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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.02.2019

Psychologisch durchdacht und sehr gut konstruiert mit grausamen Szenen

Lazarus
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„Lazarus“ ist mein erster Krimi, den ich von Lars Kepler gelesen habe. Hinter dem Pseudonym Lars Kepler verbirgt sich das schwedische Autorenehepaar Alexandra und Alexander Ahndoril. „Lazarus“ ist der ...

„Lazarus“ ist mein erster Krimi, den ich von Lars Kepler gelesen habe. Hinter dem Pseudonym Lars Kepler verbirgt sich das schwedische Autorenehepaar Alexandra und Alexander Ahndoril. „Lazarus“ ist der bereits sechste Fall in dem Joona Linna, ein schwedischer Kommissar der Landeskriminalpolizei mit finnischen Wurzeln, und Saga Bauer, eine operative Kommissarin beim schwedischen Staatsschutz, ermitteln. Dennoch kann das Buch ohne Nachteile unabhängig von den anderen Teilen der Reihe gelesen werden.

Genauso unverhofft wie die biblische Gestalt des Lazarus aus dem Grab auferstanden ist beginnt eine Mordserie, die Linna stark an Jurek Walter erinnert, den sogenannten Sandmann, in dessen Fall er im vierten Band der Reihe tätig war. Allerdings wurde Walter damals von Saga Bauer erschossen. Trotzdem ist sich Linna sicher, dass sein damaliger Widersacher, einer der skrupellosesten Verbrecher die er je kennen gelernt hat, noch lebt. Seine Meinung wird von den Kollegen allerdings nicht geteilt. Linna beginnt mit der Umsetzung seines ganz persönlichen, von langer Hand vorbereiteten Schutzplans für sich und seine Tochter. Denn in der Vergangenheit hat Jurek Walter ihm gedroht, sich an ihm und seiner Familie zu rächen. Ob sein Plan übertrieben ist oder rechtfertigt zeigt sich im weiteren Verlauf der Handlung.

Lars Kepler hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, um eine immer wieder beklemmende Szenerie zu schaffen. Dazu sind die Sätze recht kurz, dialoglastig und im Präsens gehalten. Gleich zu Beginn lernte ich die beiden Protagonisten nicht nur bei ihrer Arbeit, sondern auch im Privatleben kennen. Beide sind auf ihre jeweilige Art sympathisch. Die Verbrechen des potentiellen Täters richten sich eventuell als persönliche Rache an die beiden Kommissare und gerade daher rückten die Geschehnisse an mich als Leser besonders nah heran, weil ich natürlich darauf hoffte, dass vor allem die Hauptfiguren unbehelligt bleiben sollten.

Von Anfang an wird Spannung aufgebaut, die bis zum Ende anhält. Die Taten sind meist sehr grausam und daher ist der Krimi nichts für Zartbesaitete. Geschickt wechselt Lars Kepler die Perspektiven, um durch entsprechend Cliffhanger den Thrill noch ein wenig zu erhöhen. An einigen Stellen erscheint auf diese Weise die Handlung auf eine desolate Situation bereits bekannter Personen hinzuführen. Das Ende lässt in Bezug auf einen der Protagonisten viel Raum zum Hoffen und Bangen.

„Lazarus“ ist ein psychologisch durchdachter, sehr gut konstruierter Krimi, der vor brutalen Szenen nicht zurückschreckt und dennoch real denkbar ist. Für alle Leser der Reihe rund um die Kommissare Joona Linna und Saga Bauer ist er ein Muss, aber auch eine Empfehlung für alle anderen Krimileser, die vor blutigen Gemetzeln nicht zurückschrecken.

Veröffentlicht am 27.02.2019

Berührt und stimmt nachdenklich

Lieber woanders
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Der Roman „Lieber woanders“ von Marion Brasch erzählt die Geschichten von Toni und Alex, die an verschiedenen Punkten beginnen und aufeinander zuführen. Die beiden wissen nicht, dass sie sich bereits einmal ...

Der Roman „Lieber woanders“ von Marion Brasch erzählt die Geschichten von Toni und Alex, die an verschiedenen Punkten beginnen und aufeinander zuführen. Die beiden wissen nicht, dass sie sich bereits einmal begegnet sind in einem Moment, der das weitere Leben der Protagonisten stark beeinflusst hat und bei keinem der beiden in Vergessenheit geraten ist. In diesem Augenblick wären die beiden sicher lieber woanders gewesen.

