohlstand und einen neuen Anfang zu finden, nicht wissend, dass auch hier das Klima gestört ist.

Der Autor hat einige beeindruckende Auswanderungsstatistiken ausfindig gemacht. Man sieht, dass sich einige deutsche Familie auch in die Ukraine aufmachten, um dort einen Neustart zu wagen. Das wird dann Jahrzehnte später wieder Auswirkungen haben.

Soziales Denken ist nicht Sache der Herrscher. Das ist zu jener Zeit Aufgabe von privaten und/oder kirchlichen Organisationen. Wohlhabende Bürger spenden Geld oder kaufen Nahrungsmittel, die sie an die Notleidenden abgeben.
Die Jahre nach der Katastrophe sind auch eine Zeit der Erfindungen und der kulturellen Blüte. So schreibt Mary Shelley im Angesicht des trüben Wetters 1818 ihren „Frankenstein“. William S. Turner malt seine unnachahmlichen Bilder. Die Vulkanologie und die Meteorologie werden eigenständige Wissenschaften. Es werden Dampfschiffe und Straßen gebaut, die Draisine wird belächelt und Flüsse werden begradigt. Warum dieses? Auf Grund des Endes der kleinen Eiszeit schmelzen die vorher stark gewachsenen Gletscher wieder ab und verursachen weiträumige Überschwemmungen. Um das Wasser schneller abzuleiten, wird u.a. der Rhein wird begradigt und schiffbar gemacht. Seine Sumpfgebiete werden trockengelegt. Dabei wird nicht nur Fläche für die Landwirtschaft gewonnen, sondern gleichzeitig die Malaria ausgerottet. Ein toller Fortschritt, oder? Inzwischen weiß man, dass die Begradigung von Flüssen doch keine so gute Idee war und baut wieder zurück.

Der Autor wirft einen Blick nach Amerika und nach Asien, die beides, wenn auch unterschiedlich von der Klimakatastrophe betroffen waren.

Abschließend möchte ich aus Gillen D’Arcy-Woods Buch „Vulkanwinter“ zitieren:
„Der Fall Tambora steht für die sensible Abhängigkeit des Menschen und seiner Gesellschaft vom Klima.“

Dem ist wohl wenig hinzuzufügen.

Fazit:

Ein sehr interessantes Buch, das sich mit den globalen Auswirkungen einer örtlichen Katastrophe beschäftigt. Dafür gebe ich gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 05.08.2018

Komplexe Vorgänge im Gehirn gut dargestellt

Brainwashed
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Das vorliegende Buch ist das Ergebnis von zahlreichen Recherchen zu einem anderen Buch des Autors („Die bittere Wahrheit über Zucker“).

Robert H. Lustig, Kinderarzt und auf die Behandlung fettleibiger ...

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis von zahlreichen Recherchen zu einem anderen Buch des Autors („Die bittere Wahrheit über Zucker“).

Robert H. Lustig, Kinderarzt und auf die Behandlung fettleibiger Kinder spezialisiert, erklärt auch für Nicht-Mediziner verständlich wie unser Streben nach Glück häufig in Abhängigkeit, Sucht und Depressionen führt. Er versucht das Zusammenspiel von Dopamin und Serotonin im Gehirn darzustellen. Die beiden Stoffe sollten ausgewogen vorhanden sein, um Glück zu empfinden. Je nachdem welcher der beiden Botenstoffe gerade im Überfluss vorhanden ist, gleiten wir Menschen in eine Depression oder ein Suchtverhalten.

Wie diese biochemischen Prozesse von großen Nahrungs- und Genussmittelherstellen bewusst für Produktplatzierung benutzt werden, werden hier aufschlussreich behandelt.
Wie wir uns dagegen wehren können? Patentrezept gibt es dafür keines, aber ein paar mögliche Lösungsansätze.
Ich möchte das mit einem Zitat aus Alexandra Bleyers Buch „Propaganda als Machtinstrument“ untermauern: "Propaganda wirkt nur, solange sie nicht als solche erkannt wird".
Wenn wir um die Mechanismen des Zusammenspiels der Botenstoffe wissen, können wir uns leichter den Angriffen der Konzerne entgegenstellen.
Fazit:
Ein Buch, das uns die komplexen Vorgänge im Gehirn vernünftig und amüsant erklärt. Gerne gebe ich 5 Sterne.

