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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.02.2020

Vom Lachen, Denken und Zuhören

Picknick im Dunkeln
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Stan Laurel (1890-1965) trifft auf Thomas von Aquin (1225-1274) - häh? Und nicht nur das! Um sie herum herrscht vollkommene Dunkelheit, und keiner von ihnen weiß, was sie an diesem Ort erwartet.
Was sich ...

Stan Laurel (1890-1965) trifft auf Thomas von Aquin (1225-1274) - häh? Und nicht nur das! Um sie herum herrscht vollkommene Dunkelheit, und keiner von ihnen weiß, was sie an diesem Ort erwartet.
Was sich anhört wie der wirre Traum eines Surrealisten, ist das Ausgangsszenario des neuen Buches von Markus Orths. Beworben wird es vom Verlag mit 'eine aufregende philosophische Reise, eine urkomische und todernste Geschichte...', was ich als doch etwas (oder auch etwas mehr) übertrieben betrachte. Ja, es gibt philosophische Momente ebenso wie komische und ernste, doch von allem etwas und nie in Extremform.
Der Schwerpunkt lag für mich auf der Schilderung der Biographien der beiden Männer, die ich insbesondere im Falle Thomas von Aquins als sehr gelungen empfand. Da außer den reinen Fakten zu dessen Leben keine persönlichen Zeugnisse überliefert sind (sieht man von seinen philosophischen und theologischen Schriften ab), sind die entsprechenden Abschnitte zu seinem Leben wohl gänzlich der Phantasie des Autors zu verdanken. Wie er das Leben dieses großen mittelalterlichen Denkers darstellt, finde ich sehr glaubwürdig und authentisch. Wohl wissend, dass nur Wenig davon als verbürgt gelten kann.
Was diese beiden Leben, Thomas' und Stans, miteinander verbindet, ist praktisch nichts außer ihr gemeinsamer Aufenthalt an diesem mysteriösen Ort. Doch in dieser vollkommenen Dunkelheit versuchen sie nun, sich einander anzunähern und zu verstehen, um sich in dem Unerklärlichen, das um sie herum herrscht, gegenseitig Halt zu geben. Wobei Stan klar der 'Bedürftigere' der Beiden ist - Denken schlägt Lachen
Markus Orths zeigt in einer gefühlvollen Sprache mit wirklich kreativen neuen Wortkreationen (Hosenrücktauschverstecke, Schneckenfühlerfingerchen), wie sich zwei Menschen verstehen lernen, die nichts gemeinsam haben. Doch mit Offenheit und Bereitschaft ist es auch möglich, Bande über die Jahrhunderte zu knüpfen. Verbindungen, die einen bis in den Tod begleiten.
Es ist eine gut erzählte, in gewisser Weise phantastische Geschichte, die mich mit ihrer Auflösung jedoch ein bisschen enttäuschte - zu alltäglich kam sie daher. Dennoch: eine schöne und etwas ungewöhnliche Lektüre.

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Veröffentlicht am 18.02.2020

Düstere Aussichten für eine junge Generation

Fehlstart
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Die 19jährige Aurélie träumt von einem besseren Leben: raus aus der Armut ihres Stadtviertels, weg von ihrer Unterschichtfamilie und hin zu Wissen, Bildung und der Gewissheit, etwas Sinnvolles im Leben ...

