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Veröffentlicht am 27.01.2019

Die Stimmen von 1918

1918
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In "1918 - Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution" begleiten wir verschiedene Tagebuch- und Briefeschreiber durch dieses so wechselhafte Jahr. Ein Einführungskapitel berichtet in gut zu lesendem ...

In "1918 - Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution" begleiten wir verschiedene Tagebuch- und Briefeschreiber durch dieses so wechselhafte Jahr. Ein Einführungskapitel berichtet in gut zu lesendem Stil, wie sich 1918 entwickelte, wie die Frühlingsoffensive unter den Deutschen zuerst zu neuer Hoffnung, deren Scheitern und die weiterhin schlechte Versorgungslage dann zu Resignation führte Sehr gut wird dargelegt, wie die OHL manipulierte und zu Kriegsende geschickt Sündenböcke für ihr Versagen suchte. Die Entwicklung zur und der Verlauf der Revolution wird ebenfalls klar und verständlich beschrieben. Es hat mir gefallen, daß den Primärquellen diese Einführung vorangestellt wurde, die manche Hintergründe erklärt, auch manches in rechte Licht rückt.

In vier Kapiteln ("Frühjahr der Hoffnungen", "Sommer der Enttäuschungen", "Herbst der Niederlage" und "Winter der Revolution") kommen nun die Zeitzeugen zu Wort. Es finden sich hier Feldpostbriefe von einfachen Soldaten und ihre Familien, eben so wie höhergestellten Soldaten. Tagebucheinträge des Heidelberger Universitätsprofessor Karl Hampe wechseln ab mit den Erinnerungen von Krankenschwestern, Hausfrauen, Künstlern. Bekannte Personen wie Thomas Mann oder Walther Rathenau kommen ebenfalls zu Wort. Die sorgt an und für sich für eine gut gefächerte Mischung aus allen Bereichen des Volkes und so bekommen wir auch eine Bandbreite an verschiedenen Meinungen und Eindrücken zu lesen. Dies gefiel mir sehr gut, wenn es auch vereinzelte Einträge gab, die wenig Relevantes beitrugen, so die Reiseroute einer Pianistin.

Jedem Kapitel ist eine Zeitleiste des jeweiligen Vierteljahres vorangestellt. Diese ist sehr detailliert und informativ. Persönlich hätte es mir besser gefallen, wenn das Einführungskapitel zu 1918 ebenfalls in vier Teile aufgeteilt und jedem Quartalskapitel vorangestellt worden wäre. So wären die Hintergrundinformationen frischer in Erinnerung und präsenter gewesen.

In jedem Kapitel finden sich zwischen den Briefen und Tagebucheinträgen auch einige wenige Abbildungen und offizielle Zeitdokumente. Interessant waren hier besonders die Stimmungsberichte der Polizei über die Stimmung in der Bevölkerung. Die anderen offiziellen Dokumente hätte es meines Erachtens in diesem Buch, welches doch die eher persönlichen Aufzeichnungen darstellen möchte, nicht gebraucht, man findet sie in so vielen Büchern zum Thema. Hier hätte der Platz ruhig für weitre persönliche Primärquellen genutzt werden können.

Ein wenig fehlte mir die persönliche Komponente Sie ist vorhanden, das sicher, und gerade die Briefe der einfachen Soldaten vermittlen ein gutes Bild der Situation im Felde. Aber gerade zum Ende hin nehmen die Berichte der Politiker, höheren Soldaten zu und auch die anderen Primärquellen erzählen das Geschehene nach, ohne auf die Eindrücke, Gedanken, Wünsche und Ängste der Menschen einzugehen. Auch von der Situation an der sogenannten "Heimatfront" erfährt man weniger, als ich erhofft hatte. Die berührenden Worte in einem Brief eines Vaters an seinen Sohn, der nur wenige Tage später im Krieg fallen wird, sind im Buch leider eher die Ausnahme: "Du hast so viel durchgemacht, dass es kein Wunder ist, wenn Du nun nicht mehr kannst. (...) sei doch so vorsichtig, wie es eben möglich ist, um Dich uns zu erhalten. Du weißt, wie innig lieb wir Dich haben."

Nach den vier Kapiteln folgt ein längerer Text von Sebastian Haffner darüber, wie er als Elfjähriger die Revolution, das Kriegsende empfunden hat. Hier ist nun die persönliche Komponente, die mir vorher manchmal fehlte, gegeben und es ist sehr interessant, seine Gedanken zu lesen.

