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Veröffentlicht am 13.11.2018

Ein spannendes Sci-Fi Abenteuer

Mortal Engines - Krieg der Städte
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Die ersten Sätze zogen mich automatisch in den Bann – ausgetrocknete Nordsee? Jagd auf eine Stadt? Ich musste unbedingt erfahren, was es damit auf sich hat. Und ich kann euch sagen, dass ich die Idee unfassbar ...

Die ersten Sätze zogen mich automatisch in den Bann – ausgetrocknete Nordsee? Jagd auf eine Stadt? Ich musste unbedingt erfahren, was es damit auf sich hat. Und ich kann euch sagen, dass ich die Idee unfassbar gelungen finde. Die Städte in der postapokalyptischen Zukunft müssen durch das Ödland, hier Außenlande genannt, fahren, um Nahrung zu suchen – Nahrung bedeutet in diesem Fall Teile anderer Städte. Das Setting ist zu Beginn London, eine der größeren Städte die in verschiedene Schichten geteilt ist, oben an der Spitze die wohlhabenden, danach die Mittelschicht, unten die Unterschicht, die Kriminellen im Gefängnis und die Arbeiter für die eher minderen Aufgaben. Die Idee der räumlichen Klasseneinteilung fand ich gut umgesetzt, so wurde der Unterschied erst recht deutlich und sorgte für ein beklemmendes, unangenehmes Gefühl. Neben fahrenden Städten gibt es auch Luftschiffe, inklusive Luftpiraten, und einzelne Städte, die sich im Außenland eingerichtet haben und hoffen, dass sie dort überleben können, ohne weiter zu ziehen. Besonders cool fand ich die Antitraktionsfront, eine Rebellengruppe, die gegen die Traktion, also gegen das Umherfahren und Bekämpfen der Städte ist.

Die Charaktere waren vielseitig und sehr unterschiedlich, alleine bezüglich ihres gesellschaftlichen Standes. Sie hatten alle ihr Päckchen zu tragen und waren alles andere als heldenhaft. Sie trafen falsche Entscheidungen, wurden von Emotionen geleitet und scheiterten. Zu viel möchte ich nicht verraten, schließlich ist es am interessantesten, die einzelnen Figuren und ihre Eigenschaften selbst kennenzulernen. Der Protagonist Tom besaß seiner Stadt London gegenüber ein großes Maß an Loyalität, welches er nur schwer ablegen konnte, selbst als er erfahren musste, dass der Schein trügt. Katharine, als Mitglied der oberen Schicht, besaß eine wichtige Rolle in dem ganzen Geschehen, vor allem aber war sie ein wichtiges Bindeglied zwischen reich und arm. Sie war unglaublich mutig, neugierig und selbstlos, sie hinterfragte, reflektiere und traf Entscheidungen, I love her. Mein Liebling war Hester, die aufgrund eines dramatischen Ereignisses in der Vergangenheit auf Rache aus war und eigentlich eine Gegenspielerin von Tom war. Wieso eigentlich? Das müsst ihr natürlich selbst herausfinden – es lohnt sich. Auch die böswilligen Charaktere waren meiner Meinung nach toll dargestellt, da sie in mir viele negative Emotionen auslösten. Interessant war, dass nich jeder davon ausschließlich böse war, manch einer machte eine wichtige Entwicklung durch. Charaktere, die mir zu Beginn suspekt waren, konnten mich wiederum zum Schluss positiv überraschen.

Die Integration gesellschaftlicher Themen und Probleme fand ich gelungen, ebenso die Darstellung von angepasster Gesellschaft gegen die Rebellion und die Entwicklung davon, die Einfluss auf einzelne Charaktere und Handlungen hatte. Es war spannend zu erfahren, was bestimmte Entscheidungen des (oberen) Systems für Auswirkungen auf die Einstellung einzelner Bewohner hatten sowie zu sehen, welche Konsequenzen dies für alle hatte – obere wie untere Schicht, niemand blieb davon verschont, niemand konnte sich zurück nehmen, jeder musste irgendwie handeln, Entscheidungen treffen, Gewohntes aufgehoben, Neues dazu gewinnen. Zentrale Aspekte davon waren demnach natürlich Zusammenhalt, Freundschaft und Selbstlosigkeit.

