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Veröffentlicht am 20.01.2019

Ein Buch, das den Leser nicht so schnell wieder loslässt

Stella
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Friedrich ist Schweizer und für seine Mutter eine Enttäuschung, seit er als Kind durch eine Verletzung farbenblind geworden ist. Denn die große Karriere als Maler scheint ihm nun verwehrt zu bleiben. Im ...

Friedrich ist Schweizer und für seine Mutter eine Enttäuschung, seit er als Kind durch eine Verletzung farbenblind geworden ist. Denn die große Karriere als Maler scheint ihm nun verwehrt zu bleiben. Im Jahr 1942 entschließt er sich, auf Kosten seiner reichen Eltern nach Berlin zu gehen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Als er die geheimnisvolle Kristin kennenlernt, ist er von ihr fasziniert und beginnt, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Doch er muss bald feststellen, dass sie etwas entscheidendes vor ihm verheimlicht.

Mir war die historische Person Stella Goldschlag vor der Lektüre nicht bekannt, weshalb ich ohne konkrete Erwartungen in die Geschichte einstieg. Zunächst lernt man als Leser den jungen Erwachsenen Friedrich kennen, der jahrelang von seiner Mutter misshandelt wurde. Denn seit er farbenblind wurde versucht diese, ihm das Handicap auszutreiben, als sei es nur eine Einbildung, damit er doch noch ein gefeierter Maler werden kann. Nun ist er endlich alt genug, um das Elternhaus zu verlassen. Während seine Mutter die Nazis unterstützt und sein Vater dagegen hält und die jüdische Köchin vor der Entlassung bewahrt, liest Friedrich Fontane und entscheidet sich schließlich ausgerechnet für Berlin als Reiseziel.

In der deutschen Hauptstadt angekommen besucht Friedrich eine Kunstschule und findet sich gleich beim Aktzeichnen wieder. Die Model sitzende Frau fasziniert ihn, und so folgt er ihrer Einladung, sie singen zu hören – ausgerechnet verbotene Jazzmusik. Sie scheint unbedarft und ein wenig naiv, lebt in den Tag hinein und lässt sich von Friedrich rundum versorgen. Dieser weiß gar nicht so recht, wie ihm geschieht und liest ihr eifrig jeden Wunsch von den Lippen ab, um ihn mit dem Geld seiner Eltern zu finanzieren.

Lange Zeit ist nicht klar, wo die Geschichte hinsteuert. Bald jedoch werden erste historische Zeugenaussagen abgedruckt, in dem es darum geht, dass eine Angeschuldigte für die Deportation von Juden gesorgt hat. Diese bedrückenden Einschübe passen anfangs nicht zum restlichen Geschehen, auch wenn man bald eine Ahnung entwickelt, was vor sich geht, wenn einem die Hintergründe nicht sowieso schon bekannt sind. Schließlich häufen sich die Hinweise auf ein weitreichendes Geheimnis, das auch Friedrich nicht länger ausblenden kann.

Dem Buch gelingt es, den Kontrast deutlich zu machen zwischen Zeugenaussagen, die eine eiskalte Gestapo-Kollaborateurin beschreiben und einer unbedarft agierenden Frau, die gern Männer um den Finger wickelt und sich um ihre Eltern sorgt. Liest man die Schilderungen des Protagonisten, dann stellt sich die Frage, wie sehr er von Beginn an die Augen verschließt oder gewisse Dinge nicht wahrhaben will, und inwiefern Stella selbst nicht realisiert, welche Konsequenzen ihr Handeln hat.