Zum Abschluß faßt ein Kapitel die Stimmung nach Kriegsende, die Zersplitterung von Interessengruppen und deren Umgang mit dem Kriegsende, dem Kriegsgedenken bis hin zum nächsten Krieg recht gut zusammen. Am Ende des Buches finden sich Kurzbiographien all jener, die wir durch ihre Briefe und Tagebucheinträge schon ein wenig kennengelernt haben. Das hat mir gut gefallen und ich habe öfter zu diesem Anhang geblättert. Eine Karte der letzten Frühlingsoffensive findet sich seltsamerweise beschämt versteckt hinter den Literaturhinweisen, so daß ich sie nur durch Zufall sah.

Im Ganzen ein durchaus weitgefächerter Überblick, in dem die Menschen jener Zeit direkt zu Wort kommen und so dem Leser das Jahr 1918 auf unmittelbare Weise vermitteln können, unterstützt von gut lesbaren HIntergrundtexten. Eine etwas andere Auswahl der Primärquellen hätte geholfen, es noch persönlicher zu machen.

Veröffentlicht am 26.01.2019

Abwechslungsreiche Entdeckungsreise durch Frankfurt

Ein Frankfurtbuch.
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Susanne Asal hat für ihre "101 überraschende Geschichten" aus Frankfurt eine abwechslungsreiche Mischung an Informationen über Frankfurt zusammengestellt. Da war auch für mich als seit über 18 Jahren ...

Susanne Asal hat für ihre "101 überraschende Geschichten" aus Frankfurt eine abwechslungsreiche Mischung an Informationen über Frankfurt zusammengestellt. Da war auch für mich als seit über 18 Jahren in der Gegend Wohnende viel Neues und teilweise tatsächlich Überraschendes dabei. Die Auswahl ist überwiegend gut gelungen. Ein wenig Geschichte, ein wenig Berühmtheiten, ein wenig Lokalkolorit, Kunst, Politik und Szene. Dies wechselt sich auch angenehm ab, so kann man in vier aufeinanderfolgenden Geschichten sich über Goethe freuen, etwas zur Gentrifizierung erfahren, mit Hölderlin und seiner Muse leiden und die Augen am Frankfurter Nationalgericht Grie Soss weiden.

Die einzelnen Kapitel sind zwischen einer 3/4 und 3 Seiten lang, bei manchen hätten ein paar Zeilen mehr nicht geschadet (über das Internationale Theater gibt es wirklich nur so wenig zu sagen?). Es gab Stellen, an denen der Text recht abrupt aufhörte, einmal habe ich tatsächlich zurückgeblättert, um sicherzustellen, daß ich nicht eine Seite zu viel überschlagen habe. Das Kapitel über Heinrich Hoffmann ist so ein Beispiel. Im Kapitel über Senckenberg wird dann erwähnt, daß Johann Christian Senckenberg eines "denkwürdigen" Todes starb, aber mehr als daß ihn dieser "ausgerechnet bei der Besichtigung der Baustelle des von ihm gestifteten Bürgerhospital" ereilte, erfahren wir nicht. (Für die Interessierten: er stürzte von einem Baugerüst). Warum man diese Information nicht in einem Halbsatz einfügen konnte, wenn man da Denkwürdige des Todes schon erwähnt, erschließt sich mir nicht.
Während also an manchen Stellen Informationen oder Details fehlen, gibt es mehrere Wiederholungen. Daß reiche Bürgerfamilien ihre Landschaftsparks hatten, erfahren wir dreimal, die Stiftungen der Rothschilds werden zweimal erwähnt, die Gründe für den Namen des Römers ebenfalls zweimal, etc. Daß die Autorin die hohen Wohnungspreise in Frankfurt nicht schätzt, erfahren wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Es ist zwar absolut nachvollziehbar, aber der Leser hat es auch nach dem zweiten Mal schon verstanden und rollt nach dem fünften Mal eher genervt die Augen. Auch hätte ich es generell angenehmer gefunden, wenn die Autorin ihre persönliche Meinung nicht so häufig eingeflochten hätte. Objektivität finde ich wesentlich professioneller und als Leser möchte ich etwas über Frankfurt erfahren und nicht die Meinung der Autorin auf's Auge gedrückt bekommen.
Nun machen aber diese Punkte einen nicht so großen Teil aus, daß sie das Lesevergnügen erheblich beeinträchtigen. Überwiegend erfährt man hier wirklich Informatives und man merkt, Susanne Asal kennt ihr Frankfurt und führt uns auch mal unbekanntere Wege entlang. Diese Entdeckungsreise macht durchaus Spaß.