Die 19jährige Aurélie träumt von einem besseren Leben: raus aus der Armut ihres Stadtviertels, weg von ihrer Unterschichtfamilie und hin zu Wissen, Bildung und der Gewissheit, etwas Sinnvolles im Leben zu tun. Doch tatsächlich landet sie an der Universität ihres Heimatortes Grenoble, wo sie weiterhin bei ihren Eltern in ihrem alten Kinderzimmer wohnt. Auch die Universität entpuppt sich als Ort der Langeweile mit uninteressanten und öden Vorlesungen. Erst Alejandro, ein junger Kolumbianer, der ebenfalls in Grenoble studiert, weckt ihre Lebensfreude und setzt Energien in ihr frei, die sogar ihre Lernfreude für das Studium wecken. Doch als er sie verlässt, scheint ihr jegliche Motivation wieder abhanden zu kommen.
Was sich wie eine traurige Liebesgeschichte anhört, ist eher die ebenfalls traurige Beschreibung einer Generation, die sich in der Illusion verliert, irgendwann einmal in der Gesellschaft aufzusteigen. Wir folgen Aurélie nach Paris, wo sie sich wie zehntausende Anderer ein besseres, aufregenderes Leben verspricht, fernab von der Ödnis der Provinz und der Armseligkeit ihres Elternhauses. Doch tatsächlich landet sie in einem miserabel bezahlten Hostessenjob mit schlechteren Arbeitsbedingungen als jene ihrer Eltern, nur, um sich ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können und eine völlig überteuerte kärgliche Unterkunft in Paris.
Marion Messina, die Autorin, macht deutlich, dass die Realität weit davon entfernt ist, allen Menschen in Frankreich die gleichen Chancen zu bieten. Wer nicht einer bestimmten Gesellschaftsschicht angehört, ist dazu verdammt, für kleines Geld so hart zu arbeiten, dass für nichts Anderes mehr Zeit und Energie übrig bleibt. Der Aufstieg in ein besseres Leben ist ein Versprechen, mit dem die Armen ruhig gestellt werden. So düster wie sich das Alles anhört, ist dieses Buch auch. Jeder Versuch eines neuen Anfangs endet mit einer Trostlosigkeit, aus der es kein Entkommen zu geben scheint.
Es ist eine zutiefst französische Lektüre; jede Menge Bezüge auf französisches Fernsehen, Literatur, Politik und so frage ich mich: Ist es wirklich so schlimm um diese Generation in Frankreich bestellt? Gibt es wirklich keine Hoffnung mehr? Nicht dass ich bezweifle, dass solche Verhältnisse existieren, die es bestimmt auch in Deutschland gibt. Aber ist es wirklich die Mehrheit wie hier beschrieben?
Ich habe eine Weile überlegt, ob ich diesem Buch drei oder vier Sterne gebe, denn im Grunde finde ich das Thema wie auch die Schuldzuweisungen zu einseitig und das Handeln der Protagonistin häufig nicht nachvollziehbar. Doch in Vielem hat die Autorin recht und trifft mit ihren Aussagen voll ins Schwarze. Hinzu kommt ein bemerkenswerter Schreibstil, nüchtern und ausdrucksstark und so lande ich schlussendlich bei 3,5 Sternen

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Veröffentlicht am 07.01.2020

Eine schlaue Fastzwölfjährige und Wittgenstein

Der Tote im Moor
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Wenn ein fast zwölfjähriges Mädchen den Philosophen Wittgenstein als imaginären Freund hat, dann muss es sich wohl um ein besonderes Kind handeln. Und Alice ist tatsächlich besonders. Überdurchschnittlich ...

