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Veröffentlicht am 22.05.2020

Über dem Meer tanzt das Licht

Über dem Meer tanzt das Licht
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Maria hat nach langen Jahren des Umherziehens in der Welt auf Norderney einen Hafen gefunden, und sie ist glücklich damit. Und mit ihrem Freund Simon, ihren Töchter Morlen und Hannah. Seit dreieinhalb ...

Maria hat nach langen Jahren des Umherziehens in der Welt auf Norderney einen Hafen gefunden, und sie ist glücklich damit. Und mit ihrem Freund Simon, ihren Töchter Morlen und Hannah. Seit dreieinhalb Jahren betreibt sie zudem die Strandmuschel, ihr Café am Rand der Dünen mit Blick auf die Nordsee.

Noch misst sie dem Wunsch von Simon, mit der kein Jahr alten Hannah vier Wochen auf Tour zu gehen, keine große Bedeutung bei. Ihre Begeisterung hält sich einerseits in Grenzen, andererseits will sie den beiden diese gemeinsame Zeit gönnen. Außerdem halten Maria ein kaputtes Dach und die für die Reparatur benötigte Finanzierung, eine Pachterhöhung für das Café, unerwartete Unstimmigkeiten mit der heranwachsenden Morlen und ihre Freundin Toni, die überraschend auf der Insel anlandet, auf Trab.

Doch nach und nach schleichen sich unsichere Gedanken ein. Liebt Simon sie noch? Er wirkt nämlich sehr zurückgenommen, wenn sie ihn denn überhaupt erreicht, und so, als würde sie ihm gar nicht fehlen. Und dann kommt auch Jan, ihr Ex und Vater von Morlen, früher als geplant und liefert sich mit Georg, einem Gast des Cafés, der Freude daran hat, das Dach der Strandmuschel zu reparieren, ein paar Hahnenkämpfe um ihre Gunst.

Zu guter Letzt leidet Maria weiterhin unter dem Verlust ihrer Mutter Iris, die vor Hannahs Geburt an Krebs verstarb und ihr das Haus hinterlassen hat. Von diesem kann sich die junge Frau schwer lösen, müsste es allerdings auf Grund ihrer prekären finanziellen Situation dringend. Bei einem Blick in den Keller entdeckt sie eine Kiste mit an sie gerichteten Tagebüchern ihrer Mutter. Der Inhalt entwickelt sich zu einer Offenbarung, lässt die Vergangenheit auftauchen, Maria einiges aufarbeiten und ihren Lebensplan und die Zukunft überdenken...


Meike Werkmeister ist eine Überraschung für mich. Ihren 2019 veröffentlichten Roman „Sterne sieht man nur im Dunklen“ habe ich bedauerlicherweise verpasst. Nun bin ich froh über die Lektüre ihres neuen Werkes „Über dem Meer tanzt das Licht“. Dieses folgt hinsichtlich der Örtlichkeiten und Personen dem Vorgänger, rückt indes Maria und ihre kleine Familie in den Mittelpunkt und kann auch ohne Kenntnis der vorherigen Ereignisse gelesen werden.

„Über dem Meer tanzt das Licht“ ist zwar eine erdachte Geschichte, aber eine, die aus dem Leben gegriffen scheint, weil sie echt und wahrhaftig anmutet und überdies ein Wohlgefühl auslöst.

Meike Werkmeister ist eine talentierte Schreiberin. Ihr gelingt es, mit leichter Hand, jedoch unglaublicher Energie und Leidenschaft sowie einem bemerkenswerten Gespür sensibel die Alltäglichkeit der Liebe, die Bedeutung von Freundschaft und das Funktionieren von Beziehungen zu betrachten und dabei den schmalen Grat zwischen Kitsch und (Erzähl)Kunst zu umschiffen. Dabei kreiert sie ein angenehmes Ambiente, in dem die Natur eingebunden wird. Sie verwendet gelegentlich leisen Sprachwitz, hilfreiche Weisheiten und Überlegungen, die nachdenklich stimmen, lässt eine Melancholie über unwiederbringliche Verluste und Erinnerungen anklingen.

