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Veröffentlicht am 28.01.2021

Bewundernswerte Freiheitskämpferin

Wir wollten das Leben ändern - Band 2
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Ich habe mir dieses zweite des Erinnerungsbuch von Anne Beaumanoir als Vertiefungsliteratur zum Deutschen Buchpreis 2020 vorgenommen, wollte mir den persönlichen Blickwinkel der Protagonistin des Buchpreises ...

Ich habe mir dieses zweite des Erinnerungsbuch von Anne Beaumanoir als Vertiefungsliteratur zum Deutschen Buchpreis 2020 vorgenommen, wollte mir den persönlichen Blickwinkel der Protagonistin des Buchpreises nicht entgehen lassen. Schon der erste Teil hatte seine literarischen Schwächen, war anstrengend zu lesen. Ich musste konzentriert ohne größere Pausen weiterlesen, um den Gesamtüberblick nicht zu verlieren.

Trotzdem habe ich mich nun mit dem zweiten Teil „Kampf für die Freiheit“ beschäftigt. Ich wollte unbedingt mehr über Anne Beaumanoirs Gefühlswelt während der Trennung von ihren Kindern im tunesischen Exil erfahren. Mein Wunsch wurde erfüllt. Noch viel intensiver schildert Anne Beaumanoir ihre zeitlich davor liegenden Erfahrungen in dem Gefängnis Les Baumettes. Für mich ist es sehr bewundernswert, auch nach dieser Erfahrung niemals aufzugeben, weiterhin zu den eigenen Überzeugungen zu stehen und dafür zu kämpfen.

Die zweite Hälfte des Buches beschäftigt sich mit dem Unabhängigkeitskampf Algeriens. Dabei wird auch auf die in Deutschland wenig bekannte Kolonialgeschichte Frankreichs eingegangen. Für die erste algerische Regierung arbeitet die Autorin im Ministereium von Nekkache. Sie widmet sich der Herausforderung, ein funktionierenden Gesundheitssystems für ganz Algerien aufzubauen. Leider wehrt auch diese Schaffensphase nicht lange, all ihre Hoffnung wird enttäuscht. Diese erste Regierung wird weg geputscht, eine erneute Flucht die Folge.

Auch dieser zweite Teil ist literarisch gesehen ganz schön holprig. Ich hatte Mühe, die vielen Charaktere, die auch mit ihren Spitznamen angesprochen werden, richtig einzuordnen. Immer wieder musste ich nachschlagen. Wahrscheinlich ist uns dieser Teil der französischen Historie einfach zu unbekannt. Gefallen haben mir die beiden Karten von Algerien. Sie schärfen das Bewusstsein für die angesprochen Regionen.

Insgesamt bin ich sehr angetan von Anne Beaumanoir, weniger als Literatin, um so mehr als Widerstands- und Freiheitskämpferin. Die Fähigkeit, private Interessen einem höheren Ziel zu opfern und um jeden Preis für die eigenen Überzeugungen einzustehen, ist für mich fast schon übermenschlich.

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Veröffentlicht am 30.12.2020

Ein Erinnerungsbuch - kein Roman

Wir wollten das Leben ändern
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Ich habe mir dieses Erinnerungsbuch als Vertiefungsliteratur zum Deutschen Buchpreis 2020 vorgenommen, wollte mir den persönlichen Blickwinkel der Protagonistin nicht entgehen lassen.

Anne Beaumanoir ...

Ich habe mir dieses Erinnerungsbuch als Vertiefungsliteratur zum Deutschen Buchpreis 2020 vorgenommen, wollte mir den persönlichen Blickwinkel der Protagonistin nicht entgehen lassen.

Anne Beaumanoir erzählt aus ihrem Leben beginnend mit ihrer Kindheit und die wichtigsten Personen darin, übergehend in ihre Jugend mit dem Einstieg in den französischen Widerstand. Diesen ersten Teil ihrer Erinnerungen schließt sie mit ihrem langsamen Aufstieg in der KP und ihrer Forschungsarbeit in Moskau.

Recht leidenschaftlich beschreibt die Autorin ihre Frustration und Enttäuschungen über die eigene Bedeutungslosigkeit im Widerstand als kleines Zahnrädchen im großen Ganzen sowie die mangelnde Qualität der sowjetischen Forschung durch untersagte Forschungsdiskussion, ungerecht zur Verfügung Forschungsgrundlagen und insgesamt miserable Ausstattung.

Für den Leser entsteht ein Eindruck, was es überhaupt bedeutet, im Widerstand zu sein. Mein Bild darüber wurde durch die Lektüre ordentlich korrigiert.