Wie weit geht man, um die zu retten, die man liebt? Wie weit geht man, um die zu schützen, die man ins Verderben laufen sieht? Sind die Tränen und die Verzweiflung nur ein Schauspiel oder echt? Was ist der wirkliche Antrieb für die Handelnden? Auf Fragen wie diese gibt Takis Würger in seinem Text keine Antworten, sondern durch die Perspektive Friedrichs und die Zeugenaussagen genügend Material, um sich als Leser selbst ein Bild zu machen. Dabei würdigt er die historischen Fakten und reichert sie soweit mit Fiktion an, dass eine emotionale und lebendige Geschichte entsteht, die nachdenklich stimmt. Diese hat mich auch nach dem Lesen nicht losgelassen, sodass ich mich noch intensiver über Stella Goldschlag, ihre erschreckenden Handlungen und ihre Selbsteinschätzung als Opfer informiert habe. Mit „Stella“ hat der Autor ein gelungenes Buch für diese historische Person geschaffen, deren Motivation für ihr schreckliches Handeln nie ganz geklärt werden konnte.

Veröffentlicht am 20.01.2019

Lebensgefühle der Millenials

Cat Person
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Die Studentin Margot lässt sich auf den deutlich älteren Robert ein, nachdem dieser sie bei ihrer Arbeit im Kino angeflirtet hat. In seinen Handynachrichten wirkt er locker und witzig, doch im echten Leben ...

Die Studentin Margot lässt sich auf den deutlich älteren Robert ein, nachdem dieser sie bei ihrer Arbeit im Kino angeflirtet hat. In seinen Handynachrichten wirkt er locker und witzig, doch im echten Leben stellt er sich ungelenk an. Sie will sich unwiderstehlich fühlen, doch er stößt sie zunehmend ab, sodass sie ihn nach dem ersten Sex nicht wiedersehen will. Hätte Margot trotz ihrer Zweifel so weit gehen sollen? Was sagt Roberts Reaktion über ihn aus? Fragen wie diese löste „Cat Person“ bei mir aus, die Kurzgeschichte der Autorin, die einen viralen Hype auslöste.

Neben dieser sind elf weitere Storys im Buch enthalten. Da geht es zum Beispiel um einen Herzensbrecher, der eigentlich nur nett sein wollte. Ein Paar, das seinen Couchgast beim Sex lauschen lässt oder einem Tinder-Date mit masochistischen Vorlieben. Einem kleinen Mädchen, das sich etwas Böses wünscht. Einer Frau mit einer mysteriösen Hautkrankheit, der alle sagen, dass es psychisch bedingt ist. Einer anderen, die mithilfe eines Zauberspruchs einen Mann heraufbeschwört und entscheiden muss, was sie mit ihm macht. Und schließlich einer Frau, die beharrlich vom Gedanken verfolgt wird, ihren neuen nervigen Kollegen zu beißen.

Was mich an dieser Sammlung von Storys begeistert hat ist die thematische Vielfalt und vor allem das Geschick, mit dem es der Autorin gelingt, ganz besondere Gefühle zu beschreiben. Zum Beispiel den Reiz des Verbotenen; ein scheinbar unstillbares Verlangen; das Gefühl der Ohnmacht in Anbetracht eines nicht greifbaren Kontrahenten; das Verrennen in eine fixe Idee oder das Gefühl, aus Versehen in einer Beziehung gelandet zu sein und nicht zu wissen, wie man aus der Nummer elegant herauskommt.

Die Ausgangspunkte der Geschichten sind meist alltäglich und die anfänglichen Entwicklungen nicht allzu abwegig. Doch schließlich überschreitet die Autorin immer wieder bewusst Grenzen, sie holt den Leser mit verstörenden und dunklen Szenen aus seiner Komfortzone und bringt ins Nachdenken. Dabei enden die Geschichten oft im Dramatischen und teils Surrealen, andere mit einem Augenzwinkern.

