Profilbild von Aennie

Aennie

Lesejury Profi
offline

Aennie ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Aennie über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.09.2019

Harry Holes bisher persönlichster Fall

Messer (Ein Harry-Hole-Krimi 12)
0

Obwohl: Eigentlich ist Harry Hole ja bei seinen Fällen fast immer auch sehr stark persönlich betroffen, schon sein Charakter bedingt, dass sein Privatleben irgendwie immer in alles, was er beruflich tut, ...

Obwohl: Eigentlich ist Harry Hole ja bei seinen Fällen fast immer auch sehr stark persönlich betroffen, schon sein Charakter bedingt, dass sein Privatleben irgendwie immer in alles, was er beruflich tut, hinein strahlt. Doch so tief war der Einschnitt noch nie. Wieder einmal am Boden, verlassen von Rakel, wacht er benommen und sturzbetrunken in seiner kleinen Wohnung auf. Blut an den Händen, auf der Kleidung. Als dann eine Leiche gefunden wird, ist er bis ins Mark erschüttert und besonders schwer wiegt, dass er sich an nichts aus der fraglichen Nacht erinnern kann, stattdessen Flashback-artige kurze Szenen in seinem Hirn aufblitzen, die er nicht einordnen kann und plötzlich Indizien auftauchen, die er einordnen muss. Das alles jedoch nicht in seiner offiziellen Rolle als Kommissar unter Polizeichefin Katrine Bratt, sondern da er suspendiert ist – auch mal wieder – unter dem Radar, zusammen mit Kaja Solness, die noch immer ein wenig unter ihrem gebrochenen Herzen leidet, dass Harry ihr vor Jahren zugefügt hat, und Bjorn Holm, dem Mann von Katrine Bratt, der eigentlich im Erziehungsurlaub weilt. Harry vermutet einen alten Bekannten Svein Finne, den „Verlobten“ hinter diesem Mord und anderen Vorfällen in Oslo, doch auch andere Verdächtige tauchen auf und verschwinden wieder, bis eine schreckliche Erkenntnis in Harry Hole wächst…
Ein typischer Harry Hole, mit den bekannten Haupt- und Nebencharakteren, mit einem Harry, der seiner Rolle treu bleibt, und einem Autor, der mit diesem zwölften Band einen der deutlich besseren Teile der Reihe vorlegt, als mit den letzten beiden Bänden – zumindest in meinen Augen. Der fall ist dramatisch, spannend und macht betroffen. Harry ist Harry, man schüttelt den Kopf über ihn, möchte ihn auch mal feste in den Allerwertesten treffen, aber dann ist er doch wieder der geniale Ermittler, der alle Puzzlestückchen an die richtige Stelle fallen lässt, auch wenn er vorher gar nicht so genau wusste, ob er da einen Teil der Lösung sieht oder ein belangloses Detail. Dafür schätze ich Jo Nesbos Reihe sehr, und sie ist einfach eine Konstante. Genau wie der oftmals ähnliche Ausgang des Buches, der im Unklaren lässt, wie es mit Harry nun weitergeht. Wo geht er hin, kriegt er die Kurve, wenn ja, wie lange und mit wem? Ich glaube, solange Nesbo neue Fälle einfallen, kann er Harry weiter in und aus dem Sumpf steigen lassen, es lohnt sich immer zu lesen. Ich weiß, was ich mir zumindest für die Zukunft wünsche: Einen Harry-Hole- und Oleg-Fauke-Fall! Wenn Oleg mit seiner Ausbildung fertig ist, könnte es doch einen gemeinsamen Fall geben, irgendwelche Vorfälle, die eine Zusammenarbeit der Polizei Oslo und der Finnmark nötig machen? Grandios!
Fazit: Es ist der 12. Fall für Harry Hole, einsteigen sollte man mit dem Band sicher nicht, aber ansonsten gibt es an diesem Thriller rein gar nichts zu meckern. Spannungsbogen stimmt, bekannte Charaktere füllen ihre Rollen aus, ohne dass es zu wiederholend oder immer gleich rüberkommt, einfach gut.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Bedrohtes Pflänzchen

Wo die Freiheit wächst
0

Köln, 1942. An der sechzehnjährigen Lene Meister bleibt viel hängen. Der Vater ist bei der Marine und seit geraumer Zeit vermisst. Ihr älterer Bruder Franz ist an der Ostfront, der zwei Jahr jüngere Kalli ...