Toni lebt seit sechs Jahren in einem Wohnwagen auf dem Land. Sie ist 28 Jahre alt und ungebunden, jobbt in einer Kneipe und zeichnet sehr gut. Ein Verlag wird auf ihr Talent aufmerksam und lädt sie zu einer Besprechung in die Stadt ein. Mit Erspartem und den Einkünften aus dem geplanten Buch will sie einen Schulfreund in Neuseeland besuchen.

Alex hat Autoklempner gelernt, hat als LKW-fahrer gearbeitet und ist zurzeit als Roadie mit einer Band unterwegs. Er ist verheiratet und hat eine neunjährige Tochter, doch seit einigen Jahren betrügt er seine Frau mit einer anderen. Wegen der Erkrankung seiner Tochter macht er sich vorzeitig auf den Weg nach Hause.

In einer Art Prolog verriet die Autorin mir als Leser dass sich „zwei Leute“, zu diesem Zeitpunkt noch unbenannt, bereits einmal getroffen haben und es wieder tun werden. Überhaupt bleiben viele Figuren in ihrem Roman ohne Namen, aber es reicht die Berufsbezeichnung oder auch die einfache Bezeichnung als Frau oder Freund, um die Szene in Gedanken mit einer eigenen passenden Person zu ergänzen. Dadurch gewinnen die namentlich genannten Charaktere an Bedeutung in der Geschichte von Toni.

Im Leben von Alex gibt es Niemanden, der für ihn so wichtig wäre, dass er namentlich an ihn denkt. Ein einschneidendes Erlebnis vor sieben Jahren hat sein Leben vollkommen verändert. Es war nur ein Moment mit einer falschen Entscheidung. Seitdem trägt er das Gewicht einer nicht gutzumachenden Schuld mit sich, die im Roman immer deutlicher zu spüren ist. Er ist sich nicht sicher, ob sein Leben noch lebenswert ist und gönnt sich so viel Vergnügen wie machbar ist, um sich davon abzulenken. Dennoch kann er die Gedanken an die Folgen nicht ganz abstreifen, denn was ihm passiert ist, lässt sich nicht löschen und es ist müßig darüber nachzudenken, ob seine Schuld noch zu toppen ist. Er gönnt sich Momente mit denen er sich bei mir als Leser unsympathisch machte.

Im Roman erfuhr ich, dass auch Tina Schuld mit sich trägt und im weiteren Erzählverlauf erfuhr ich warum. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, ob wir selbst unser Schicksal bestimmen. Sie ist existenziell und nicht abschließend zu beantworten. Trotz der Schwere der Gemüter, die den Protagonisten anhängt, schafft Marion Brasch es spielerisch, der Geschichte etwas Leichtigkeit zu geben. Einerseits geschieht dies durch heitere Szenen, andererseits durch kursiv gesetzte Abschnitte in denen die Autorin den Leser ins Vertrauen zieht und ihm mehr zum Hintergrund ihrer Protagonisten oder auch mal Abstruses erzählt.

Marion Brasch schreibt in „Lieber woanders“ über Dinge, die jedem von uns zustoßen könnten, macht dadurch ihre Geschichte nachvollziehbar und rückt sie sehr nah an den Leser heran. Sie verdeutlicht, dass wir das Erlebte der Vergangenheit nicht ändern, nur akzeptieren und damit weiterleben können. Der Roman berührt, stimmt nachdenklich und dennoch schafft die Autorin durch Ironie ihrer Erzählung einen aufheiternden Touch zu geben. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Veröffentlicht am 12.02.2019

Komplexer, sehr gut konstruierter Thriller mit unerwartetem Ende

Die ewigen Toten
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Im Thriller „Die ewigen Toten“ des englischen Autors Simon Beckett ermittelt der forensische Anthropologe Dr. David Hunter in seinem sechsten Fall. Nachdem er sich am Ende des vergangenen Band der Serie ...

