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Veröffentlicht am 24.04.2019

Dramatische Einzelschicksale im Ungarnaufstand

Sojus
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nen historischen Krimi, in dem der Ungarnaufstand von 1956 im Fokus steht, kannte ich bisher noch nicht. Die historische Reihe von Martin von Arnim mit den Figuren des Kommissars Eckart und des italienischstämmigen ...

nen historischen Krimi, in dem der Ungarnaufstand von 1956 im Fokus steht, kannte ich bisher noch nicht. Die historische Reihe von Martin von Arnim mit den Figuren des Kommissars Eckart und des italienischstämmigen Amerikaners und Tausendsassas Vanuzzi im Mittelpunkt auch nicht, so dass dies für mich eine doppelte Premiere war.

Der ehemalige deutsche Kommissar Andreas Eckart steht altersmäßig in den 1950er Jahren definitiv eher am Ende als am Beginn einer möglichen beruflichen Karriere, die aber sowieso bereits vor Jahren gewaltsam endete, nämlich durch den Nationalsozialismus. Zu Beginn dieses Bandes wird er aus einer psychiatrischen Klinik in den Vereinigten Staaten befreit, unter anderem durch den bereits erwähnten Vanuzzi.

Der spürt ihn dann einige Jahre später in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland auf, wo er im beschaulichen Würzburg ein ruhiges Leben führt. Zu führen hoffte, muss man nun sagen, denn Vanuzzi, der als mehr oder weniger freiberuflicher Geheimagent mehreren Herren dient, ködert ihn zur Beteiligung an einem Auftrag in Budapest: ein Dossier mit brisanten Informationen soll geholt werden. Eckart will ablehnen, wird aber ge- und verlockt mit dem Versprechen, seinen Sohn, den er bisher nicht kannte und der im gerade stattfindenden Ungarn-Aufstand eine Rolle spielt, kennenzulernen.

In Budapest angekommen, erleben Eckart und Vanuzzi im Kreise von Widerstandskämpfern die Niederschlagung des Aufstands durch sowjetische Streitkräfte. Deutllich wird, dass man niemandem trauen kann - wie Eckart schmerzlich erfährt, nicht mal seinem eigenen Sohn, der unter dem Namen "Sojus" eine ganz spezielle Rolle innerhalb der Ereignisse spielt.

Ein mitreißender und kraftvoller, aktionsgeladener Krimi oder gar Thriller - aber nur für Leser, die bereit sind, tief in nicht ganz so bekannte historische Zusammenhänge einzutauchen.

Ich kannte die Reihe bisher nicht und muss sagen, dass man auch in den dritten Band ohne Vorkenntnisse ganz gut hineinkommt. Damit meine ich aber spezifische Vorkenntnisse zu dieser Reihe - ein wenig Ahnung von den Ereignissen der Weltgeschichte und speziell der Vorgeschichte des Ungarnaufstands sollte man schon haben, sonst versteht man diesbezüglich nur "Bahnhof".

So aber ist es eine eindringliche, dramatische Story, die neben dem Kriminalfall den Ungarnaufstand von 1956 beleuchtet, ein Ereignis, das wie viele andere Aufstände gegen die sowjetische Vormacht im 20. Jahrhundert bisher viel zu wenig bekannt ist als Teil der Europäischen Geschichte und auch beim Verständnis der gegenwärtigen Position Ungarns innerhalb der EU weiterhelfen kann. Der Autor Martin von Arndt kann nicht nur spannende Geschichten erzählen, sondern beleuchtet auch detailreich historische Gegebenheiten. Ein eindrucksvolles Werk, dessen Vorgänger ich mir zu Gemüte führen werde und auf dessen Nachfolger ich mich freue!

Veröffentlicht am 18.04.2019

All about Eve?

Vater unser
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Nein, alles über Eva erfährt man hier nicht, aber auch nicht über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, nach denen die drei Romanteile jeweils benannt sind und die hier - wenn man so will - sowohl ...