Köln, 1942. An der sechzehnjährigen Lene Meister bleibt viel hängen. Der Vater ist bei der Marine und seit geraumer Zeit vermisst. Ihr älterer Bruder Franz ist an der Ostfront, der zwei Jahr jüngere Kalli lebt für die HJ, die beiden kleinen Schwesterchen, sind zu klein um die Lage zu erfassen. Die Mutter und Lene ernähren und halten die Familie aufrecht und am Leben, mit Unterstützung von „Onkel Hugo“, der solange Onkel bleiben muss, bis das Schicksal des Vaters geklärt ist. Da ist es besonders schwer, dass Lene nicht einmal ihre beste Freundin Rosi zur Seite hat, denn die arbeitet moemntan auf einem Gutshof im westfälisch. Also bleibe Lene nur Briefe. Briefe an Rosi, an Franz um zu berichten, was der Bombenkrieg der Engländer im „leev ahl Kölle“ und mit den Menschen anrichtet. Vor allem Rosi wird ihre Vertraute, als Lene einen alten Bekannten aus der Kindheit wiedertrifft, Erich. Die beiden verlieben sich ineinander und teilen eine Neigung: Die Ab-Neigung zu HJ und BDM, dem Marschieren und der blinden Gefolgsamkeit für den Führer. Erich hat einen Freundeskreis, zu dem Lene sich auch schnell hingezogen fühlt. Gleichgesinnte junge Leute, die lieber am Wochenende ins Siebengebirge fahren anstatt zum HJ-Nachmittag zu gehen und Marschieren zu üben. Sie kleiden sich anders, tragen karierte Hemden, Berchtesgdener Jäckchen und kurze Hosen. Ein Symbol taucht immer wieder auf: das kleine Edelweiß, dieses bedrohte, seltene Pflänzchen, wie die Freiheit zu jener Zeit. Es wird zum Symbol für Freunde - und zum Merkmal, dass die Gestapo benutzt, um die „Bummelanten“, diese Wandervögel und Bündischen zu benennen – und zu verfolgen.
Frank Maria Reifenberg erzählt in seinem Briefroman die – fiktive – Geschichte rund um die Gründung der Edelweißpiraten in Köln. Seine Protagonistin, Lene, schreibt Briefe an ihre beste Freundin, ihren Bruder, ihren Freund Erich – und erhält Antworten. Lene muss es sich von der Seele schreiben, das Grauen an der Heimatfront, ihre Gefühle für Erich, ihre Abneigung gegen die Zwänge des Regimes, ihre Freude an den neuen Freunden. Vor allem Rosi gegenüber ist sie sehr offen und entsetzt damit die Freundin eins ums andere mal, die sich der Gefahr, die solch offenen Wort ind dieser Zeit bedeuten können, viel mehr bewusst ist, als es Lene zu sein scheint. In der Gesamtheit ergibt sich ein rundes und komplexes Bild, angefangen mit den Problemen der Postzustellung, der oft verschobenen und verzögerten Nachrichtenübermittlung, dem Leid der Zivilbevölkerung, dem Grauen an der Ostfront - dem Wissen und der Angst vor Zensur, Bespitzelung, Verrat, Verhaftung – dem Wunsch nach Freiheit, Frieden und freier Meinungsäußerung. Lene kann nicht hinter dem Berg halten mit ihren Ansichten und findet daher ihren Platz bei den Edelweißpiraten, als Leser ist man genau wie all ihre Briefpartner entsetzt darüber, was sie alles zu Papier bringt und möchte sie stoppen, schützen, bewahren. Und das ist dem Autor großartig gelungen: die Empathie, die man für Lene entwickelt ist immens, das Damoklesschwert hat man permanent vor Augen. Die Briefform mag ich persönlich sehr gerne, sie ist sehr unmittelbar und transportiert meiner Meinung nach gerade die Problematik der nicht möglichen freien Kommunikation sehr gut – Zensur vs. dem viel gelobten Briefgeheimnis. Das darüberhinaus auch noch ein wertvoller historischer Beitrag geleistet wird, in dem über die vielleicht regional geläufigen, jedoch weitegehend unbekannte (ich empfinde es so, mir als Wahl-Rheinländerin ist es ein Begriff, ich habe aber nicht den Eindruck, dass es allgemein bekannt ist) ist ein wichtiger und bemerkenswerter Mehrwert des Buches. Sehr gelungen sind in diesem Kontext die Anhänge, Zeittafel und weitere Informationen zu der Situation von Jugendlichen im 3. Reich.
Fazit: ein Jugendbuch, lesenswert aber auch absolut für Erwachsene. Ich denke, Jugendliche werden sich sehr mit Lenes Wunsch nach Selbstbestimmung identifizieren können, als Erwachsener bewundert man diesen Wunsch und macht sich gleichzeitig vielleicht Sorgen darüber. Fesseln also in jedem Fall und für alle Zielgruppen.