Veröffentlicht am 02.08.2018

Wieder ein fesselnder Krimi

Tod in der Kaisergruft
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Sarah ist Journalistin beim „Wiener Boten“ und hat schon durch ihre rasche und unkonventionelle Auffassungsgabe bei der Aufklärung von sieben Verbrechen mitgeholfen. Immer wieder wird sie von Chefinspektor ...

Sarah ist Journalistin beim „Wiener Boten“ und hat schon durch ihre rasche und unkonventionelle Auffassungsgabe bei der Aufklärung von sieben Verbrechen mitgeholfen. Immer wieder wird sie von Chefinspektor Stein gefragt, ob sie nicht zur Polizei wechseln will.

In diesem nun achten Krimi handelt es um einen Geiselnehmer, der ausgerechnet in der Kapuzinergruft mehrere Menschen als gefangen hält. Sarah ist mir ihrem Fotografen genauso wie Dutzende andere Reporter am Schauplatz. Doch während die Konkurrenz reißerische Un- und Halbwahrheiten verbreiten, versucht Sarah die Hintergründe dieses Dramas herauszufinden.

Sie recherchiert, interviewt und nutzt so manchen nicht ganz legalen Kontakt. Im Zuge dieser Recherchen lernen wir gemeinsam mit Sarah zwei höchst unterschiedliche Frauen kennen: Isabella Schönegg-Bach, Schwester der Ermordeten und Chefin eines traditionellen Modeunternehmens und Maria Baldauf, Mutter des Geiselnehmers und mutmaßlichen Mörders.

Während Isabella Schönegg-Bach, der Bindestrich steht für das seit 1919 verbotene adelige „von“, ein strenges und äußerst konservatives Regiment im Familienbusiness führt und ihre Kinder am Gängelband führt, ist Maria Baldauf als Mutter das andere Extrem. Sie lässt ihrem „Buben“ alles, aber auch wirklich alles durchgehen, setzt ihm keine Grenzen und so ist sie völlig von den Socken, als ihr Bubi einer solchen Tat bezichtigt wird. Das kann doch nur ein Irrtum sein! Er war ja während der Tatzeit bei der Firma von Otto, Marias Freund, wegen eines Jobs vorstellen, oder?

Meine Meinung:

Beate Maxian ist wieder ein komplexer Krimi gelungen, in dem nicht nur die Tat oder der Täter im Fokus stehen, sondern auch die subtil ausgetragenen Machtspiele in den betroffenen Familien.

Anders als bei den anderen Krimis, weiß der Leser gleich zu Beginn, wer der Täter ist. Trotzdem ist es sehr spannend sowohl Sarah als auch den polizeilichen Ermittlern über die Schulter zu schauen.

Diesmal ist wieder mehr zum Thema „Aberglaube, Symbolik und Glücksbringer“ zu lesen. Denn diesmal hat der Täter Totenköpfe (aus Kunststoff) in die Kaisergruft mitgebracht.

Fazit:

Wieder ein fesselnder Krimi aus der Feder von Beate Maxian, der besonders durch seinen interessanten Blick auf Wiens Gassen und Plätze auffällt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 09.08.2018

Fesselnd und vielschichtig bis zur letzten Seite

Totenbauer
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Dieses Buch ist der zweite Krimi rund um die Kommissare Heinrich Tenbrink und Maik Bertram.
Der Krimi beginnt schon recht spannend mit einem Prolog, der einen Rückblick in die Vergangenheit, genauer gesagt, ...

Dieses Buch ist der zweite Krimi rund um die Kommissare Heinrich Tenbrink und Maik Bertram.
Der Krimi beginnt schon recht spannend mit einem Prolog, der einen Rückblick in die Vergangenheit, genauer gesagt, zu einer Urlaubsreise zweier befreundeten Familien in Kreta, gibt. Diese Reise wird das Verhältnis der Familien nachhaltig beeinflussen.
In der aktuellen Gegenwart stirbt ein junger Mann im Stadtpark an seinen Kopfverletzungen. Seine letzten Worte klingen so ähnlich wie „toter Bauer“. Damit kann der ermittelnde Polizist Maik Bertram wenig anfangen, ist er doch aus Magdeburg. Sein Kollege Tenbrink ist ein gestandener Münsterländer und erfahrener Ermittler, der nach dem gefährlichen Zwischenfall aus „Galgenhügel“ nach wie vor im Krankenstand ist. Aber er wäre nicht Heinrich Tenbrink, wenn er nicht trotzdem ermitteln würde….
Während Tenbrink noch mit seinen eigenen Dämonen kämpft, holen verschiedene Ereignisse der Vergangenheit sowohl Maik als auch mehrere Personen aus dem Umfeld des Toten ein. Und der wird nicht der einzige Tote bleiben.