Nein, alles über Eva erfährt man hier nicht, aber auch nicht über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, nach denen die drei Romanteile jeweils benannt sind und die hier - wenn man so will - sowohl eine prominente als auch eine verwirrende Rolle spielen.

Protagonistin Eva Gruber, gleichzeitig Ich-Erzählerin und Patientin in einer psychiatrischen Klinik, führt uns Leser im heiteren, stellenweise makabren Plauderton in ihr Leben und in die Geschicke ihrer Familie ein, die aus einer schwierigen Mutter, einem zu beschützenden jüngeren Bruder und einem übergriffigen Vater besteht, der allerdings schon vor Jahren die Flucht nach vorne in ein anderes Leben mit einer neuen Familie angetreten hat. Oder auch nicht, denn schnell wird klar, dass man Eva eigentlich überhaupt nichts glauben kann

In der Klinik ist der Psychiater Doktor Korb Evas Gesprächspartner, der auch für den Leser somit eine wichtige Bezugsperson als Adressat sämtlicher Gefühle und Empfindungen Evas ist. Aber was ist da los? Denn längst nicht alles, was Eva so von sich gibt, kann stimmen, dazu widerspricht sie sich viel zu oft selber. Existiert dieser Doktor eigentlich und wenn ja, was genau führt er im Schilde? Eva scheint ein wenig von einer erwachsenen Pippi Langstrumpf zu haben: sie schafft sich zwar nicht ihre Welt, aber sie verkauft sie, wie sie ihr gefällt.

Ist sie eine Lügenbaronin, eine weibliche Antwort auf Münchhausen? Eine Hochstaplerin vielleicht? Mehr und mehr macht sie den Eindruck einer zutiefst verstören und zerstörten jungen Frau, trotz der Leichtigkeit, die über weite Teile ihrer Ausführungen mitschwingt. Immer wieder bringt sie es fertig ihre Leser - mich zumindest - zu irritieren und zu verwirren.

Die junge österreichische Autorin Angela Lehner hat hier etwas ganz Besonderes geschaffen, ein Werk, dass ich als tragischen Schelmen-, nein, vielmehr Schelminnenroman bezeichnen möchte.Mit Betonung auf "tragisch" Denn es ist starker Tobak, der uns Lesern hier aufgetischt wird, aber andererseits tritt Protagonistin Eva auch als Meinungsmacherin, gelegentlich auch als Illusionistin auf. Oder sie erweckt zumindest den Anschein. Denn ganz bin ich ihr bis zum Schluss nicht auf die Schliche gekommen. Was auch nicht weiter schlimm ist, denn auch der Leser sollte sich selbst und seine Ideen in die Lektüre einbringen können, was hier ganz unbedingt der Fall ist! Literarisch geht Angela Lehner ihren eigenen Weg - sowohl stilistisch als auch inhaltlich hat sie etwas noch nie Dagewesenes oder mir zumindest bislang Unbekanntes geschaffen. Ihr Roman ist eine Fundgrube für alle, die bereit sind, in der Literatur diesem neuen Weg, der auch Eigeninitative erfordert, einzuschlagen und ganz was Neues auszuprobieren!

Veröffentlicht am 10.04.2019

Beste Freundinnen

Aller Anfang
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werden Celia, Bree, Sally und April, die sich auf dem College kennenlernen und deren Freundschaft die Studienjahre definitiv überdauert. Eine Freundschaft fürs Leben soll es sein, da sind sie die vier ...

werden Celia, Bree, Sally und April, die sich auf dem College kennenlernen und deren Freundschaft die Studienjahre definitiv überdauert. Eine Freundschaft fürs Leben soll es sein, da sind sie die vier ziemlich unterschiedlichen jungen Frauen vollkommen sicher.

Doch ach, so leicht ist es nicht, einander vertrauensvoll verbunden zu bleiben und auch noch permanent Kontakt zu halten - die Erfahrung machen die vier Absolventinnen in den folgenden Jahren.

