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Veröffentlicht am 15.02.2020

Gekonnt erzählte komplexe Geschichte

Der rote Judas
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Mit „Der rote Judas“ ist Thomas Ziebula ein hervorragender historischer Kriminalroman gelungen, der die vielschichtigen Nachwirkungen und Nachwehen des ersten Weltkriegs – die persönlichen Tragödien ebenso ...

Mit „Der rote Judas“ ist Thomas Ziebula ein hervorragender historischer Kriminalroman gelungen, der die vielschichtigen Nachwirkungen und Nachwehen des ersten Weltkriegs – die persönlichen Tragödien ebenso wie die politischen Folgen –eindringlich schildert. Das beginnt schon intensiv im ersten Kapitel, welches uns in die Welt jener mitnimmt, die mit massiven Traumata aus dem Krieg zurückkamen – damals etwas flapsig „Kriegszitterer“ genannt – und durch grausame Behandlungsmethoden letztlich noch mehr traumatisiert wurden. Im Laufe des Buches begegnen uns viele Männer, die alle auf irgendeine Art vom Krieg geschädigt wurden und auf jeweils andere Weise versuchen, damit fertigzuwerden. So entwirft der Autor ein Panorama, das diese Auswirkungen lebhaft zeigt, viele der Schilderungen waren für mich schwer zu lesen, weil sie so schonungslos geschildert wurden, und genau so sollten sie auch geschildert werden.

Überhaupt ist der Schreibstil eine Freude. Es finden sich viele herrliche Ausdrücke, die ich teilweise mehrfach las, weil ein solch gekonnter Umgang mit Sprache einfach Freude macht. Formulierungen, die mit wenigen gut ausgewählten Worten ein Bild entstehen ließen, keine langatmigen Passagen, sondern Konzentration auf das Wesentliche, ohne dabei die Atmosphäre zu vernachlässigen. Ganz vereinzelt gab es einige Wiederholungen, die ich ein wenig anstrengend fand, das waren aber wirklich nur Einzelfälle.

Auch äußerlich spricht das Buch an, ich finde, das Titelbild ist ausgezeichnet gelungen. Eine Mischung aus unaufdringlich und eindringlich, gut abgestimmte Farben, mit einem Hintergrundbild, das schon andeutet, daß wir es hier mit einem – durchaus düsteren – historischen Krimi zu tun bekommen. Dem Korrektorat hätte eine sorgfältigere Arbeitsweise dagegen nicht unbedingt geschadet.

Das Düstere des Titelbildes findet sich im ganzen Buch wieder. Das ergibt sich schon aus der Thematik. Man spürt förmlich die Trostlosigkeit, die in diesem Jahr 1920 über dem Land hängt. Es gibt so gut wie keine unbeschwerten Momente, dafür viele dunkle Erinnerungen und wenig Hoffnung. Die historischen Informationen sind ausgezeichnet recherchiert und eingeflochten, nur an einigen sehr wenigen Stellen war die Information eher um ihrer selbst willen erwähnt, so z.B. wenn ein Polizeiinspektor plötzlich über die Funktionsweise von Pedalen bei einer Straßenbahn nachdenkt. Es gibt viele spannende Fakten und ich habe, obwohl ich über jene Zeitepoche nicht uninformiert bin, noch einiges gelernt und das auf unterhaltsame Weise. Auch mein geliebtes Leipzig wurde hier sehr schön erweckt, immer wieder fließen Details ein, werden Informationen gegeben und ergibt sich mit der Straßenbahnlinie 10 eine Art roter Faden, der uns durch das gesamte Buch begleitet. Ab und an war es mir ein wenig zu Straßennamen- und Wegbeschreibungslastig, aber insgesamt habe ich die Reise ins historische Leipzig genossen und mich ohnehin gefreut, daß diese Stadt der Schauplatz der Geschichte war.