Veröffentlicht am 04.09.2019

Tritt ins Leere

Der Sprung
0

Eine kleine Stadt. Menschen wie du und ich und überall. Sie leben ihr Leben, Tag ein, Tag aus. Junge und alte, Menschen in langjährigen Ehen und welche in neuen Beziehungen, Menschen am Ende ihres Berufslebens ...

Eine kleine Stadt. Menschen wie du und ich und überall. Sie leben ihr Leben, Tag ein, Tag aus. Junge und alte, Menschen in langjährigen Ehen und welche in neuen Beziehungen, Menschen am Ende ihres Berufslebens und welche, die auf die nächste Stufe der Karriereleiter erpicht sind. Gelungene Lebenswege und tüchtig misslungene. Jeder hat ein Päckchen dabei, sein eigenes individuelles Päckchen – das kann zu viel Gewicht sein, Mobbing, finanzielle bis hin zu existenzielle Sorgen, Geheimnisse in der Gegenwart und in der Vergangenheit.
Und dann geschieht etwas. Das altbekannte oft täglich gleiche Gefüge verrutscht durch ein Ereignis mitten in dieser Stadt: eine junge Frau steht auf dem Dach. Suizidgefährdung! Ein gigantischer Notfalleinsatz ruft die Rettungskräfte auf den Plan und die Schaulustigen auf den Platz. Während sich die Blicke in den Himmel richten, gerät das Leben der Menschen am Boden in Bewegung, dieses Ereignis durchbricht ihren Alltag, sie weichen ab von ihren alltäglichen Wegen - und wenn es nur durch die Straßensperre der Polizei ist. Sie bewegen sich in ihrem Geflecht, aber die Strukturen sind aufgeweicht, instabil, durchlässig geworden – und dieser fast organische Körper beginnt sich an einigen Stellen neu zu formieren und hinterlässt das Gesamtgebilde und die einzelnen Ankerpunkte, die Menschen in dieser Stadt und anderswo, ebenfalls mitunter verändert zurück.
Simone Lappert ist ein Kunstückchen gelungen. Ihr Buch „Der Sprung“ vollführt mit jedem neuen Kapitel einen Perspektivwechsel. Sie schildert das Leben, die Sorgen und Nöte einiger Menschen in einer kleinen Stadt an einem beliebigen Tag, gibt Einblick in ihr Leben. Auf den ersten Blick und zu Beginn des Buches haben die Protagonisten (für den Leser) wenig bis nichts miteinander zu tun, im Laufe der Geschichte und mit mehr Personen, die hinzukommen, verdichtet sich das Bild, Fäden werden gesponnen und miteinander verknüpft rund um ein das Kernereignis des Buches – die junge Frau auf dem Dach, die Ziegel in die Menge schleudert.
Ein Buch, das aus so vielen einzelnen Kapiteln mit immer wechselnden Personen besteht, die aber trotzdem nicht in der Beliebigkeit versumpfen und – für mich – auch eigentlich immer klar und sofort identifizierbar oder zuordenbar bleiben, das ist große Kunst. Die Autorin charakterisiert so treffend, behutsam und mit unheimlicher Liebe für all ihre einzelnen Figuren, dass sie einem als Leser auch weitestgehend richtig ans Herz wachsen. Ich fand ganz besonders spannend, wie unterschiedlich gewichtet aber auch die Information zu Personen war, die übermittelt wird. Bei einigen Personen erfährt man sehr viel, auch über Vergangenes, weil es wichtig ist für ihr Verhalten und ihre Reaktion auf die Frau auf dem Dach. Bei anderen bleibt dies angerissen, wieder andere agieren nur in der Gegenwart. So wie es auch in der Realität welche gibt, die aus welchen Gründen auch immer, näher dran sind als andere, die Passanten bleiben.
Interessant ist, dass die Frau auf dem Dach, ihre Gedanken und Gefühle sowohl für die anderen Personen im Buch als auch den Leser nicht einhundertprozentig offenbart werden – sie erhält kein eigenes Kapitel, keine eigene Stimme. Sie stellt das verbindende Element dar und so werden ihre Gedanken während eines bestimmten Zeitpunktes chronologisch unabhängig als Intermezzi zwischen den einzelnen Teilen des Buches eingestreut, sie starten als Prolog und enden als Epilog und gipfeln in einem letzten Satz, der nicht nur ihre Motive klärt, sondern auch als Sinnbild für alle anderen Personen gelten kann. Sie stellt eine Klammer für alles und alle dar. Dieses Momentum teilt sie mit einer anderen Person im Buch, die kein eigenes Kapitel erhält, aber auch so etwas wie den „Klebstoff“ zwischen all den Lebenslinien darstellt – die Cafébesitzerin am Platz, die alle kennen und schätzen.
Fazit: „Der Sprung“ ist ein Buch, wie man selten eines liest. Es könnte aufgrund seiner Struktur zerrissen sein und ist das genaue Gegenteil davon, eine Symphonie, in der jedes Instrument zu hören ist und der Orchesterklang den Genuss ausmacht. Beeindruckende, berührende Soli werden eingestreut und spiegeln sich im Großen und Ganzen wider. Grandios! Kleine sprachliche Kostbarkeiten, Personen, so vielfältig, dass jeder sich ein Stück darin finden kann, Drama, ganz fein eingestreuter Humor, ein paar Weisheiten und philosophische Gedanken am Rande und gar nicht mal so wenig Spiegel der kritikwürdiger Strömungen der aktuellen Gesellschaft – anspruchsvolles Leserherz was willst du mehr. Die Antwort ist klar: mehr Bücher wie dieses.

