Profilbild von lielo99

lielo99

Lesejury Star
offline

lielo99 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit lielo99 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.10.2020

(K)ein Buch zum Abschalten

Aus der Zuckerfabrik
0

Und noch ein Buch von der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2020. "Aus der Zuckerfabrik" stammt aus der Feder von Dorothee Elmiger, einer Schweizerin, und es ist ihre dritte Veröffentlichung. Frau Elmiger ...

Und noch ein Buch von der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2020. "Aus der Zuckerfabrik" stammt aus der Feder von Dorothee Elmiger, einer Schweizerin, und es ist ihre dritte Veröffentlichung. Frau Elmiger zog es auf wie ein Notizbuch. Von einem Arbeiter mit dem bedruckten Shirt, geht es zum ersten Lottomillionär der Schweiz, über eine Flug bis zu einem Autorentreffen. Ihre Gedanken bestehen oft aus wenigen Sätzen und eine Lösung gibt es nicht. Es ist eine Recherchereise durch Zeiten und Welten.

Es ist beileibe kein Buch, welches ich in wenigen Stunden las. Wie beschrieb es die Journalistin eines Radiosenders? Frau Elmiger fordere die Intelligenz der Leser. Das halte ich allerdings für unangebracht. Zum Beispiel darum: Wer sich auf ein fremdes Pferd setzt, ohne Zaum und Sattel, der ist nicht intelligent, der ist dumm. Viele Ereignisse führt sie nicht oder erst viele Seiten später weiter und beendet sie kaum. Aber nein, es ist beileibe nicht schlecht. Es gibt viele gute Ansätze in dem Buch.

Toll fand ich zum Beispiel den Hinweis auf das schöne Gemälde über den „Ursprung der Welt.“ Oder die vielen Hinweise auf Literatur aus der Vergangenheit. Dazu hat sie im Anhang eine lange Liste der Titel sowie ihrer Quellen aufgeführt. Sie stellte sich immer wieder die Frage, was denn bei einer Veröffentlichung auf dem Cover stehen sollte. Roman, oder doch lieber Recherchebericht? Wie sie lesen, wurde keins der beiden Wörter gewählt. Kann man über das Wort Liebe diskutieren? Nein? Doch! Frau Elmiger zeigt es in ihrem Buch. Und sie gibt sogar zu, dass sie nicht imstande ist etwas zu tun, was die Allgemeinheit unter „erzählen“ versteht. Sie kann nicht bei einem Thema bleiben.

Und warum trägt das Werk diesen Titel? Weil es immer mal wieder um den Zucker geht. Wie die Pflanzen geerntet und zu dem weißen Stoff verarbeitet werden oder welche Historie dieses Gewürz hat. Dann gab es noch ein Treffen, welches ich gut fand. Als sie nämlich zu einer Literaturrunde fuhr und dort von den „alten Hasen“ so begrüßt wurde: „Wie jung sie sind.“ Und dass viele glauben, sie würde Romane, vorzüglich „Nackenbeißer“ schreiben. Das hat sie bestens auf den Punkt gebracht, diese Vorurteile gegenüber junge Autoren. Auch ich musste lernen, dass sie gar nicht mal so „wirres Zeug“ schreibt, wie ich erst dachte. Leser müssen sich darauf einlassen und vorher bedenken, dass es eine kaum bekannte Art der Literatur ist. Also vier Sterne und eine Empfehlung für Mutige gebe ich hier.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.10.2020

Nicht schlecht

Serpentinen
0

Kennt jemand von euch die Formel für „Familienbla“? Also Erzählungen, die nicht nur bei allen Festen innerhalb der Familie erzählt wurden. Sie lautet: (E+G) x V = F. Habt Ihr keine Ahnung? Nun ja, dann ...

Kennt jemand von euch die Formel für „Familienbla“? Also Erzählungen, die nicht nur bei allen Festen innerhalb der Familie erzählt wurden. Sie lautet: (E+G) x V = F. Habt Ihr keine Ahnung? Nun ja, dann lest das Buch „Serpentinen“ von Bov Bjerg. Es steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2020. Der Autor schreibt von einer Reise, die der Vater mit seinem Sohn unternimmt. Er fürchtet sich. Sämtliche Vorfahren sind tot und das keineswegs aufgrund von Krankheit oder Altersschwäche. Nein, sie erhängten oder erschossen sich. Der Vater hat Angst davor, dass auch er den Einflüsterungen des „Teufels“ erliegt und seinem Leben ein Ende setzt. Dabei möchte er doch viel lieber vergessen. Seinem Sohn ein guter Vater sein.

