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Veröffentlicht am 23.01.2020

Faust auf Faust

Jenseits von tot
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Mit dem Krimi "Jenseits von tot" legt die Friedrich-Glauser-Preisträgerin Lucie Flebbe den dritten und letzten Teil ihrer Trilogie um die Kriminalkommissarin Edith "Eddie" Beelitz und den Security-Experten ...

Mit dem Krimi "Jenseits von tot" legt die Friedrich-Glauser-Preisträgerin Lucie Flebbe den dritten und letzten Teil ihrer Trilogie um die Kriminalkommissarin Edith "Eddie" Beelitz und den Security-Experten Joseph "Zombie" Rheinhart vor, der - ebenso wie ihre fesselnde Reihe um die Amateurdetektivin Lila Ziegler - wieder in Bochum, mitten im Revier, spielt.

Privat läuft es für Kriminalkommissarin Eddie Beelitz. Dem beruflichen Vorankommen allerdings steht ihre Teilzeitregelung im Weg. Das ändert sich schlagartig, als auf einem alten Zechengelände eine Leiche gefunden wird und die Staatsanwältin Eddie ausdrücklich ins Ermittlerteam beruft. Nachforschungen ergeben, dass die Tote, die in der Immobilienbranche arbeitete, etliche Feinde hatte. Zudem stößt Eddie auf eine Intensivpflege-Wohngemeinschaft, in der die Mutter der Ermordeten untergebracht werden sollte. Da die Polizei dort alles andere als willkommen ist, bittet Eddie ihren Freund Jo Rheinhart alias »Zombie« um Hilfe, der den Leiter der Einrichtung kennt. Als Zombie während der Ermittlungen auf einen alten Feind trifft, holt ihn sein dunkelstes Geheimnis ein. Wird ihm seine Vergangenheit zum Verhängnis?

Das Cover hat definitiv einen hohen Wiedererkennungswert. Es sticht ins Auge und hebt sich von der Masse der Kriminalromane ab, die man in den Buchhandlungen findet. Nicht zuletzt durch die verwendeten Farben strahlt der letzte Band der Reihe einen gewissen Optimismus aus, spiegelt aber auch die Zerrissenheit und Verletztlichkeit der Protagonisten. Auf den ersten Blick will die krakelige Kinderzeichnung am äußeren Bildrand gar nicht zu einem packenden Krimi passen. Sie strahlt etwas Kindliches und Unschuldiges aus, und ihre Bedeutung erschließt sich im Laufe der Lektüre.
Der Einstieg in das Buch ist mir leicht gefallen. Viele Figuren kannte ich aus den vorausgegangenen zwei Bänden, insoweit war es wie ein Wiedersehen mit guten Bekannten. Das Geschehen wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive der Polizistin Eddie Beelitz und des Security-Experten und ehemaligen Boxers Joseph Rheinhart vermittelt, die sich während der Ermittlungen in komplizierten Mordfällen in den Bänden "Jenseits von Wut" und "Jenseits von Schwarz" kennen- und lieben gelernt haben.


Eddie Beelitz und Joseph Rheinhart sind zwei starke Protagonisten, die sich definitiv jenseits des Mainstreams bewegen. Allen Widerständen zum Trotz ist es ihnen gelungen, mit ihren Kindern eine kleine glückliche Patchwork-Familie in einem etwas gewöhnungsbedürftigen, stabilen sozialen Umfeld zu gründen, die gegen den alltäglichen Rassismus kämpft.


Nach einem schwierigen Wiedereinstieg ins Berufsleben hat Eddie gelernt, sich nicht mehr von ihren männlichen Kollegen unterbuttern zu lassen. Auch in ihrem Privatleben versucht sie, gegen ihr ausgeprägtes Helfer-Syndrom anzugehen Zombie hat die Schatten der Vergangenheit weitgehend hinter sich gelassen. Er ist kein einfacher Mensch. Wie sein Spitzname "Zombie" andeutet, sieht der dunkelhäutige, groß gewachsene Mann durch seine eigenwilligen, entstellenden Tattoos furchterregend aus, und man könnte glatt vor ihm davonlaufen. Psychisch gesehen, ist er angeschlagen. Er hat negative Erfahrungen im Umgang mit anderen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe und schwierigen Familienverhältnisse gemacht und schleppt viele Altlasten und ein hohes Aggresionspotential mit sich herum. Trotzdem ist er ein liebevoller Partner, und er opfert sich für seine Familie auf, die alles andere als "gewöhnlich" ist.