Veröffentlicht am 25.08.2019

Spuren der Vergangenheit

Unbarmherzig (Ein Gina-Angelucci-Krimi 2)
0

Nach zwei Jahren Elternzeit ist Gina Angelucci schon auch ein wenig froh, sich zukünftig wieder mit ungelösten alten Kriminalfällen im Münchner Kommissariat befassen zu dürfen. Auch wenn sie Chiara über ...

Nach zwei Jahren Elternzeit ist Gina Angelucci schon auch ein wenig froh, sich zukünftig wieder mit ungelösten alten Kriminalfällen im Münchner Kommissariat befassen zu dürfen. Auch wenn sie Chiara über alles liebt, und sie auch ein wenig Bedenken hat, ob ihr Mann Tino (Kommissar Dühnfort – die andere Krimireihe der Autorin) das Hausmannsein und Vater immer leicht von der Hand gehen wird, ihr Beruf macht ihr eben auch sehr viel Freude. Als in Altbruck Knochen und Knochenfragmente auftauchen, wissen anfangs weder die Finderin Ella Loibl noch die Kommissarin, dass sie nicht nur im dunkelsten Kapitel der Vergangenheit Altbrucks sondern auch in Ellas Familiengeschichte tief graben und ungeahnte Dinge finden werden. Schnell ist klar, die Knochen stehen in Zusammenhang mit der Munitionsfabrik aus dem dritten Reich, es handelt sich um die sterblichen Überreste eines Mannes aus der Gegend und einer Frau aus Lettland, doch was ist im Herbst 1944 wirklich geschehen? Gina verbeißt sich in den Fall, denkt vor allem an Hinterbliebene und Nachfahren, die nie mehr etwas von der verstorbenen Zwangsarbeiterin gehört haben könnten. Gleichzeitig muss sie sich plötzlich um das Wohlergehen ihrer eigenen Familie sorgen, denn ihr letzter Fall um die entführte Marie ruft plötzlich eine Spätfolge auf den Plan, mit der niemand rechnen konnte und die sich plötzlich in ihr Privatleben drängt und ihr Denken zusätzlich mit großer Sorge und Angst belastet, so dass Gina fast in Frage stellt, ob es richtig war zurück in ihren Beruf zu kehren.
Die beiden Gina-Angelucci-Krimis der Autorin sind die ersten beiden, die ich von ihr gelesen habe, obwohl ihr Kommissar Dühnfort ja nun seit Jahren erfolgreich im Roman und in der Krimiwelt ermittelt. Ich habe die flüssige und spannende Erzählweise sehr geschätzt, in „Umbarmherzig“ habe ich darüber hinaus auch insbesondere die Verknüpfung der historischen und der aktuellen Ereignisse sehr gerne gelesen. Die Protagonisten sind der Autorin wirklich außerordentlich sympathisch und trotzdem komplex gelungen, ich finde man bekommt ein gutes Gespür für die Persönlichkeit des ermittelnden Ehepaars, ihre Herangehensweisen und ihren Charakter im Einzelnen und im Zusammenspiel. Für mich ein richtiger, lohnenswerter Krimi mit einem guten Spannungsbogen, einem interessanten Fall und einer glaubhaften Auflösung.
Fazit: ich freu mich, dass ich auf Ilse Löhnig gestoßen bin, und dass sie so viel geschrieben hat, was ich noch nicht gelesen habe, Nachschub ist also gesichert.