Der Verlauf der Geschichte war durchgehend spannend, aber nicht zu aufdringlich, zwischendurch gab es Momente, in denen man als Leser verschnaufen und das erlebte verarbeiten kann. Zwischendurch gab es ein paar sehr dramatische, schockierende Situationen, meiner Meinung nach wurden die meisten davon jedoch recht knapp und distanziert dargestellt, wenig emotional. Zwar sorgten sie dafür, dass ich mitfühlen konnte, aber manches wirkte dadurch ein wenig unauthentisch. Dies ist aufgrund der Tatsache, dass ich ansonsten total begeistert bin, aber nur ein kleiner Mini-Kritikpunkt.

Ich freue mich unendlich doll auf die Fortsetzung, die bereits Ende des Monats in der neuen Aufmachung im Fischer Verlag erscheint. Der Abschluss des ersten Bandes stimmte mich zufrieden, auch wenn einige Fragen offen geblieben sind. Ich bin sehr gespannt darauf, wie es mit den Charakteren weiter geht, was die Städte erwarten wird und was in den Außenlanden passieren wird, denn die Reihe besteht aus vier Bänden. Auch auf den Film freue ich mich sehr, ich kann mir gut vorstellen, dass die Geschichte ein großartiges Kinoerlebnis ist.

Fazit:
Mortal Engines konnte mich vor allem mit dem interessanten Setting in einer postapokalyptischen Zukunft begeistern. Auch die vielseitigen, authentischen Charaktere gefielen mir gut, vor allem aber die Entwicklung einzelner, welche primär durch Entscheidungen des Systems und entstehende moralische Fragen angeregt wurde.

Veröffentlicht am 08.09.2018

Zehn ganz verschiedene Kurzgeschichten, die zum Nachdenken anregen und durch einzelne Aspekte im Gedächtnis bleiben

Die Wahrheit über das Lügen
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Auf der Leipziger Buchmesse wurde verkündet, dass im Herbst ein neues Buch von Benedict Wells auf den Markt kommen wird – und alle flippten aus. Ok, nicht alle, aber fast alle. Allen voran meine Buchgang ...

Auf der Leipziger Buchmesse wurde verkündet, dass im Herbst ein neues Buch von Benedict Wells auf den Markt kommen wird – und alle flippten aus. Ok, nicht alle, aber fast alle. Allen voran meine Buchgang und ich. Schon mit Spinner konnte mich Wells überzeugen, ein ruhiger Roman über eine Interessante Identitätsfindung (meine Rezension). Vor kurzem las ich dann Vom Ende der Einsamkeit, gemeinsam mit meiner Buchnachbarin Sarah, die dazu bereits eine Rezension verfasst hat, denn wir wollten gut für sein neues Werk gerüstet sein, das auch eine Kurzgeschichte zum eben genannten Roman enthalten sollte.

Die Wahrheit über das Lügen beinhaltet zehn total verschiedene Kurzgeschichten – manche empfand ich als sehr ergreifend, manche als skurril, manche sogar als recht humorvoll. Und alle hatten einen zentralen Aspekt: die Zeit. Sei es die Zeit, die man sich nicht für wichtige Dinge nimmt, oder nehmen möchte, weil man die Prioritäten anders setzt, als man vielleicht sollte. Sei es die Zeit, die man mit Menschen verbringt, was einen immensen Einfluss auf den Verlauf des Lebens hat, selbst wenn die Menschen irgendwann kein Teil mehr davon sind. Oder die Zeit, die man in ein Lebensprojekt steckt, obwohl man sich auf etwas anderes konzentrieren wollte. Die Zeit, die man aufbringt, um jemandem zuzuhören. Oder eben gar nicht zuhören zu wollen. Die Zeit, die plötzlich auf mysteriöse Art und Weise zurück gedreht wird, sodass man das Wissen aus der Zukunft besitzt und einen Teil davon verändern kann. Die Zeit, die man mit einem Menschen verbringt, obwohl man sich dabei selbst verliert. Die Zeit, in der man schweigt, obwohl man etwas sagen hätte müssen. Und die Zeit, die man braucht, um genau das zu tun. Die Zeit, um sich auszusprechen oder das Fehlen dessen. Die Zeit für Vergebung, obwohl sie längst abgelaufen ist.