Wenn ein fast zwölfjähriges Mädchen den Philosophen Wittgenstein als imaginären Freund hat, dann muss es sich wohl um ein besonderes Kind handeln. Und Alice ist tatsächlich besonders. Überdurchschnittlich intelligent, widerspenstig und mit einem Gespür für Unrecht, ist sie sich sicher, dass ihre Klassenkameradin Lisa nicht schuld am Tode ihres Vaters ist. Da außer ihr niemand an Lisas Unschuld glaubt, macht sie sich mit Hilfe ihres Freundes Tom und natürlich Wittgenstein auf die Suche nach dem wahren Täter.
Zu Beginn wirkte der Krimi auf mich etwas durcheinander, da ich keinerlei Zusammenhänge erkennen konnte zwischen dem Busunglück im Prolog (der zwar kurz, aber vergleichsweise blutrünstig ausfällt), dem Fund einer Moorleiche und dem Tod von Lisas Vater. Doch nachdem sich die beiden letztgenannten Geschehnisse langsam einander annäherten, wurde es besser - nur der Prolog geriet fast in Vergessenheit. Es ist vergleichsweise lange unklar, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt, da Alices Privatleben (und natürlich ihre Gespräche mit Wittgenstein) relativ viel Raum einnehmen. Doch nicht zum Nachteil! Denn der Schlagabtausch mit ihrer 'Tussi'schwester Amalia hat durchaus Unterhaltungswert und auch sonst ist die Zwölfjährige weder auf den Mund noch auf den Kopf gefallen.
Der Fall und seine Lösung sind eher abstrus und bergen einige Unlogiken, doch weil das Ganze unterhaltsam und stellenweise wirklich witzig geschrieben ist, lässt sich locker darüber weglesen. Mir hat es alles in allem Vergnügen bereitet, Alice in ihrem zweiten Fall zu begleiten und ich könnte mir dieses Buch gut als Film vorstellen, in dem man fast nebenbei einen der großen Philosophen der Allgemeinheit näher bringt.

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Veröffentlicht am 01.01.2020

Der bisher schwächste Band der Reihe

Bittere Schokolade
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Ich habe alle Bücher mit Xavier Kieffer, dem luxemburgischen Koch, mit Vergnügen gelesen und seither ist Luxemburg und seine Küche fest auf meinem Reiseplan Deshalb war ich voller Vorfreude auf den nächsten ...

Ich habe alle Bücher mit Xavier Kieffer, dem luxemburgischen Koch, mit Vergnügen gelesen und seither ist Luxemburg und seine Küche fest auf meinem Reiseplan Deshalb war ich voller Vorfreude auf den nächsten Fall, in dem er sicherlich wieder wider Willen ermitteln wird. Und so ist es auch.
Dieses Mal lernt er durch seine längst vergangene Jugendliebe Ketti, eine erfolgreiche Patisseurin, das schmutzige Geschäft um und mit dem Kakao kennen. Als Ketti ermordet wird und in seinen Armen stirbt, macht er sich auf die Suche nach ihrem Mörder, der offensichtlich Einiges zu verbergen hat.
Auch in diesem sechsten Band der kulinarischen Krimireihe erfährt man Vieles über einen bestimmten Lebensmittelbereich; dieses Mal über die Herstellung von Kakao und der Produktion von Schokolade, die einen vielleicht (mich auf jeden Fall) zukünftig kritischer ins Regal greifen lässt. Tom Hillenbrand hat gut recherchiert und klärt seine Leserinnen und Leser über die Pflanzenvielfalt, schwierige Anbau- und Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern sowie den Wirtschaftsfaktor Kakao in Europa auf. Wie in vielen armen Ländern, die für reiche Staaten landwirtschaftliche Produkte liefern, sind die Arbeitsbedingungen auch im Kakaobereich häufig katastrophal: Kinderarbeit, fehlende Schutzbestimmungen, miserable Bezahlung. Wer denkt schon an so etwas, wenn man sich genüsslich ein zart schmelzendes Schokoladenstück in den Mund schiebt? Tom Hillenbrands Verdienst ist es auf jeden Fall, sich dessen bewusst zu werden und eventuell beim nächsten Schokoladenkauf etwas genauer hinzuschauen, wo die Ware herkommt.
Doch so gut diese Absicht sein mag, so sehr fällt leider der Krimi dagegen ab. Statt einem einzigen Handlungsstrang gibt es statt dessen derer gleich drei und für mich war das mindestens einer zuviel. Beispielsweise wirkten die Russen völlig fehl am Platz und dieser Eindruck hielt sich bis zum Ende (auch wenn dadurch eine herrliche Lösung für den Gabin herbeigezaubert wurde). Dafür fiel mir der 'Essensanteil' in diesem Buch viel zu klein aus - dieses Mal bekam ich beim Lesen nicht ein einziges Mal richtig Appetit auf etwa den Huesenziwwi.
So bin ich etwas unentschlossen: sehr lesenswerte Informationen in einem eher lauen Krimi - 3,5 Sterne, müssen reichen.

