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Veröffentlicht am 25.01.2019

Aus der Lethargie zum Aktionismus

Die Farben des Feuers
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Am Tag der Beerdigung ihres Vaters widerfährt Madeleine Péricourt, Alleinerbin eines mächtigen Bankimperiums, ein nächster Schicksalsschlag: ihr kleiner Sohn Paul stürzt sich aus einem Fenster und sitzt ...

Am Tag der Beerdigung ihres Vaters widerfährt Madeleine Péricourt, Alleinerbin eines mächtigen Bankimperiums, ein nächster Schicksalsschlag: ihr kleiner Sohn Paul stürzt sich aus einem Fenster und sitzt seitdem im Rollstuhl. Zunächst konzentriert sich Madeleine auf mögliche Therapien, aber merkt bald, dass es keine durchgreifende Hilfe gibt. Sie verfällt in eine Art Lethargie, findet an nichts mehr Interesse, außer Pauls Pflege. Sie verlässt sich auf ihre Angestellten, vertraut ihnen voll und ganz und merkt erst, als es bereits zu spät ist, dass alle nur an ihr persönliches Wohl gedacht haben, sie hintergangen und belogen haben, voller Habgier und Neid, sogar ihre engsten Verwandten. Alle haben sich ihren Anteil an Madeleines Vermögen gesichert und viel bleibt nicht mehr übrig.
Irgendwann realisiert Madeleine, dass sie keinem mehr vertrauen kann und im Prinzip allein mit Paul ist, und sie schmiedet Pläne, um das, was ihr gehört, zurückzubekommen und sich an ihren Ausbeutern zu rächen. Ihre Strategien sind wohl durchdacht, nahezu perfide, und überraschen den Leser durch ihre Niederträchtigkeit.
Der Schreibstil des Autors ist zunächst gewöhnungsbedürftig, denn es werden verschiedene Handlungsstränge einfach hintereinander gesetzt, ohne Unterteilung. Vielleicht will der Autor damit andeuten, wie intensiv alles miteinander vernetzt ist. Die Beschreibungen sind sehr detailliert, bisweilen auch etwas langatmig, wenn es zu sehr in die Feinheiten geht. Sehr überraschend war für mich, dass der Autor bisweilen den Leser direkt anspricht, das hat mir gut gefallen. Man muss sich an diesen Stil zunächst gewöhnen, auch an die vielen Namen, die einen zunächst erschlagen, aber dann liest sich der Roman fließend und auch spannend. Die Spannung rollt langsam an, wird dann aber bei Madeleines verzwickten Aktionen teilweise zum Psychokrimi.
Außerdem baut der Autor etliche humorvolle Elemente in seinen Roman ein, die unterhalten und einen zum Schmunzeln bringen. Teilweise sind es Missverständnisse, oder Beschreibungen, z.B. die Erläuterungen zu Charles Töchtern, aber auch überraschende Reaktionen, die geradezu schelmisch rüberkommen.
Die Protagonistin Madeleine ist mir sehr sympathisch, auch wenn ihre Rachegelüste recht charakterlos sind. Denn anstatt sich ihrem Schicksal zu unterwerfen, was in dieser Zeit des frühen 20. Jahrhunderts nicht unüblich war, verfällt sie in einen rasanten Aktionismus, um sich ihr Recht zu verschaffen. Sie rebelliert gegen die Überheblichkeit der Männerwelt und zeigt ihre Stärke. Manche ihrer Aktionen wirken jedoch zu konstruiert, da fehlt die Authentizität. Aufgrund dieser fehlenden Glaubhaftigkeit und der zeitweiligen Langatmigkeit ziehe ich einen Stern ab.
Trotzdem empfehle ich das Buch gern weiter, da es mir einen interessanten Einblick in die gesellschaftlichen Wirrungen der damaligen Zeit gegeben hat und mich gut unterhalten hat.