Etwas kritisch betrachte ich diesen ersten Teil von „Wir wollten das Leben ändern“ trotzdem. Er ist literarisch gesehen ganz schön holprig. Es wirkt als hätte die Autorin ihre Erinnerungen eher für sich selbst als für andere aufgeschrieben. Möglicherweise ist auch die Übersetzung nicht ganz perfekt. Für mich war es jedenfalls schwierig, den Gesamtüberblick nicht zu verlieren. Dennoch werde ich auch den zweiten Teil lesen, da mich insbesondere ihre Gefühlswelt im Exil interessiert.

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Veröffentlicht am 01.08.2020

Stille Reue

Ein Sonntag mit Elena
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„Ein Sonntag mit Elena“ ist eine zweigliedrige Geschichte, die von Giulia erzählt wird. Zum einen springt Giulia zwischen Erinnerungen an ihren Vater, dem einstigen Ingenieur und Konstrukteur von Brücken, ...

„Ein Sonntag mit Elena“ ist eine zweigliedrige Geschichte, die von Giulia erzählt wird. Zum einen springt Giulia zwischen Erinnerungen an ihren Vater, dem einstigen Ingenieur und Konstrukteur von Brücken, mit dem sie keinen wirklichen Kontakt pflegt, hin und her. Der andere Teil beschäftigt sich mit einem einzelnen Tag aus dem Leben von Giulia‘s Vater, nämlich als er recht zufällig Elena und ihren Sohn kennen lernt.

Die Erinnerungen wirken auf den ersten Blick konfus, ergeben letztlich aber ein Gesamtbild, aus dem der Leser vermuten kann, warum der Kontakt zum Vater so eingeschränkt stattfand. Genau erklärt wird nichts, es sind Eindrücke, die sich aufdrängen, zum Beispiel, dass die Erinnerungen nicht immer Giulia‘s eigene, sondern mittelbare Erinnerungen ihrer Geschwister Sonia und Alessandro sind. Der Erzählstil innerhalb der Erinnerungen kam mir recht ruppig vor, irgendwie als würde Giulia immer wieder mit sich selbst hadern. Für mich war durchgehend eine gewisse Unzufriedenheit zu spüren. Ich glaube allerdings, dass diese Art des Erzählens leserabhängige Interpretationen zulässt.

Der Elena-Anteil ist feinfühliger und liebevoller. Es ist eine Beobachtung dessen, was normalerweise Großeltern mit ihren Kindern und Enkelkindern erleben. Elena und ihr Sohn Gaston, die der ältere Herr an einem Skaterpark kennengelernt hatte, kommen zu Besuch, Essen zusammen. Der ältere Herr schenkt Gaston die Zeit, die er für die eigenen Kinder nie hatte. Das würde er vielleicht auch als Großvater tun, nur leider kann seine verstreute Familie aktuell nicht bei ihm sein. Zwischendurch hatte ich sogar das Gefühl, er könnte sich verlieben.

Insgesamt ist „Ein Sonntag mit Elena“ ein stiller Roman, der den Leser möglicherweise etwas verwirrt zurücklässt, aber in jedem Fall mit Erkenntnissen zur Bedeutung von Familie und gemeinsamer Zeit, von der irgendwann nicht mehr so viel übrig bleibt. Für mich war es ein guter, aber kein überragender Roman, den man gut zwischendurch lesen kann, aber nicht zwingend gelesen haben muss.

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Veröffentlicht am 23.06.2020

Bin unter Beobachtung

Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich Von einer Begegnung, die alles veränderte
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Genau wie die Protagonistin im Roman muss ich mich mit dem täglichen Spagat zwischen Beruf und Familie auseinandersetzen, ebenso mit der Thematik, welchen Preis ich für noch mehr Konsum bereit bin zu zahlen. ...

Genau wie die Protagonistin im Roman muss ich mich mit dem täglichen Spagat zwischen Beruf und Familie auseinandersetzen, ebenso mit der Thematik, welchen Preis ich für noch mehr Konsum bereit bin zu zahlen. So kam es mir gerade recht, dass mir dieses kleine Büchlein empfohlen wurde.
Die Romanform hat mir für die Vermittlung von Tipps zur Stress- und Burnout-Vermeidung gefallen, auch wenn dadurch fachlich nicht allzu tief eingestiegen werden konnte. Die Anregungen sind leicht verständlich und sofort nachvollziehbar. Ich selbst konnte mich in allen vier Fragen wieder erkennen. Trotzdem möchte ich nicht sofort Änderungen in meiner Lebensweise vornehmen, sondern mich selbst eher mit geschärfteren Fokus beobachten.
Die Geschichte selbst ist für meinen Geschmack zu einfach, verläuft zu glatt. Einzelne beschriebene Maßnahmen lassen sich aus meiner Sicht sinnvoll nur ab einer gewissen finanziellen Grundausstattung umsetzen. Unsere Protagonistin ist für mein Empfinden auch etwas zu empfänglich für die Konsequenzen, die die Vier Fragen mit sich bringen.
Ich gehe davon aus, dass es der Autorin lediglich um Anregungen ging, die nett verpackt werden sollten. Dies ist ihr gut gelungen. In zügig lesbarem Schreibstil, mit dezenten Abbildungen verfeinert, gibt sie dem Leser ein paar Gedankenanstöße. „Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich“ ist gut während einer längeren Bahnfahrt zwischen zwei Terminen lesbar und allen zu empfehlen, die Spagat zwischen Beruf und Familie bewältigen müssen.

