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Veröffentlicht am 13.05.2021

Mein Herz bricht

Kukolka
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"Wer bist du?", fragte ich.
"Wer bist du?", fragte die Gestalt zurück.
"Ich? Ich bin niemand."
"Das ist gut. Wer niemand ist, kann alles werden." (S. 160)

[TW: Gewaltdarstellungen, sexueller und psychischer ...

"Wer bist du?", fragte ich.
"Wer bist du?", fragte die Gestalt zurück.
"Ich? Ich bin niemand."
"Das ist gut. Wer niemand ist, kann alles werden." (S. 160)

[TW: Gewaltdarstellungen, sexueller und psychischer Missbrauch, Prostitution]

Eine Familie, ein eigenes Zimmer, ein Bett mit kuschelweicher Matratze – das ist es, was sich die siebenjährige Samira wünscht. Sie wohnt in einem Kinderheim in der Ukraine, Mitte der 90er Jahre. Abgesehen von der autoritären Marina hat sie keine Freunde, wird häufig geärgert und schikaniert – umso trauriger ist sie, als ihre Freundin beim monatlichen Besuch potentieller Eltern von einem Ehepaar aus Deutschland adoptiert wird. Marina verspricht, ihr regelmäßig Briefe zu schreiben und ihre neuen Eltern zu überreden, sie auch nach Deutschland zu holen, und von da an steht für Samira fest: Sie möchte raus hier, sie möchte nach Deutschland zu Marina, mit ihrer neuen Schwester und ihren eigenen Barbies spielen, Süßigkeiten essen und es einfach gut haben. Doch die Monate vergehen, ohne dass etwas passiert, und so fasst sich Samira ein Herz, packt ihre wenigen Habseligkeiten und den Brief mit Marinas Adresse und findet sich plötzlich in einem neuen, gefährlichen und aufregenden Leben wieder.

In ihrem Debütroman „Kukolka“ erzählt Lana Lux, die selbst im Alter von zehn Jahren mit ihren Eltern aus der Ukraine nach Deutschland auswanderte, eindringlich und zutiefst erschütternd die Geschichte eines kleinen Mädchens, das als einem Kinderheim flieht und, unter der „Obhut“ des Mannes Rocky, in einer Gruppe von anderen, vom Leben gezeichneten Kindern aufwächst. Täglich setzt er sie an stark bevölkerten Orten in der Stadt ab, damit sie Geld sammeln, betteln und klauen – für ihren Unterhalt und für die krummen Geschäfte ihres Padrone, doch das soll bei weitem nicht das schlimmste sein, was Samira, genannt Kukolka, in ihrem jungen Leben erfahren und erleben soll.

Lana Lux entwirft unglaubliche Szenarien eines Lebens am Rande der Gesellschaft, die in einer sozialisierten Welt unmöglich erscheinen, weit weg von uns, einem blinden Fleck gleich – und doch sind sie da.

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Veröffentlicht am 13.05.2021

Wundervoll!

Der Tod des Vivek Oji
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„Ich bin nicht, wofür mich alle halten. Das war ich nie. (...) Es war schwer, jeden Tag mit dem Wissen herumzulaufen, dass die Leute mich auf eine bestimmte Art sahen und falsch lagen, so völlig falsch, ...

„Ich bin nicht, wofür mich alle halten. Das war ich nie. (...) Es war schwer, jeden Tag mit dem Wissen herumzulaufen, dass die Leute mich auf eine bestimmte Art sahen und falsch lagen, so völlig falsch, dass ihnen mein wahres Ich verborgen blieb. (...) Aber wenn dich niemand sieht, bist du überhaupt noch da?“ (S. 47)