Sämtliche Figuren sind geprägt von einer feinsinnigen Charakterisierung.

Maria, einst unabhängig, wild und draufgängerisch und in der Lage, allein klarzukommen, ist ruhiger geworden, hat einen für sich passenden, einen ungewöhnlichen Menschen gefunden, der wie sie einen ausgeprägter Freiheitsdrang besitzt, gleichwohl – vor allem nach dem Tod der Mutter – an ihrer Seite gewesen ist. Simon schafft es, spielerisch, jeden Streit in eine harmlose Richtung zu lenken, verfügt über ein atemberaubendes Selbstbewusstsein, fürchtet sich vor nichts und bringt Maria immer wieder zum Lachen. Aber offensichtlich beschäftigt ihn irgendetwas, dessen Ursache er herausfinden muss...

In einem Satz gesagt: „Über dem Meer tanzt das Licht“ hat definitiv das Zeug für ein Herzensbuch.

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Veröffentlicht am 21.05.2020

Islandsommer

Islandsommer
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„Die Sonne lauerte bereits an der Wasseroberfläche und zauberte Pastelltöne in die feuchte Meeresluft.
… so kurz vor dem Ziel fühlte sie nun auch eine erwartungsvolle Freude, ein Kribbeln, als wüsste etwas ...

„Die Sonne lauerte bereits an der Wasseroberfläche und zauberte Pastelltöne in die feuchte Meeresluft.
… so kurz vor dem Ziel fühlte sie nun auch eine erwartungsvolle Freude, ein Kribbeln, als wüsste etwas in ihrem Unterbewusstsein mehr als sie selbst und hoffte auf ein grandioses Abenteuer.“
(Seite 9)

Merit wird von ihrem Freund Ferdinand für eine andere Frau verlassen. An sich passiert so etwas ja täglich, aber Merit ist völlig überrascht. Sie hat nun in Berlin keine Unterkunft mehr, wohnte sie doch bei Ferdinand. Spontan entscheidet sie sich, das Angebot anzunehmen, für einige Sommermonate als Katzensitterin auf Island nicht nur das Tier, sondern auch das Haus der Besitzerin Ísrún in beliebtesten Teil der Hauptstadt Reykjavík zu hüten. Außerdem knüpft sie eine weitere Hoffnung an den Aufenthalt: Vielleicht kann sie ihre in der Beziehung mit Ferdinand auf Eis gelegte Leidenschaft für die Malerei wieder beleben und Perspektiven für ihre Zukunft entdecken?

Es dauert nicht lange, und Merit findet Anschluss und neue Freunde. Sie beginnt, die Sprache zu lernen, bekommt sogar einen Job, um im teuren Reykjavík zu bestehen. In Ísrúns Haus trifft Merit nicht nur auf Kater Köttur, ein weiterer „Streuner“ wohnt hier: der Norweger Kristján, der als Hubschrauberpilot arbeitet und der jungen Frau zeigt, dass sich das Herz nicht so einfach abstellen lässt, wenn man es befiehlt, sein eigenes nicht ausgenommen. Aus einer anfänglichen „Bettgeschichte“ entwickelt sich langsam eine engere Bindung, bei der zwar die Narben auf Merits Körper keine Rolle spielen, sich allerdings ein paar Dämonen aus Kristjáns Vergangenheit bemerkbar machen...


Kiri Johanssons „Islandsommer“ ist die Geschichte von Merit und Kristján, die auf den ersten Blick alltäglich anmutet, es jedoch nicht ist. Sie erzählt von Liebe, Freundschaft, Leidenschaft, Selbstfindung und -verwirklichung und der Bewältigung von Traumata.

