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Veröffentlicht am 17.05.2020

Schuld ist auch nur ein Synonym für Tod

Marta schläft
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„So funktioniert Schuld, Laura. Du wirst sie in dir tragen wie eine unheilbare Krankheit, wie ein Geschwür, das in dir wuchert, bis es dich eines Tages komplett zerfressen hat.“

Inhalt

Für Nadja Kulka ...

„So funktioniert Schuld, Laura. Du wirst sie in dir tragen wie eine unheilbare Krankheit, wie ein Geschwür, das in dir wuchert, bis es dich eines Tages komplett zerfressen hat.“

Inhalt

Für Nadja Kulka ist ihr Job in der Anwaltskanzlei bei Gero van Hoven der Einstieg in ein normales Leben, dort muss sie sich nicht erklären, weder das sie die Tochter einer polnischen Prostituierten ist, noch das sie mit 15 Jahren als Mörderin ebenjener eine Gefängnisstrafe absitzen musste. Ihr Onkel, der Seniorpartner in der Kanzlei, hat ihr die Anstellung besorgt, die sie in einen sozialverträglichen Alltag führen soll und weg von ihren Depressionen, Medikamenten und Panikattacken.

Doch die Vergangenheit holt Nadja schneller ein, als ihr lieb ist - als ihre Freundin Laura, die Ehegattin von Gero van Hoven sie vollkommen verstört anruft und ihr mitteilt, dass sie ihren Liebhaber ermordet hat und nicht weiß, was sie machen soll. Nadja kennt die Mechanismen von Angst, Reue, Scham und Schuld und eilt der Freundin zu Hilfe. Doch als sie bei der Leiche zusammensitzen und ihr weiteres Vorgehen besprechen, merkt sie, wie labil ihre heile Welt wirklich ist …

Meinung

Nachdem ich vergangenes Jahr voller Begeisterung das Thrillerdebüt der 1981 geborenen deutschen Autorin Romy Hausmann „Liebes Kind“ gelesen hatte, war mir klar, dass ich unbedingt ihren neuesten Zapfenstreich kennenlernen musste. Meine Erwartungshaltung an die Geschichte rund um ein wildes Verwirrspiel in den Kreisen der Gerichtsbarkeit war also dementsprechend hoch. Und obwohl mir der Einstieg nicht ganz leichtgefallen ist, wurde die Handlung zunehmend schlüssiger und die Spannungsmomente potenzierten sich, so dass ich auch dieses Buch kaum noch aus der Hand legen konnte.

Bei „Marta schläft“ beruht der Clou in erster Linie auf einem hochkomplexen Plot, den der geneigte Leser zunächst kaum versteht. Es existieren mehrere Handlungsebenen, diverse Protagonisten und scheinbar willkürliche Zeitsprünge, die es einerseits hochexplosiv wirken lassen, andererseits keiner klaren Linie folgen.

Die Folge davon ist ein Verwirrspiel der Extraklasse, eine mitreißende Story, eine emotionale Erzählung aus längst vergangenen Tagen und ein brisantes Geschehen in der dunklen und bösen Gegenwart. Die Autorin gestaltet ein intensives Psychogramm ihrer Hauptakteure und lässt mehrere psychisch labile bis aggressive Menschen aufeinandertreffen, die weder vor Intrigen noch gewalttätigen Spielchen, ja noch nicht einmal vor Mord zurückschrecken, um ihr selbstgewähltes Weltbild aufrecht zu erhalten.

Sind die Guten in Gefahr und die Bösen wirklich die Täter? Eine Frage, die sich unwillkürlich aufdrängt und im Verlauf des Thrillers sehr abwechslungsreich und voller Wendungen präsentiert wird. Denn dieser Spannungsroman bietet eine Vielfalt an möglichen Denkansätzen und lässt den Leser lange im Unklaren, eins ist er aber definitiv nicht, ein schnöder Roman mit herkömmlicher Ermittlungsarbeit und ein paar Leichen – hier steckt eine ganze Menge mehr drin.

