Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2018

Der Herr der Särge

Gestorben wird morgen
0

Das ist Wolfgang im wahrsten Sinne des Wortes, ist er doch der Leiter eines Bestattungsunternehmens, das er von seinem Vater geerbt hat - leider fehlt es ihm auch Jahre später vielfach an Kenntnissen ...

Das ist Wolfgang im wahrsten Sinne des Wortes, ist er doch der Leiter eines Bestattungsunternehmens, das er von seinem Vater geerbt hat - leider fehlt es ihm auch Jahre später vielfach an Kenntnissen und Fertigkeiten, die sein (Arbeits)Leben entscheidend erleichtern und auch erweitern würden.

Er ist nämlich ein ganz spezieller Typ, der schwer trägt - nicht nur an seinem Beruf, sondern am Leben insgesamt - Telefonieren, große Ansammlungen von Menschen, sogar im Kino - das ist alles nichts für ihn. Stattdessen liebt er die Botanik und es gibt nichts Schöneres für ihn, als sich in Fachliteratur zu vertiefen! Auch sein bester Freund Oskar kann ihn nur selten aus seinem Einsiedlerleben herausholen. Er ist ihm vom Charakter her diametral entgegengesetzt: ein Bruder Leichtfuß ersten Ranges, der aufgrund eines riesigen Vermögens - selbstverständlich geerbt - seine Neigungen in jeder Hinsicht ausleben kann.

Doch dann kommt Alma - sie will einen Krimi schreiben, in dem ein Bestatter eine entscheidende Rolle spielt und startet ein Praktikum bei Wolfgang. Durch sie wird so einiges durcheinandergewirbelt.

Ein wunderbar leichtfüßiger, humorvoller Roman, in dem so einiges durcheinandergewirbelt wird und nichts so ist, wie es zunächst scheint. Autorin Victoria Seifried macht kleine inhaltliche Unebenheiten wie bspw. die Verwendung zahlreicher Klischees und den Einbau einiger unlogischer Stellen durch ihren absolut grandiosen Stil wieder wett und hat es geschafft, mich so in den Bann ihrer Erzählung zu ziehen, dass ich das Buch erst aus der Hand gelegt habe, als ich am Ende angelangt war.

Wer auf anspruchsvolle Unterhaltung der ungewöhnlichen Art steht, es dabei auch gerne humorvoll und skurril mag, der ist hier an der richtigen Adresse! Ich jedenfalls freue mich schon auf den nächsten Roman dieser Autorin!

Veröffentlicht am 22.10.2018

Wo liegt die Grenze?

nichts, was uns passiert
0

Anna und Jonas. Bekannte sind sie, kein Paar, aber sie haben eine gemeinsame Vergangenheit. Bezüglich Sex - es gab da mal eine Nacht. Nicht sehr lange her.

Doch nun hat Hannes, ein gemeinsamer Freund, ...

Anna und Jonas. Bekannte sind sie, kein Paar, aber sie haben eine gemeinsame Vergangenheit. Bezüglich Sex - es gab da mal eine Nacht. Nicht sehr lange her.

Doch nun hat Hannes, ein gemeinsamer Freund, Geburtstag und es wird gefeiert. Und Anna trinkt. Viel zu viel. Das macht sie öfter mal. Hannes und Jonas einigen sich darauf, sie zu Jonas zu bringen und dort ausschlafen zu lassen. Jonas legt sich neben sie, zieht sie aus und dann...

Am nächsten Morgen: Anna fühlt sich vergewaltigt. Ein absolut beschissenes Gefühl. Sie verschwindet aus Jonas' Wohnung und zieht sich zurück. Kleidet ihre Empfindung nicht in Worte, weder gegenüber Jonas noch sonst wem. Stellt auch keine Anzeige.

Aber dann doch, Wochen später, nach einem Gespräch mit ihrer Schwester. Und das spricht sich schnell rum im Freundes- und Bekanntenkreis. Gedanken und Überlegungen Dritter werden laut.

Jonas selbst ist sich keiner Schuld bewusst. Ein Vergewaltiger - er doch nicht! Ein Roman aus mehreren Perspektiven, einer der nicht wertet. Der den "Fall" nicht wertet.