Er ist tot. Ihr geliebter Sohn Vivek ist tot. Als sie den notdürftig in Tücher gewickelten, gebrochenen Körper ihres einzigen Kindes vor ihrer Haustür entdeckt, bricht auch in Navita etwas, von dem sie sich nicht wieder erholen wird. Er war schon immer besonders, anders, und sie und ihr Mann Chika haben ihn oftmals nicht verstanden: Er litt schon von Kindheit an an Black Outs, die ihn scheinbar in Parallelwelten ziehen, und ließ sich die Haare lang wachsen. Während sein Onkel Emezi und deren Frau Mary davon überzeugt sind, dass er von einem Dämon besessen sein muss, tut Kavita all diese Anschuldigungen ab. Doch der einzige, dem sich Vivek anvertraut, mit dem er seine Sorgen und Ängste, seine Bedürfnisse teilt, ist sein Cousin Osita – und so entspinnt zwischen den beiden eine feine, liebevolle Liaison. In den 90er Jahren in Nigeria undenkbar! Was hat all das mit dem Tod Viveks zu tun?

Akwaeke Emezi erzählen in „Der Tod des Vivek Oji“ viel mehr als die verzweifelte Suche Kavitas nach der Wahrheit, nach den Gründen für den Tod ihres geliebten Sohnes. Viel mehr ist es ein unglaublich wichtiger, berührender Appell dafür, man selbst zu sein, keine Angst zu haben vor seiner oder ihrer wahren Identität. Vor dem Hintergrund strikter kultureller und religiöser Vorstellungen entspinnt sich eine von Angst und Verzweiflung geprägte Geschichte, die Vivek aus verschiedenen Blickwinkeln zu unterschiedlichen Stationen seiner Leben betrachtet, und dabei sukzessive aufdeckt, wer sie wirklich sind. Die klare, einfache Sprache kommt ohne bunte Beschreibungen aus und stellt beinahe nüchtern die Handlungen dar. Wie sensibel Awaeke Emezi all die Aspekte rund um Geschlechtsidentitäten, soziokulturelle und ethnische Differenzen – die nur zart, beinahe nebenbei erwähnt werden, trotzdem aber unglaublich wichtig sind!

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Veröffentlicht am 13.05.2021

Phänomenal!

Unter Deck
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„Was bin ich für ein Mensch? Heute, gestern, morgen? (...) Woher soll man so etwas wissen? Woher soll man wissen, wo die Reise hingeht, wenn man nicht weiß an welchem Punkt man startet? Kann man so etwas ...

„Was bin ich für ein Mensch? Heute, gestern, morgen? (...) Woher soll man so etwas wissen? Woher soll man wissen, wo die Reise hingeht, wenn man nicht weiß an welchem Punkt man startet? Kann man so etwas wissen?“ (S. 278)

Manchmal eröffnet das Schicksal einem Möglichkeiten, von denen man nicht zu träumen gewagt hätte, dass sie einmal Wirklichkeit werden würden. So findet sich Olivia nach einem langen Abend plötzlich auf einem Schiff wieder, genauer: dem Segelschiff Robynne, das Mac, einen gutmütigen, älteren Herrn, und dessen guter Freundin Maggie gehört. Maggie ist blind und – genau wie Olivia – Synästhesistin; sie nimmt Geräusche und Gefühle als Farben wahr. Ermuntert von den Gemeinsamkeiten und dem Gefühl von Heimat beschließt Olivia, mit den beiden an einer Regatta teilzunehmen, endlich das blaue Meer der Korallenriffs zu sehen, und dafür ihr Praktikum bei einer großen Bank abzusagen. Sie verliebt sich in das Meer, die Weite und die Freiheit – bis es einige Jahre später zu einem traumatischen Erlebnis unter Deck eines Schiffs mit fünf jungen Männern kommt, das seine Spuren hinterlässt.

„Unter Deck“ (OT: Below Deck, übersetzt von Verena Kilchling) ist erschreckend intensiv und ehrlich, wortgewaltig und poetisch, verletzlich und sensibel. Sophie Hardcastle erzeugt mit wenigen Worten eindrückliche Bilder, sodass man das Salz auf der Haut zu spüren meint, den frischen Geruch des Meeres, sogar die Berührungen des jungen Mannes, dessen Finger wie ein Stempel haften bleiben. Ihre Protagonistin Olivia hat mich mit ihrem Selbstbewusstsein, ihrer durchweg intelligenten und starken Art beeindruckt: "Du bist ein eigenständiger Mensch, Oli. Vielleicht macht ihm das Angst." (S. 19) Sie wird mit allerhand Schicksalen konfrontiert, die an niemandem spurlos vorübergehen würden: der Tod eines Familienmitglieds, eine toxische Beziehung, fehlender familiärer Rückhalt. Trotz dessen wächst sie mit den Herausforderungen, behauptet sich in der männerdominierten Welt der Schifffahrt und findet sich doch immer wieder Vorurteilen und Sticheleien ausgesetzt.