Der Schreibstil ist unprätentiös, lebendig und gut lesbar, einige Formulierungen fand ich etwas ungeschickt, aber dann finden sich auch so schöne Sätze wie dieser: "Das Senckenberg Museum schlägt eine ganz wunderbare Brücke, über die ungezählte Schulkinder gehen können ... und es wird nie langweilig."
Die alberne Angewohnheit, zu cool für das Wort "Fluggesellschaften" zu sein, fand ich leider hier auch - es sind hier "Airlines", und im Kapitel über die Staufer fallen laut Autorin in der Innenstadt zwei "landmarks" auf. In einem Blogartikel in Ordnung, in einem Buch für meinen Geschmack, wie gesagt, albern.

Gut gefallen haben mir die unterhaltsam erzählten Hintergründe zu vielen Themen. Es wurde auf wenig Platz viel untergebracht und eben auch oft tiefergehend, als man es woanders liest.

Ein kleines Manko ist die Ausstattung des Buches. Der pappartige Einband ist nach einmaligem Lesen (und dies durchweg zu Hause, das Buch wurde nicht in einer Tasche herumgeschleppt) an mehreren Stellen schon angestoßen und sieht ein wenig mitgenommen aus. Die inneren Seitenränder sind knapp bemessen und man muß das Buch schon recht unsanft weit aufklappen, um alles lesen zu können. Die Schrift ist klein, was mir nichts ausgemacht hat, aber für viele zu klein zum angenehmen Lesen sein dürfte. Es gibt einige Abbildungen, aber nicht viele. Verglichen mit dem vom gleichen Verlag herausgegebenen besser ausgestatteten und preislich günstigeren "99x Rhein-Main-Gebiet" wird die Ausstattung hier dem Preis von 14,99 € nicht ganz gerecht.

In Ganzen also ein durchaus empfehlenswertes Buch mit kleinen Mängeln, aber erfreulicher Vielfalt und guten Informationen, die sicher auch für Frankfurter selbst noch interessant sind.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Sehr schön geschriebene Geschichte einer Jugend in einer tragischen Familie

Sommer in Super 8
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Schon am Titelbild sieht man, daß Anne Müller ihre Leser in die späten 60er bis 70er Jahre führt, und dies tut sie ganz hervorragend und lebendig. Wir begleiten Clara durch ihre Kindheit und Jugend in ...

Schon am Titelbild sieht man, daß Anne Müller ihre Leser in die späten 60er bis 70er Jahre führt, und dies tut sie ganz hervorragend und lebendig. Wir begleiten Clara durch ihre Kindheit und Jugend in einem norddeutschen Dorf; lernen nach und nach die dunklen Seiten hinter der auf den ersten Blick so perfekten Landarztfamilie kennen.

Der Schreibstil ist angenehm, man ist sofort mitten in der Geschichte, nimmt gleich teil am Leben der Familie König, welches aus Claras Sicht erzählt wird. Man merkt schon im ersten Kapitel, daß Clara ein tiefgründiges Kind mit teils traurigen Gedanken ist. Ebenso schnell wird deutlich, daß hinter der respektablen Front der Familie - mit attraktiven, eleganten Eltern, der alten Villa, den Ausflügen - nicht alles so perfekt ist, wie es scheint. Sowohl das Wesen Claras und ihrer Familie wie auch die Risse in der Fassade werden uns auf sehr gekonnte Weise vermittelt, durch kleine Bemerkungen, Beobachtungen, Nebensätze. Hier werden keine Fakten plump serviert, das Gesamtbild entfaltet sich nach und nach, die Hinweise sind gut eingesetzt und man möchte gleich weiter lesen und alles erfahren.

Vordergründig berichtet Clara harmlose kleine Episoden, in denen man die 70er Jahre richtig vor sich sieht, die leuchtenden Farben, Riesensonnenbrillen, die Super 8-Filme. Auch das Zeitgeschehen wird immer wieder eingeflochten, so die Angst vor den Russen, die Mondlandung, der Terroranschlag bei den olympischen Spielen. Es werden viele solche interessanten Details erwähnt und dadurch ersteht dieses Jahrzehnt auf den Seiten des Buches auf.