Der neue Roman "Jenseits von tot" ist sehr vielschichtig. Lucie Flebbe ist es gelungen, nicht nur einen fesselnden, gut recherchierten Krimi, sondern gleichzeitig die private Liebesgeschichte ihrer Protagonisten glaubhaft fortzuschreiben. Ganz nebenbei werden noch soziale und gesellschaftliche Missstände wie die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Missstände in der Pflege thematisiert. Dieser letzte Fall führt weit in die Vergangenheit zurück und bringt Eddie und Zombie an ihre Grenzen, und sie gehen nicht ganz unbeschädigt aus ihm heraus. Als liebenswerte Helden jenseits des Mainstreams, die man in sein Herz geschlossen hat, wünscht man ihnen eine glückliche gemeinsame Zukunft.

Alles in allem gibt es eine klare Lese-Empfehlung von mir - und 5 Sterne. Natürlich wünsche ich mir viele weitere Bücher von Lucie Flebbe. Was sonst.

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Veröffentlicht am 21.01.2020

Schicksalsmelodie

Die Diva
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„Es gibt Leute, die zum Glücklichsein geboren werden, und andere, die zum Unglücklichsein bestimmt sind. Ich habe einfach Pech gehabt.“
(Maria Callas)

Die Callas – la Divina, die Göttliche, die ewige ...

„Es gibt Leute, die zum Glücklichsein geboren werden, und andere, die zum Unglücklichsein bestimmt sind. Ich habe einfach Pech gehabt.“
(Maria Callas)

Die Callas – la Divina, die Göttliche, die ewige Stimme der Liebe. So lauten viele Superlative, wenn man sich mit der berühmten Operndiva näher beschäftigt. Maria Callas ist längst zum Mythos geworden. Noch heute müssen sich ihre Nachfolgerinnen an der griechisch-amerikanischen Operndiva messen lassen, die zu den bedeutendsten Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts zählt.

In ihrem biographischen Roman "Die Diva" macht sich Michelle Marly, hinter der sich die erfolgreiche Schriftstellerin Micaela Jary verbirgt, auf die Spuren der größten Sängerin ihrer Zeit und dem Drama ihrer Liebe. Ihr Buch ist bereits der 12. Band aus der Reihe "Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe", die im Aufbau Verlag erscheinen.

Venedig, 1957: Maria Callas ist die größte Sängerin ihrer Zeit, doch die künstlerische Perfektion, die sie auf der Bühne verkörpert, beginnt ihren Tribut zu fordern. Ihre Stimme droht zu versagen, und Maria sehnt sich nach einer Auszeit – die ihr jedoch weder von der Welt der Oper noch von ihrem Mann und Manager Meneghini zugestanden wird. Dann begegnet sie dem Reeder Aristoteles Onassis, und gegen alle Widerstände verlieben sich die beiden – bis Onassis die Bekanntschaft von Jackie Kennedy macht ...

Das Cover ist in Sepia-Tönen gehalten. Es zeigt eine grazile Frauengestalt vor einer malerischen Kulisse und spiegelt die unnachahmliche Eleganz der Primadonna assoluta, die bereits zu Lebzeiten eine Legende war. Der Titel "Die Diva" unterstreicht ihre außergewöhnliche Begabung, macht aber gleichzeitig deutlich, dass sie eine schwierige, bisweilen exzentrische Persönlichkeit war .

Im Mittelpunkt dieses biographischen Romans steht die leidenschaftliche, verhängnisvolle Affäre zwischen der Operndiva Maria Callas und dem Reeder Aristoteles Onassis, die an eine griechische Tragödie erinnert. Sie waren ein schillerndes Paar, das großes Aufsehen im internationalen Jet Set erregte. Auf den ersten Blick schienen sie gar nichts miteinander gemein zu haben. Aristoteles Onassis war ein Kunstbanause, der sich nur für erfolgsversprechende Geschäfte, nicht für klassische Musik interessierte. Als ein nicht eben attraktiver, klug kalkulierender Geschäftsmann schmückte er sich mit den schönsten Frauen seiner Zeit und betrachtete seine Geliebte Maria Callas als ein wertvolles Schmuckstück in seiner Sammlung. Für Maria Callas wäre diese nüchterne Betrachtungsweise ein Affront gewesen. Sie war in leidenschaftlicher Liebe zu Aristoteles Onassis entbrannt, betrachtete ihn als die Liebe ihres Lebens und träumte nach der Scheidung von einer Legitimation ihres Status, die er ihr zeitlebens verweigerte. Stattdessen vermählte er sich in zweiter Ehe mit Jackie Kennedy, der Witwe des ermordeten amerikanischen Präsidenten, die seinen gesellschaftlichen Aufstieg in die vornehmen Kreise unterstreichen sollte. Sein egozentrisches Verhalten muss für die empfindsame Operndiva ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Dennoch konnte es sie nicht von ihrer toxischen Liebe zu ihrem griechischen Landsmann heilen, die sie letzendlich in die Selbstzerstörung und den viel zu frühen Tod trieb.