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Veröffentlicht am 15.06.2020

Optisch ein Highlight, literarisch ausbaufähig

Der unsichtbare Garten
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Wer sich mit dem neuen Roman von Karine Lambert beschäftigt, wird die überaus gelungene Gestaltung des Buches nicht ignorieren können. Ich bin immer erfreut, wenn ein Verlag dem Leser ein hochwertiges ...

Wer sich mit dem neuen Roman von Karine Lambert beschäftigt, wird die überaus gelungene Gestaltung des Buches nicht ignorieren können. Ich bin immer erfreut, wenn ein Verlag dem Leser ein hochwertiges Hardcover mit Lesebändchen gönnt. Das ist beim unsichtbaren Garten nur der Anfang. Perfekt passend zu den Ereignissen im Roman wird das von bunten Blüten und Blättern wunderbar gezierte Hardcover durch einen milchigen Papierumschlag verschleiert. Schön sind auch die Listen und Gedanken des Protagonisten, die mit anwachsendem Schriftgrad den Fließtext unterbrechen und somit den Leser kurz innehalten lassen.

Die Hauptfigur, Vincent, wird durch eine seltene Krankheit innerhalb kürzester Zeit das Augenlicht verlieren. Wie ein Irrer stellt er nun Listen auf, was unbedingt noch sehend erledigt werden muss. Die Erkenntnis, dass er sich dabei längst verzettelt hat, kommt Vincent erst kurz bevor es zu spät ist.

So wie Vincent von Erlebnis zu Erlebnis hetzt, eilt auch der Leser durch den Roman, angetrieben durch die verkürzte Sprache. Gebremst wird man nur durch die bereits erwähnten handschriftlichen Listen, welche mir vom Stil her sehr gefallen haben, oder durch den Wechsel in die Sichtweise eines anderen Charakters. Da die Lesegeschwindigkeit durch den eher einfachen Satzbau extrem hoch war, bin ich bei den Perspektivwechseln regelmäßig ins Stolpern geraten.

Von den Hauptcharakteren Vincent, seinen Eltern, Émilie, Coline und Arnaud mochte ich letzteren am liebsten. Er hilft und unterstützt einfach nur, weil er es kann und Lust drauf hat. In seiner Gefühlslage Vincent gegenüber ist weder eine lästige Pflicht, noch irgendeine Scham zu erkennen. Arnaud ist auch einer der wenigen, die noch normal mit Vincent umgehen.

Vincent selbst mochte ich zunächst gar nicht. Natürlich konnte ich sein inneres Chaos nach der Diagnose nachvollziehen. Trotzdem handelt er mir zu sprunghaft und unüberlegt. Doch selbst das kann ich ihm noch zugestehen. Was ihn für mich in ein eher negatives Licht stellt, ist das unnötig lange Für-sich-Behalten seiner Krankheit, dann das impulsive Herausplatzen damit und die fehlende Akzeptanz, zumindest anfangs Hilfe zu brauchen.

Für mich war „Der unsichtbare Garten“ ein eingeschränktes Lesevergnügen. Vermutlich habe ich mit meiner Vorliebe für französischsprachige Autoren eine zu hohe Erwartungshaltung an diesen Roman gehabt. Neben der aus meiner Sicht zu einfachen Sprache haben mich die holprigen Perspektivwechsel und die zeitlichen Lücken in der Geschichte gestört. Etwas überrumpelt wurde ich von dem Ende. Wie es ausgeht, werde ich hier selbstverständlich nicht verraten, aber es kam mir so vor, als ob am Ende wirklich Jeder für sein Handeln die Rechnung bekommt. Das wirkte auf mich irgendwie aufgesetzt, nicht natürlich. Schade. Dennoch gab es einige angenehme Szenen, zumeist mit Randfiguren, die mir sehr gefallen haben.

Wer gern Bücher liest, die schnell zu Ende sind, und sich nicht so gern in detail- und facettenreicher Sprache verliert, dem wird Karine Lambert sicherlich Vergnügen bereiten. Ich konnte mit ihrem Einsatz von Sprache letztlich doch nicht warm werden.

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