Während sich in Claras Grundschulzeit die Abgründe der Familie noch gut vertuschen lassen und von einem solch kleinen Kind auch eher nur in Nuancen wahrgenommen werden (können), ändert sich sowohl für Clara wie auch für den Leser einiges, als Clara zum Teenager geworden ist. Die Familienprobleme werden deutlicher, zugleich aber rückt die Familie leider in der Erzählung in den Hintergrund. Wir lesen detailreich über die typischen Teenagererfahrungen - Schminken, Tanzstunde, erster Kuß, Discobesuch, Konfirmation. Dies ist immer noch gut (manchmal etwas zu ausführlich) erzählt (abgesehen von einigen kleinen Wiederholungen), aber für meinen Geschmack verlor sich die Geschichte zu sehr in diesen Dingen und ließ die für mich viel interessantere Familiendynamik zurückstehen.

Während man im ganzen Buch Claras Vater vielseitig erlebt und kennenlernt, bleibt ihre Mutter fast die ganze Zeit über blaß. Im ersten Teil hat sie noch Persönlichkeit und man möchte mehr über sie erfahren, dieser Wunsch wird nicht erfüllt, im Gegenteil. Die Beziehung zwischen Claras Eltern ist sehr interessant, ist auch das, was zur Besonderheit dieses Buches beiträgt, sie hätte neben den Teenageralltagserfahrungen meiner Meinung nach viel mehr Raum verdient.

Der letzte Teil des Buches ist sowohl berührend, wie auch ein wenig verstörend, letzteres auch wegen der für mich nicht ganz nachvollziehenden Reaktionen (oder teils fehlenden Reaktionen) der Familie.

"Sommer in Super 8" ist ein Buch, das von Anfang an berührt, Emotionen weckt, in einem angenehmen Stil geschrieben ist und auch nach dem Lesen noch nachwirkt.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Sehr gelungene und toll recherchierte Geschichte

Land im Sturm
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1000 Jahre deutsche Geschichte in einem Roman darzustellen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Als ich zuerst von dem Buch hörte, konnte ich mir kaum vorstellen, wie das zu machen sei. Nach dem Lesen stelle ...

1000 Jahre deutsche Geschichte in einem Roman darzustellen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Als ich zuerst von dem Buch hörte, konnte ich mir kaum vorstellen, wie das zu machen sei. Nach dem Lesen stelle ich sowohl erfreut wie auch bewundernd fest: Es ist Ulf Schiewe sehr gut gelungen!

Das Buch macht schon von außen einen guten Eindruck, wertig gestaltet, das Titelbild schlicht und zugleich eindrücklich. Um die 1000 Jahre zu vermitteln, wurden fünf für die deutsche Geschichte prägende Momente gewählt und mit der persönlichen Geschichte dreier Familien verknüpft. Diese Episodenform ist eine gute Idee und die einzelnen Abschnitte finde ich an und für sich gut gewählt. Es ist aber zwischen dem zweiten und dritten Abschnitte ein Sprung von 500 Jahren, was mir persönlich zu viel war. Wenn von 1000 Jahren 500 übersprungen werden, fehlt mir persönlich doch etwas. Da die beiden letzten Etappen zeitlich nah beieinander (1813 & 1848) liegen und die gleichen Charakter behandeln, hätte ich persönlich es erfreulicher gefunden, wenn diese in einem Abschnitt zusammengenommen und gestrafft worden wären, zugunsten eines weiteren Abschnitts zwischen dem zweiten und dritten Abschnitt. Aber natürlich ist das Geschmackssache - wenn man aus 1000 Jahren fünf Zeitpunkte wählen muß, kann man es unmöglich allen Lesern recht machen. In jedem Fall ist es gut gelungen, Deutschlands Entwicklung aufzuzeigen, die Veränderungen, sowie einige der wichtigsten Ereignisse, die das Land formten.