Veröffentlicht am 16.08.2019

Einer für alle und alle für einen

Geblendet
0

Die Augen spielen dem Verstand einen Streich, weil Sehende sich blind auf sie verlassen. Das kann Jenny Aaron nicht passieren. In den letzten fünf Jahren und sechs Monaten haben sie und ihre Sinnesorgane ...

Die Augen spielen dem Verstand einen Streich, weil Sehende sich blind auf sie verlassen. Das kann Jenny Aaron nicht passieren. In den letzten fünf Jahren und sechs Monaten haben sie und ihre Sinnesorgane eine vollkommen neue Beziehung entwickelt. Bemerkenswerte Fähigkeiten hat sie entwickelt, zusätzlich zu jenen, die sie zuvor schon hatte. Jenny ist eine tödliche Waffe, von klein auf von ihrem Vater darauf trainiert und später vervollkommnet in ihrer Ausbildung. Eine Vergangenheit, die auch zur Last werden kann, so wie jedes einzelne Ereignis, jeder einzelne Auftrag seine Spuren auf ihrer Seele hinterlässt. Die Abteilung, dieses im Verborgenen agierende Gebilde, zwischen BKA, GSG9 und KSK ist ein Hochleistungsbetrieb, eine Maschine aus menschlichen Maschinen – und für die Menschen ein Zuhause, eine Familie, der Himmel und die Hölle zugleich. Dann wird dieses Gebilde hart getroffen, und es wird für alle Beteiligten zur einzig wichtigen Angelegenheit, die Hintergründe aufzudecken und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Gegner ist bekannt, und Jenny ist plötzlich mit einer Art Alter Ego konfrontiert und alten Bekannten, mit denen sie ohnehin noch die ein oder andere Rechnung offen hat, nun mehr denn je – doch offensichtlich beruht dies auf Gegenseitigkeit.
Vor ihrer Erblindung gehörte Jenny Aaron zur Abteilung, dann nicht, dann doch wieder, aber nicht so richtig – wie in jeder Beziehung manchmal – „es ist kompliziert“. Fakt ist, sie braucht die Abteilung und die Abteilung und die Menschen in der Abteilung brauchen sie, ihr Gespür, ihre Fähigkeiten. So auch in diesem dritten, abschließenden?, Band der Reihe von Andreas Pflüger, um Jenny Aaron. Wie auch zuvor wird der Leser mit ihren besonderen Fähigkeiten konfrontiert und davon in den Bann gezogen, wie sie damit umgeht, diesmal auch damit, wie es ihr geht, als sie tatsächlich wie im Vorgängerband schon angedeutet, eine Therapie beginnt, es Hoffnung gibt auf eine Rückkehr der Sehkraft, doch will sie das, will sie wieder Gefahr laufen, dass Augen und Verstand ihr Streiche spielen?
Für mich heben sich die Bücher von Andreas Pflüger deutlich ab aus dem manchmal zugegebenermaßen doch recht vergleichbaren Thriller-Einerlei. Nicht nur, dass die Thematik, die Protagonisten einmal aus einem ganz anderen Umfeld stammen, hier ist einfach vieles anders. Die Themen an sich, die Strategien, Vorgehensweisen, Lösungen sind hart und brutal und häufig auch von sehr großer Sachlichkeit geprägt. Dadurch entsteht in meinen Augen, ein ganz spezieller, mittlerweile auch unverwechselbarer Erzählton des Autors, den ich sehr mag. Was ich grandios finde, ist wie er für die Menschen in der Abteilung eine so ganz eigene Art der internen Kommunikation entwickelt hat. Ich könnte seitenweise dem Sarkasmus, den lakonischen Bemerkungen, den harten aber so ehrlichen Worten folgen, die sie für einander finden. Immer hochkonzentriert, manchmal scherzend, immer bereit sich für den anderen in den Kugelhagel zu werfen um ihn zu retten. Insbesondere dieser Ton des Autors hat für mich einen ganz großen Anteil am Reiz, den diese Reihe auf mich ausübt.

Fazit: Absolute Leseempfehlung, wie auch schon die ersten beiden Bücher, spannend, intelligent, beeindruckend. Man sollte nicht mit diesem dritten Band der Reihe beginne, sondern mit dem ersten. Zum einen finde ich ein bisschen Background wichtig, um alles zu verstehen, was mit und um die Protagonisten so vor sich geht, und zum anderen sie die Bücher einfach zu gut, um nur dieses eine zu lesen und die anderen nicht zu kennen!