Auch wenn ich die Beziehung von Maria Callas und Aristoteles Onassis mehr als kritisch sehe, hat mir dieses Buch sehr gefallen. Michelle Marly ist ein einfühlsamer, tiefgründiger, sehr gut recherchierter Roman über die Callas als Inbegriff von Glamour und Charisma, als Künstlerin jenseits aller Maßstäbe, vor allem aber – als leidenschaftlich liebende Frau gelungen. Wer in eine längst vergangene Zeit, aber sehr interessante Epoche, eintauchen will, sollte diesen biographischen Roman unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 27.11.2019

Zwischen gestern und heute

Sehnsucht nach St. Kilda
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"Sehnsucht nach St. Kilda" ist das erste Buch, das ich von der deutschen Autorin Isabel Morland gelesen habe. Durch ihre Reisen hat sie ihre Liebe für das rauhe Schottland entdeckt, welches die Kulisse ...

"Sehnsucht nach St. Kilda" ist das erste Buch, das ich von der deutschen Autorin Isabel Morland gelesen habe. Durch ihre Reisen hat sie ihre Liebe für das rauhe Schottland entdeckt, welches die Kulisse für ihre mystisch anmutenden Liebesromane bildet.

In ihrem neuen Roman geht es um die verlassene Hebriden-Insel St. Kilda, deren letzte Einwohner vor fast 90 Jahren aufs Festland evakuiert worden. Ein seltsamer Zauber umgibt ihre schroffe Schönheit, das spürt auch die Londonerin Rachel, die nach drei schweren Schicksalsschlägen in der Abgeschiedenheit der Insel Zuflucht sucht. Gemeinsam mit einigen Helfern soll sie für den National Trust Gebäude instand setzen. Und Rachel ist nicht die Einzige, die in den hellen Nächten keinen Schlaf findet und dem Schrei der wilden Vögel lauscht: Da ist auch noch der Fotograf Ailic, der hinter einer Maske von Leutseligkeit einen tiefen Schmerz verbirgt …

Das mystisch anmutende, stimmungsvolle Cover ist in sanften Farben gehalten. Es spiegelt die herbe Schönheit der Insel und schlägt jeden Betrachter in seinen Bann. St. Kilda ist ein Sehnsuchtsort, was der Titel des Buches ausdrücklich unterstreicht.

Wenn man sich auf dieses Buch einlässt, wird man sofort von dem eigenwilligen Charme dieser Hebriden-Insel gefangengenommen. Dank der anschaulichen Landschaftsbeschreibungen springt das Kopfkino sofort an, und man taucht ein in eine fremde, faszinierende Welt, in der die Grenzen von Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen.

Das Geschehen spielt auf zwei zeitlichen Ebenen, nämlich in der Vergangenheit, die wir in der Kindheit von Annie gegen Ende der 1920er Jahre bis Anfang der 1930er Jahre verorten können, und in der aktuellen Gegenwart, die auf 2005 festgelegt wird. Die Handlung wird aus zwei verschiedenen Perspektiven vermittelt. Hierbei wird die Vergangenheit aus dem Blickwinkel des kleinen Mädchens Annie betrachtet, die ihre geliebte Heimat aufgrund der sich extrem verschlechternden Lebensbedingungen auf St. Kilda verliert, während die Gegenwart aus der Sichtweise der alleinerziehenden jungen Mutter Rachel geschildert wird.

Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei starke Frauengestalten, die schlimme Schicksalsschläge in ihrem Leben ertragen mussten. Annie und Rachel sind sehr sympathisch; dies gilt vor allem für Rachel, die ihren Mann durch eine unheilbare Krankheit verloren hat und mit ihrem kleinen Sohn Sam in der Metropole London lebt. Mit mehreren Jobs versucht sie, sich in der Metropole London über Wasser zu halten, bis sie sich ihr Scheitern eingestehen muss und nach Schottland zu ihrer betagten Großmutter Annie zieht. Durch einen glücklichen Zufall erhält sie einen Aushilfsjob als Köchin für einen Workshop des National Trust for Scotland und darf 4 Wochen lang auf der Hebriden-Insel St. Kilda verbringen, die für ihre Großmutter Annie untrennbar mit den Erinnerungen an ihre entbehrungsreiche, glückliche Kindheit in einer intakten Gemeinschaft und ihren zwei Jahre älteren besten Freund Finlay verbunden ist. Auf der Suche nach einem verloren gegangenen "Schatz" ihrer Großmutter verliert sie ihr Herz an den berühmten Landschaftsfotografen Ailic Burnett, der aufgrund eines traumatischen Erlebnisses einer festen Beziehung aus dem Weg gehen möchte.

Der Roman "Sehnsucht nach St. Kilda" ist eine reizvolle Mischung aus historischen Fakten und literarischer Fiktion. Für mich persönlich ist die Schilderung der geschichtlichen Ereignisse, die zur Evakuierung der einheimischen Bevölkerung auf das Festland führten, etwas interessanter gewesen als die romantische Liebesgeschichte zwischen Rachel und Ailic, die etwas zu vorhersehbar gestaltet worden ist. Dafür wird Isabel Morland jeden Leser zu Tränen rühren, weil sie gegen Ende des Buches mit einer riesengroßen Überraschung aufwartet, die man niemals erwartet hätte.

Alles in allem ist "Sehnsucht nach St. Kilda" ein Buch der leisen Töne, das jeden Leser betroffen macht. Isabel Morland beschönigt nichts, das entbehrungsreiche, harte Leben der Bewohner von St. Kilda wird anschaulich geschildert, so dass man ihre schwere Entscheidung gegen ihre Heimat und für eine Evakuierung logisch nachvollziehen kann. Auch wenn sie St. Kilda verlassen mussten, in alle Winde zerstreut wurden und gezwungen waren, ein neues Leben fernab von ihren vertrauten Nachbarn zu führen, sind ihre Herzen fest mit diesem Ort verwurzelt; die einstigen Bewohner halten die Vergangenheit lebendig und träumen von einer Rückkehr an diesen Sehnsuchtsort - und für Annie McViccar wird sich dort der Kreis wieder schließen.

Diese berührende, emotionale und unterhaltsame Familiengeschichte könnte sich zu meinem persönlichen Lese-Highlight entwickeln. Auf jeden Fall vergebe ich gern die Höchstnote und spreche eine klare Lese-Empfehlung aus.

Veröffentlicht am 19.11.2019

Orphan Girl

Nellie Bly
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Lange vor Günter Wallraff haben investigative Journalisten durch aufsehenerregende Reportagen für Schlagzeilen gesorgt. Zu ihnen zählt Elizabeth Jane Cochran (1864 - 1922), die unter ihrem selbstgewählten ...

Lange vor Günter Wallraff haben investigative Journalisten durch aufsehenerregende Reportagen für Schlagzeilen gesorgt. Zu ihnen zählt Elizabeth Jane Cochran (1864 - 1922), die unter ihrem selbstgewählten Pseudonym Nellie Bly als die erste amerikanische Undercover-Reporterin in die Geschichte eingegangen ist. In seiner Biografie "Nellie Bly. Die Biografie einer furchtlosen Frau und Undercover-Journalistin" schildert Nicola Attadio wichtige Momente aus dem Leben dieser starken Frau, die für ihre Reportagen in eine psychiatrische Anstalt, an die Front des 1. Weltkrieges und als erste Frau, ohne männliche Begleitung, in 72 Tagen um die Welt reiste.