Besonders die prägnante Textstruktur verleiht diesem Thriller seine Dichte. Kurze Kapitel wechseln sich mit einem Briefwechsel und längeren Episoden im Rückblick ab. Dabei fasziniert es mich, wie wenig Identifikation mit den Hauptakteuren von Nöten ist, um den Text dennoch faszinierend zu finden. Hier steht man als Leser außerhalb des Geschehens, schaut zu, beobachtet, sieht sich genötigt eigene Mutmaßungen anzustellen, die möglicherweise des Rätsels Lösung sein könnten. Dieser ganz eigene, unverwechselbare Grundton, schwingt auch hier wieder mit und macht aus einer eher harmlosen Geschichte einen sehr fesselnden Spannungsroman.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen einprägsamen Thriller, der mit einer Geschichte um Vergangenheitsbewältigung, Schuld und Reue aufwartet und durch seinen animierenden Stil unbedingt dazu auffordert, eigene Verdächtige auszumachen und den komplexen Inhalt auf eine schlüssige Story herunterzubrechen.

Wer „Liebes Kind“ mochte, wird auch an „Marta schläft“ Gefallen finden, obwohl das Debüt noch etwas mehr Durchschlagskraft besaß, so ist es hier der vielschichtige Hintergrund, der überzeugt. Ich freue mich jetzt schon auf weiteres Lesefutter aus der Feder der Autorin, sollte die Nr. 3 ebenfalls in dieser Liga spielen, hat Romy Hausmann eine neuen Fan gewonnen, allein schon weil sich ihre Bücher ganz wunderbar vom herkömmlichen Actionthriller abheben und irgendwo auch eine Saite im Inneren des Lesers zum Klingen bringen, die normalerweise nicht angesprochen wird.

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Veröffentlicht am 11.05.2020

Einer ist der Stärkere, der andere liebt mehr

Die wir liebten
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„Wenn es in der Rückschau ein Motto für das Leben meines Bruders und für meines gab, so war es die Erkenntnis, dass es keine Konstanz gibt im Leben und keine Verlässlichkeit in dem, was wir sind und was ...

„Wenn es in der Rückschau ein Motto für das Leben meines Bruders und für meines gab, so war es die Erkenntnis, dass es keine Konstanz gibt im Leben und keine Verlässlichkeit in dem, was wir sind und was wir tun, und das wir andere sind, sobald wir uns aus einem anderen Blickwinkel betrachten oder betrachtet werden.“

Inhalt

Edgar und Roman sind fast gleichaltrige Brüder, die mit ihren Eltern, dem ortsansässigen Bäckermeister und der Lotto-Frau in einem Dorf in der Nähe von Mönchengladbach aufwachsen. Zunächst haben die beiden Jungs eine recht unbeschwerte, freie Kindheit, da beide Elternteile einen zeitintensiven Job haben und nur wenig Kontrolle ausüben und kaum Einschränkungen setzen. Der Zusammenhalt zwischen ihnen ist stark ausgeprägt, sie sind begeisterte Fußballer und ziehen in ihrer Freizeit um die Häuser.

Erst als der Vater die Tierärztin kennenlernt, sich neu verliebt und von seiner Frau trennt, wird klar, dass die Familienstruktur fortan eine ganz andere sein wird. Die Mutter versinkt in ihrem Unglück und greift zur Flasche, der Vater kapselt sich ab und verschwindet von der Oberfläche. Roman und Edgar müssen sehen, wo sie bleiben. Als dann auch noch ihre letzte zuverlässige Vertrauensperson, ihre Großmutter dem langen Krebsleiden erliegt, überstürzen sich die Ereignisse und wenig später steht das Jugendamt vor der Tür.