Im Thriller „Die ewigen Toten“ des englischen Autors Simon Beckett ermittelt der forensische Anthropologe Dr. David Hunter in seinem sechsten Fall. Nachdem er sich am Ende des vergangenen Band der Serie erneut in seinem Zuhause bedroht fühlte, wohnt Dr. Hunter jetzt in einem gemieteten Apartment in London. Nur einige Monate nach Abschluss der letzten Fallermittlungen in Essex wird er von der Londoner Polizei zu dem verlassenen, zum Abbruch stehenden Krankenhaus St. Jude im Norden Londons hinzugezogen. Zu Beginn ahnt Dr. Hunter nicht, dass er es hier in Bezug auf den Titel und entsprechend seiner Berufung mit mehreren Toten zu tun bekommen wird.

Zunächst wird er auf den Dachboden des Krankenhauses geführt, auf dem die verwesende und teils mumifizierte Leiche einer jungen Frau gefunden wurde. Bei der ersten Untersuchung der Leiche bricht der Boden ein. Darunter entdeckt das Ermittlerteam einen Raum, der durch eine eingezogene Wand entstanden ist und keinen Zugang von außen hat. Im Raum stehen drei Betten in denen weitere zwei Leichen liegen. Für Dr. Hunter und die ermittelnde Detective Chief Inspector Sharon Ward ist es erst der Anfang einer kleinteiligen Suche nach den Namen der Ermordeten, den Hintergründen der Taten und dem Täter oder den Mördern.

Das Buch kann auch ohne Vorkenntnisse der ersten Fälle, in denen Dr. Hunter ermittelt, gelesen werden, denn Simon Beckett bleibt immer nah an den aktuellen Ermittlungen. Um einige Sorgen und Ängste zu erklären, die der forensische Anthropologe aufgrund vergangener Erlebnisse mit sich trägt, fügt der Autor entsprechende kurze Erklärungen ein. Es gefällt mir sehr gut, dass Dr. Hunter neben seiner Tätigkeit auch ein Privatleben hat, dessen Entwicklung sich in einer Nebenhandlung abspielt. Durch die Erzählperspektive mit dem Protagonisten als Ich-Erzähler konnte ich auch diesmal wieder seine Gefühle teilen. In brisanten Situationen war ich an seiner Seite nah am Geschehen und bangte mit ihm um sein Leben. Auf diese Weise war ich als Leser immer auf dem gleichen Ermittlungsstand wie Dr. Hunter.

Die Handlung brachte mich an einen verlorenen Ort, der allein schon aufgrund seiner Atmosphäre etwas Düsteres und Beklemmendes aufweist. Ein verstaubter Dachboden, unzugängliche Räume und ein unwirtlicher Keller im Krankenhaus brachten mir Gänsehaut beim Lesen. Von Beginn an baute Simon Beckett Spannung auf. Er beschreibt mit großer Kenntnis die Untersuchung der Leichen und vermittelte mir einen real erscheinenden Einblick in die Arbeitswelt eines forensischen Anthropologen. Geschickt baut er am Rand der Ermittlungen weitere Charaktere auf, deren Hintergründe er entwickelt und die zu tragenden Figuren der Handlung werden. Während Dr. Hunter auf die ersten Ergebnisse wartet geschehen in seinem Umfeld einige überraschende Ereignisse, die die Spannungskurve aufrechterhalten, obwohl die Situation sich zunächst leicht beruhigt.

Mit dem Thriller „Die ewigen Toten“ knüpft Simon Beckett an seine vorigen Erfolge an. Er konnte mich mit diesem komplexen, sehr gut konstruierten Thriller, der auf ein furioses und unvorhersehbares Ende zuläuft, vollständig überzeugen. Der sechste Fall für Dr. Hunter ist nicht nur ein Must-Read für alle Fans der Serie, sondern auch eine klare Empfehlung an alle Thrillerleser.

Veröffentlicht am 30.01.2019

Wunderschöne Landschaft, abwechslungsreiche Charaktere und ein Hauch von Mystik

Der Herzschlag der Steine
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Beim Lesen des Romans „Der Herzschlag der Steine“ von der deutschen Autorin Isabel Morland bin ich, wie bereits in der Geschichte ihres vorigen Buchs „Die Rückkehr der Wale“, gedanklich wieder nach Schottland ...

Beim Lesen des Romans „Der Herzschlag der Steine“ von der deutschen Autorin Isabel Morland bin ich, wie bereits in der Geschichte ihres vorigen Buchs „Die Rückkehr der Wale“, gedanklich wieder nach Schottland gereist auf die Insel Lewis and Harris in den Äußeren Hebriden. Hier leben etwa 21.000 Einwohner auf 2.170 Quadratkilometer. Touristen finden Ruhe und Entspannung, aber auch Traditionen und Kultur, beispielsweise alte Steinkreise. Es ist der perfekte Ort für eine romantische Liebesgeschichte mit einem Hauch Mystik, wie die Protagonistin Ailsa sie erlebt.

Ailsa ist auf Lewis aufgewachsen und lebt seit ihrem Studium in Toronto in Kanada. Gemeinsam mit ihrem Ehemann betreibt sie dort ein Immobilienbüro. Inzwischen ist sie Mitte 30 und nach dem Auszug der Mieter des elterlichen Hauses in ihrer Heimat, beschließt Ailsa es an einen englischen Investor zu verkaufen. Ihr Jugendfreund Blair hat dagegen Einwände und bittet sie in einem Telefonat zur Klärung der Umstände um ihren Besuch auf der Insel, dem sie widerwillig folgt. Doch kaum ist sie auf Lewis angekommen wird sie von Erinnerungen an ihre Jugend eingeholt. Als sie Grayson begegnet, ihrer damaligen Liebe, geraten ihre Gefühle in Konflikt und damit verbunden steht plötzlich ihr ganzes Leben auf dem Prüfstand. Mit Blair und Grayson hatte sie als Jugendliche zwei Vertraute an ihrer Seite, die auch jetzt nach all den Jahren den damals beim Buhlen um ihre Gunst entstandenen Streit nie ganz beigelegt haben.

Im Prolog beschreibt Isabel Morland das Ritual der Inselbewohner zum seltenen Ereignis bei dem einer Legende entsprechend der Vollmond auf die Erde herabsteigt. Zum Ende hin sind die Wut und die Enttäuschung zweier unbenannter Männer in ihrer Gegnerschaft deutlich spürbar. So nahm ich als Leser die Frage in die Erzählung mit hinein, worüber die beiden Personen erbost waren. Bald schon zeichnete sich eine Antwort ab, doch ein Bild der gesamten Situation konnte ich mir erst kurz vor Buchende bilden. Bei Ailsas Ankunft auf Lewis steht die Wiederholung des Rituals bald bevor und viele der Bewohner sind bereits mit den Vorbereitungen beschäftigt. Die Autorin versteht es die Anspannung vor dem großen Ereignis sehr gut einzufangen und wiederzugeben. Ebenso gut vermittelt sie einen Eindruck der Landschaft mit Schafherden und den traditionellen Blackhouses. In ihren Beschreibungen spürt man ihre Leidenschaft für die Insel, deren Kultur und Brauchtümern.

Auch ihre Charaktere fügen sich nahtlos in die Umgebung ein. Isabel Morlands Figuren konnte ich mir so wie beschrieben dort in der Realität vorstellen. Ailsa, Blair und Grayson zeigen in ihrer Wandelbarkeit, dass verschiedene Ansichten den Menschen beeinflussen und zum Umdenken bewegen oder ihn in seiner Meinung bestärken können. Jeder der Protagonisten hat seine sympathische, aber auch eine unangenehme Seite. Einige unerwartete Wendungen und ein Hauch Mystik gestalten die Geschichte ansprechend und unterhaltsam. Liebe, Leid, Eifersucht und Wut bringen die Charaktere zum Ausdruck. Es gibt aber auch genügend aus Situationen hervorgehende, amüsante Szenen.

„Der Herzschlag der Steine“ ist in einem leicht lesbaren Schreibstil geschrieben. Der Roman gefällt mir durch die abwechslungsreich gestalteten Figuren und der dezenten Mystik noch besser als „Die Rückkehr der Wale“. Menschen und Landschaft weckten in mir den Wunsch, sie bei einem Besuch näher kennenzulernen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Ein Sommer der ersten Erfahrungen

Der Sommer meiner Mutter
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Schon der erste Satz des Romans „Der Sommer meiner Mutter“ von Ulrich Woelk weckte mein Interesse in besonderer Weise, denn darin steht, dass die titelgebende Erziehungsberechtige kurz nach der ersten ...