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Veröffentlicht am 20.12.2020

Tolle Auszeit

Witzige Tiere zeichnen
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Witzige Tiere zeichnen hat mir einige wunderbare Augenblicke der Entspannnung und des Abschaltens verschaffen - gerade in der jetzigen Zeit tat das so gut! Die Step für Step-Anleitungen sind simpel dargestellt ...

Witzige Tiere zeichnen hat mir einige wunderbare Augenblicke der Entspannnung und des Abschaltens verschaffen - gerade in der jetzigen Zeit tat das so gut! Die Step für Step-Anleitungen sind simpel dargestellt und einfach nachzumalen. Die Auswahl der Tiere ist groß und ich konnte meine ganze Wohnung nun mit lustigen Unikaten der unterschiedlichsten Tiere schmücken, und werde sicher auch einige Bilder zu Weihnachten als kleines Goodie verschenken.
Danke für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

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Veröffentlicht am 24.11.2020

Toll!

Ich fühl’s nicht
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Sich zu verlieben bedeutet ja, dass man völlig machtlos ist, ohne Arme und Beine, sozusagen wie Dönerfleisch, dass (sic!) sich in einer fettigen Imbissbude immer im Kreis dreht (…).

Wieso hat der eigentlich ...

Sich zu verlieben bedeutet ja, dass man völlig machtlos ist, ohne Arme und Beine, sozusagen wie Dönerfleisch, dass (sic!) sich in einer fettigen Imbissbude immer im Kreis dreht (…).

Wieso hat der eigentlich andauernd ‘ne Neue? Alles beginnt bei Leonardo DiCaprio, der der Boulevardpresse nach in den letzten Jahren unzählige Beziehungen mit immer demselben Typ Frau hatte – doch nie hielt es für länger. Ausgehend von einer heteronormativen Liebesbeziehung geht Liv Strömquist in ihrer neusten Graphic Novel „Ich fühl’s nicht“ den möglichen Ursachen für die Kurzweiligkeit und sprunghaften Entscheidungen moderner Beziehungen im Zeitalter des Spätkapitalismus auf den Grund.
Sie zieht kluge Vergleiche zu früheren Epochen, in denen Männer* noch Gefühle zeigten und um die Gunst der Dame buhlten, während diese heutzutage eher verkopft sind, sich über jede Aussage und Geste den Kopf zerbrechen. Und was tun bei Liebeskummer, wenn die Beziehung zu scheitern droht? Anhand von Beyoncés „Irreplaceable“ analysiert sie, wie mit Herzschmerz umgegangen sollte und wie nicht, plädiert dafür, dass jede Frau zu sich selbst stehen, ihren Prinzipien treu bleiben sollte. Kritisch beäugt die Autorin Aussagen verschiedener PhilosophInnen, AutorInnen und DenkerInnen vergangener Zeiten, eine bunte Mischung aus der griechischen Antike bis hin zum viktorianischen Zeitalter, aus Lyrik und Prosa. Doch so schwerwiegend und tiefgründig die behandelten Themen auch klingen mögen, mit ihren großartigen Zeichnungen, kecken Kommentaren und popkulturellen Anspielungen transportiert sie ihre Message eindrucksvoll und voller Lockerheit und Selbstbewusstsein. Natürlich hat sie viele Aspekte verallgemeinert und überspitzt dargestellt, fordert den Leser zum Reflektieren und Diskutieren auf, trifft damit aber den aktuellen Zeitgeist und die junge Gesellschaft effektvoll. Insgesamt eine grandiose Graphic Novel – „oh the love, I feel it!“

Herzlichen Dank an den @avant_verlag!

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