Erst heute wurde ich gefragt, welche Kurzgeschichte mein Favorit sei. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Aspekte der einzelnen Geschichten kommen mir in den Sinn und desto weniger kann ich mich festlegen. Aber ich denke, das muss ich auch gar nicht. Jede einzelne besitzt ihre Faszination. Benedict Wells ist wahnsinnig talentiert darin, Geschichten aus dem Leben zu erzählen, eine Ruhe zu erzeugen und trotzdem nicht an Spannung einzubüßen. Die Geschichten regen zum Nachdenken an, egal ob sie humorvolle Passagen beinhalten, traurig, düster, skurril oder schockierend sind. Jede von ihnen umfasst eine wichtige Botschaft, wodurch sie im Gedächtnis bleiben. Jede noch so verrückte Erzählung besitzt ihre Faszination. Jeder geschilderte noch so abwegige Aspekt sorgt dafür, dass ich lange darüber nachgedacht habe.

Interessant fand ich, dass Wells ein paar Anmerkungen zu einer bestimmten Kurzgeschichte verfasst hat, was das Leseerlebnis noch authentischer gestaltete. Dort weist er zum einen darauf hin, wieso es das Kapitel überhaupt in das Kurzgeschichtenwerk geschafft hat, da es eigentlich zu Vom Ende der Einsamkeit gehörte. Zum anderen macht er darauf aufmerksam, dass das (folgende) Kapitel vieles aufklärt und man als Leser*n selber entscheiden solle, ob man überhaupt näheres über diesen Charakter erfahren möchte.

Ich ziehe meinen Hut vor Benedict Wells und bin mir nun mehr als sicher, dass ich 1. jedes Buch von ihm und 2. zur Not auch seinen Einkaufszettel lesen möchte. Zum Zeitpunkt der vorletzten Leipziger Buchmesse konnte ich eine Lesung von ihm besuchen – alleine seine freundliche, offene, interessierte Art sorgte dafür, dass er zu einem Lieblingsautor für mich wurde. Er hat sich für jeden einzelnen Leser Zeit genommen, von seinen Werken geplaudert, Fotos machen lassen und fleißig signiert. Dabei ist anzumerken, dass er fragte, ob ich die zu signierenden Bücher bereits gelesen habe und wie sie mir gefallen haben. Daraufhin füllte er in beiden eine ganze Seite mit freundlichen, humorvollen Worten.

Fazit
Die Wahrheit über das Lügen enthält zehn ganz verschiedene Kurzgeschichten, die zum Nachdenken anregen und durch einzelne Aspekte im Gedächtnis bleiben. Eine wahrlich gelungene Mischung aus realen Themen, fantasievollen, teils skurrilen Aspekten und humorvollen Abschnitten.

Danke an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Veröffentlicht am 16.08.2018

Berührend, schockierend, wichtig.

Der Tätowierer von Auschwitz
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Kürzlich habe ich an einem Abend Der Tätowierer von Auschwitz gelesen. Jeden Tag denke ich an diese berührende Geschichte zurück. Und heute möchte ich euch gerne Gründe nennen, wieso auch ihr dieses Buch ...

Kürzlich habe ich an einem Abend Der Tätowierer von Auschwitz gelesen. Jeden Tag denke ich an diese berührende Geschichte zurück. Und heute möchte ich euch gerne Gründe nennen, wieso auch ihr dieses Buch lesen müsst.

Gegen das Vergessen

Bücher wie dieses bieten einen authentischen Einblick in eine schreckliche Zeit der Deutschen Geschichte. Ich finde es wichtig, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen und sie niemals zu vergessen, denn auch heutzutage gibt es immer wieder gesellschaftliche Aspekte, menschliche Taten, Äußerungen und Bewegungen, die punktuell an die Grausamkeiten der Nazizeit erinnern. Auch Heute werden einzelne Gruppierungen, Menschen anderer Herkunft, Sexualität, Religion ausgegrenzt, verfolgt, sogar getötet. Beim Lesen von Der Tätowierer von Auschwitz kam mir immer wieder ein bitterer Beigeschmack, denn ich erwischte mich selber dabei wie ich dachte: Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Und genau das sollte nicht so sein. Es soll nie wieder passieren. Somit finde ich es umso wichtiger, derartige Geschichten zu lesen, sich damit zu beschäftigen, eigene Äußerungen und Werte zu hinterfragen. Sich zu fragen, ob man Freunde verlieren möchte, nur weil sie „anders“ sind? Nur weil sie nicht „weiß sind“? Nur weil sie eine andere Religion leben? Möchte man selber in Angst leben? Angst davor, irgendwann abgeholt zu werden, weil man „anders“ ist und nicht in die gesellschaftliche Norm passt? Angst davor, verfolgt zu werden? Aus seiner Wohnung, seiner Stadt vertrieben zu werden? Geschichten gegen das Vergessen sind wertvoll & wichtig.