Celia wird zu derjenigen, die alles zusammenhält, Sally, die ihre Mutter bereits vor dem Studium verloren hat, heiratet früh, die schöne und unwiderstehliche Bree, Traum schlafloser Nächte für zahllose Männer, geht eine schwierige, gleichwohl langjährige lesbische Beziehung und lediglich April, die immer schon als recht extreme Frauenrechtlerin durchs Leben ging, bleibt sich treu bzw. überrascht die anderen nicht.

Nicht direkt jedenfalls, denn irgendwann verschwindet sie spurlos und die anderen klammern sich verängstigt aneinander - längst nicht nur im übertragenen Sinne.

Ein warmherziger Roman, der manchmal zu absehbar ist, im Endeffekt aber meine Erwartungen in einen stimmungsvollen Frauenroman nicht ohne Anspruch beinahe vollkommen erfüllt. Eine entspannte Urlaubs- oder Wochenendlektüre, die gleichwohl zum Nachdenken anregt!

Veröffentlicht am 08.04.2019

An Grenzen stoßen

Der Gott am Ende der Straße
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In Louise Erdrichs neuem Roman machen die Einwohner der ehemaligen Vereinigten Staaten - wie der aktuelle Name ist, erfährt man nicht - eine neue Erfahrung: sie stoßen permanent in Grenzen. Und zwar nicht ...

In Louise Erdrichs neuem Roman machen die Einwohner der ehemaligen Vereinigten Staaten - wie der aktuelle Name ist, erfährt man nicht - eine neue Erfahrung: sie stoßen permanent in Grenzen. Und zwar nicht nur an diejenigen des Landes - Kanada und Mexiko haben schon dicht gemacht, man kommt nur illegal rüber. Nein, fast alles ist verboten, vieles nicht mehr möglich. Normale Müsliriegel gab es bis vor ein paar Monaten an jeder Tankstelle, nun sind sie Luxus. Im Klartext: es ist eine mehr als bedrohliche Entwicklung, von der keiner weiß, wohin sie führen wird. Denunziationen, Verrat, Brutalität: das alles ist an der Tagesordnung, Verhaftungen finden ununterbrochen statt, oft ohne gleich ersichtlichen Grund.

Cedar, bis vor kurzem eine ganz normale junge Frau, wird quasi von jetzt auf gleich zur Geächteten. Sie ist nämlich schwanger und Kinder auszutragen und dann auch noch zu behalten, ist eines der kriminellsten Dinge überhaupt. Sie muss also um Leib und Leben bangen und hat keine Ahnung, wer noch Freund, wer schon Feind ist. In dieser Situation macht Cedar, die als Säugling adoptiert wurde, die Bekanntschaft ihrer leiblichen Mutter, einer im Reservat lebenden indigenen Ureinwohnerin.

Wenn sich Louise Erdrich auf eine Dystopie einlässt, dann kann man sich darauf verlassen, dass nichts abgekupfert bzw. in irgendeiner Form schon mal da gewesen ist, dafür ist die Autorin viel zu authentisch und zu sehr in ihrer eigenen Welt verankert, in der sich stets Vertreter der indigenen Einwohnerschaft der Vereinigten Staaten und Deutsche finden. Beide Nationen kommen auch in der bedrohten Welt der Zukunft vor, wobei die Deutschen diesmal zugegebenermaßen allenfalls eine Statistenrolle spielen.

Die Autorin greift, so scheint es, aktuelle Bedrohungen unterschiedlicher Art, die derzeit quasi als Damoklesschwert über den Amerikanern schweben, auf, und bringt sie in eine neue Form, bzw. konfrontiert den Leser mit möglichen Folgen der Mißachtung von Rechten der Bevölkerung wie auch der Natur. ne.