Die Mehrheit der Storys hat ein recht klares Ende und jede von ihnen ist alles andere als langweilig. Mir haben manche Geschichten deutlich besser gefallen als andere und bei einigen war ich schlichtweg verwirrt und fragte mich, was genau das jetzt sein sollte. Aber immer wieder trafen die beschriebenen Szenen bei mir einen Nerv und resonierten. Die Autorin übertreibt oft bewusst und fängt dabei gleichzeitig die Lebensgefühle der Generation der Millennials ein. Aus meiner Sicht ist für jeden Leser etwas dabei und ich tippe darauf, dass jeder einen anderen Favoriten haben wird. Insgesamt eine wirklich gelungene Sammlung von Storys, die ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 16.12.2018

Ein Sommer in Speziale ist erst der Anfang dieses emotional packenden Romans

Den Himmel stürmen
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Jeden Sommer fährt Teresa gemeinsam mit ihrem Vater von Turin in den Süden nach Speziale, um dort einige Wochen im Haus ihrer Großmutter zu leben. Dort wecken die Nachbarjungen Bern, Tommaso und Nicola ...

Jeden Sommer fährt Teresa gemeinsam mit ihrem Vater von Turin in den Süden nach Speziale, um dort einige Wochen im Haus ihrer Großmutter zu leben. Dort wecken die Nachbarjungen Bern, Tommaso und Nicola ihr Interesse. Die drei gehen nicht zur Schule, sie werden auf dem Hof unterrichtet und helfen dort tatkräftig mit. Teresa taucht ein in ihr Leben und fiebert anschließend das ganze Jahr auf den nächsten Sommer hin. Schließlich beginnt sie eine heimliche Beziehung mit Bern. Doch im folgenden Sommer scheint er spurlos verschwunden, irgendetwas ist vorgefallen. Aber was? Nach mehreren Jahren Unterbrechung kommt Teresa schließlich wieder nach Speziale und trifft eine folgenreiche Entscheidung.

Gleich zu Beginn des Buches erlebt der Leser an Teresas Seite den Moment, an dem sie die drei Jungen vom Nachbargrundstück das erste Mal sieht. Sie sind nachts in ihren Pool eingedrungen und haben sich dort nackt ins Wasser gestürzt. Ihr Vater und der Hausmeister vertreiben sie, und so sieht Teresa Bern, Tommaso und Nicola am nächsten Morgen wieder, als sie kommen, um sich zu entschuldigen. Ich konnte ihre Neugier, mehr über die wagemutigen Nachbarjungs herauszufinden, gut nachvollziehen.

Das Leben auf dem benachbarten Hof fasziniert Teresa, die aus wohlsituierten Verhältnissen kommt. Dort muss jeder mit anpacken, damit sie sich möglichst selbst versorgen können. Die Jungen gehen nicht zur Schule, sondern werden von ihrem religiösen (Pflege-)Vater selbst unterrichtet. Teresas Vater und Großmutter beobachten mit Argwohn, wie sie dort immer mehr Zeit verbringt, ihnen sind die Nachbarn, die sich verhalten wie in einer Sekte, suspekt.

Das Buch macht viele Zeitsprünge und nimmt den Leser zunächst mit von Sommer zu Sommer. Die Charaktere werden älter und zwischen Teresa und Bern bahnt sich etwas an. Doch nicht alles läuft so, wie sie es sich vorstellt. Es kommt zu einem ersten Bruch in der Geschichte, als Teresa den Hof im folgenden Sommer verändert und ohne Bern vorfindet. Hier wird schließlich ein Perspektivenwechsel eingeschoben: Jahre später füllt Tommaso rückblickend Teresas lückenhaftes Wissen darum, was in der Zwischenzeit geschehen war. Allmählich kommt ans Licht, dass manche Geheimnisse jahrelang gehütet und fatale Ereignisse verschwiegen wurden.

Zurück in der Vergangenheit sind die Charaktere erwachsen geworden und müssen wegweisende Entscheidungen im Hinblick auf ihr berufliches Leben treffen. Teresa entschließt sich zum Entsetzen ihrer Eltern dazu, bis auf Weiteres in Speziale zu bleiben. Dort versucht sie mit anderen, mit begrenzten Mitteln ein möglichst naturverbundenes Leben zu führen. Doch auch diese Konstellation erweist sich als fragil. Unterschiedliche Vorstellungen, wie weit man für seine Überzeugungen gehen sollte, trennen die Charaktere erneut.