Angeblich gehören die halbwüchsigen Jungs nicht länger in die Obhut, einer zerrütteten Familie, sondern in die Erziehungsanstalt „Gnadenhof“, die dem beginnenden Sittenverfall Einhalt gebieten wird. Das Kinderheim, direkt im gleichen Ort ist ein dunkler Fleck in der Gemeinde, keiner von draußen spricht über die Geschehnisse hinter den Mauern und das stattliche Anwesen agiert äußerst autonom. Für die Brüder, die sich der Gesetzeskraft beugen müssen, wird bald klar: irgendwie muss ihnen die Flucht aus dieser Hölle gelingen, bevor die Willkür und Gewaltanwendung gegenüber den Jugendlichen eskaliert …

Meinung

Der 1958 am Niederrhein geborene Autor Willi Achten ersinnt in diesem Buch eine bewegend-erschütternde Familiengeschichte, die sehr betroffen macht und sich in ihrem Verlauf zu einem regelrechten Gesellschaftsporträt auswächst. Zunächst ist es ein Coming-of-Age Roman, der lebendige Bilder von einem Aufwachsen in der ländlichen Idylle der 70er Jahre in Deutschland heraufbeschwört.

Der Zeitgeist wird lebendig, die Natur, die Streiche, die Erlebnisse einer ganz normalen Jugend und die Hoffnungen und Wünsche, die damit verbunden sind. Langsam und szenenhaft widmet er sich im Mittelteil des Buches dem Auseinanderbrechen einer Familie: dort wo früher der Bruder ein guter Kumpel war, wird er nun das letzte Fünkchen Hoffnung, in einem Auflösungsprozess, den die Teenager nicht aufhalten können. Viel zu schnell müssen sie erwachsen werden und zusehen, wie jeden Tag ein weiteres Stückchen Mauer ihrer heilen Welt zerbröckelt.

Erst im dritten Teil des Romanes konzentriert sich die Handlung auf die Hintergründe innerhalb der Erziehungsanstalt, deren Mitarbeiter noch Jahrzehnte nach dem Wirken nationalsozialistischer Grundsätze agieren und ihre Zöglinge mit Härte und Drill bestrafen, im schlimmsten Fall sogar mit Injektionen, wenn sie nicht gefügig bleiben oder sich dem Willen der Heimleitung widersetzen.

Der Roman schafft lebendige Bilder, beschreibt detailliert und umfassend die Lebensumstände der Protagonisten und besticht mit einer intensiven, stimmungsvollen Textstruktur, die sich aus der Erinnerung des jüngeren Bruders heraus entwickelt. Inhaltlich ist es an vielen Stellen eine harte Kost, nicht nur was die politischen Hintergründe betrifft, sondern auch die genauen Abläufe von Gewalt, Kindesmisshandlung und Machtmissbrauch. Stellenweise war mir das zu viel, die Bilder zu ausgereift, zu hart und mit wenig Spielraum für die eigene Fantasie des Lesers – vor dem inneren Auge entsteht ein Film in all seiner Klarheit und Präzession, ein Geschehen, dem man sich gedanklich nur schwer entziehen kann.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne und empfehle das Buch all jenen Lesern, die abseits des Mainstream eine Geschichte erleben wollen, die voller Wahrheiten steckt, mit zahlreichen Ängsten agiert und mit der Überzeugung geschrieben wurde, den eigenen Wohlfühlbereich zu verlassen, um Aufklärungsarbeit zu leisten.

Es ist ein Roman, der nachhallt, der zwar anklagt aber letztlich nicht verurteilt, der Familiengeschichte und historische Rahmenbedingungen vereint und individuell ausgestaltet, er erzählt von Menschen, die lieben, leiden und leben und immer wieder an Scheidewege gelangen, an denen sie Entscheidungen treffen müssen, oder andernfalls für sie entschieden wird. Zwei starke Protagonisten, eine beklemmende Handlung und die Einsicht, dass nicht jeder für seine Sünden bestraft wird und nicht jeder für seine Heldentaten gerühmt. Diese Geschichte wird mir in Erinnerung bleiben.

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Veröffentlicht am 30.04.2020

Erinnerungen an den Sommer in New Bremen

Für eine kurze Zeit waren wir glücklich
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„Wird ein Verlust zur Tatsache, dann ist er wie ein Stein, den man in der Hand hält. Er hat Gewicht, Umfang, Konsistenz. Er ist fassbar, man kann ihn einschätzen, mit ihm umgehen. Man kann sich damit geißeln ...