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Veröffentlicht am 01.01.2020

Phantasievolle Geschichte mit starkem Gegenwartsbezug

Das flüssige Land
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Als die promovierte Physikerin Ruth nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern sich auf der Suche nach deren früherem Leben macht, landet sie in Groß-Einland, wo die beiden aufgewachsen sind. Eine völlige Idylle, ...

Als die promovierte Physikerin Ruth nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern sich auf der Suche nach deren früherem Leben macht, landet sie in Groß-Einland, wo die beiden aufgewachsen sind. Eine völlige Idylle, in der die Menschen praktisch unbemerkt vom Rest der Welt leben, da die Gemeinde nirgendwo verzeichnet und nur schwer zugänglich ist. Dennoch verlängert Ruth ihren Aufenthalt dort eher widerwillig und fühlt sich überraschenderweise jedoch nach kurzer Zeit heimisch. Schnell ist sie Teil der Dorfgemeinschaft und die über allem thronende Gräfin gibt ihr zudem eine gute Arbeitsstelle. Doch es liegt Unheil über dem Dorf - Gegenwärtiges und Vergangenes. Ein riesiges Loch in der Erde droht Alles zu verschlingen, auch die Untaten während der Zeit des Dritten Reiches. Während Ruth versucht das Dorf zu retten, forscht sie gleichzeitig nach, was damals geschah.
Was für eine verrückte Geschichte! In der Zusammenfassung mag sich dies nicht so lesen, doch es sind die Details des Ganzen, die einen ungläubig den Kopf schütteln, gleichzeitig aber gebannt weiterlesen lassen. Ein ganzer Ort versinkt mehr und mehr im Untergrund, aber das Leben geht sogar trotz Todesfällen weiter wie gewohnt. Es wirkt wie ein potemkinsches Dorf, das von einer mysteriösen Gräfin für die BewohnerInnen aufrecht erhalten wird. Sie selbst bestimmt über die gesamte Gemeinde, sogar der Bürgermeister hält bei Allem still.
Literarisch gebildeten LeserInnen fällt natürlich bald auf, dass es sich hier um eine Parabel handelt. Wie im wahren Leben werden unschöne Dinge hier zwar nicht unter den Teppich, dafür aber in das Loch gekehrt - insbesondere Geschehenes während des II. Weltkrieges. Es wird geschwiegen um des lieben Friedens willen, denn wer hat schon etwas davon, wenn man die alten Dinge wieder hervorholt? Die Wahrheit ist zwar bekannt, doch hören geschweige denn aussprechen will sie niemand. Der Mensch an sich ist zudem bequem, weshalb also aufbegehren gegen etwas was einen nicht betrifft, solange man selbst es gut hat? Auch gegen die Gräfin, die trotz Abschaffung der Aristokratie über die gesamte Gemeinde bestimmt (auch, was es im Supermarkt zu kaufen gibt), gibt es keinen Widerstand, denn sie kümmert sich ja um Alle.
Ruth ist die Einzige, die Fragen stellt und zweifelt, doch je mehr sie Teil der Gemeinde wird, umso schwieriger fällt es ihr, ihre Nachforschungen weiter zu betreiben. Als Lesende fühlt man mit ihr und ihren widerstrebenden Gefühlen, zwischen der Suche nach der Wahrheit und der Zuneigung zu den Menschen, die sie mit dieser Suche verletzt.
Die Autorin packt eine Menge in diese Geschichte und gegen Ende ist es mir fast ein bisschen zu viel. Während ich mich zu Beginn noch völlig von den teils abstrusen Gegebenheiten faszinieren und unterhalten ließ, wurden die Andeutungen auf Konkretes jedoch ständig stärker und zahlreicher (zumindest kam es mir so vor), so dass das Faszinierende zusehends abnahm. Schade drum!

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