Schon der erste Satz des Romans „Der Sommer meiner Mutter“ von Ulrich Woelk weckte mein Interesse in besonderer Weise, denn darin steht, dass die titelgebende Erziehungsberechtige kurz nach der ersten Mondlandung Selbstmord begangen hat. Von diesem Zeitpunkt an wollte ich wissen, unter welchen Umständen das geschah und natürlich warum. Doch auf die Antworten zu meinen Fragen musste ich bis fast zum Schluss der Geschichte warten. Bis dahin konnte ich eintauchen in das Geschehen am Ende der 1960er und dem Lebensstil der gehobenen Mittelschichtbürger in einem Vorort Kölns.

Der Roman wird aus der Sicht des bald 11-jährigen Tobias erzählt, der mit seinen Eltern ein Haus mit moderner Ausstattung am Rand der Großstadt bewohnt. Er ist ein großer Fan der Raumfahrt und verfolgt voller Neugier und Faszination die Berichte über die damaligen Apollomissionen im Fernsehen. Zunächst schenkt er dem Zuzug neuer Nachbarn wenig Interesse, doch sehr bald lernt er deren Tochter kennen, die 13-jährige Rosa. Die gesellschaftlichen und politischen Ansichten von Rosas Eltern sind links politisch und zeigen Tobias ein anderes Weltbild auf. Das Mädchen weckt in ihm ganz neue Gefühle. Aber nicht nur für Tobias wird es ein Sommer der erstmaligen Erfahrungen, sondern auch für seine Eltern mit einer unfassbaren Konsequenz, die seine Mutter zieht.

Ulrich Woelk versteht es die aufgeregte Stimmung in der Zeit vor der ersten Mondlandung einzufangen und an den Leser weiterzugeben. Als früherer Astrophysiker gibt er entsprechende interessante Erklärungen zum Umfeld, ohne zu sehr in technische Details zu gehen. Die gewählte Erzählperspektive aus der Sicht des Jungen gestattet ihm einen unvoreingenommenen Blick auf die kommenden großen Weltereignisse wie aber auch auf den Mikrokosmos der Familie und ihrer Freunde.

Schon auf der ersten Seite fühlt man den Stolz von Tobias auf seinen Vater, den Ingenieur, der den Bau des komfortablen Eigenheims ermöglicht hat. Seine Mutter ist, wie es damals üblich und vom Gesetz gestützt wird, nur für den Haushalt zuständig und fühlt sich dadurch weder ausgelastet noch findet sie dafür Anerkennung. Für Tobias steht diese Rolle gar nicht in Frage. Erst durch die Berufstätigkeit der Nachbarin und den Bemühungen der Mutter in dieser Richtung gerät sein vom Vater gestütztes Bild der Frau im öffentlichen Leben ins Wanken.

Der Erzählstil des Ich-Erzählers entspricht dem eines heranwachsenden Jungen, der über manche Entdeckungen staunt und über alles Erlernte und Erfahrene stolz ist, weil er darüber den wissenden Erwachsenen wieder etwas ähnlicher geworden ist. Dadurch erhält der Roman eine gewisse Leichtigkeit und sorgt für einige amüsante Szenen. Ulrich Woelk ist selbst in einem Kölner Stadtteil in den 1960ern aufgewachsen ist und vermittelte ein authentisches Flair der damaligen Zeit und der rheinischen Lebensart, die ich selber als Rheinländerin auch kenne. Manchmal konnte ich vergessen, dass der Roman nur eine Fiktion ist und sah dabei den Autor in der Rolle des Biografen.

In dieser Geschichte eines am Beginn der Pubertät stehenden Jungen verbirgt sich einiges an Tiefgang zu Themen der Gesellschaftspolitik, die durch die Unbedarftheit des Ich-Erzählers aufgeworfen werden. Es sind Themen darunter, allen voran die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die bis heute aktuell sind. Gerne habe ich mich noch einmal zurück erinnert sowohl in Bezug auf die Historie wie auch an die frühen Jugendjahre und der damit verbundenen Erweiterung des eigenen Horizonts, so wie Tobias sie erfährt. Gerne empfehle ich daher den Roman uneingeschränkt weiter.