„Wird ein Verlust zur Tatsache, dann ist er wie ein Stein, den man in der Hand hält. Er hat Gewicht, Umfang, Konsistenz. Er ist fassbar, man kann ihn einschätzen, mit ihm umgehen. Man kann sich damit geißeln oder ihn wegwerfen.“

Inhalt

Frank Drum erinnert sich an den Sommer 1961, der für ihn wegbereitend für sein ganzes weiteres Leben werden sollte. Damals lebte er mit seiner Familie in New Bremen, einem fiktiven Ort am Minnesota River – der Vater war Dorfpfarrer der Gemeinde, die Mutter eine begnadete Sängerin im Kirchenchor und die große Schwester ein Talent an der Orgel. Franks Tage verliefen typisch für einen 13-Jährigen, der sich gemeinsam mit dem kleinen Bruder Jake die Freizeit vertreibt und zwischen Schule, Freunden und Fahrradtouren die Sonne und das Abenteuer genießt. Doch dem ersten Toten des Sommers, einem Außenseiter aus der Schule, der zu lange an den Bahnschienen verweilte, sollen noch etliche weitere folgen und Frank ist irgendwie immer mittendrin, als Zeuge oder Betroffener. Besonders den Verlust seiner geliebten Ariel, der älteren Schwester mit dem großen Herzen, verkraftet Frank nur schwer. Denn ihr Tod, so ergibt es die Obduktion, war nicht einfach nur ein Unfall, sondern vorsätzlicher Mord. Frank möchte zu gern den Mörder seiner Schwester stellen und ihn seiner gerechten Strafe zuführen, wenn da nur nicht die Beschränkungen seiner Jugend wären und Erwachsene, die seinen Worten immer etwas entgegenzusetzen haben …

Meinung

Nachdem ich vergangenes Jahr so viele begeisterte Leserstimmen zu diesem Roman wahrgenommen habe, musste ich ihn unbedingt lesen, um so wie andere den wundervollen Erzählton und die berührende Geschichte über das schmerzliche Erwachsenwerden eines Jungen kennenzulernen. Dementsprechend hoch war auch meine Erwartungshaltung an die Geschichte, deren Thematik gleich in mehrere Richtungen schwenkt.

Zum einen ist es eine klassische Familiengeschichte, mit den Problemen, Wünschen und Geheimnissen mehrerer Beteiligter, die in enger verwandtschaftlicher Bindung zu einander stehen. Darüber hinaus ist es ein Kriminalroman, bei dem ein Junge versucht, hinter die Machenschaften seiner Mitmenschen zu kommen, um deren Handlungen besser verstehen zu können und dann ist es der unwiderrufliche Weg von der Kindheit zum Erwachsenwerden, verstärkt durch traurig-dramatische Erlebnisse, die sich nicht mehr verbergen und in schöne Worte kleiden lassen.

Das Leseerlebnis war für mich von widersprüchlichen Empfindungen geprägt: zum einen ist es ein ausgesprochen bildhafter, atmosphärischer Roman, der das Lebensgefühl seiner Protagonisten und deren Erlebnisse in absolut stimmige Handlungsabläufe umwandelt, zum anderen ein Grundsatzroman der sich oftmals an Glaubensfragen und moralischen Werten orientiert – diese beiden Punkte haben mir ausgesprochen gut gefallen und mir echten Zugang zum Text gewährt. Doch dann kommt die Wertigkeit der Erzählung hinzu, ihre Bedeutsamkeit über den Roman hinaus und davon war ich dann leider enttäuscht, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, in einem Film zu stehen, die Menschen immer nur von außen zu betrachten und ihnen nicht wirklich nahe zu kommen. Doch dieses Vorgehen wirkt nicht versehentlich, sondern eher gewollt, deshalb hatte ich mehrfach das Gefühl keinen Roman, sondern ein Drehbuch zu lesen.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für eine bildhafte, emotional erzählte Geschichte, die mich in weiten Teilen an einen Film erinnerte und die ich wirklich lieber auf der Leinwand erlebt hätte als auf dem Papier. Die wichtigen Fragen über Schuld und Schicksal, Freude und Leid, Vergeben und Vergessen – sie werden alle aufgegriffen und erlebbar gemacht, aber ihre Reichweite verlässt nicht die gut 400 Seiten des Buches.