Wobei ich persönlich das Gefühl des Ausgeliefert-Seins von Claire sehr gut nachvollziehen kann. Andere fühlen sich vielleicht eher Jonas näher - alles ist möglich, nichts verwerflich.

Doch, werden Sie sagen, die Vergewaltigung! Ja, keine Frage! Aber war es tatsächlich eine? Oder war es einfach etwas Belangloses? Nichts, was uns bzw. unserem Umfeld passiert?

Ein stilles Buch, aber eines, das quasi danach schreit, diskutiert zu werden. In Leserunden, aber vielleicht auch im Schulunterricht. Oder an der Uni? Kein bequemes Buch, aber eines, dass den Leser so schnell nicht wieder loslässt. Beziehungsweise in sein ruhiges Leben entlässt. Nein, es hallt nach. Lange. Auch wenn es nichts ist, was uns passiert.

Veröffentlicht am 21.10.2018

Fast ziehen?

Faszientraining
0

Nein, Faszien!
Ich bin mal wieder nicht im Trend und musste mich einlesen, was das überhaupt ist. Klar habe auch ich Faszien und leider auch Probleme mit ihnen. Nehme ich jedenfalls an, denn es könnte ...

Nein, Faszien!
Ich bin mal wieder nicht im Trend und musste mich einlesen, was das überhaupt ist. Klar habe auch ich Faszien und leider auch Probleme mit ihnen. Nehme ich jedenfalls an, denn es könnte gut sein, dass einige Schmerzherde, die ich bislang nicht einordnen konnte, genau von dieses Faszien, also den Fasern des Bindegewebes herrühren.

Und wie so vieles am Körper kann man auch die trainieren. Wie - das ist in vorliegendem Buch ausführlich erläutert - gottseidank, nachdem zunächst ebenso ausführlich erklärt wird, was es mit diesen Faszien überhaupt auf sich hat - und kommt meistenteils ziemlich sportlich daher. Offen gesagt, zu sportlich für mich, wenn auch ein paar Übungen dabei sind, die auch ich "wuppen" kann.

Ein hilfreiches Buch in jeder Hinsicht, aber ganz klar eher für den sportlichen Typ - ich bleibe bei meinem Qi Gong und hoffe (und glaube), dass das auch den Faszien hilft!!

Veröffentlicht am 18.10.2018

Den eigenen Abgang vorbereiten

Alles Glück eines Lebens
0

Dazu sieht sich die 43jährige Karen gezwungen: denn bereits seit über zwei Jahren weiß sie, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt ist - dieser kann zwar aufgehalten, aber nicht mehr bezwungen werden.

Ein ...

Dazu sieht sich die 43jährige Karen gezwungen: denn bereits seit über zwei Jahren weiß sie, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt ist - dieser kann zwar aufgehalten, aber nicht mehr bezwungen werden.

Ein Schock für die alleinerziehende Mutter eines sechsjährigen Sohnes, nämlich Jake, die sich bemüht, diesen nicht nur auf ihr Ende vorzubereiten, sondern auch, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.

Doch eigentlich hat der kleine Junge nur einen Wunsch - nämlich den, seinen Vater, mit dem es gar keinen Kontakt gibt, kennenzulernen.

Und gerade den zu erfüllen, fällt Karen so unendlich schwer!

Ein Roman mit Herz und Gefühl, bei dem es der Autorin definitiv gelungen ist, ihn nicht kitschig werden zulassen. Wobei das sicher nicht einfach war, denn sie hat eine höchst emotionale Form gewählt, nämlich die eines langen Briefes bzw. eines Buchs, das Karen an ihren Sohn schreibt. Er ist sozusagen der alleinige Adressat, der direkt angesprochen wird.

Dabei breitet Karen ihr gesamtes Leben vor ihm aus: ihren Werdegang, ihre Kindheit - und auch die Beziehung zu Jakes Vater. Wie realistisch das ist? Aus meiner Sicht eher wenig, denn ich glaube, es ist fast unmöglich, so schonungslos ehrlich mit sich selbst und dem gesamten Umfeld umzugehen, die Zusammenhänge so besonnen einzuordnen, wie Karen das hier tut.