Geschichtliche Hintergründe

Ich persönlich muss zugeben, dass ich gar nicht genau weiß, wie es damals genau abgelaufen ist, was unter anderem daran liegt, dass dieses Thema nie im Unterricht behandelt wurde – die Französische Revolution hingegen sehr ausführlich, was ich bis heute absolut nicht nachvollziehen kann. Also, Bildungssystem, Schulen und Lehrer, bitte ändert etwas daran! Auch habe ich bisher nie eine KZ-Gedenkstätte besucht, was ich aber unbedingt nachholen will. Ich kann das, was geschehen ist, weder begreifen, noch fassen. Wie wurden Juden, Roma und andere Menschen, die von der damaligen Gesellschaft willkürlich unterdrückt wurden, deportiert und zur Arbeit unter menschenunwürdigen Umständen gezwungen? Wie lief es in den Lagern ab? Was mussten sie durchmachen, um irgendwie zu überleben? Nicht mal ansatzweise kann ich nachempfinden, was diese Menschen für Schmerzen, für ein Leid durchleben mussten. Und so auch Lale Sokolov, der Gefangene 32407, der Tätowierer von Auschwitz. Durch einen Zufall erhielt er den Job und hatte dadurch Privilegien, von denen andere Gefangene nur träumen konnten, und dabei geht es um Dinge, die wir als selbstverständlich ansehen – ein bequemes Bett, regelmäßige Mahlzeiten. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, hatte Glück im Unglück. Diese Erzählung zu lesen war für mich nicht leicht, sie ist mir sehr nahe gegangen, hat mich berührt, schockiert, sprachlos zurück gelassen. Tagelang habe ich mir Gedanken gemacht, mich gefragt, wie es so weit kommen konnte, und keine Antwort erhalten. Der Einblick, den Heather Morris als Autorin in diese Zeit anhand von Lales Erzählungen bietet, ist heftig, aber wichtig. Auch bietet das Buch einen Zugang zu geschichtlichen Hintergründen und fördert dadurch die Auseinandersetzung damit.

Rücksichtsloser Eigennutz?

Lale hat den Job als Tätowierer angenommen. Hätte ich genauso gehandelt? Ja. Hätte ich mich dafür geschämt? Sicherlich. Möchte ich darüber urteilen? Auf gar keinen Fall. Lale hatte die Aufgabe, den Häftlingen ihre Nummern auf die Unterarme zu tätowieren. Menschenunwürdig, unterdrückend, lebensrettend. Dadurch, dass der Tätowierer eine wichtige Aufgabe hatte, konnte er überleben. Darüberhinaus erhielt er Privilegien, die kein anderer Häftling bekam, es sei denn, er hatte ebenfalls eine wichtige Aufgabe für die Nazis. Aber Lale nutzte seine Position nicht nur für sich aus, sondern rettete auch andere Gefangene. Er brachte sich nicht nur einmal in Gefahr, wurde fast getötet, überlebte dann doch. Seine Geschichte ist schockierend wie faszinierend, mehrfach dachte ich: Jetzt ist es vorbei. Jetzt hat er seinen stillen Kampf verloren. Lale Sokolov schwieg über 50 Jahre lang, erst nach dem Tod seiner Frau Gita begann er, seine Lebensgeschichte zu erzählen, denn er hatte Angst, als Nazi-Kollaborateur bezeichnet zu werden.

Glaube an die Liebe

Lale Sokolov verlor nie den Mut. Aus jeder Situation schien er das Beste machen zu wollen. Und nachdem er seine Gita kennenlernte war für ihn klar: sie würden überleben. Sie würden heiraten und glücklich miteinander werden. Nichts konnte seinen Glauben daran erschüttern, keine noch so grausame Tat der Nazis entmutigte ihn. Und am Ende siegten Mut, Liebe und Menschlichkeit. Die Beziehung von Lale und Gita schien allen Häftlingen Hoffnung zu geben. Interessant fand ich, wie selbstlos viele von ihnen handelten, damit die beiden Kontakt halten konnten. Es gab sogar ein paar Momente, die humorvoll waren, gar hoffnungsvoll. Und dafür sorgte vor allem Lale und sein unermüdlicher Widerstand. Besonders berührend war das Nachwort von Gary Sokolov, dem Sohn der beiden, in dem er seinen eigenen Eindruck schilderte und einen Blick auf das „Danach“ bot. Auf die gemeinsame Zeit mit seinen Eltern, die für ihn stets voller Wärme, Liebe und Zuneigung gewesen sei.