Die Protagonisten habe ich mehr gesehen als verstanden, die Geschichte birgt unzählige Erinnerungen jedweder Natur, zeigt auch deren Verblassen im Lauf der Zeit, ebenso wie die Vielschichtigkeit diverser Erlebnisse auf unterschiedliche Personen, doch irgendwie bleibt nicht viel zurück, nachdem ich das Buch beendet habe und deshalb muss ich ganz klar einen Lesestern abziehen.

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Veröffentlicht am 30.04.2020

Ein letzter Weg in absoluter Dunkelheit

Picknick im Dunkeln
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„Ich denke wie jeder andere Mensch, ich denke, weil uns die Vernunft geschenkt wurde und weil solch ein Geschenk einen Sinn haben muss. Ich denke zur Unterstützung des Glaubens an den, der uns diese Vernunft ...

„Ich denke wie jeder andere Mensch, ich denke, weil uns die Vernunft geschenkt wurde und weil solch ein Geschenk einen Sinn haben muss. Ich denke zur Unterstützung des Glaubens an den, der uns diese Vernunft verlieh. Sehen sie, Mister Laurel: Ich bin im Auftrag des Herrn unterwegs.“

Inhalt

Als Stanley Laurel sich plötzlich inmitten vollkommener Dunkelheit befindet und sich weder seinen Weg dorthin, noch seine Lage an sich erklären kann, bemüht er sich, mittels sachlicher Überlegungen zu orientieren – welche Beschaffenheit haben die Wände, gibt es einen Luftzug, hat der Tunnel ein Ende. Zum Glück dauert es nicht lange, bis er einem Koloss von Mann begegnet, der hier in diesem undurchdringlichen dunklen Tunnel ebenfalls ausharrt. Gemeinsam machen sie sich also auf den Weg, das Dunkel zu durchschreiten, in der Hoffnung, dass sie einen Ausgang finden. Ganz nebenbei erzählen sie sich aus ihrem Leben und Stan identifiziert sein Gegenüber tatsächlich als den berühmten Thomas von Aquin, der rein rechnerisch schon seit über 700 Jahren verstorben ist. Also muss dies auch Stans letzter Weg sein, von dem alle Welt immer behauptet hat, dass er ins Licht und nicht in die Finsternis führt. Irgendetwas stimmt hier nicht, und die beiden müssen nur noch herausfinden, was es ist …

Meinung

Was für eine tolle, innovative und doch simple Idee für einen Roman: man nehme zwei hinreichend bekannte Persönlichkeiten, die sich unter logischen Aspekten niemals begegnet wären und setzt sie in einen Raum ohne äußere Reize. Viele Interaktionsmöglichkeiten bleiben ihnen nicht, eigentlich nur die Kommunikation, das Austauschen von Gewissheiten und neue Überlegungen, die man zu zweit vielleicht anstellen kann. Dieser Hintergrund bildet den wesentlichen Baustein des neuen Romans von Markus Orths, der gleichzeitig meine erste Lektüre des Autors war.

Ganz klar, dieses Buch lebt nicht von überschwänglicher Action und Handlungsvielfalt, es gewinnt durch die Art und Weise der Gespräche an Wert, es ist ein Dialog, ein Austausch von Erfahrungen, Erinnerungen und die Suche nach möglichen Erklärungen. Ganz nebenbei bekommt der geneigte Leser dabei einen kleinen Einblick in die jeweilige Biografie des Erzählenden. Während Stan immer auf der Sonnenseite stand und auch andere Menschen zum Lachen brachte, waren der Glaube an Gott und das Benutzen des Verstandes die elementaren Werte im Leben von Thomas von Aquin. Die Annäherung der beiden erfolgt in kleinen Schritten, stellenweise vergessen sie sogar den Sinn ihres Weges, sie haben nicht mehr das unmittelbare Bedürfnis, ihren unfreiwilligen Aufenthalt in der dunkeln Röhre sofort zu Beenden.