Doch spielt das aus meiner Sicht im Hinblick auf die Bedeutung, den Wert des Romans keine Rolle. Die Autorin Lauren Grodstein hat sich - meiner Meinung nach durchaus erfolgreich - darum bemüht, ein realistisches Bild der Empfindungen einer unheilbar Kranken darzustellen und tatsächlich. So könnte es sein. Muss es aber natürlich nicht.

Doch es ist ein erschütternder und auch warmherziger Blick hinter die Kulissen einer bösartigen Krankheit, mit der man sich nicht auseinandersetzen will, solange es nicht notwendig ist. Hier kann man einen ersten Schritt darauf zugehen.

Veröffentlicht am 17.10.2018

Honolulu King in den Niederlanden

Honolulu King
0

Hardy Hardy - ja, er heißt wirklich so und hat diesen Namen einer Laune seines Vaters zu verdanken - kommt aus Indonesien, hat aber den Großteil seines Lebens in den Niederlanden verbracht. Und doch erinnert ...

Hardy Hardy - ja, er heißt wirklich so und hat diesen Namen einer Laune seines Vaters zu verdanken - kommt aus Indonesien, hat aber den Großteil seines Lebens in den Niederlanden verbracht. Und doch erinnert sich der 80jährige Tag für Tag an die Grauen, die seiner Familie im Zweiten Weltkrieg zuteil wurden - aus seiner Sicht waren stets Japaner die Schuldigen und er will mit diesem ganzen volkn nie mehr was zu tun haben.

Dabei lebt er eigentlich ein schönes Leben - in jungen Jahren war er Frontmann, der "Honolulu Kings", die mit hawaiianischer Musik - sein Ein und Alles - recht erfolgreich waren. Er hat mit Christina die Liebe seines Lebens, eine üppige indonische Schönheit geheiratet und führt einen gutbesuchten indonesischen Imbiss. Seine beiden besten Freunde - sie sind derselben Abstammung wie er - sind immer an seiner Seite: früher als Mitglieder der Band, heute als Mitarbeiter des Imbiss. Und auch seine Enkelin Synne, die ihren Opa heiß und innig liebt, arbeitet dort mit und würde überhaupt alles für Hardy tun.

Doch Christina ist inzwischen dement - sie lebt in einem Heim und erkennt ihren Mann gar nicht mehr. Aswani, die gemeinsame Tochter, will von seiner Vergangenheit nichts wissen - sie interessiert sich weder für die Kassetten, auf denen ihr Vater Berichte von Zeitzeugen aufgenommen hat, noch für seine Empfindungen.

Wobei es auch wirklich nicht einfach ist mit ihm. Ebenso wenig wie mit Synne, die wiederum ihre Mutter nicht versteht. Auch wenn dieser Roman Hardy Hardy in den Mittelpunkt stellt, spiegelt er das Miteinander - oder vielmehr Gegeneinander - der Generationen, das alles andere als einfach ist. Ebenso wie das gegenseitige Verständnis der Kulturen. Denn Hardy will unbedingt von den Niederländern als einer der ihren akzeptiert werden und geht dafür einen durchaus gefährlichen Weg. Synne ist dabei, sich selbst aufzugeben - nicht minder gefährlich.

Ein Roman, der in mir einen Wirbel unterschiedlicher Gefühle auslöste, der durchaus auch mal polarisierte, mich auf die ein oder andere Seite zog. Jeder Charakter wird hier ebenso schonungslos wie mitfühlend dargestellt, die Autorin schreibt warmherzig und rachdurstig zugleich. Ein Buch, das mich wanken und schwanken ließ, dann aber doch wieder auf seine Seite zog. Ein mutiges Buch, in dem kein Blatt vor den Mund genommen wird - gleich mehrere Tabus der Gesellschaft Westeuropas werden wieder und wieder gebrochen.

Die Geschichte eines Leidenden (stellenweise gar mehrerer Leidender) - nicht immer logisch und nachvollziehbar, aber so ist das Leben!