Profilbild von Readaholic

Readaholic

Lesejury Star
offline

Readaholic ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Readaholic über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.03.2019

Leben zwischen Ost und West

Was uns erinnern lässt
0

Die Anwaltsgehilfin Milla hat ein ausgefallenes Hobby: Lost Places, verlassene Orte. Als sie eines Tages im Thüringer Wald unterwegs ist, findet sie einen solchen Ort, den Keller eines ehemaligen Hotels, ...

Die Anwaltsgehilfin Milla hat ein ausgefallenes Hobby: Lost Places, verlassene Orte. Als sie eines Tages im Thüringer Wald unterwegs ist, findet sie einen solchen Ort, den Keller eines ehemaligen Hotels, in dem sich noch allerlei Habseligkeiten der früheren Bewohner befinden. Vom Hotel selbst ist nur noch Schutt vorhanden. Durch ein beschriftetes Schulheft erfährt Milla den Namen einer Familienangehörigen, Christine, und nimmt Kontakt mit ihr auf.
Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich schnell eine Freundschaft. Milla erfährt, dass Christines Familie in den 1950er Jahren aus ihrer Heimat im Sperrgebiet zwischen DDR und BRD vertrieben und zwangsumgesiedelt wurden. Wer die Umsiedlung veranlasst hat, wissen sie bis heute nicht. Nachforschungen, die Christines Tante Elvira angestellt hatte, verliefen im Sande, und auch eine Entschädigung hat die Familie nie erhalten.
Milla ist von der Geschichte fasziniert und beginnt ebenfalls damit, im Namen der Familie Nachforschungen anzustellen und Unterlagen anzufordern. Zusammen mit Christine sucht sie Zeitzeugen und ehemalige Freunde der Familie auf. Dabei entdeckt sie, dass der Verräter von damals ein ganz anderer ist als vermutet...
Das Buch behandelt ein interessantes Thema: das Leben einer Familie im Sperrgebiet zwischen Ost- und Westdeutschland. Es ist haarsträubend zu lesen, welchen Repressalien und Schikanen die Familie ausgeliefert war. So durften die Großeltern eines Tages nicht mit den Enkeln ins Sperrgebiet zurück, weil die Enkel nicht in ihren Ausweisen vermerkt waren. War der Schlagbaum unbesetzt, hieß es warten, bis sich der Beamte endlich blicken ließ. Wehe, man wagte es, ohne Kontrolle die Grenze ins Sperrgebiet zu passieren. Im nächsten Moment war der Beamte zur Stelle und nahm einen fest.
Das Buch liest sich größtenteils flüssig, doch teilweise ist die Geschichte unnötig in die Länge gezogen und trivial. Nach einem der vielen Stromausfälle weint Christines kleine Schwester im Dunkeln, woraufhin die große Schwester ihr den Nacken kitzelt, bis sie wieder lacht. Wie interessant...
Was mich ebenfalls genervt hat, war das Festhalten am wöchentlichen Ritual des Gästezimmer Putzens. Seit Jahren hat das Hotel Waldeshöh keine Gäste mehr gesehen, trotzdem werden jeden Samstag die Zimmer geputzt und die Betten frisch bezogen. Die Kinder hausen beengt in einem kleinen Kämmerchen, doch die Gästezimmer sind tabu. Ein für die nicht vorhandenen Gäste angeschaffter Badeofen steht neu herum, die Familie heizt das Badewasser mit der Waschmaschine. Alles nicht nachvollziehbar und für meine Begriffe ziemlich dumm.
Ob das Leben in der DDR sich tatsächlich so abgespielt hat, kann ich nicht beurteilen, es war aber auf jeden Fall sehr interessant, einen Einblick in das Leben einer Familie zu bekommen, die zunehmend isoliert und auf sich selbst gestellt im Grenzgebiet zwischen Ost und West lebte.

Veröffentlicht am 26.11.2018

Fünf sehr unterschiedliche Frauen

Als das Leben vor uns lag
0

Die Zwillinge Olga und Marta, sowie Lolita, Nina und Julia besuchen in den 1950er Jahren eine strenge Klosterschule in Spanien. Abends spielen sie gern ein Spiel, „Wahrheit oder Pflicht“, bei dem sich ...