Sprachlich punktet der Roman mit feinem Humor, die Protagonisten kommen beide zu Wort, jedoch überwiegen die Erinnerung von Stan, der sich oftmals in der Rolle des Erklärers sieht, denn seinem Gesprächspartner fehlen ganz offensichtlich die Zusammenhänge, liegt seine Lebenszeit doch in so weiter Ferne. Die philosophische Reise findet erst dann ein Ende, nachdem die Männer die großen Lebensfragen hinreichend geklärt bzw. sich mit den Ereignissen ausgesöhnt haben. Doch der Tunnel führt nicht wie erwartet ins Licht, er scheint nur eine Zwischenstation gewesen zu sein, die offen lässt, in wieweit Menschen einander auch über den Tod hinaus beeinflussen können.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für dieses interessante literarische Gedankenexperiment, welches den Leser zu eigenen Mutmaßungen über das Leben allgemein und die aktuelle Situation im Besonderen animiert.

Während der Lektüre habe ich mir auch gerne andere Paarungen vorgestellt, von speziellen Charakteren und ihren Möglichkeiten im gemeinsamen Gespräch, gerade historische Personen hätten mir besonders gut gefallen, denn leider kenne ich mich bei den Komikern nicht so gut aus und die philosophische Seite des Romans hat mich eindeutig mehr inspiriert.

Dieses Buch ist ein gelungener Unterhaltungsroman, der mit wenig Equipment auskommt und viele Bilder im Kopf des Lesers anregt, wenn man ohne spezielle Erwartungshaltung an die Lektüre herantritt, macht sie viel Freude, kleine Schwächen hat sie trotzdem, aber die kann ich durchaus verzeihen. Vom Autor selbst möchte ich mindestens noch ein weiteres Buch lesen, um mir ein genaueres Bild von seiner Intention machen zu können.

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Veröffentlicht am 19.04.2020

Vaters Messer

Meine Schwester, die Serienmörderin
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„Sie ist meine Schwester. Ich will nicht, dass sie im Gefängnis verrottet, und außerdem würde Ayoola, so wie sie nun einmal ist, das Gericht wahrscheinlich davon überzeugen, dass sie unschuldig wäre. Ihre ...

„Sie ist meine Schwester. Ich will nicht, dass sie im Gefängnis verrottet, und außerdem würde Ayoola, so wie sie nun einmal ist, das Gericht wahrscheinlich davon überzeugen, dass sie unschuldig wäre. Ihre Taten seien die Schuld ihrer Opfer gewesen, und sie habe gehandelt, wie jeder andere vernünftige und bildschöne Mensch es unter diesen Umständen auch getan hätte.“

Inhalt

Während Korede, die ältere aber maximal durchschnittlich attraktive Schwester in einem Krankenhaus arbeitet, sonnt sich Ayoola, die bildhübsche jüngere Schwester lieber an der Seite attraktiver Männer, die sie spielend um den Finger wickelt. Ihre Vorliebe sind gutaussehende bestenfalls wohlhabende Partner, die ihr jeden Wunsch erfüllen und die sie genau so lange liebt, wie alles nach Plan läuft. Doch sobald irgendetwas das empfindliche Gleichgewicht in ihren Männergeschichten stört, sieht sie sich gezwungen, Vaters Messer zu ergreifen und ihren Bis-eben-noch-Freund zu ermorden. Derer waren es nun schon drei und jeden Mal telefoniert sie umgehend mit Korede, damit diese gemeinsam mit ihr, die Leiche entsorgt und das Blutbad beseitigt.