Veröffentlicht am 02.01.2019

Krimi mit historischer Milieuschilderung der 20er

Herbststurm
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Vordergründig geht es in diesem Krimi um die Aufklärung zweier Mordfälle, beide Opfer waren Angehörige eines Freikorps, die offenbar miteinander verknüpft sind, und um die Suche nach einer jungen Russin ...

Vordergründig geht es in diesem Krimi um die Aufklärung zweier Mordfälle, beide Opfer waren Angehörige eines Freikorps, die offenbar miteinander verknüpft sind, und um die Suche nach einer jungen Russin aus zaristischen Kreisen, die seit längerer Zeit in München lebt. Der Krimi kam langsam in Schwung, nahm dann aber Fahrt auf und präsentierte ein überraschendes, aber nachvollziehbares Ende.
Was mich beeindruckt hat, ist die Milieuschilderung dieser Zeit. Darüber wußte ich sehr wenig, am ehesten hatte ich Kenntnisse über die Auswirkungen der Inflation für den kleinen Mann. Sehr überrascht hat mich die große Rolle, die Exil-Russen im damaligen München spielten, und dass bereits zu dieser Zeit Hitler und seine Parolen in Erscheinung traten. Mir ist klar geworden, dass es sehr schwierig war, in dieser Zeit zu leben, denn Feinde fanden sich überall. Hier hat die Autorin hervorragende Recherchearbeit betrieben!
Der Schreibstil war manchmal etwas anstrengend, besonders in den Hintergrundschilderungen musste ich manchmal etwas zweimal lesen. Gefesselt hat mich das Buch aber trotzdem, ich habe immer gern weitergelesen.
Mein Lieblingsprotagonist ist der Ermittler Korbinian Rattler. Er geht schon mal eigene Wege und folgt seinem Gespür, ohne dies mit seinem Vorgesetzten Reitmeyer abzusprechen. Als besonders gelungen empfand ich die Szenen mit Larissa, seiner Russischlehrerin, in die er sich abgrundtief verliebt, die ihn aber, wie man schnell merkt, nur benutzt. Die Autorin hat die Beziehung zwischen den beiden so phänomenal beschrieben, dass ich mich immer gefreut habe, wenn wieder eine solche Szene kam. Reitmeyer hat mich nicht so überzeugt, vielleicht liegt es daran, dass ich die Vorgängerbände nicht kenne.
Ich empfehle das Buch jedem, der historisch interessiert ist, denn hier bekommen wir mehr Informationen über die damalige bewegte Zeit als in so manchem Geschichtsbuch, sowie denjenigen, die an solider Krimikost mit einleuchtenden Tatmotiven interessiert sind.

Veröffentlicht am 02.12.2018

Krieg und Frieden im stillen Eifeldorf

Eifel-Trilogie / Die Stille im Dorf
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Das Buch beginnt im zweiten Weltkrieg, schon fast beendet, aber immer noch sehr bedrohlich, und macht uns bekannt mit der Familie des Ortsvorstehers Johann. Man könnte meinen, hier sei die Welt noch halbwegs ...