September 1887: Eine junge Frau klopft an die Tür von John Cockerill, Direktor von Pulitzers Zeitung »New York World«. Sie verlangt, als Reporterin eingestellt zu werden. Keine Frau hat sich bisher so weit vorgewagt. Ihr Name ist Elizabeth Cochran, sie ist 23-jährig, seit drei Jahren schreibt sie unter dem Pseudonym Nellie Bly für den »Pittsburgh Dispatch«. Nellie Blys Idee, undercover in die psychiatrische Anstalt Blackwell‘s Island zu gehen und aus erster Hand über die dortigen Zustände zu berichten, überzeugt Cockerill. Es entsteht eine Reportage, die in die Geschichte des Journalismus eingeht und weit über New York hinaus Schlagzeilen macht. Doch das ist erst der Anfang einer beeindruckenden journalistischen Karriere. Sie reist allein und in Rekordgeschwindigkeit um die Welt, wird zum Albtraum korrupter Politiker und berichtet von Beginn weg als einzige Kriegsreporterin von der Ostfront des Ersten Weltkriegs, wo sie vier Jahre bleibt.


Das Cover zeigt ein Portrait von Elizabeth Jane Cochran in Sepia, das alle gängigen Klischees von einer jungen Dame spiegelt, die aus einem (früher wohlhabenden) gutem Hause stammt. Ihr Haar ist ordentlich frisiert und aufgesteckt, ihre Kleidung wirkt adrett und ist hochgeschlossen, wie es sich gehört. Auch ihre gerade Haltung und ihr sanftes Lächeln passt in dieses Bild. Nur ihre ernsten Augen können ihren eigenen Willen nicht verleugnen,. Jeder aufmerksame Betrachter ahnt, dass diese junge Dame für sich selbst einstehen kann und will.

Etwas Anderes bleibt ihr nicht übrig. Denn der soziale Abstieg nach dem Tod ihres Vaters macht alle Hoffnungen auf eine rosige Zukunft zunichte. Die neue Ehe ihrer Mutter endet mit einer Katastrophe, es ist kein Wunder, dass sie sich selbst vor einem ähnlichen Schicksal schützen will. Leider kann sie ihre angestrebte Laufbahn wegen fehlender finanzieller Mittel nicht fortführen, sie lässt sich nicht irritieren, setzt auf eine autodidaktische Bildung und behauptet sich in einer von Männern dominierten Welt.

Das Leben von Nellie Bly ist nicht gradlinig verlaufen, es weist viele Brüche und Sprünge auf, die jeden kritischen Betrachter stutzen lassen. Eins jedoch ist sicher: Sie war alles andere als gewöhnlich. Nach ihrem erfolgreichen Einsatz als "Undercover-Reporterin" in einer Irrenanstalt in New York folgten weitere aufsehenerregende Reportagen und eine spektakuläre Reise um die Welt, auf den Spuren von Jules Verne, die sie in den Fokus der Öffentlichkeit rückten. Danach suchte sie sich eine neue Herausforderung und übernahm nach dem Tod ihres wesentlich älteren Mannes die Leitung eines großen Konzerns. Nach dem durch einen Betrug ihres engsten Mitarbeiters verursachten wirtschaftlichen Zusammenbruch ihres Unternehmens kehrte sie wieder in ihren Beruf als Journalistin zurück und machte als mutige Kriegsberichterstatterin an der Ostfront während des Ersten Weltkriegs von sich reden.

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich niemals zuvor von Nellie Bly gehört hatte. Sie war für mich eine große Unbekannte, genauso wie das in den USA bekannteLied von Stephen Foster, das Elizabeth Jane Cochran zu ihrem Pseudonym inspiriert hat. Dank der einfühlsamen Biographie von Nicola Attadio habe ich diese Wissenslücke füllen können. Er schreibt in einem nüchternen, sachlichen Stil, fasst die Höhepunkte ihres Lebens kurz und knapp zusammen und ordnet sie in den geschichtlichen Zusammenhang ein. Dennoch kann man seine Bewunderung für diese starke Frauengestalt des 19. Jahrhunderts in jeder Zeile seiner Buches spüren, die stets ihrem sozialen Gewissen gefolgt ist, mit spitzer Feder die gesellschaftlichen Zustände ihrer Zeit kritisch hinterfragt und sich im von männlichen Wertvorstellungen geprägten Viktorianischen Zeitalter durchgesetzt hat.

Wir sollten ihr Andenken in Ehren halten. Deshalb gibt es von mir eine klare Lese-Empfehlung!


Veröffentlicht am 03.11.2019

Schwestern

Die Schuld jenes Sommers
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Vor einigen Jahren habe ich die historischen Romane der englischen Schriftstellerin Katherine Webb entdeckt. Seitdem fiebere ich jeder Neuerscheinung entgegen. In ihrem Buch "Die Schuld jenes Sommers" ...