Für Korede ist das kein Zuckerschlecken, denn ihre Mitwisserschaft, sorgt dauerhaft für ein schlechtes Gewissen und sie versucht den neuen Liebhabern ihrer Schwester subtile Hinweise zu liefern, warum Ayoolas Schönheit auch ein Fluch sein könnte. Doch als Ayoola plötzlich die Geliebte von Tade wird, auf den eigentlich Korede schon lange Zeit ein Auge geworfen hat, denn er ist ihr Kollege, wird es schwierig für die beiden Schwestern. Korede ist sich ziemlich sicher, das Tade die Liebschaft mit Ayoola nicht überleben wird, wenn sie selbst nicht rechtzeitig eingreift …

Meinung

Nachdem ich einige positive Lesermeinungen zu diesem Buch wahrgenommen habe und mich von einer sehr humorvollen Leseprobe überraschen ließ, wollte ich diese durchaus böse Geschichte über zwei ganz unterschiedliche Frauen mit perfiden Hobbys kennenlernen. Die eine mordet und hüllt sich in Schönheit und Naivität, die andere putzt und übernimmt den verantwortungsvollen Part, der zwar keinen Mord gutheißt, ihn allerdings auch nicht ändern kann oder will. Und tatsächlich überwiegt in dieser Geschichte der schwarze Humor, der nur hin und wieder von einem Anflug Ehre und Gewissen überlagert wird.

Der Debütroman der nigerianischen Autorin Oyinkan Braithwaite ist mal etwas ganz anderes, denn ein richtiger Thriller ist es nicht und für einen Roman kommen eindeutig zu viele Leichen darin vor. Die Grundstory zweier ganz unterschiedlicher Schwestern ist zwar nichts Neues, doch die Intension, die sich hier vor allem durch die Handlung erschließt, verdient schon etwas Aufmerksamkeit. Sprachlich schildert allein Korede rückblickend und vorausschauend gleichermaßen die Entwicklung ihrer allseits beliebten Schwester, der sich einfach niemand, erst recht kein Mann entziehen kann und die immer alles bekam, was sie wollte.

Gerade die Rollenbilder der beiden Geschwister und ihre dennoch intakte Beziehung zueinander haben mich gefesselt – viele Entscheidungen, die hier getroffen wurden, sind für mich unvorstellbar, wirken aber sehr glaubhaft in dieser Geschichte. Besonders reizvoll fand ich auch den gesellschaftskritischen Aspekt, der immer wieder zur Sprache kommt und auch langfristig diese teilweise surreale Geschichte nicht im Klamauk versinken lässt. Was macht denn eine Frau in Nigeria aus, welchen Wert besitzt das Aussehen, welche Wertschätzung erfährt der Verstand? Einmal abgesehen davon, dass Vieles überspitzt wird und die Männer in der Geschichte tatsächlich ganz blasse Gestalten abgeben, kann man den gelebten Feminismus hier spüren.

Zwei Punkte gibt es, die mich nicht ganz überzeugen konnten: Zum einen hätte ich zu gern Ayoolas Blick auf das Geschehen aus erster Hand erfahren, hätte mich lieber in ihren Gedankenkreis begeben als nur den reumütigen Blick von Korede zu erhalten. Zum anderen hätte mir die Fokussierung auf eine Aussage besser gefallen, statt das Anschneiden zweier Möglichkeiten. Zunächst wirkt alles bewusst übertrieben und ironisch, doch im Verlauf der Geschichte bekommen die Dinge mehr Gewicht und münden in regelrechte ethisch vertretbare Aussagen oder eben das Fehlen solcher. Schöner wäre es gewesen entweder nur das Bitterböse zu betonen oder das schockierend Unfassbare.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen ungewöhnlichen Roman mit einem betont alternativen Frauenbild und einer locker-leichten Erzählweise, die echten Unterhaltungswert besitzt. Das Buch bietet sicherlich keine neuen Erkenntnisse, es klagt auch weniger an, als ich zunächst vermutet habe, ist aber auch kein ganz und gar unglaubwürdiges Konstrukt, in dem die Fantasie der Autorin mit ihr durchgegangen wäre. Wer sich auf so eine leichte Geschichte mit schwerwiegenden Hintergründen einlassen kann, ist hier ganz gut beraten. Eigentlich würde mir hier eine Verfilmung vorschweben, in der die Schauspieler so viel Herzblut hineinlegen, wie die Protagonisten des Buches, dann wäre man zwischen selbstgebackenem Kuchen und Bleiche bestens aufgehoben.

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