Der Ich-Erzähler berichtet von Steinmetzen, die durch chinesische Sekretärinnen einfach mal so ersetzt werden. Er nennt seine Liebsten nie bei ihrem Namen. Der Sohn ist schlicht und einfach „der Junge“ und seine Frau nur „M“. Dass er unter Depressionen leidet, das ist kaum verwunderlich. Litt er doch unter einem depressiven Vater, der seine Beschwerden lindern wollte, indem er viel Alkohol trank. Bei der Reise in die Vergangenheit erinnerte sich der Vater an die Kindheit im Böhmerwald und an die Erzählungen der Mutter über die Sudeten und die Flucht nach Deutschland.

Ein Vater möchte verhindern, dass er dem „normalen“ Lebensende seiner Vorfahren folgt. Er packt seinen Sohn und reist mit ihm zu den Orten seiner Kindheit. Schafft er das Unglaubliche? Kann er sich den Traumen seiner Vorväter stellen und weiterleben? Ein sehr gutes Buch, welches mich beeindruckte. Wäre das Ende für mich nachvollziehbar, dann hätte ich #Serpentinen auch mit fünf Sternen bewertet.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.10.2020

Sprachlosigkeit nach dem Verlust

Das Haus in der Claremont Street
0

Innerhalb weniger Minuten war der kleine Tom Waise. Was er mitansehen musst, kann niemand nachvollziehen und ist Thema des Debütromans „Das Haus in der Claremont Street“. Dass er seitdem nicht mehr spricht ...

Innerhalb weniger Minuten war der kleine Tom Waise. Was er mitansehen musst, kann niemand nachvollziehen und ist Thema des Debütromans „Das Haus in der Claremont Street“. Dass er seitdem nicht mehr spricht und auch noch einige andere „Eigenheiten“ an den Tag legt, das ist verständlich. Seine Mutter hatte drei Geschwister, die sich um Tom kümmern wollen. Mona, die Tote, beschloss vor ihrem Tod, dass die Älteste das Sorgerecht für Tom bekommt. Die ist kinderlos und mit beim Umgang mit dem Traumatisierten schon bald überfordert. Es folgt Rose, die im Haus an der Claremont Street wohnt. Das ist übrigens das Elternhaus der Geschwister. Hier lebt auch Roses Sohn und der ledige Bruder Will. Alle bemühen sich um Tom, der bleibt aber verschlossen.

Es war ein Mord mit Ansage und trotzdem kam er für die Geschwister überraschend. Allerdings machen sie sich jetzt, wo die Tat geschah, bittere Vorwürfe. Warum haben sie die Zeichen nicht erkannt? Versäumten sie es mit Absicht, ihre Schwester zu retten? Es gibt ja Frauen, die angeblich täglich vor einen Schrank laufen oder die Treppe hinunterfallen. Doch, ist das glaubwürdig? Trotz des ernsten Themas über Traumen und den brutalen Verlust der Eltern, musste ich hin und wieder schmunzeln. Die Autorin berichtete nicht nur todernst sondern stets mit einem Augenzwinkern.

Ich fand es anstrengend, dass ich mich immer wieder auf neue Gedanken und Schauplätze einlassen musste. Viele Erlebnisse aus der Vergangenheit Toms und der Geschwister wechselten mit den Problemen der Gegenwart. Aber trotzdem lohnte es sich, dabeizubleiben und dem Geschehen zu folgen. Es ist ihr Debüt und dafür ist es gut gelungen. Luft nach oben gibt es immer. Vier Sterne und eine Leseempfehlung sind berechtigt, so denke ich.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.10.2020

Und der Wind kann doch lesen

Das Wörterbuch des Windes
0

„Eifersüchtige Irre“ und „total krank im Kopf“, das schrie Henrik als er sich zum letzten Mal mit Swea stritt. Dabei sollte es ein neuer Anfang werden, sozusagen die zweite Hochzeitsreise. Swea steigt ...