Fazit

Der Tätowierer von Auschwitz berührt, schockiert, fasziniert, tut weh und gibt Hoffnung. Meiner Meinung nach sollte wirklich jeder dieses Buch lesen und sich mit der Thematik auseinandersetzen. Niemals darf diese schreckliche Zeit vergessen werden und niemals darf sie wiederkehren. Ich bin sehr dankbar für dieses Buch.

Vielen Dank an den Piper Verlag für das Rezensionsexemplar.

Veröffentlicht am 16.08.2018

Schonungslos ehrlich, authentisch, spannend.

Clean
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Dieses Mal gibt es die Rezension in Interviewform:

Welche (spoilerfreie) Szene ist dir am meisten im Kopf geblieben?

Ich werde vermutlich nicht vergessen, wie Lexi in die Klinik gekommen ist. Ihre Aufnahme ...

Dieses Mal gibt es die Rezension in Interviewform:

Welche (spoilerfreie) Szene ist dir am meisten im Kopf geblieben?

Ich werde vermutlich nicht vergessen, wie Lexi in die Klinik gekommen ist. Ihre Aufnahme dort erinnerte mich an die Aufnahmen der Kids, die notfallmäßig zu uns kommen, nur dass sie (in der Regel, aber mich schockt mittlerweile nichts mehr) nicht unter Drogen stehen und einen Entzug durchmachen müssen. Viel mehr geht es bei uns darum, Eigen- oder Fremdgefährdung zu reduzieren und die Krisensituationen gemeinsam zu bewältigen. Lexi wehrte sich total gegen die Aufnahme, wollte nicht bleiben, beleidigte und bedrohte die Mitarbeiter dort. Sie zeigte sich weder einsichtig, noch kooperativ, und genau das kommt mir sehr bekannt vor. Nach einiger Zeit konnte sie sich dann doch auf die Therapie einlassen und stellte fest, dass es gar nicht so schlimm ist, wie gedacht – was mich ebenfalls an meine Arbeit erinnert.

Was waren deine ersten Gedanken, als du das Buch beendet hast?

Ich war auf jeden Fall total beeindruckt aufgrund der unerwarteten Tiefgründigkeit, des metaphorischen, schonungslosen Schreibstiles und der Authentizität, die jeder einzelne Charakter und seine Geschichte mit sich gebracht hat. Die Sprache ist auf jeden Fall sehr derb – wie die Protagonistin Lexi selber zu Beginn. Das Buch ist keinesfalls eine locker leichte Jugendliteratur, denn es behandelt schwierige Themen wie Drogenmissbrauch, Essstörungen und selbstschädigenden Verhaltensweisen.

Hattest du das Gefühl, dass die Thematik entsprechend ernstzunehmend angegangen wurde?

Auf jeden Fall! Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, dass die geschilderten Aspekte oder Situationen verharmlost oder zu humorvoll dargestellt wurden, ganz im Gegenteil. Durch die schonungslos ehrliche Sprache kamen die Themen wahnsinnig authentisch, ernst, eindrucksvoll, teilweise dramatisch und vor allem glaubhaft rüber. Ich konnte mich gut in die Figuren hineinversetzen, allen voran Lexi, und fühlte mit ihnen mit – ob ich wollte, oder nicht.

Stimmt die Geschichte mit deinen Erwartungen überein?

Glücklicherweise habe ich so gut wie nie Erwartungen an Filme, Bücher und Serien, somit werde ich auch nur selten davon enttäuscht. Erhofft hatte ich mir jedoch eine jugendliche, berührende Geschichte, die mich thematisch mitreißt. Und genau so war es auch. Clean konnte mich sogar positiv überraschen, da ich nicht mit einer derartigen Wortkunst gerechnet hätte, es gab so viele ausgefallene, großartige Metaphern, dass mir die Post Its beim Lesen ausgegangen sind.