„Islandsommer“ versprüht einen ganz eigenen Zauber, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass wir im Land der magischen Wesen, der Elfen, Feen, Gnome und Trolle sind. Das Weltbild auf Island scheint ein bisschen anders zu sein, genau wie der Umgang der Insulaner mit ihrer Heimat. Die Autorin hat eine wunderbare, unglaublich bildschöne Art, die Einmaligkeit der Insel, die Vielfältigkeit der Natur, die Menschen und die besondere Atmosphäre darzustellen. Sie kennt sich aus, und es gelingt ihr mit wenigen Worten, uns einzuladen, um das Land in all seiner Pracht mit dem nötigen Respekt und rücksichtsvoll zu erkunden.

Kiri Johansson wählt für ihre Geschichte einen ruhigen Erzählton, der mit seinem ästhetischen, behaglichen Ausdruck überzeugt. Die Handlung folgt einer klaren Linie, wenngleich deren Verlauf nicht unbedingt überrascht. Aber mit einigen tiefgründigen Ereignissen und Geheimnissen versehen beansprucht sie durchaus eine Beschäftigung mit dem realistischen Geschehen.

Die Geschichte erfahren wir hauptsächlich aus der Sicht von Merit. Indes tragen die Kristján gewidmeten Kapitel dazu bei, seine innere Gefühlswelt offenzulegen und nachzuvollziehen. Überhaupt entfaltet Kiri Johansson sehr viel Einfühlsamkeit bei der Ausarbeitung und Entwicklung der Emotionen ihrer Protagonisten, dem Auf und Ab der Annäherung. Denn sowohl an Merit als auch an Kristján ist die Vergangenheit nicht spurlos vorbeigegangen.

Bei Merit sitzt der Schock über die unerwartete Trennung von Ferdinand anfangs tief, in Reykjavík kommt sie zur Ruhe, löst sich davon und lernt mit dem überwältigende Gefühl von Menschenscheu, das sie wie so oft aus dem Nichts überfällt, noch besser umzugehen. Nach dem Tod der Eltern hatte es eine Zeit bedrückender Dunkelheit gegeben, von dem ein kleiner Schatten geblieben war.

Kristján ist ein kontrollierter Mann, gradlinig und schnörkellos in seiner Kommunikation. Er schätzt Ordnung und Verlässlichkeit. Zwar ist er nicht immun gegen die Ausstrahlung interessanter Frauen, jedoch er hat sich vorgenommen, diesen Sommer einen deutlichen Abstand zwischen sich und allem Weiblichen zu wahren. Und die attraktive, aber unstrukturierte Merit passt so gar nicht in sein Beuteschema.

Letztlich erweist sich gerade sein „Elfenmädchen“ als absoluter Glücksgriff, als den jungen Mann ein Teil seiner Vergangenheit übermächtig einholt...

„Islandsommer“ ist einer jener warmherzigen Romane, der den Alltag versüßt und wunderbare Lesestunden bereitet.

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Veröffentlicht am 18.05.2020

Der Weg des Schicksals

Grandhotel Schwarzenberg – Der Weg des Schicksals
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Im Königlich Bayerisches Staatsbad Bad Reichenhall des Jahres 1905 versammeln sich Geld und Einfluss. Einst hatte der Salzhandel einigen Leuten Reichtum beschert, jetzt gilt es als schick, hier zu kuren ...

Im Königlich Bayerisches Staatsbad Bad Reichenhall des Jahres 1905 versammeln sich Geld und Einfluss. Einst hatte der Salzhandel einigen Leuten Reichtum beschert, jetzt gilt es als schick, hier zu kuren und seine Zeit in Bädern und Sanatorien zu verbringen. Während sich die vermögenden reichen Gäste dem Luxus unter Gleichgesinnten hingeben, sorgen sich viele einfache Menschen am Rand der Gesellschaft um das tägliche Brot und kämpfen um ihr Überleben. Die Standesunterschiede klaffen weit auseinander.