Im ersten Teil geht es noch verhältnismäßig ruhig zur Sache, es wird die Handlung nach und nach aufgebaut, der historische Hintergrund erklärt, die Personen eingeführt. Es sind eine Vielzahl Personen, unser Protagonist Paul Stainer hat alleine schon mit acht Kollegen/Vorgesetzten zu tun, die teilweise noch Spitznamen haben und auch die Täter und Mordopfer sind zahlreich, die einzelnen Taten zuerst nicht augenscheinlich verknüpft. Da kam ich manchmal ein wenig durcheinander und brauchte doch eine Weile, mich in die komplexe Geschichte hineinzufinden. Die Komplexität ist aber auch gleichzeitig ein Pluspunkt – hier wurde eine wirklich ausgefeilte Geschichte sorgfältig entworfen, die viele Aspekte und Schicksale miteinander verknüpft und in eines der vielen dunklen Kapitel des Ersten Weltkrieges tief hineingeht. Der zweite Teil bringt uns Tempo und einige überraschende und tragische Wendungen. Auch einige Charaktere entwickeln sich unerwartet.

So bietet „Der rote Judas“ eine intelligent konzipierte und mit Können erzählte Geschichte, die wegen ihrer historischen Informationen ebenso empfehlenswert ist, wie wegen des gelungenen Schreibstils.

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Veröffentlicht am 30.01.2020

Agatha at her best

Dreizehn bei Tisch
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Mit "Dreizehn bei Tisch" hat Agatha Christie ein Meisterstück abgeliefert. Wir begleiten Poirot und Hastings auf eine verwickelte Mordermittlung. Die am Ort des Mordes gesehene Frau war anscheinend zur ...

Mit "Dreizehn bei Tisch" hat Agatha Christie ein Meisterstück abgeliefert. Wir begleiten Poirot und Hastings auf eine verwickelte Mordermittlung. Die am Ort des Mordes gesehene Frau war anscheinend zur gleichen Zeit bei einem Dinner und wurde dort von zwölf Personen gesehen. Wie kann das sein? Das ist nur der Anfang einer Geschichte, die mit immer neuen Wendungen daherkommt, uns immer neue potentielle Verdächtige präsentiert und uns gelungen zeigt, daß nichts so ist, wie es scheint. So gibt es einige, die ein Mordmotiv hätten, und immer wieder mal rückt jemand näher in den Fokus, doch ergeben sich immer wieder Punkte, die die jeweilige Theorie entkräften. Nach und nach deutet sich an, was geschehen sein könnte, doch fehlt für diesen Tathergang ein Motiv. Und so rätselt man sich voller Vergnügen durch dieses Buch und wird von Agatha Christie immer wieder überrascht und hinter's Licht geführt, jedenfalls ging es mir so. Zum Glück irrt sogar der brillante Poirot hier zwischendurch - wenn es ihm schon so geht, wie soll der normale Leser durchsteigen?

Diese ausgefeilte Geschichte ist zudem auch noch wundervoll erzählt. Viele Agatha-Christie-Bücher finde ich etwas zäh - sich ständig inhaltlich wiederholende Verhöre, erst nach der Hälfte des Buches geschehene Morde, arg behäbige Ermittlungen beeinträchtigen doch öfter mein Lesevergnügen. Hier geht alles flott daher. Kaum haben wir die interessanten Charaktere kennengelernt, wird auch schon eifrig gemordet. Die Ermittlungen sind abwechslungsreich und verlaufen in gutem Tempo. Durch die vielen Wendungen gibt es keine Wiederholungen, man wird in Atem gehalten. Hinzu kommt noch immer wieder durchblitzender Humor. Poirots liebenswerte Eitelkeit bietet dafür natürlich Raum, aber auch sonst gibt es viele witzige Einschübe. Und während ich über Poirot schmunzeln konnte, hat er mich oft durch seinen geschickten Umgang mit seinen Mitmenschen und seine psychologische Raffinesse beeindruckt. Auch die anderen Charaktere sind gut, lebendig gezeichnet.

Hier stimmt also wirklich alles - Erzählweise, Fall, Charaktere. Ein Rundum-Lesevergnügen!

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Veröffentlicht am 11.11.2019

Wundervoll geschriebene und ergreifende Geschichte

Mittagsstunde
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Nachdem ich in "Altes Land" bereits den Schreibstil Dörte Hansens so bemerkenswert fand, auch wenn es für mich dann an Charakteren und Geschichte haperte, bin ich von "Mittagsstunde" restlos begeistert. ...