Die geschichtlichen Informationen sind reichhaltig und - soweit ich das beurteilen kann - hervorragend recherchiert, wir erfahren nicht nur etwas über die großen Ereignisse, sondern auch über das Alltagsleben, was ich immer besonders interessant finde. Gebrauchsgegenstände, Mode, Einrichtung, Bauweisen, das wird alles unaufdringlich und informativ in die Geschichte eingebracht, ebenso wie die jeweilige Lektüre der Personen. Im Kapitel über den 30jährigen Krieg erfahren wir auch Interessantes über die Weiterentwicklung von Waffen. Die Hauptfamilie des Buches sind Schmiede und auch da wird über den Beruf geschickt die Weiterentwicklung auch dieses Handwerkes, die sich ändernden Anforderungen, Risiken, Gebrauchsgüter erklärt. So macht Geschichte Spaß. Jedem Abschnitt ist eine kurze historische Einführung vorangestellt, eine hervorragende Idee, denn so kann auch der historisch Unkundige sich gleich ein Bild machen. In den ersten beiden Abschnitten werden die zu dem Punkt aktuelle politische Situation und die geschichtlichen Entwicklungen gut in Unterhaltungen eingeflochten, so daß man nicht seitenlange Hintergrundinformationen lesen muß. In den letzten beiden Abschnitten sind teilweise doch längere Hintergrundtexte und politische Diskussionen. Das ist zwar interessant und auch gut geschrieben, aber unterbricht die Handlung dann doch immer ein wenig. Die Recherchearbeit, die in diesem Buch steckt, ist jedenfalls beeindruckend.

Der Schreibstil ist durchgängig angenehm. Ich war sofort im Buch drin, die Handlung beginnt lebendig, das Tempo ist in den beiden ersten Abschnitten genau richtig für meinen Geschmack. Ein wenig irritierte mich im Buch die im Dialog gelegentlich zu moderne Ausdrucksweise der Personen, gerade weil sonst alles sehr der jeweiligen Zeit gemäß ge- und beschrieben wird.

Man lernt in jedem Abschnitt (abgesehen vom letzten) neue Charaktere kennen, begleitet diese ca 200 Seiten und verläßt sie dann. Dies klappt erstaunlich gut, in den ersten beiden Abschnitten waren mir die Hauptpersonen schnell vertraut und interessierten mich, auch Nebenpersonen waren mit Leben erfüllt. Am Ende des jeweiligen Abschnitts war der erzählte Lebensabschnitt der Hauptpersonen immer zu einem Ende geführt, so daß man sie mit einem Gefühl des Abschlusses zurücklassen konnte und sich nicht herausgerissen fühlte. Auch das hat mich beeindruckt, denn alle 200 Seiten gewissermaßen eine neue Welt zu schaffen und diese dann auch gut abzuschließen, ist sicher nicht leicht. Es gibt verbindende Elemente, so zieht sich eine Familie - meistens als Hauptpersonen - durch alle Abschnitte. Leider aber wird diese Familie im dritten Abschnitt kaum erwähnt und das fand ich bei insgesamt fünf Abschnitten schon bedauerlich. Man erlebt die Familie sehr intensiv im Jahre 955, dann im Jahre 1146 und dann so richtig erst wieder im vierten Abschnitt, der 1813 spielt. Es war schade, daß der Fokus für so viele Jahrhunderte weg war, denn sie sind einem doch ans Herz gewachsen.

Der dritte Abschnitt spielt zum Ende des 30jährigen Krieges und ist sehr auf einen einzigen Handlungsstrang konzentiert, während die anderen Abschnitte alle mehrere Handlungsstränge haben. Dadurch blieben für mich leider einige Aspekte unerwähnt, über die ich gerne gelesen hätte. Wir erleben sehr stark den Fokus einer Gruppe Soldaten, kaum aber den der Zivilisten. Die anderen Abschnitte konnten mehrere Blickwinkel und Situation sehr schön verbinden und das fehlte mir im dritten Abschnitt ein wenig. Nach den intensiven ersten beiden Abschnitten waren mir die beiden letzten Abschnitte teils etwas zu geruhsam und verweilten bei manchen Aspekten zu lang (gerade der vorletzte, 1813, spielende Abschnitt).

Insgesamt habe ich das Lesen des Buches aber genossen und gerade die ersten Abschnitte gedanklich noch öfter Revue passieren lassen. Es gibt eine Vielzahl interessanter Charaktere, man lernt auf angenehme Weise etwas über Geschichte und die sich verändernden Lebensbedingungen, dies alles in einem gut zu lesenden Schreibstil. Für jeden an historischen Romanen interessierten Leser ist dieses Buch ausgesprochen empfehlenswert.