Katharina von Feil gehört zu denjenigen, die sich um ihre Zukunft keine Gedanken machen müssen. Die Tochter des Salinenmeisters Konrad von Feil kann sich im guten Ansehen ihrer Familie sonnen, obwohl sie als vierundzwanzig Frau bereits weit über das übliche Alter zum Heiraten hinaus ist und sich deshalb dem Drängen ihrer Mutter nach einer „guten Partie“ ausgesetzt sieht. Letztlich fügt sich Katharina und geht eine Verbindung mit dem vermögenden Münchener Geschäftsmann Friedrich Bahlow ein, dessen bestimmendes Verhalten sie zunächst beeindruckt. Es dauert indes nicht lange, und sie bereut die Eheschließung zutiefst.

Anna Gmeiner hingegen wächst in armen Verhältnissen in einem kleinen Haus an der Saalach, einem Zufluss der Salzach, auf. Das Leben ihrer Familie, zu der Vater Johann und Bruder Christoph zählen, ist geprägt von harter Mühsal und einem dürftigen Einkommen, das hauptsächlich Christoph mit seiner Tätigkeit als Trifter einbringt. Als dieser bei einem Unfall während der Arbeit zu Tode kommt, rücken Vater und Tochter noch enger zusammen. Schwer tragen sie an ihrem Los, aber gibt es auch kleine Glücksmomente. Anna verliebt sich in den jungen Salzsieder Michael Schwarzenberg, der die Chance in der Schreibstube der Saline erhält. Michael, der eigentlich seine Zukunft fern der Heimat sieht, erwidert Annas Gefühle und bittet sie, seine Frau zu werden. Beide planen eine gemeinsame Zukunft, bis er seine Arbeit verliert und sich endgültig entschließt, nach Amerika zu gehen, nicht ohne sich der Liebe von Anna zu versichern. Die junge Frau wird jedoch Opfer eines Verbrechens, fühlt sich auch von Michael allein gelassen und sieht sich daher gezwungen, in ihrer Not einen fremden Mann – Leonhard Achleitner – zu heiraten...


Mit „Der Weg des Schicksals“ startet Sophie Oliver ihre Trilogie um das „Grandhotel Schwarzenberg“, lädt den Leser in das elegante Bad Reichenhall ein und zeichnet ein anschauliches Bild der örtlichen und zeitgeschichtlichen Gegebenheiten. Dies macht es möglich, an der Seite ihrer Figuren die Ereignisse im historischen Ambiente zu verfolgen. Dabei bedient sich die Autorin eines dynamischen Erzähltempos und vermittelt ein dramatisches und wendungsreiches Geschehen, in dem emotionale Ereignisse in einem Geflecht aus Lügen und Unwahrheiten eingebunden werden.

Hervorzuheben ist die von der Autorin vorgenommene überzeugende und ehrliche Darstellung der Charaktere.

Sophie Oliver verdeutlicht primär an Hand der Schicksale von Katharina und Anna, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber trotzdem eines gemeinsam haben, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Abhängigkeit der Frauen, deren fehlende Handlungs- und Meinungsfreiheit.

Anfangs wirkt Katharina dünkelhaft und überheblich. Dann offenbart sich schnell, dass auch sie Zwängen unterworfen ist, die zwar mit Wohlstand versüßt werden, allerdings gleichzeitig ihr direktes Wesen und aufrichtiges Handeln unterdrücken und ebenso die Freiheit vermissen lassen. Eingebunden in das Korsett einer lieblosen Ehe, fechtet Katharina ihre Kämpfe nach Unabhängigkeit im eigenen Ermessen aus.