Nachdem ich in "Altes Land" bereits den Schreibstil Dörte Hansens so bemerkenswert fand, auch wenn es für mich dann an Charakteren und Geschichte haperte, bin ich von "Mittagsstunde" restlos begeistert.

Wieder geht es um ein norddeutsches Dorf und auch hier erzählt die Autorin auf verschiedenen Zeitebenen. Man muß in jedes Kapitel ein wenig reinlesen, bevor man weiß, in welcher Zeitebene man gerade ist. Das funktioniert aber ausgezeichnet und mir hat es Spaß gemacht, zu sehen, wo (bzw: wann) wir uns nun befinden, wer hier im Fokus stehen wird. Durch ihre klare Art zu schreiben läßt Dörte Hansen trotz vieler Charaktere und verschiedener Zeitebenen keine Verwirrung entstehen. Durch die Blicke in verschiedene Zeiten füllen sich auch nach und nach Lücken, klären sich einige Fragen, wird unser Bild im vollständiger. Leider bleibt das Schicksal einer wesentlichen Person des Buches dann völlig offen, was ich doch ein wenig störend fand, es erschien mir zu nebenbei abgehandelt.

Der Schreibstil ist wieder ein Vergnügen, meines Erachtens noch besser als bei "Altes Land". Hier wird Sprache schnörkellos und doch ganz bildhaft, auf hohem Niveau verwandt. Hohe Sprachkunst ohne irgendetwas Prätentiöses. "Marret Feddersen schien hinter einer Wand aus Glas zu leben (...) und manchmal war das Glas auch noch beschlagen" - das ist nur einer dieser Sätze, die wundervoll und knapp so viel aussagen. Ich bin in diese Sprache eingetaucht.

Auch die Charaktere sind meisterhaft gezeichnet. Der rote Faden im Dorf Brinkebüll und im Buch ist die Familie Feddersen, von denen wir drei Generationen kennenlernen. Besonders anrührend fand ich Sönke, der auch im hohen Alter von über 90 noch seelisch von seiner jahrzehntelang zurückliegenden Zeit in russischer Gefangenschaft gekennzeichnet ist, der auch nach seiner Rückkehr in sein Heimatdorf viele Bürden tragen mußte. Er tut dies schweigsam, wie überhaupt in Brinkebüll nichts zerredet wird. Sönkes Gedanken zu Schuld und Sühne, zur Anständigkeit, sein wortknappes Sich-Annehmen des unehelichen Kindes seines offiziellen Tochter und auch die ebenfalls wortkarge Hingabe an seine Ehefrau Ella - das alles ist zutiefst berührend, manchmal herzzerbrechend traurig. Wir erleben ihn in einer Zeitebene in der Mitte seines Lebens, in einer anderen Zeitebene, die in der Gegenwart spielt, als alten Mann, der geistig rege ist, dessen Körper ihn aber zunehmend im Stich läßt. Die Szenen, in denen Sönkes Enkel Ingwer sich um Sönke und dessen Frau Ella kümmert, zeigen ganz eindringlich, wie schmerzhaft das Alter werden kann, was es an Würde, Unabhängigkeit und Freiheit nehmen kann und wie es auch auf die jüngere Generation wirkt.

Dies sind nur einige der vielen Themen, die uns in "Mittagsstunde" begegnen. Es gibt kaum dramatische, rasante Geschehnisse, das Buch ist eher eine Milieustudie eines kleinen Dorfes und sich ändernder Zeiten. Es geht vorwiegend um die kleinen Dinge, die Charakterentwicklungen, die kleinen Umwälzungen, die manchmal zu großen Umwälzungen führen. Man wird als Leser Teil dieses Brinkebüll-Mikrokosmos, in dem Dinge auf ihre eigene Art geregelt werden. Ich fand diesen Blick in eine mir fremde Welt ganz faszinierend und zudem ausgezeichnet dargestellt.

Ingwer Feddersen, Sönkes Enkel, ist ein wenig ein Bindeglied zwischen modernem Stadtleben und dem traditionellen Dorfleben. Er ist als einziger der Charaktere ein wenig farblos und die sich mit ihm beschäftigenden Passagen haben ab und an Längen, sind nicht immer so fesselnd, aber auch hier gab es viel Interessantes. Die Schilderung seines seit über 20 Jahren bestehenden WG-Lebens, in dem seine beiden Mitbewohner mit großer Krampfhaftigkeit am Unverkrampftsein festhalten und sich von ihrem großbürgerlichen Hintergrund trotz aller Versuche genauso wenig trennen können wie Ingwer von Brinkebüll, ist herrlich gelungen.

