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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.02.2017

Ungeradlinige Tage am Lebensende

Mein schlimmster schönster Sommer
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Das Oxymoron im Buchtitel macht neugierig auf die Geschichte – wie kann ein Sommer zugleich schlimm und schön sein? Für die Protagonistin Isabel stellt er sich aber exakt so dar. Die Unternehmensberaterin ...

Das Oxymoron im Buchtitel macht neugierig auf die Geschichte – wie kann ein Sommer zugleich schlimm und schön sein? Für die Protagonistin Isabel stellt er sich aber exakt so dar. Die Unternehmensberaterin wird mit einem männerfaustgroßen Tumor im Bauch aus dem Krankenhaus entlassen und muss vierzehn Tage auf den Befund warten. Entgegen ihrer Art mietet sie spontan einen uralten VW-Bulli, um mit ihm in die Provence zu fahren, wo sie die Lavendelfelder aus einem früheren Kinderbuch sehen will. Ankommen wird sie dort nicht. Denn zunächst muss sie mit dem Autobesitzer, dem rastalockigen Bassisten Rasso, im Bus einige Besorgungen erledigen. Die wenigen Tage unterwegs mit ihm werden zu den ungeradlinigsten Tagen in Isabels Leben. Im Bus sind Drogen versteckt, Bankräuber deponieren in ihm die Beute, unfreiwillig werden sie von einem Guru begleitet, sie transportieren die Asche von Rassos verstorbener Mutter, und … Isabel findet die Liebe.
Es handelt sich um eine schöne Roadnovel, deren einzelne Stationen recht amüsant sind, wenngleich alles von Isabels allgegenwärtiger Erkrankung überschattet wird. So wie Isabel immer wieder über ihr bisheriges Leben und ihre Träume nachdenkt, wird der Leser verleitet entsprechendes zu tun. Eigentlich macht Isabels Leben recht betroffen. Denn immer war sie nur durchschnittlich, lebte ausschließlich für ihre Arbeit. Umso schöner ist es, dass sie über ihren Wegbegleiter Rasso andere Aspekte des Lebens kennenlernt und völlig unspontan Dinge tut. Die Lehre, die sich daraus ziehen lässt, ist zu leben nach dem Motto „Carpe diem“, denn jeder Tag könnte de letzte sein. Recht abwechslungsreich wird die Geschichte dadurch gestaltet, dass sie hin und her wechselt zwischen Rückblenden auf Isabels Krankengeschichte, ihrer Tour, den eigenen Reflexionen auf ihr Leben, den Gedanken ihres Lebensgefährten und ihrer neuen Liebe.

Gerne kann ich dieses Buch empfehlen.

Veröffentlicht am 24.01.2017

Deutsch-vietnamesisches Familienepos

Die Töchter des Roten Flusses
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Romane wie der vorliegende, der im Wesentlichen Familiengeschichte ist und daneben so viele Kenntnisse über eine fremde, hier die vietnamesische Kultur vermittelt, treffen immer wieder meinen Lesegeschmack.
Die ...

Romane wie der vorliegende, der im Wesentlichen Familiengeschichte ist und daneben so viele Kenntnisse über eine fremde, hier die vietnamesische Kultur vermittelt, treffen immer wieder meinen Lesegeschmack.
Die Familiengeschichte ist inhaltlich einfach (sorgt aber bei den Beteiligten für viel Gefühlschaos): Die 29jährige Tuyet, Kind vietnamesischer Eltern, ist bei ihrem Vater Phong und dessen deutscher Ehefrau Marina aufgewachsen, stets im Glauben gewesen, ihre Mutter Hanh habe sich für sie nicht mehr interessiert, nachdem Hanh, die als Vertragsarbeiterin aus Vietnam ihrem studierenden Mann in die DDR gefolgt war, mit der älteren Tochter in die Heimat zurückgekehrt ist. Doch war es wirklich so? Zweifel werden in Tuyet geweckt, als sie nach Marinas Tod in deren persönlichen Sachen einen Stapel ungeöffneter Briefe von Hanh an Phong findet. Tuyet begibt sich auf eine Reise nach Hanoi, um die Heimat ihrer Eltern kennenzulernen und vielleicht ihre Mutter zu finden und deren Sichtweise auf die Geschehnisse ein Vierteljahrhundert zuvor zu erfahren.
Wie die familiären Verhältnisse waren und welchen Einfluss das politische Regime hatte, ist sehr berührend dargestellt. Mit Hanoi als Reiseziel ist es selbstverständlich, dass Vieles über die Geschichte des asiatischen, mir nicht so geläufigen Landes zu erfahren ist. Es empfiehlt sich, vor der eigentlichen Lektüre die historischen Hintergründe im Anhang zu lesen. Denn wer weiß schon wirklich etwas von der französischen Kolonialzeit in Vietnam, dem amerikanischen Krieg, der Teilung und Wiedervereinigung des Landes, seinen Beziehungen zum Bruderland DDR, seiner wirtschaftlichen Öffnung seit Ende der 80er Jahre? Auf alles wird in der Geschichte eingegangen und es ist sehr lehrreich. Interessant sind auch die Beschreibungen des Alltagslebens der Vietnamesen, z.B. dass das Moped das meistbenutzte Verkehrsmittel ist und auf ihm oft zwei und mehr Personen gleichzeitig fahren oder dass das Handy noch vor dem Festnetztelefon Einzug ins Land gehalten hat. Bei den vielen gut recherchierten Detailkenntnissen verwundert es nicht zu hören, dass die Autorin in Hanoi lebt.
Ein sehr empfehlenswertes Buch.