Meine Meinung:
Tom Finnek ist ein Meister der Verwirrspiele. Geschickt führt er die Leser in die Irre. Hinweise auf den Täter finden wir genügend, doch manchmal enden diese in einer Sackgasse. Tom Finnek lässt seinen Lesern Raum für eigene Überlegungen und Spekulationen.
Die Figuren haben Ecken und Kanten, und sind dennoch liebenswürdig. Der neue Chef ist ein Wichtigtuer und wird von den Mitarbeitern weder richtig akzeptiert noch ernst genommen. Daraus ergeben sich immer wieder spannende Wortgefechte.
Sehr schön sind wieder die Eigenarten der Münsterländer Bewohner dargestellt. Schmunzeln muss ich wieder über den „kleinen Grenzverkehr“ zwischen dem Münsterland und Holland.
Anders als in verschiedenen Krimis wird auch der mühsame Alltag der Ermittler dargestellt. Hier sind nicht die Wunderwuzzis am Werk, sondern Menschen mit Stärken und Schwächen. Das gefällt mir an Tom Finneks Krimis. Sprachlich ein Genuss, weil immer wieder Dialektpassagen, sei es münsterländisch oder holländisch eingeflochten werden.„Totenbauer“ lässt sich ohne Vorkenntnis von „Galgenhügel“ lesen. Allerdings schadet es nicht, den Vorgänger zu kennen.
Die Nachricht, die Maik Bertram m Ende dieses Krimis erhält, lässt auf einen dritten Teil hoffen. Ja, bitte -ich möchte gerne mit dem Duo Tenbrink und Bertram nochmals ermitteln!

Fazit:

Ein Krimi bei dem nichts so ist, wie es scheint. Gerne gebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Spannung
  • Handlung
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 01.08.2018

Jede geweinte Kinderträne ist eine zuviel.

Die letzten Zeugen
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Die in der Ukraine geborene und lange in Weißrussland lebende Autorin hat in den Jahren 1978-2004 Interviews mit Menschen geführt, die beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht ab 1941 kleine Kinder waren.

So ...

Die in der Ukraine geborene und lange in Weißrussland lebende Autorin hat in den Jahren 1978-2004 Interviews mit Menschen geführt, die beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht ab 1941 kleine Kinder waren.

So unterschiedlich wie die Kinder damals waren, so unterschiedlich sind ihre Erinnerungen an den Krieg. Allen ist jedoch gemeinsam, dass mit dem Erleben des Grauens ihre Kindheit ein jähes Ende genommen hat.

Swetlana Alexijewitsch hat diesen nunmehr erwachsenen Kindern zugehört und hat ihnen eine Stimme gegeben. Sehr einfühlsam und wie eine Chronistin hat sie die schrecklichen Erinnerungen puristisch niedergeschrieben, um sie für die Nachwelt zu erhalten.

Manche können sich nur mehr vage an einen Geruch oder eine Farbe erinnern. Manchen haben sich die grauenvollen Erlebnisse tief in ihre Seele gebrannt.

Die Autorin hat die, oft kindlich anmutenden Aussagen genau zitiert. Damit kann der Leser einen kleinen Einblick in die zerstörten Kinderseelen nehmen, denn kaum ein Kind ist unbeschadet davongekommen.

Viele der Interviewten mussten miterleben, wie Väter und Mütter direkt vor ihren Augen ermordet wurden, wie Väter sich verabschiedeten um niemals wiederzukehren. Der eine oder andere spricht von Aufnahme in Partisanengruppen oder vom Verstecken eines jüdischen Kindes.

Schreibstil:

Swetlana Alexiejewitschs Sprache und Stil sind einfühlsam und präzise. Dieses Buch ist eine gelungene, vielschichtige Komposition von vielen Zeitzeugengesprächen. Jeder Zeitzeuge wird mit Namen, dem damaligen Alter und dem aktuellen Beruf vorgestellt. Sie erhalten eine der Erinnerung angemessene Überschrift.

Wir lesen sehr häufig von Überlebenden des Holocaust als „Zeitzeugen“. Doch diese russischen Kinder sind ebenfalls Zeitzeugen. Zeugen des Größenwahns eines Diktators.

Fazit:

Dieses Buch zu lesen, bedeutet schwere Kost. Dennoch sehr empfehlenswert.