So erfreut "Mittagsstunde" mit einer sorgfältig konzipierten Geschichte, in der sich Zeitebenen, Charaktere, Themen und Lebenswelten zu einem ungemein unterhaltsamen Ganzen zusammenfinden. Das ist manchmal herrlich komisch und manchmal zu Tränen rührend. Eines der drei besten Bücher, die ich dieses Jahr lesen durfte!

Veröffentlicht am 23.09.2019

In einer herrlichen Sprache erzählte berührende Geschichte

Luzies Erbe
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"Luzies Erbe" hat mich von der ersten Minute an gefesselt. Das liegt zum einen an dem ganz wundervollen Schreibstil, der das ganze Buch hindurch eine wahre Freude ist. Helga Bürster schreibt schnörkellos, ...

"Luzies Erbe" hat mich von der ersten Minute an gefesselt. Das liegt zum einen an dem ganz wundervollen Schreibstil, der das ganze Buch hindurch eine wahre Freude ist. Helga Bürster schreibt schnörkellos, lakonisch. Das paßt ausgezeichnet zu ihren Charakteren, die in einem emsländischen Dorf leben und deren Leben von harter Arbeit geprägt ist. Kummer ist was für die "feinen Leute". Diese Charaktere sind der andere Grund, aus dem ich gleich richtig im Buch drin war.

Luzie ist fast hundertjährig verstorben und schon auf der ersten Seite merken wir, daß wir in ein dysfunktionale Familie hineinschauen. In wenigen Worten gibt uns die Autorin eine Fülle an Informationen und ich wollte gleich mehr erfahren über Luzie, ihre Geschichte und die Familie Mazur, die so sprachlos ist, daß sie dafür schon einen eigenen Begriff haben: das Mazur'sche Schweigen.

Das Buch führt uns auf mehreren Zeitebenen durch die Geschichte, hauptsächlich die Gegenwart, in der sich die Familie auf die Beerdigung vorbereitet und Johanne, Luzies Enkelin, versucht, durch die Wand des Schweigens zu stoßen; und die Kriegsjahre, in denen Luzie und der polnische Zwangsarbeiter Jurek sich ineinander verliebt haben und damit nach Ansicht der menschenverachtenden Diktatur "Rassenschande" begehen. Ab und an gibt es Rückblicke Johannes in ihre Kindheit. Die unterschiedlichen Zeitebenen werden durch nichts angezeigt, keine Überschriften oder Jahreszahlen weisen darauf hin, aber man findet sich schnell in den Zeitenwechseln zurecht.

Wenn es um die Greuel der Nazizeit geht, ist die lakonische Sprache der Autorin ebenfalls sehr wirksam. Sie erzählt unsentimental die furchtbarsten Dinge und genau durch diese knappen, sachlichen Worte ist die Wirkung intensiv. Die Sprache erfreute mich immer wieder. "Kinderarmeen, die von Greisen angeführt wurden, sollten jetzt das Reich retten". "...und ihm fiel wieder ein, daß er kein Enkel mehr war, sondern ein Gefangener" - eindrücklich wird das Wesentliche zusammengefaßt. Luzies und Jureks Geschichte vermischt sich mit der der Dorfes und auch hier gelingt Helga Bürster ein sehr lebensechter Blick auf Dorfleben und -mentalität, sowohl vor wie auch nach dem Krieg, wenn die Naziverbrechen eher vergessen werden, als die "Schande" unehelicher Kinder mit einem Ausländer.

Es gibt so viele Themen in diesem nicht einmal dreihundert Seiten umfassenden Buch. Der Umgang mit dem Tod ist ein weiteres und auch dieses ist ausgezeichnet dargebracht. Ehrlich und schnörkellos werden die Belastungen häuslicher Pflege genauso geschildert, wie die empfundene Trauer. Der Umgang der Familie mit Luzies Tod liest sich faszinierend. Ich hätte über diese Familiendynamik gerne noch mehr erfahren, insbesondere Luzies Töchter hätten noch ihre eigene Geschichte zu erzählen. Es war schade, daß dieser Themenkomplex ein wenig zu kurz kam, aber letztlich wollte die Autorin die Geschichte von Luzie und Jurek erzählen und das tut sie auf packende Weise.