Veröffentlicht am 16.01.2017

Ein Psychthriller über die Möglichkeiten der digitalen Überwachung

Alleine bist du nie
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Zoe Walker ist eigentlich zufrieden mit ihrem Leben in einem Londoner Vorort mit Lebensgefährten und zwei fast erwachsenen Kindern. Eines Tages entdeckt sie allerdings beim Durchblättern der Tageszeitung ...

Zoe Walker ist eigentlich zufrieden mit ihrem Leben in einem Londoner Vorort mit Lebensgefährten und zwei fast erwachsenen Kindern. Eines Tages entdeckt sie allerdings beim Durchblättern der Tageszeitung bei der täglichen U-Bahnfahrt ein Foto von sich selbst mit der beigefügten Website-Adresse findtheone.com und einer unbekannten Telefonnummer. An den folgenden Tagen erscheinen die Bilder anderer Frauen in den Anzeigen, von denen dann eine gestalkt und eine ermordet wird. Zoe wendet sich an die ambitionierte Polizistin Kelly Swift, die in Unterstützung der Mordkommission aufzuklären versucht, wer hinter der mysteriösen Website steckt.

Das Buch erfüllt alle Voraussetzungen an einen guten Psychothriller.
Die Geschichte lässt einem die Haare zu Berge stehen und die eigene tägliche Routine überdenken. Denn kann man nicht selbst auch wie die Protagonistin als Pendler auf dem täglichen Weg zur Arbeit Opfer einer Überwachung werden, die dann online missbraucht wird? Das Ganze ist recht realistisch dargestellt, vor allem durch die ganz gewöhnliche Zoe als Hauptfigur, die Arbeit und Patchworkfamilie unter einen Hut zu kriegen versucht. Sehr emotional ist dargestellt, wie Zoe beinahe jeden aus ihrem Umfeld zu verdächtigen beginnt. Am gelungensten sind die völlig unerwarteten Wendungen ganz am Ende des Buchs, die einen alle vorher aufgestellten Vermutungen über Bord werfen lassen. Ein interessantes Stilmittel sind die wiederkehrenden kurzen, kursiv gedruckten Passagen, geschrieben aus der Sicht des „Hintermanns“, die Erklärungen zum Motiv geben. Nicht viel anfangen konnte ich lediglich mit der Struktur und Organisation der englischen Polizei.

Ich empfehle das Buch allen Lesern von Psychothrillern mit Elementen der Polizeiarbeit.



  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Recherche
  • Spannung
  • Schreibstil
Veröffentlicht am 07.01.2017

Über das Leben nach dem Tod

Solange ich in deinem Herzen bin
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Der Mittdreißiger Will verunglückt tödlich. Das ist besonders tragisch, weil er seine sechsjährige Tochter Ella als Vollwaise zurücklässt, obwohl er ihr hoch und heilig versprochen hat, sie niemals zu ...

Der Mittdreißiger Will verunglückt tödlich. Das ist besonders tragisch, weil er seine sechsjährige Tochter Ella als Vollwaise zurücklässt, obwohl er ihr hoch und heilig versprochen hat, sie niemals zu verlassen. So ist es für ihn ein Glücksfall, als Geist bzw. Seele für weitere zwei Monate auf der Erde verbleiben zu können, um sich erst dann endgültig zwischen dem Übergang ins Paradies oder dem ewigen Verbleib auf der Erde als Seele entscheiden zu müssen. Bis dahin weicht Will nicht von Ellas Seite. Während es anfangs für ihn völlig klar ist, diesen Zustand aufrechtzuerhalten, gerät er nach und nach aufgrund der Ratschläge seiner Lotsin und anderer Seelen mehr und mehr in Zweifel, ob es nicht doch zu Ellas Bestem ist, sie loszulassen. Am Ende eröffnet sich ihm eine perfekte Lösung zugunsten Ellas.