Die Zwillinge Olga und Marta, sowie Lolita, Nina und Julia besuchen in den 1950er Jahren eine strenge Klosterschule in Spanien. Abends spielen sie gern ein Spiel, „Wahrheit oder Pflicht“, bei dem sich die pummelige und von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Olga Aufgaben einfallen lässt, die fast nicht zu bewältigen sind. Eines Abends geht alles schief und Julia muss die Schule verlassen.
30 Jahre lang haben die Mädchen keinen Kontakt, selbst die Zwillinge sind sich fremd. Dann hat Olga die Idee, ein Essen für alle zu geben, bei dem sie sich über die letzten Jahrzehnte austauschen können.
Schon im Vorfeld, aber vor allem bei dem Abendessen, erfährt der Leser viel über die einzelnen Personen, die vollkommen unterschiedliche Leben leben. Olga hat sich selbst neu erfunden, ist inzwischen schlank und modisch, außerdem gut verheiratet mit erwachsenen Kindern. Ihre Schwester Marta feiert als Kochbuchautorin Erfolge, Lolita hat erst spät geheiratet und ist inzwischen Witwe. Julia macht als erfolgreiche Politikerin Karriere und Nina definiert sich über ihren Sexappeal und ihre Liebhaber. Während zu Beginn des Abends jede noch versucht, sich möglichst erfolgreich und glücklich darzustellen, steigt mit dem Alkoholpegel auch die Ehrlichkeit und es kommt so manches ans Licht.
„Als das Leben vor uns lag“ ist ein Buch, das trotz einiger Längen gute Unterhaltung bietet, aber nicht zu den besten Büchern zählt, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Dafür ist es teilweise zu klischeehaft und oberflächlich. Die von Anfang an aufgebaute Spannung bezüglich des Abendessens läuft ins Leere. Meine diesbezüglichen Erwartungen wurden jedenfalls nicht erfüllt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Charaktere
  • Erzählstil
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 18.11.2018

Deutschland in den 1960er Jahren

Deutsches Haus
0

Eva Bruhns, eine 24jährige Dolmetscherin für Polnisch, erhält den Auftrag, für einen Gerichtsprozess zu dolmetschen. Es handelt sich dabei nicht um irgendeinen Auftrag, sondern um den ersten Auschwitz-Prozess ...

Eva Bruhns, eine 24jährige Dolmetscherin für Polnisch, erhält den Auftrag, für einen Gerichtsprozess zu dolmetschen. Es handelt sich dabei nicht um irgendeinen Auftrag, sondern um den ersten Auschwitz-Prozess im Jahr 1963. Ihre Eltern, die ein gutbürgerliches Gasthaus betreiben, und Evas Verlobter, der reiche Unternehmersohn Jürgen Schoormann, wollen sie von dem Vorhaben abbringen, doch Eva lässt sich nicht beirren.
Im Laufe des Prozesses erfährt Eva vieles über die unmenschlichen Grausamkeiten, die sich in Auschwitz abgespielt haben. Sie kann nicht verstehen, warum Jürgen und ihre Eltern so wenig Interesse daran zeigen. Jürgen versucht sogar, den vorsitzenden Richter davon zu überzeugen, dass Evas „Nervenkostüm“ zu schwach ist, um diese Aufgabe auf Dauer erfüllen zu können.
Als Leser bekommt man einen guten Einblick in das Deutschland der 1960er Jahre, in dem das Veto eines Verlobten gereicht hat, um einer Frau den Job wegzunehmen!
Das Buch behandelt einen wichtigen und dunklen Teil der deutschen Geschichte, aber manches ist für mein Empfinden doch sehr schwarz-weiß dargestellt. Man bekommt den Eindruck, dass die Deutschen ein Volk von bigotten Mördern, Mitläufern und anderen Verbrechern und Denunzianten sind. Selbst Jürgen und Evas Familie haben Schuld auf sich geladen. Diese Nebenschauplätze haben mir im übrigen nicht gefallen, vor allem die Geschichte um Evas Schwester war völlig überflüssig und irrelevant. Auch den Handlungsstrang um den jungen Juristen David Miller fand ich viel zu ausschweifend. Überhaupt nicht nachvollziehen konnte ich manche von Evas Beweggründen, zum Beispiel blieb mir ein Rätsel, was sie an Jürgen fand, der abgesehen von seinem Reichtum so gar nichts zu bieten hatte. Auch ihr Verhalten den Eltern gegenüber konnte ich nicht verstehen.
Deutsches Haus ist sicherlich ein lesenswertes und gut recherchiertes Buch, wenn man sich mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen will, doch mit den vielen Nebenschauplätzen hat sich die Autorin ein wenig verzettelt.