Im Gegensatz dazu trifft es Anna wesentlich härter. Sophie Oliver mutet ihrer zu Beginn der Ereignisse siebzehnjährigen Heldin einiges zu. Nicht allein das Leben in Armut und der frühe Tod der Mutter haben Annas Wesen mit Ernsthaftigkeit geprägt, sondern ebenso der Verlust von Vater und Bruder, der Fortgang ihrer großen Liebe Michael, nicht zu vergessen jenes Verbrechen, das sie schließlich zwang, Leonhard zu heiraten.

Anna haftet der Ruf einer Eigenbrötlerin an, nachdem sie nicht mehr in die Kirche geht und keinen Trost im Glauben findet. Sie ist überzeugt, dass es eine Rettung „von oben“ nicht geben wird und sehnt sich nach Wohlstand, doch nicht wegen des Ansehens, sondern wegen der Sicherheit.

Es gelingt der Autorin, nachvollziehbar zu schildern, wie Anna daran wächst, Durchhaltevermögen beweist, welche Entwicklung sie von einem zwar mutigen, aber überdies verunsicherten und traurigen Mädchen, das um seine Würde bemüht ist, zu einer selbstbewussten Frau nimmt, die an der Seite ihres Ehemannes bestehen will. Leonhard Achleitner ist ein pragmatischer Mensch, vielleicht ein wenig humorlos und unsicher, auf jeden Fall jedoch loyal, fair und bereit, für seine persönlichen Ziele Opfer zu bringen, so dass es nicht verwundert, dass er die Chance ergreift, als diese sich ihm bietet.

Der Traum von einer besseren Zukunft treibt auch Michael an, der nicht daran glaubt, dass man arm sterben muss, nur weil man arm geboren wurde. Er ist intelligent und ehrgeizig und nach dem frühen Tod seiner Eltern gewohnt, sich allein durchzuschlagen. Wenngleich sich seine Einstellung nach dem Kennenlernen von Anna ändert, scheint es, dass er trotzdem beim ersten Problem das Handtuch wirft und sich davonmacht, die Frau, die zu lieben vorgibt, verlässt und sein Ziel aus den Augen verliert. Zumindest der Titel der Reihe lässt erahnen, dass dem nicht so ist.

Es bleibt auf jeden Fall abzuwarten, was das Schicksal für Katharina und Anna, Michael und Leonhard noch bereithält.

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Veröffentlicht am 03.11.2019

Das Lied der Pferde

Das Lied der Pferde
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Aenlins Herz schlägt für die Pferde. Erst recht, als sie Meletay, eine wunderschöne goldene Stute, erblickt, zu der sie bald eine innige Verbindung knüpft und mit der sie am liebsten reitend die Welt erkunden ...

Aenlins Herz schlägt für die Pferde. Erst recht, als sie Meletay, eine wunderschöne goldene Stute, erblickt, zu der sie bald eine innige Verbindung knüpft und mit der sie am liebsten reitend die Welt erkunden möchte.

Soweit so gut. Doch Aenlin lebt nicht im Hier und Jetzt, wo das kein Problem wäre. Aenlins Heimat ist das Cöln von 1072. Und das bedeutet, dass Frauen abhängig von dem Willen der Männer sind. Dieser sieht eine „Pferdeflüsterin“ auf keinen Fall vor. Verständlich, das Aenlin mit ihrem Schicksal hadert, als Mädchen geboren zu sein. Weil sie so hinter ihrem Zwillingsbruder Endres zurückstehen muss, obwohl sie mit wesentlich mehr Mut und Geschick ausgestattet ist.

Das Geschwisterpaar hat ein enges Verhältnis. Und da Endres keinerlei Interesse an der Reiterei und dem Schwertkampf zeigt, ist es Aenlin, die seinen Platz einnimmt. So braucht es nicht viel brüderliche Überzeugungskraft, und Aenlin tritt an Endres Statt gemeinsam mit Melatay die Reise nach León an. Noch bevor die Handelskarawane das Ziel erreicht, wird diese überfallen. Es ist allein ihrem Begleitschutz Don Alvaro und dem Ritter Don Rodrigo Diaz de Vivar, der später zur Legende El Cid werden soll, zu verdanken, dass Aenlin nicht geschändet wird. Allerdings endet an der Stelle Don Rodrigos guter Willen. Vielmehr übergibt er Aenlin einem Sklavenhändler mit dem Auftrag, das wunderschöne Mädchen meistbietend zu verkaufen. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Indes sieht Aenlin ihren Retter, für den die schwärmerische Gefühle entwickelt hat, nicht zum letzten Mal...