Wenn du Juno Dawson als Antwort auf dieses Buch einen Brief mit 5 Sätzen schreiben könntest, wie würde er aussehen? (FAZIT)

Liebe Frau Dawson,
ich danke Ihnen vielmals für diese eindrucksvolle Geschichte, die mich begeistern konnte. Ich schätze Ihre Recherchearbeit sowie Ihren Einsatz für die LGBTQ-Community. Jetzt bin ich auf jeden Fall sehr gespannt auf Ihre anderen Werke und werde sie sicherlich bald kaufen & lesen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass es noch viel mehr solcher Bücher gibt, die den Menschen ein Stück weit die Augen öffnen, die Auseinandersetzung fördern und ihnen derartige Themen näher bringen. Gerade die Authentizität, die Schonungslosigkeit und die bildhaften Vergleiche haben mich beeindruckt.

Danke an den Carlsen Verlag für das Rezensionsexemplar.

Veröffentlicht am 03.08.2018

Eine Heldengeschichte über Menschlichkeit und Nächstenliebe.

Am Seil
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Auf der Leipziger Buchmesse wurde uns dieser Titel vorgestellt. Alleine die kurze Beschreibung des Inhalts sorgte dafür, dass ich neugierig wurde. Dieser Teil der (deutschen) Geschichte besitzt für mich ...

Auf der Leipziger Buchmesse wurde uns dieser Titel vorgestellt. Alleine die kurze Beschreibung des Inhalts sorgte dafür, dass ich neugierig wurde. Dieser Teil der (deutschen) Geschichte besitzt für mich immer seinen Reiz, denn ich finde es sehr wichtig, sich damit auseinander zu setzen und nicht zu vergessen, was während des zweiten Weltkrieges passiert ist.

Auf 128 Seiten wird die ergreifende Geschichte des Kunsthandwerkers Reinhold Duschka erzählt, der in der Zeit des Naziterrors in Wien zwei Menschen rettete, indem er sie in seiner Werkstatt versteckt hielt. Er hat sich somit in große Gefahr gebracht, wirkte unglaublich mutig und selbstlos. Regina, deren Vater mit Duschka befreundet war, und ihre zu Beginn zehnjährige Tochter Lucia hielten sich vier Jahre lang in seiner Werkstatt in der Mollardgasse 85 a in Wien auf, arbeiteten für und mit ihm und bestritten einen Alltag, der stets von Emotionen wie Angst, kleinen Hoffnungsschimmern und Verzweiflung geplagt wurde, in einer beengten, eintönigen Atmosphäre. Reinhold Duschka versteckte die beiden nicht nur, er sorgte darüberhinaus dafür, dass Lucia Schulmaterialien erhielt, damit sie von ihrer Mutter, Doktor der Chemie, unterrichtet werden konnte. Mit den Produkten, die die beiden Frauen in der Werkstatt herstellten, verdiente Duschka ein wenig Geld, welches er wiederum in Nahrung für Regina und Lucia investierte.

Erzählt wird diese Geschichte auf der Grundlage Lucias Erinnerungen, und ruft eine dramatische, schwierige Zeit ins Gedächtnis. Gleichzeitig wird dadurch wieder deutlich, dass Intoleranz und Ausgrenzung auch heutzutage ein präsentes Thema in unserer Gesellschaft ist. Das Buch besitzt keine Kapitel, trotzdem gestaltete dies das Lesen nicht ermüdend oder anstrengend, im Gegenteil. Ich habe die Geschichte in einem Rutsch gelesen, konnte mich ihr nicht entziehen. Zwar wiegt die Thematik schwer, die Erzählung besaß jedoch aufgrund des angenehmen Schreibstils eine gewisse Leichtigkeit.

Im Untertitel auf dem Buch steht Eine Heldengeschichte – und genau das ist sie. Eine dramatische, emotionale, ergreifende Geschichte über einen Helden, der sich für zwei Menschen in Todesgefahr begeben hat, um ihnen letztendlich das Leben zu retten. An der Wand seiner Werkstatt wurde im April 2013 eine Gedenktafel für ihn angebracht, die hier gezeigt wird. Im März 1990 erhielt er eine Auszeichnung.

Fazit
Am Seil ist eine ergreifende Geschichte über einen stillen Helden, der in der Naziterror-Zeit zwei Menschen in seiner Werkstatt versteckt hielt und dadurch rettete. Die Erzählung gewährt einen authentischen Einblick in eine Zeit, die nicht vergessen werden darf.

Danke an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.