Der Autor erzählt eine Geschichte von Zusammenhalt und Liebe, dem Streben nach einem selbstbestimmten Leben und Verbundenheit, die zum Verhängnis werden kann. Neugierig las ich weiter, um zu erfahren, ob die Charaktere das erreichen werden, wonach sie streben. Die Atmosphäre wird dabei immer düsterer, denn manche Fehlentscheidungen lassen sich nicht wieder gutmachen. Die Beteiligten müssen mit den Konsequenzen leben und so treten Themen wie das Auseinanderleben und Loslassen ebenso wie Reue und Zorn in den Vordergrund. Wer wird vergeben können, und zu welchem Preis? Mich konnte das Buch emotional packen und begeistern. Sehr gerne empfehle ich diesen Roman weiter!

Veröffentlicht am 16.12.2018

Es geht etwas vor sich in dieser Bungalowsiedlung der 80er Jahre

Kampfsterne
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„Kampfsterne“ von Alexa Hennig von Lange nimmt den Leser mit in eine Bungalowsiedlung in den 80er Jahren. Nach außen hin will man den schein der Vorstadtidylle aufrecht erhalten, in der jedes Kind ein ...

„Kampfsterne“ von Alexa Hennig von Lange nimmt den Leser mit in eine Bungalowsiedlung in den 80er Jahren. Nach außen hin will man den schein der Vorstadtidylle aufrecht erhalten, in der jedes Kind ein Instrument lernt und seine Sonderbegabung gefördert wird, die Mutter am Herd die besten Kuchen zaubert und der Vater arbeiten geht und die Familie beschützt. Doch hinter dieser Fassade findet man eine ganz andere Realität. Die Autorin lässt verschiedene Kinder und Eltern zu Wort kommen. Jeder hat seinen ganz eigenen Blick auf die Situation. Da ist zum Beispiel kleine Lexchen, das alles wunder-wunderschön findet, aber auch weiß, dass ihre Mutter Ulla geschlagen wird und ihre große Schwester Cotsch, die sich von allen verarscht fühlt und in den Augen von Ullas Freundin Rita gefährlich wie ein fliegender Kampfstern ist. Rita, die auf Ullas Leben neidisch ist und für ihre eigene Familie keine Liebe übrig hat. Der Autorin gelingt es, die Figuren lebendig werden zu lassen und ließ mich in menschliche Abgründe blicken. Scheinbar unausweichlich steuert alles auf eine Katastrophe hin. Ich fand es spannend, die Ereignisse aus so vielen verschiedenen Blickwinkeln zu sehen, durch welche die unterschiedliche Wahrnehmung der Kinder und Eltern und ihre Meinung übereinander ans Licht kommen.

Veröffentlicht am 16.12.2018

Große Leseempfehlung!

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam
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Das Bergdorf St. Peter am Anger steht im Mittelpunkt dieses skurrilen literarischen Romans. In den 50er Jahren zieht es Johannes Gerlitzen, der sich bislang als Holzschnitzer betätigte, zum Unverständnis ...

Das Bergdorf St. Peter am Anger steht im Mittelpunkt dieses skurrilen literarischen Romans. In den 50er Jahren zieht es Johannes Gerlitzen, der sich bislang als Holzschnitzer betätigte, zum Unverständnis aller hinaus in die Stadt, wo er Doktor und Bandwurmforscher werden will. Jahrzehnte später eifert Johannes A. Irrwein seinem Großvater in Sachen Forschungsbestrebungen nach. Bald soll er jedoch herausfinden, dass ihm ein anderes Fachgebiet als die Biologie mehr liegt. Die Geschichte blickt mit einem Augenzwinkern auf das dörfliche Leben und konnte mich mit scharfzüngigen Dialogen und irrwitzigen Szenen begeistern. Irgendwo zwischen Gesellschaftsstudie und Entwicklungsroman bietet dieses Buch beste Unterhaltung. Große Leseempfehlung!