Veröffentlicht am 04.09.2018

Gegensätzliche Kulturen

Als die Tage nach Zimt schmeckten
0

Die achtzehnjährige Noor und ihr Bruder werden vom verwitweten Vater zum Studium in die USA geschickt, weil er für sie in ihrem Heimatland Iran keine Zukunft sieht. Obwohl es am Anfang sehr schwer für ...

Die achtzehnjährige Noor und ihr Bruder werden vom verwitweten Vater zum Studium in die USA geschickt, weil er für sie in ihrem Heimatland Iran keine Zukunft sieht. Obwohl es am Anfang sehr schwer für sie ist, lebt Noor sich gut ein, heiratet und bekommt eine Tochter. Jahre später findet Noor ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag heraus, dass ihr Mann sie betrügt. Daraufhin beschließt sie, mit ihrer Tochter Lily, inzwischen ein Teenager, für einen Besuch nach Teheran zurückzukehren, wo ihr Vater Zod immer noch ein Restaurant, das Café Leila, betreibt.
Lily ist alles andere als begeistert von dem Gedanken, Kalifornien für den Sommer zu verlassen und will zunächst nichts von der fremden Kultur und den ihr unbekannten Menschen wissen. Für Noor tauchen Kindheitserinnerungen auf, schöne und weniger schöne. In diesem zweiten Teil des Romans schwelgt die Autorin seitenweise in Rezepten, Gewürzen und Gerüchen und manche des Szenen gleiten ein wenig ins Kitschige ab. Hier wäre definitiv weniger mehr gewesen. Ich habe mich durch diese Seiten gequält und war kurz davor, das Buch wegzulegen.
Doch dann wird die Handlung wieder interessanter. Wir erfahren die schlimmen Umstände von Noors Mutters Tod und dass es um die Gesundheit des Vaters nicht zum Besten steht. Zum Ende des Romans nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung. Alles in allem ein Roman, den man lesen kann, aber nicht unbedingt lesen muss. Ich hatte mir jedenfalls mehr davon versprochen.

Veröffentlicht am 28.08.2018

Was geschah in jenem Sommer?

Summer
0

Benjamin Wassner ist vierzehn, als seine neunzehnjährige Schwester Summer eines Tages spurlos vom Ufer des Genfer Sees verschwindet. Für Familie Wassner, einer glamouröse Familie, deren Partys legendär ...

Benjamin Wassner ist vierzehn, als seine neunzehnjährige Schwester Summer eines Tages spurlos vom Ufer des Genfer Sees verschwindet. Für Familie Wassner, einer glamouröse Familie, deren Partys legendär sind, ist fortan nichts mehr wie zuvor. Die Freunde ziehen sich zurück als ob das Unglück ansteckend wäre. Am härtesten trifft es Benjamin, dessen Leben völlig aus den Fugen gerät.
Auch 24 Jahre später scheint das Verschwinden der Schwester, von der es nach wie vor keine Spur gibt, immer noch das beherrschende Thema in seinem Leben zu sein. Er hat Albträume, in denen ihm Summer erscheint und Wasser eine große Rolle spielt, er riecht unangenehme Gerüche und ist nicht mehr in der Lage zu arbeiten.
Endlich stellt er sich der Vergangenheit und beginnt auf eigene Faust herauszufinden, wer Summer war und was mit ihr geschah. Viel zu lange hat er die Augen verschlossen vor Dingen, die sich vor seinen Augen abspielten. Dabei muss er feststellen, dass seine Eltern ihm vieles verschwiegen haben. Das Bild des heilen Familienlebens vor Summers Verschwinden bekommt Risse.
Monica Sabolo versteht es sehr gut, atmosphärisch dichte Stimmungen zu beschreiben. Was mich allerdings kolossal gestört hat, sind die unzähligen ungewöhnlichen, teilweise absurden Metaphern und Vergleiche, mit denen der Roman regelrecht überfrachtet ist. Es kommt mir vor, als wollte die Autorin um jeden Preis originell sein. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Das Ende des Romans kam für mich überraschend, doch konnte ich die Auflösung, was mit Summer wirklich geschah, nicht wirklich nachvollziehen.