Das Buch beginnt im zweiten Weltkrieg, schon fast beendet, aber immer noch sehr bedrohlich, und macht uns bekannt mit der Familie des Ortsvorstehers Johann. Man könnte meinen, hier sei die Welt noch halbwegs in Ordnung, aber auch hier gibt es Lug und Trug, Bespitzelungen, Neid, Eifersucht usw., menschliche Verhaltensweisen im sozialen Miteinander. Aus der Reihe fällt Margarete, die Tochter von Johann, denn sie hat große Träume. Sie ist verliebt in Niklas, der z.Zt. an der Front ist, und möchte mit ihm eine Familie gründen, und sie möchte gemeinsam mit ihrer Familie die Welt kennenlernen. Aber alles kommt anders, als Niklas im Krieg fällt.....
Karl Blaser lässt uns teilhaben am Leben der Dorfbewohner, er beschreibt die Atmosphäre und die Lebensgewohnheiten so intensiv und wortgewaltig, dass man das Gefühl hat, ein stiller Beobachter im Dorf zu sein. Der Schreibstil ist flüssig und trägt einen problemlos durch die Handlung. Man ist auch richtig gespannt darauf, das ein oder andere Schicksal weiter zu verfolgen. Gleichzeitig ist man schockiert bei so manchem Kummer, der den Protagonisten widerfährt. Teilweise traten mir die Tränen in die Augen und ich habe über die Sinnlosigkeit des Krieges nachgedacht.Am Ende des Buches tat es mir tatsächlich leid, von den Dorfbewohnern Abschied nehmen zu müssen .....ich habe noch länger über die Schicksale reflektiert.
Gleichzeitig hat mich auch der historische Hintergrund beeindruckt, viele der Probleme, die sich durch den Krieg ergaben, waren mir nicht bewusst. Und wir verfolgen das Leben der Dorfbewohner bis nach der Wende, auch dort sind Hintergrundinformationen für mich neu gewesen.
Was mir nicht gefallen hat, war die Geschichte mit Alexandre, Margaretes Sohn. Dieser Charakter ist für mich total überzogen dargestellt und unglaubhaft. Auch die beiden pensionierten Lehrer, die Alexandre aufspüren, wirken eher belustigend auf mich als authentisch. Das passt nicht zum übrigen Buch! Teilweise sind diese Szenen auch widersprüchlich, auf der einen Seite der überall gerühmte Meisterkoch, dann plötzlich der verarmte Restaurantbesitzer.
Auch hätten so einige Fehler, sowohl in der Rechtschreibung als auch in der Satzkonstruktion, verbessert werden sollen.
Insgesamt gebe ich 4 Sterne für ein Buch, das mir weitgehend gut gefallen hat und das ich gern gelesen habe. Ich empfehle es jedem, der sich gern in menschliche Schicksale vertieft und diese auch in Relation zum historischen Hintergrund sehen möchte.

Veröffentlicht am 18.11.2018

Auf dem Weg zur Erlösung

Der Narr und seine Maschine
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Der Detektiv Tabor Süden gilt als Spezialist, wenn es darum geht, Vermisste aufzuspüren. Nach einem Todesfall im Laufe einer Ermittlertätigkeit beschließt er, seinem alten Leben den Rücken zuzuwenden. ...

Der Detektiv Tabor Süden gilt als Spezialist, wenn es darum geht, Vermisste aufzuspüren. Nach einem Todesfall im Laufe einer Ermittlertätigkeit beschließt er, seinem alten Leben den Rücken zuzuwenden. Er macht sich auf den Weg zum Bahnhof, um alles hinter sich zu lassen. Aber seine Chefin holt ihn zurück mit einem Auftrag: er soll einen vermissten Schriftsteller finden: Cornelius Hallig.
Dieser hat seinen Wohnplatz einfach verlassen, ohne jemandem Bescheid zu geben, und ist einfach verschwunden. Bevor er zum Schriftsteller wurde, führte er ein einsames Leben gemeinsam mit seiner alleinerziehenden Mutter, zu der er bis zu ihrem Tod ein sehr enges Verhältnis hatte. Seit seine Mutter nicht mehr lebt, ist sein Leben noch sinnloser geworden. Schon früher als Kind wurde er malträtiert und ist immer einsam geblieben.
Beide Protagonisten haben also eines gemeinsam: sie wollen ihr bisheriges Leben verlassen, werden aber zurückgeholt bzw. sollen es werden. Kann Tabor Süden sich so in Halligs Gedanken- und Gefühlswelt hineinversetzen, dass er ihn aufspürt? Seine Ermittlungsmethoden sind wirklich eigentümlich.
Am Anfang habe ich mich schwergetan, in das Buch hineinzufinden. Teilweise wusste ich nicht sofort, ob von Süden oder Hallig die Rede war, und musste zunächst einige Passagen zweimal lesen. Schließlich konnte ich mich aber doch mit dem Erzählstil anfreunden und habe die detaillierten Beschreibungen genossen. Man fühlt sich in eine andere Welt hineinversetzt, in der es viele Abgründe und Hindernisse gibt, Finsternis und Einsamkeit, bis hin zur Ausweglosigkeit.
Es handelt sich hier nicht um einen Action-Thriller, sondern in meinen Augen um tiefgehende Charakterstudien und -analysen. Je mehr ich in dieses Geschehn vordrang, desto interessanter wurde es für mich, ich wollte meine Lektüre nicht mehr unterbrechen. Allein schon die Sprache fasziniert, wenn man erstmal Zugang gefunden hat. Die Namenwahl hat mich ebenso beeindruckt, z.B.Inka Wels oder Bruna Glock. Eigensinnige Namen, genau wie die Menschen, die damit leben.
Ich gebe 4 von 5 Sternen, weil ich am Anfang nur langsam hineinfand, und spreche für Freunde anspruchsvoller Literatur eine klare Leseempfehlung aus.