Sie versteht sich auf die Sprache zwischen den Zeilen - in ihrem ganz besonderen, klaren Stil vermag sie
auf relativ wenig Seiten eine eigene Welt zu erschaffen, Botschaften zu senden und das Bedürfnis nach MEHR zu wecken:
mehr brillianter, kraftvoller Literatur, mehr spannenden und gut erzählten Themen, mehr wichtigen Botschaften, mehr eindringlichen
Zitaten - eben einfach nach mehr Erdrich!

Wobei ich mir fast anmaßend dabei vorkomme, dergestalt über diese großartige Autorin zu urteilen, sie zu bewerten! Wer sie lesen sollte? Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Töchter und Söhne - solche, die an der Gegenwart verzweifeln, aber auch solche, die Hoffnung in sich tragen und lernen wollen. In diesem Fall von den Ureinwohnern Nordamerikas, die trotz aller Widrigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind, immer noch das alte Wissen in sich tragen und es weitergeben - durch die Lektüre von Erdrich-Romanen auch an uns, wenn wir bereit sind, uns darauf einzulassen.

Louise Erdrich ist eine Autorin, die uns Wichtiges aufzeigt, die Werte für sich sprechen lässt. Auch wenn mich dieser Roman aufgrund seiner in die Zukunft gerichteten Thematik nicht ganz so angesprochen hat wie bspw. "Der Club der singenden Metzger" oder "Das Haus der Winde".

Doch dies ist Kritik auf allerhöchster Ebene, auch dieser Roman ist ausgesprochen lesenswert und beeindruckt durch Originalität und Menschlichkeit.

Veröffentlicht am 01.04.2019

Heilige unter sich

Unter Heiligen
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leben in Junction, einer kleinen Siedlung am Straßenkreuz. Heilige: so bezeichnen sich die Mormonen selbst. Die hier Ansässigen haben sich zum großen Teil von der Hauptkirche gelöst und praktizieren einen ...

leben in Junction, einer kleinen Siedlung am Straßenkreuz. Heilige: so bezeichnen sich die Mormonen selbst. Die hier Ansässigen haben sich zum großen Teil von der Hauptkirche gelöst und praktizieren einen aus ihrer Sicht freieren, klareren Glauben. Für die meisten von ihnen gehört dazu, entgegen den Maßgaben der Hauptkirche monogam zu leben.

Winter 1888: Allein zu Haus zu sein ist Deborah gewohnt - ihr Mann Samuel ist wie in jedem Jahr als wandernder Handwerker unterwegs. Nur: diesmal ist er nicht wie versprochen und bisher immer gehalten am 1. Dezember zurückgekommen - nun ist es fast Mitte Januar und Deborah wartet noch immer auf ihn. Ohne auch nur daran zu denken, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte.

Es stellt sich ein Reisender ein - einer von denen, die Deborah bereits erwartet, wenn auch nicht in dieser Jahreszeit. Gemeinsam mit ihrem Mann Samuel und dessen Stiefbruder Nels ist sie nämlich Teil einer Kette von Verschworenen, die Brüder auf der Flucht vor dem Gesetz unterstützen. Und zwar Andersdenkende: sie werden wegen Polygamie verfolgt und trotz ihrer anderen Haltung unterstützen die Drei die Glaubensbrüder. Doch mit dem neuen Besucher ist etwas anders, das zeigt sich auch darin, dass er von einem Marshall verfolgt wird, nicht von einfachen Ordnungs- und Gesetzeshütern.

Die Autorin schreibt in einem schlichten, sehr klaren Stil. Einerseits ziehen in diesem Roman mehrere Schicksale am Leser vorbei, andererseits jedoch passiert nicht wirklich viel. Doch es wird deutlich, welche Kraft Deborah braucht, um sich ihrem Leben zu stellen, dieses zu meistern in der kargen Einöde Utahs. Mir ist deutlich geworden, dass sie diese Kraft tatsächlich hat. Es ist ein Roman, der viel Trauer, aber ebenso viel Hoffnung beinhaltet. Sehr zu empfehlen für Freunde anspruchsvoller historischer Romane, die gerne auch mal etwas weitab des Mainstream lesen!