Obwohl es in dieser Geschichte nur so von Schicksalsschlägen wimmelt, braucht sich niemand zu sorgen, bei der Lektüre in eine traurige Grundstimmung zu verfallen. Es gibt durchaus amüsante Passagen. Das Fesselnde ist natürlich, wie die Thematik des Lebens nach dem Tod dargestellt wird. Ob es ein solches gibt und wie es aussehen kann, weiß naturgemäß keiner von uns, wenngleich wir uns hierüber vielleicht schon Gedanken machen. Deshalb erscheint es nicht völlig abwegig, welches Bild uns der Autor zu vermitteln versucht. Das geschieht recht anschaulich. Sehr berührend ist das Vater-Tochter-Verhältnis aufbereitet, wenngleich es manchmal etwas fremd anmutet, mit welchen ernsten Themen die kleine Ella konfrontiert wird und wie erwachsen sie sich zuweilen gibt. Interessant ist auch, wie die Beziehungen der anderen Mitglieder von Wills Familie untereinander geschildert werden, die zusätzlich für Zündstoff sorgen.

Ein absolut lesenswertes Buch.

Veröffentlicht am 07.01.2017

Der ewige Traum vom Fliegen

Unsere Hälfte des Himmels
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Romane, die eine ausgewogene Mischung zwischen Familiengeschichte und Aufarbeitung geschichtlicher Themen enthalten, liebe ich. Und exakt diesem Muster entspricht das vorliegende Buch, so dass ich nach ...

Romane, die eine ausgewogene Mischung zwischen Familiengeschichte und Aufarbeitung geschichtlicher Themen enthalten, liebe ich. Und exakt diesem Muster entspricht das vorliegende Buch, so dass ich nach seiner Lektüre gänzlich zufrieden bin.
Der familiengeschichtliche Teil handelt davon, wie eine Frau (Lieselotte) erst im mittleren Alter und erst am Krankenbett der Mutter (Amelie) deren Vergangenheit nachspürt und auf diese Weise ein Verständnis davon erlangt, warum zwischen ihnen stets ein distanziertes Verhältnis bestanden und sich Lieselotte als ungeliebtes Kind gefühlt hat. Im historischen Teil geht es darum, wie Amelie Mitte der 30er Jahre gemeinsam mit ihrer Freundin Johanna ihren unbedingten Traum vom Fliegen als Beruf verwirklichen will, ihnen das aber durch die nationalsozialistische Ideologie verwehrt wird, nach der Frauen an den Kochtopf und nicht in den Himmel gehörten. Als Amelie und Johanna trotz aller Widrigkeiten ihr Ziel erreichen und sie sogar einen Ausbildungsplatz als Einflieger bei einem Flugzeughersteller erhalten, verliebt sich Amelie in den politisch im Widerstand engagierten Fluglehrer von Johanna – eine Liebe, die letztere als Verrat des Schwures der Freundinnen ansieht, nichts und niemand, insbesondere kein Mann, könne sie vom Fliegen abbringen, und die Johanna deshalb mit entsetzlichen Folgen manipuliert.

Der eine Teil spielt in der Gegenwart im Jahr 1971 und der andere Teil im Jahr 1935, beide im Wechsel. Allein schon die Darstellung der Geschichte des Frauenfliegens ist lesenswert und sehr informativ, war sie mir doch eigentlich völlig unbekannt mit Ausnahme vielleicht einiger Namen berühmter Pilotinnen. Interessante Hintergrundinformationen sind im Nachwort zusammengefasst. Sehr schön finde ich, dass den im Jahr 1935 angesiedelten Kapiteln Zitate berühmter Fliegerinnen vorangestellt sind, die häufig auf deren Motivation zum Fliegen eingehen. Vervollkommnet wird der geschichtliche Teil durch die Schilderungen von den Anfängen des Nationalsozialismus seit Hitlers Machtergreifung bis in die Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Der 36 Jahre später angesiedelte Teil zeichnet sich dadurch aus, wie eine Tochter ihre Mutter und deren Träume kennenlernt. Auch hier spielen geschichtliche Elemente eine Rolle, wenngleich sie andersartig sind. Es werden jetzt Themen angeschnitten wie das Verbot der Abtreibung und Demonstrationen der Frauen gegen § 218 StGB, die Rolle der Frau in der Ehe (Unterworfensein unter den Willen des Ehemannes, der ihr sogar die Aufnahme einer Arbeitsstelle verbieten konnte; das nach dem Schuldprinzip ausgestaltete Scheidungsrecht). An allem wird sichtbar, dass die Autorin gut recherchiert hat und die Geschichte der Frauenbewegung sowie die Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu den von ihr bevorzugten Themen gehören, worauf auch im Klappentext hingewiesen wird.
Sprachlich eher einfach gestaltet, lässt sich das Buch gut und zügig lesen. Aufgefallen ist mir allerdings, dass einige Begriffe immer wieder aneinandergereiht werden und deshalb zuweilen etwas gestelzt klingen – z.B. ist bei Amelies ungeborenem Kind immer als von ihrem Sohn die Rede, obwohl das Kindsgeschlecht 1935 noch gar nicht bestimmbar war. Oder nach Johannas Verrat wird sie nur noch als Amelies „frühere Freundin“ bezeichnet. Ebenso gestoßen habe ich mich daran, dass alle Vorkommnisse in einen sehr engen zeitlichen Rahmen gepackt sind, was etwas realitätsfern wirkt. Das tut meiner absoluten Leseempfehlung aber keinen Abbruch.