Veröffentlicht am 05.09.2018

Das Ende der Leichtigkeit

Summer
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Ein abwechslungsreiches Leben in einer prachtvollen Villa am Genfer See, viele Feste, viele Freunde, viele Aktivitäten am und im Wasser, ein beruflich erfolgreicher Vater, eine schöne Mutter, eine hinreißende ...

Ein abwechslungsreiches Leben in einer prachtvollen Villa am Genfer See, viele Feste, viele Freunde, viele Aktivitäten am und im Wasser, ein beruflich erfolgreicher Vater, eine schöne Mutter, eine hinreißende Schwester von 19 Jahren - das alles sind Attribute, die Benjamins Leben beschreiben könnten, bevor ein schwerer Schicksalsschlag alles auf den Kopf stellt. Seine von ihm verehrte und bewunderte Schwester Summer verschwindet spurlos und beendet das sorglose und oberflächliche Leben der ganzen Familie.
Monica Sabolo beschreibt in ihrem Roman die verzweifelten Versuche Benjamins, wieder Klarheit in seine Welt zu bringen, denn alle seine Gedanken drehen sich nur um Summers Verschwinden. Wo könnte sie sein? Warum ist sie gegangen? Lebt sie noch? Ist sie entführt worden? In dieser kritischen Zeit lebt Benjamin teilweise in einer grausamen Fantasiewelt, die aus glitschigen Fischen, Algen, tödlichen Wellen und saugenden Wasserpflanzen besteht. Mit Hilfe dieser Metaphern schafft die Autorin eine düstere und bedrohliche Atmosphäre, die Benjamins Trauma umgibt.
Der Schreibstil gefällt mir sehr gut, er ist bildhaft, abwechslungsreich und sehr präzise. Die langen Satzverschachtelungen passen wunderbar zu der verfahrenen Situation. Ich mag solche Sätze, auch wenn ich ab und an das Geschriebene zweimal lesen muss.
Der Spannungsaufbau geschieht direkt von Anfang an, wird aber in der Mitte des Buches leider weniger, z.B. durch die langatmigen Sitzungen bei Benjamins Therapeuten oder die ständig wiederkehrenden Furchtmetaphern, die auf Dauer langweilen. Das ist schade, aber gegen Ende nimmt die Spannung wieder zu und gipfelt in einem überraschenden Ende.
Dieses Buch handelt von dem spurlosen Verschwinden eines jungen Mädchens, aber es ist in erster Linie kein Krimi, auch kein Psychokrimi, sondern eher eine Auseinandersetzung mit Benjamins stark strapazierter Gefühlswelt und seiner Sehnsüchte, bis es ihm schließlich gelingt, seinen traumatisierenden Erfahrungen zu entkommen.
Das Buch ist eine empfehlenswerte, aber keinesfalls leichte Lektüre. Sie wirkt noch nach und macht nachdenklich.