So ist "Luzies Erbe" eines jener seltenen Bücher, in dem ich mich immer wieder über Formulierungen und Sätze freute, in dem kein Wort zu viel steht. Ein Buch, das mich gepackt hat und nachwirken wird, so daß ich es am liebsten gleich noch mal lesen möchte.

Veröffentlicht am 10.09.2019

Die sind nun also die letzten Zeilen

Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles
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Dieses Buch enthält 123 der insgesamt 750 erhaltenen Briefe, die Theodor und Emilie Fontane sich zwischen 1844 und 1898 geschrieben haben. Sie sind chronologisch in zehn Abschnitte aufgeteilt, die sich ...

Dieses Buch enthält 123 der insgesamt 750 erhaltenen Briefe, die Theodor und Emilie Fontane sich zwischen 1844 und 1898 geschrieben haben. Sie sind chronologisch in zehn Abschnitte aufgeteilt, die sich jeweils einem bestimmten Lebensabschnitt der Fontanes widmen. Jedem Abschnitt ist ein erklärender Text vorangestellt. Diese Texte sind ganz ausgezeichnet. In gutem Stil geben sie einen Überblick über die jeweiligen Lebensabschnitte, erläutern einige Aspekte der Briefe, geben wichtige Hintergrundinformationen. Die Texte dienen bereits als eine recht gute Kurzbiographie Theodor Fontanes ab der Zeit seiner Eheschließung. Sie sind ausgezeichnet lesbar und erleuchten auch das Verhältnis zwischen Theodor und Emilie Fontane gelungen.

Die Briefe selbst lesen sich ebenfalls sehr erfreulich. Beide Eheleute schreiben intelligent und unterhaltsam, bei Theodor Fontane blitzt der trockene Humor immer wieder herrlich durch. Gerade seine Beobachtungen anderer Menschen und der verschiedenen Orte seiner Reisen sind scharfsinnig und oft amüsant. An anderen Stellen zuckt man angesichts seiner ruppigen Art zusammen - seine Frau Emilie hat sich einiges von ihm anhören und vorwerfen lassen müssen. Und doch ist eine Zuneigung zu ihr evident und er schreibt auch herrliche Überlegung über die Natur der Zuneigung.

Emilie Fontane, von der leider weniger Briefe vorliegen, schreibt freundlich-resolut, hat keine Scheu, ihre Meinung kundzutun. Wenn sie ihrem Mann Rückmeldung zu seinem literarischen Werken gibt (sie schrieb alles sauber ab, arbeitete sich durch seine teils verirrenden Annotationen, gab auch wertvolle inhaltliche Meinungen), tut sie dies behutsam, aber ehrlich. Sie weiß, daß ihr Mann hier durchaus eitel ist und kann damit gut umgehen.

Insgesamt begleiten uns diese Briefe durch fast fünf Jahrzehnte einer partnerschaftlichen, liebevollen Ehe, die durchaus ihre schweren Phasen hat. Die Auswahl der Briefe bietet eine schöne Bandbreite all dieser Themen und Emotionen und bringt uns die Fontanes sehr nahe. Auch über das Alltagsleben der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erfahren wir hier aus erster Hand viel. Ein Personenverzeichnis am Ende (das ich leider zu spät entdeckte, es hätte mir doch einige Verwirrung erspart) gibt kurze biographische Informationen zu in den Briefen oft erwähnten Personen. Ab und an wäre eine Fußnote zu in den Briefen erwähnten Themen hilfreich gewesen, aber im Großen und Ganzen liefern die Einführungstexte und das Personenverzeichnis die notwendigen Hintergrundformationen.

So erhält man hier einen sehr direkten Blick auf die Menschen Theodor und Emilie Fontane mit ihren Stärken, Schwächen, Problemen und Freuden, zugleich einen Eindruck von einer trotz aller Schwierigkeiten von tiefer Zuneigung geprägten Ehe.