Ricarda Jordan weiß, wovon sie schreibt. Jede Zeile, die „Das Lied der Pferde“ über Pferde beinhaltet, lebt von ihrer Liebe, Zuneigung, dem Vertrauen und der Treue, die sie diesen wundervollen Tieren entgegenbringt und auf Gegenseitigkeit beruhen. Damit teilt sie eindeutig auch meine eigene Begeisterung.

Aber die Autorin legt das Augenmerk nicht allein auf die Darstellung der Beziehung von Mensch und Tier. Vielmehr bettet sie diese in einen vielfältigen historischen Roman, der in das Andalusien des ausgehenden 11. Jahrhunderts führt und eine geschichtsträchtige Zeit voller Kämpfe, politischer Intrigen und Machtspiele intensiv beleuchtet. Die Vermittlung der Hintergründe ist zwar ausgeprägt, verfügt andererseits über die notwendige Aufschluss gebende Gewichtung. So findet zu keinem Moment eine Überforderung statt, da tatsächliche historische Ereignisse in der Regel mit der fiktiven Handlung der Heldin Aenlin verknüpft werden.

Es ist der einnehmenden und malerische Schreibstil, der nicht nur im Ausdruck überzeugt, sondern uns ins Geschehen zieht, wenn wir Aenlin in die prächtigen Paläste und fremdartige Welt der maurischen Emirate in Al Andalus begleiten und einen Einblick in das Leben unter anderem als Haremsdame erhalten.

Daneben besitzen die von Ricarda Jordan gestalteten Figuren eine außerordentliche und greifbare Präsenz.

Die Autorin ist das Wagnis eingegangen, sich der Figur des El Cid fernab der Überzeichnung und Verklärung in den Mythen und Legenden auf eine realistische Art und Weise zu nähern. Sie entwickelt den diffizilen Charakter herausragend und setzt dem Charisma, das den Ritter einst zu einem erfolgreichen Kämpfer werden ließ, auch das erforderliche Geltungsbedürfnis nach Macht und Reichtum gegenüber. Dadurch kommt sie vermutlich seinem Wesen sehr nahe, wenngleich es bei uns eher einen negativen Nachhall erzeugt.

Aenlin hingegen konnte die Autorin ganz nach ihrem Ansinnen porträtieren. Das impulsive junge Mädchen, das mit Schönheit und ebenso Naivität ausgestattet ist und sich um die eigene Freiheit und Entfaltung bemüht, irritiert zunächst durch das demütige Hinnehmen der Versklavung. Nach und nach treten ihr scharfer Verstand und ihre Fähigkeiten zu Tage. Eines aber bewahrt sie sich immer: Ihre empfindsame Verbindung zu Pferden, insbesondere Meletay, der sie ihr Lied singt. Mag es eher unwahrscheinlich gewesen sein, dass es eine „Pferdeflüsterin“ im Mittelalter gab. Dennoch scheint es auch nicht unmöglich, und die Vorstellung allein begeistert. Genauso wie die gesamte Geschichte.

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Veröffentlicht am 02.11.2019

Bratapfel am Meer

Bratapfel am Meer (Neuauflage)
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„... Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben." (Seite 149)

Die zweiunddreißigjährige Caro arbeitet als Intensivschwester in einer Klinik und übt ihren Beruf mit ...

„... Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben." (Seite 149)

Die zweiunddreißigjährige Caro arbeitet als Intensivschwester in einer Klinik und übt ihren Beruf mit Verantwortung und Engagement aus. Sie verschließt sich den menschlichen Dingen nicht und lässt diese oft zu nah an sich heran. So geht ihr der Tod ihrer Patientin Elfriede Fischermann besonders nahe, hatte ihr diese doch kurz zuvor eine Perlenkette vermacht und sie gebeten, ebenjene zu ihrer großen Liebe nach Juist zu bringen.

Da sie privat noch mit den sich widerstreitenden Gefühlen nach der Trennung von Ehemann Jörn kämpft und es eine Weile dauern wird, bis sie endgültig darüber hinweg ist, von ihm betrogen worden zu sein, kommt ihr die Gelegenheit gerade recht, zum Jahreswechsel für ein paar Tage auf die kleine Nordseeinsel zu reisen, um Elfriedes Wunsch zu erfüllen. Vielleicht bietet sich so außerdem die Gelegenheit, klarer in die Zukunft zu sehen.

Begleitet von den guten Wünschen ihrer besten Freundin Jana fährt sie gemeinsam mit Bobtail Einstein in den Norden und sammelt unterwegs Max ein, der „Irgendwohin“ reisen will. Ihre wage Vermutung festigt sich schnell: Sie ist Max bereits begegnet. Jahre zuvor hatte er Gitarre spielend und singend am Bett seiner sterbende Frau gesessen…


Bereits nach wenigen Seiten schafft es Anne Barns, mit „Bratapfel am Meer“ zu einem Herzensbuch zu werden. Zwar schlägt sie durchaus einige ernste Töne an, würzt diese aber mit einer Prise Humor und verwendet insgesamt einen gelösten Stil, um ihre Geschichte zu erzählen. Ihre warmherzige Schilderung, in der Emotionen nicht zu kurz kommen, gleichwohl niemals Überhand nehmen, nimmt einen nicht nur für das Geschehen und die Helden ein, sondern ebenso für die Insel Juist, die eine kleine, jedoch nicht unwesentliche Nebenrolle erhalten hat. So gelingt es, obwohl Juist lediglich vor dem inneren Auge erscheint, diese mit wunderbaren Beschreibungen in das Geschehen mühelos einzubinden, das Flair der Nordsee, der rauen Brandung und dem eisigen Wind in Zusammenspiel mit seinen Inselbewohnern spürbar werden zu lassen. Hier kennt im Grunde jeder jeden und Nachrichten verbreiten sich innerhalb kürzester Zeit.

Anne Barns Figuren haben einen hohen Identifikationsfaktor und sind aus dem Leben gegriffen. Sie agieren und kommunizieren miteinander, dass es eine Freude ist, sie zu beobachten und an ihrem Leben teilzuhaben. Familie, Liebe und Freundschaft spielen ebenso eine Rolle wie Trennung, Verlust und Trauer.

Nicht nur die Gefühle sind glaubhaft geschildert, die Autorin greift auch die mit der beruflichen Situation von Caro verbundenen Missstände, die die junge Frau sehr belasten, auf, ohne dabei mit der Holzhammermethode vorzugehen.

Neben den zwischenmenschlichen Begegnungen ist die Leidenschaft für das Backen fester Bestandteil des Romans. Und der Leser kann daraus unmittelbaren Nutzen ziehen: Die im Anhang befindlichen Rezepte sind in einem separaten Rezeptbüchlein veröffentlicht worden. (Ich lade euch übrigens herzlich ein, mich beim Ausprobieren eines Backwerkes heute Nachmittag zu begleiten.)

„Bratapfel am Meer“ ist ein Buch der Wohlfühlmomente, das einen in eine kuschelige Wolldecke hüllt und am besten bei Kaminfeuer, Kerzenschein und einer Tasse Tee genossen wird.

"Am Ende ist es immer nur die Liebe, die zählt.“ (Seite 44)