Vor einigen Jahren habe ich die historischen Romane der englischen Schriftstellerin Katherine Webb entdeckt. Seitdem fiebere ich jeder Neuerscheinung entgegen. In ihrem Buch "Die Schuld jenes Sommers" führt sie ihre Leser in eine dunkle Epoche. Im April 1942 verschwindet der kleine Davy im Chaos eines Bombenangriffs auf die englische Stadt Bath. Frances wird von schrecklichen Schuldgefühlen geplagt. Warum nur hat sie Davy allein gelassen? Und lebt er noch?

Am nächsten Morgen wird das Skelett eines kleinen Mädchens gefunden: Die Tote ist Frances Freundin Wyn, die vor über 20 Jahren spurlos verschwand. Und so taucht Frances während ihrer unermüdlichen Suche nach Davy ein in die Vergangenheit, deren dunkle Schatten sie bis heute begleiten. Doch sie ist fest entschlossen herauszufinden, was in jenem Sommer vor 20 Jahren geschah ...

Das ansprechende Cover ist in warmen Farben gehalten. Der Betrachter blickt direkt auf einen gewundenen Weg, der durch eine naturbelassene Landschaft zu einem alten Haus führt. Es scheint ein warmer Sommerabend zu sein, die Sonne scheint untergegangen zu sein, aber von einer heiteren ländlichen Idylle kann keine Rede sein. Man ahnt eine drohende Gefahr, die irgendwo im Nirgendwo auf einen nichtsahnenden Spaziergänger lauert. Auch der aussagekräftige Titel zielt in die gleiche Richtung und weckt eine gewisse Erwartungshaltung ,

Angesiedelt ist der Roman in der englischen Stadt Bath im Südwesten Englands, wo die Schriftstellerin Katherine Webb ganz in der Nähe lebt. Diesmal nimmt sie ihre Leser mit in eine dunkle Epoche Europas, die von zwei Weltkriegen geprägt ist. Die Handlung spielt auf zwei zeitlichen Ebenen, nämlich im Jahre 1942 und in der Zeit des Ersten Weltkriegs, an die sich die Protagonistin Frances in Form von Rückblenden erinnert. Zentrales Motiv ist die verzweifelte Suche nach einem vermissten Kind, das in dem Leben von Frances eine besondere Rolle einnimmt.

Man kann das literarische Können von Katherine Webb nur bewundern. Einfühlsam schildert sie die schreckliche Bombardierung Baths durch die deutsche Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Man erlebt das Chaos der Kriegswirren, man fühlt Hunger, Not und Verzweiflung der Zivilbevölkerung, die viele Schicksalsschläge ertragen muss. Die Grundstimmung dieses Romans ist düster; auch die Protagonistin Frances ist eine depressive, gebrochene Figur, die mit dem Gefühlschaos in ihrem Inneren ringt, als die Leiche ihrer ehemals besten Freundin Wryn gefunden und ein "cold case" wieder aufgerollt wird.

Mit einem Schlag wird die lange verdrängte Vergangenheit wieder lebendig, und Frances erinnert sich an ihre Kindheit in Bath. Während sie selbst in einer liebevollen Familie aufgewachsen war, stammte Wryn aus einer bitterarmen dysfunktionalen Familie, in der brutale Gewalt an der Tagesordnung war. Frances hat den Verlust ihrer besten Freundin nicht verarbeitet, nur verdrängt. Die schrecklichen Ereignisse haben ihr Leben zerstört. Nach dem Verschwinden von Wryn war ein geflohener deutscher Kriegsgefangener, der losen Kontakt zu den kleinen Mädchen hatte, für den Tod von Wryn verantwortlich gemacht und hingerichtet worden. Nun kämpft sie mit tiefen Schuldgefühlen, weil sie selbst niemals über eine an ihr begangene sexuelle Gewalttat in jenem Sommer gesprochen und durch ihr Schweigen wider besseres Wissen mitschuldig an einem grausamen Verbrechen geworden ist.

Mit dem Roman "Die Schuld jenes Sommers" ist Katherine Webb ein packender historischer Roman um einen lange zurückliegenden Mord gelungen, in dem ein schockierendes Familiengeheimnis aufgedeckt wird. Mich hat dieses dramatische, emotionale Buch trotz einiger Längen überzeugt, und ich spreche eine klare Lese-Empfehlung aus.