„Eifersüchtige Irre“ und „total krank im Kopf“, das schrie Henrik als er sich zum letzten Mal mit Swea stritt. Dabei sollte es ein neuer Anfang werden, sozusagen die zweite Hochzeitsreise. Swea steigt in den Mietwagen und rast davon. Sie kommt vom Weg ab und wird von einem Senior namens Einar gefunden. Der bringt sie mit in sein Haus und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Schritt für Schritt versucht Swea, sich von ihrem Mann und den Eltern loszueisen. Dabei macht sie auch Fehler und es stellt sich die Frage, ob die wechselnden Liebhaber tatsächlich dazu beitragen können, dass sie vergessen kann.

Die Autorin reiste im Jahr 2008 nach Island um dort an einem Literaturfestival teilzunehmen. Dabei kam ihr die Idee zu diesem Roman. Sie schreibt von der rauen und wunderschönen Landschaft dieser Insel. Von dem Wind, dem man nachgeben sollte, alles andere sei zu anstrengend (laut Einar). Aber auch der Glaube an Übernatürliches, wie Elfen oder Begegnungen mit Toten, ist ein großes Thema. Das war mir ein wenig zu abstrakt aber ich akzeptiere alle, die daran glauben. Swea beginnt zu malen, sie versucht sich als Reinigungsfrau und muss erkennen, welche hinterhältigen Schachzüge ihr Vater veranlasst. Lässt sie sich davon beeinflussen und geht wieder zurück nach Deutschland?

Ja und dann gab es noch den Bankencrash. Dass viele Isländer damals ihre Häuser an die Banken verloren ist bekannt. Wie sie damit umgingen und dass einige es nicht schafften, ins Leben zurückzufinden, das beschreibt Nina Blazon gut. Ein Blickpunkt ist das tolle Cover. Diese Farben und die auffallende Figur im roten Kleid, das hat was. Vier Sterne gibt es von mir und für Freunde der Insel im hohen Norden ist es mit Sicherheit ein tolles Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.10.2020

Nach Eingewöhnungszeit hatte ich viele Bilder im Kopf

Die Bagage
0

Maria Moosbrugger ist eine Schönheit und ihr Mann, der Josef, wacht mit Argusaugen über sie. Als jedoch der Erste Weltkrieg beginnt und er eingezogen wird, bittet er den Bürgermeister, dass er über seine ...

Maria Moosbrugger ist eine Schönheit und ihr Mann, der Josef, wacht mit Argusaugen über sie. Als jedoch der Erste Weltkrieg beginnt und er eingezogen wird, bittet er den Bürgermeister, dass er über seine Frau wacht. Josef ist fort und Maria macht einen Ausflug mit dem Bürgermeister. Sie lernt einen Mann kennen, der sie auch Zuhause besucht. Irgendwann ist es das Gesprächsthema Nummer eins im Ort: Maria ist schwanger. Die Gerüchteküche brodelt und auch der Pfarrer kocht munter mit. Das Kind, die kleine Margarete, leidet später unter dem Hass des Josef und der bestraft sie mit Verachtung. Mit recht? Oder erliegt er den Vorurteilen der Dorfbewohner?

Grete, die Abkürzung von Margarete, ist die Mutter der Autorin von „Die Bagage“. Sie berichtet von dem Leben der Bergbauern und den vielen Entbehrungen in der Kindheit. Aber auch von der Freiheit und dem Leben mit der Natur. Das Buch zeigt, wie leicht es ist, sich den Gerüchten hinzugeben und daraus eine Grund zu konstruieren, der das Leben eines Menschen unerträglich macht. Wer dann auch noch seine Macht ausnutzt und als Pfarrer von der Kanzel diese Vorurteile anheizt, der ist verabscheuungswürdig.

Beim Lesen von „Die Bagage“ dachte ich unwillkürlich an ein Bild in unserem Lesebuch. Es hieß: „Das Gerücht“ und dazu gab es auch eine Geschichte. So wie ein kleiner Schneeball zur großen und todbringenden Lawine wächst, so müssen auch Margarete und ihre Mutter leiden. Es war das erste Buch der Autorin, welches ich las. Die schlichte und bildhafte Sprache gefiel mir dabei recht gut. Vier Sterne und besonders den Österreichern gebe ich eine Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere