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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.09.2019

Vergangenheit, die nicht bewältigt werden kann

Schotter
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Der 1937 geborene Florjan Lipus ist ein auf slowenisch schreibender Österreicher.
Wenn man liest, dass der Autor als sechsjähriges Kind miterleben musste, wie seine Mutter verhaftet wurde, und dann ins ...

Der 1937 geborene Florjan Lipus ist ein auf slowenisch schreibender Österreicher.
Wenn man liest, dass der Autor als sechsjähriges Kind miterleben musste, wie seine Mutter verhaftet wurde, und dann ins Konzentrationslager Ravenbrück kam, wo sie ermordet wurde, kann man sich vorstellen, dass es ein bestimmtes Thema ist, das den Autor beschäftigt.
Aus seiner Geschichte Schotter wird deutlich, dass die Verarbeitung auch nach langer Zeit nicht abgeschlossen ist. Stattdessen herrscht Verdrängung vor.

Eine Gruppe aus einem Dorf besuchen das KZ, auf den Spuren ihrer lange Zeit toter Angehörigen. Auch das Zusammenleben von den Nachfahren der Opfer und Täter im Dorf, ist auch unbewältigt.
Florjan Lipus entwickelt ein ganz eigenen, schwebenden Ton. Auffällig auch, dass die Zeiten verschwimmen. Die Kinder, die das KZ wegen ihrer Großmutter besuchten, sind wenige Seiten später erwachsen, dann wieder werden die Gefangenen und ihr Schicksal wie gegenwärtig betrachtet.

Teilweise fehlen einen die Worte für dieses Buch. Sprachlich ist das Buch, das ohne Dialoge auskommt, nicht zu unterschätzen. Dank der Nominierung zum Österreichischen Buchpreis konnte ich den Autoren entdecken und habe das Gefühl, das ich weitere Bücher von ihm lesen muss.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Überbordendes Lesevergnügen

Mobbing Dick
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Tom Zürcher, eher ein unbekannter der Autoren der diesjährigen Longlist zum Deutschen Buchpreis, hat einen witzigen, teilweise überdrehten Roman geschrieben und er hat dafür einen Erzählton gefunden, der ...

Tom Zürcher, eher ein unbekannter der Autoren der diesjährigen Longlist zum Deutschen Buchpreis, hat einen witzigen, teilweise überdrehten Roman geschrieben und er hat dafür einen Erzählton gefunden, der funktioniert. Im Mittelpunkt ein naiver junger Mann namens Dick Meier. Den für einen Schweizer ungewöhnlichen Namen Dick muss er mehrfach im Roman erklären und wählt unterschiedliche Antworten.

Dick bricht sein Studium ab und ist genervt von seinen Eltern, bei denen er noch wohnt. Der kleinbürgerlichen Welt will er entkommen. Also sucht er einen Job und findet erstaunlicherweise einen in einer Bank. Den Berufsalltag in der Bank wird sehr amüsant erzählt, wenn auch absurd. Zwar nicht unrealistisch, aber deutlich überzeichnet.
Es gibt dort einige schräge Figuren und der exzentrische Dick fühlt sich anfangs wohl unter ihnen.
Dick sucht auch nach einer Wohnung und findet unwissend ausgerechnet eine im Rotlichtbezirk.

Eigentlich mag ich keine Deppen als Protagonisten in Romanen und Dick ist sicher einer, aber durch die Ironie des Autors wird er zu einer funktionierenden Figur.
Es gibt viel Wortwitz, der teilweise durch die Dialoge entsteht, dann aber auch wieder durch Dicks Gedanken. Manche groteske Szene werden aber auch erschreckend, wenn der paranoide Dick mit der Zeit die Kontrolle verliert und die Situation eskaliert.

Wahrscheinlich wird Tom Zürcher auch durch Mobbing Dick ein Außenseiter im Literaturbetrieb bleiben, aber immerhin zeigt das Buch, wie befruchtend es für den Leser sein kann, nicht immer dem Mainstream zu folgen.

Veröffentlicht am 28.08.2019

Gefahrvolle Reise

Über die Grenze
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Maja Lunde‘s Über die Grenze beschreibt den gefahrvollen Weg von 4 Kindern aus Norwegen hin zum sicheren Schweden. Es ist das Jahr 1942 und Grund der Flucht ist, dass 2 der Kinder verfolgte Juden sind.

Der ...

Maja Lunde‘s Über die Grenze beschreibt den gefahrvollen Weg von 4 Kindern aus Norwegen hin zum sicheren Schweden. Es ist das Jahr 1942 und Grund der Flucht ist, dass 2 der Kinder verfolgte Juden sind.

Der Roman ist aber nicht ganz so düster, wie Rahmenhandlung und Cover vermuten lassen. Natürlich ist die Situation bedrückend genug, aber es ist der Mut der 10jährigen Gerda, der schließlich auch ihren bedächtigeren Bruder Otto ansteckt. Sie halten es für ihre Pflicht, Satah und Daniel zu helfen. Es sind die Kinder, die ihre Eltern versteckt gehalten haben. Somit ist Gerdas und Ottos Handeln auch ein Erbe ihrer Eltern und Ergebnis einer Erziehung.
Es ist daher zu bezweifeln, dass die Geschichte auch leicht hätte in Deutschland spielen können.

Ein bemerkenswertes Mittel, dass die Autorin Gerda zukommen lässt, ist ihre Fantasie und ihre Liebe zu Büchern. Das hilft ihr und den anderen in Zeiten der Gefahr. Zu gerne fühlen sie sich wie die 3 Musketiere und D‘Artagnon.

Dank den starken Figuren und der inhaltlich wie sprachlich geschickten Gestaltung Maja Lundes wird es ein bemerkenswertes Stück Kinderliteratur.

Veröffentlicht am 25.08.2019

Der Bienenzüchter der Eifel

Winterbienen
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Der Roman ist sprachlich außerordentlich fein gestaltet. Es gibt genaue landschaftliche und situative Beschreibungen. Jeder Satz ist ausgearbeitet und doch ist das ganz im Fluss! Ein Fest für die Leser, ...

Der Roman ist sprachlich außerordentlich fein gestaltet. Es gibt genaue landschaftliche und situative Beschreibungen. Jeder Satz ist ausgearbeitet und doch ist das ganz im Fluss! Ein Fest für die Leser, die Literatur lieben.

Erzähler ist Egidius Arimond, ein ehemaliger Lehrer, der jetzt Bienenzüchter in der Eifel ist und gelegentlich verfolgte Juden über die Grenze bringt. Aufgrund seiner Epilepsie befindet er sich in einer isolierten Grenzsituation. Er wurde deswegen auch nicht in den Krieg eingezogen und ist somit einer der wenigen Männer mittleren Alters, die in der Umgebung noch da ist. Er ruht sehr in sich selbst, doch die Angst, dass die Krankheit schlimmer wird oder er keine Medikamente mehr bekommt ist ebenfalls da. Je mehr sich die Kriegszeit dem Ende nähert, desto chaotischer wird es.

Zwischendurch gibt es Abschnitte aus Fragmenten eines seines Vorfahren, eines Mönches aus dem 15.Jahrhundert, dessen Texte Egidius aus dem Latein übersetzt. Das sind interessante Passagen..

Norbert Scheuer hat eine metaphernreiche, bildmächtige Sprache, die sich aber gleichzeitig erstaunlich zurücknimmt und von Lakonie bestimmt ist. Sehr überzeugend!

Veröffentlicht am 24.08.2019

Von Gärten und vom Leben

Der Große Garten
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Die Filmemacherin Lola Randle hat mit Der große Garten ein amüsantes Buch geschrieben.

Die Erzählerin möchte ein Gartenbuch schreiben und beschäftigt sich daher mit den Pflanzen,
wenn sie nicht gerade ...

Die Filmemacherin Lola Randle hat mit Der große Garten ein amüsantes Buch geschrieben.

Die Erzählerin möchte ein Gartenbuch schreiben und beschäftigt sich daher mit den Pflanzen,
wenn sie nicht gerade an ihre Therapie denkt oder an ihren Liebhaber.

Es wird mit gespielter Naivität erzählt, in kurzen Episoden von nur einer bis 2 Seiten.
Das funktioniert sehr gut.
Man wundert sich als Leser selbst, dass man es so interessant findet, wenn die leicht neurotische Protagonistin über Beete, Saatgut, Hühner, Schafe, Maulwürfe und Würmer nachdenkt, aber irgendwie ist ihr großes Staunen über die Natur ansteckend.
Das Buch ist umfangreich, aber die Autorin setzt auch bewusst auf Wiederholungen. Das spiel zwischen Autobiografie und Fiktion ist auch sehr reizvoll.

Das Buch macht einfach Spaß!