Veröffentlicht am 23.01.2019

Facettenreicher Guernseykrimi

Cyrus Doyle und die Kunst des Todes
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„Die Kunst des Todes“ ist der dritte Band einer Serie von auf Guernsey spielenden Krimis mit dem Ermittler Cyrus Doyle. Ich habe die vorherigen Bände nicht gelesen, was aber dem Verständnis keinen Abbruch ...

„Die Kunst des Todes“ ist der dritte Band einer Serie von auf Guernsey spielenden Krimis mit dem Ermittler Cyrus Doyle. Ich habe die vorherigen Bände nicht gelesen, was aber dem Verständnis keinen Abbruch tut. Es sind wenig Hintergrundinformationen notwendig, und diese werden im Buch gut vermittelt.

Das Buch beginnt gleich recht flott mit der Entdeckung des Mordopfers und einigen zum Weiterlesen animierenden Informationen. Dieses gute Tempo hält sich allerdings nicht; an manchen Stellen liest sich das Ganze etwas zäh und es gibt oft zu viele unnötige Details, wie zB die genaue Speisenfolge eines Mittagsessens, die eine halbe Seite einnimmt, oder die ausführliche Beschreibung eines Polizeihubschraubers inkl Guernsey-Wappen. Ein Kapitel zwischen zwei weiteren Ermittlern mit langgezogenen Informationen über Napoleon war wohl nur dazu da, die Spannung zwischen dem vorherigen und folgenden Kapitel zu strecken und hat mich ein wenig geärgert. Diese immer wieder vorkommenden Längen führten auch dazu, daß ich nicht wirklich gefesselt von dem Buch war und nach dem ersten Drittel ohne Bedauern kleinere Lesepausen einlegte.

Der Schreibstil selbst gefiel mir gut, er ist anschaulich, liest sich angenehm, der Umgang mit Sprache gefällt mir. Details über Guernsey werden mal mehr, mal weniger geschickt eingeflochten und ich sah die sommerliche Küstenstadtatmosphäre gut vor mir. Im Anhang geht der Autor auf sehr sympathische Weise auf die im Buch vorkommenden Orte ein, gibt im flotten Stil Hintergrundinformationen und Links. Man merkt, daß er sich mit Guernsey beschäftigt hat und es ihm am Herzen liegt. Ich habe im Buch auch interessante Fakten über Guernsey erfahren, was Spaß gemacht hat.

Die englische Atmosphäre dagegen kommt nicht wirklich durch. Ich lese viele in Großbritannien spielende Krimis und mag es, wie man dies beim Lesen immer spürt. Hier hätten die Ermittler aber auch genauso gut in einem Ostseebad ermitteln können, irgendwie fehlte mir das Britische. Ich weiß nicht, ob es an den Charakteren lag, Atmosphäre oder ihr Fehlen ist schwer an etwas Konkretem festzumachen, aber die ganze Ermittlergruppe wirkte einfach eher deutsch auf mich.

Der Fall ist gut aufgebaut, es gibt hinreichend Verdächtige und Motive, und er wird durch (fast durchweg) solide Ermittlerarbeit, ohne seltsame Zufälle oder übertrieben dramatische Szenen, gelöst. So mag ich Krimis. An manchen Stellen zerfasert sich die Handlung etwas, aber im Ganzen baut alles recht gut aufeinander auf.

Wie in jeder Serie gibt es auch Privatkram der Ermittler, dies hielt sich hier meistens recht angenehm unaufdringlich im Hintergrund oder war für den Fall relevant. Anstrengend fand ich nur Cyrus und seine Kollegin und Ex-Beziehung Pat, die einander noch zugetan sind, sich das aber nicht richtig eingestehen wollen, so daß sie giftig auf jede Frau reagiert, mit der er im Rahmen der Ermittlungen ein Wort wechselt, und er ständig an sie denkt und sich selbst erklärt, daß er nicht an sie denkt. Sogar im tiefsten Ermittlungsstreß ist Platz für dieses Teenagerverhalten, zum Glück meistens aber nur in wenigen Sätzen.

Im Ganzen ein unterhaltsamer, sorgsam aufgebauter Krimi im gut lesbaren Stil, wenn auch mit einigen – aus meiner persönlichen Sicht - Schwächen und Längen.